Missing Link: Wo steht Ihr Bundesland beim Telenotarzt?

Seite 5: Sachsen

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Im Jahr 2020 gab das Sächsische Staatsministerium des Inneren ein Sachverständigengutachten für den bodengebundenen Rettungsdienst in Auftrag, bei dem es auch um die Frage ging, welche "Optimierungspotentiale" ein TNA-System für die notärztliche Versorgung bringt. Das im Januar 2023 veröffentlichte Gutachten empfahl dem Freistaat Sachsen bei der Implementierung des TNA-Systems "eine dezidierte Kosten-Nutzen-Analyse im Vorfeld mit der Zielsetzung vorzunehmen, um einerseits den benötigten Investitions- und Betriebskosten die möglichen Einsparpotenziale durch eine Vermeidung eines weiteren Ausbaus des bodengebundenen Notarztsystems gegenüberstellen zu können und andererseits einen vergleichbaren Nutzeneffekt messen zu können".

Am 20. Januar 2024 trat die Neufassung des sächsischen Gesetzes über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz in Kraft. Das Gesetz beinhaltet nun in § 26 Absatz 3 zur Rettungsdienstplanung eine Experimentierklausel, "um im Rahmen von zeitlich befristeten Projekten innovative Konzepte zur Verbesserung der rettungsdienstlichen Versorgung zu erproben". Das sächsische Innenministerium wies Ende 2023 in seiner Erklärung zur Gesetzes-Novelle darauf hin, dass damit nun etwa Modellprojekte im Bereich der Telemedizin durchgeführt werden könnten. Aktuell gibt es in Sachsen noch keinen TNA-Standort. Zu einer gegebenenfalls späteren flächendeckenden Einführung des TNA in Sachsen kann im sächsischen Staatsministerium des Innern derzeit noch keine Aussage getroffen werden, teilte Sprecherin Nadine Franke auf Nachfrage von heise online mit.

Für die Planung und Durchführung von TNA-Projekten sind die Rettungszweckverbände, Landkreise und kreisfreien Städte als Träger des Rettungsdienstes zuständig. Ein solches Projekt würde durch Arbeitsgruppen begleitet, in denen auch das Innenministerium vertreten sein werde. Es könnten sich auch mehrere Träger an einem gemeinsamen Projekt beteiligen. Abweichungen bei den Festlegungen der Rettungsdienstbereiche müssten dann von der zuständigen Aufsichtsbehörde genehmigt werden. Die konkrete Ausgestaltung des Systems, auch was die eingesetzte Technik betreffe, obliege aber dem Träger des Rettungsdienstes.

In Sachsen plant die Stadt Leipzig als kommunaler Aufgabenträger für den bodengebundenen Rettungsdienst ein TNA-Projekt. Leipzig war bereits in der Vergangenheit Vorreiter für Telemedizin-Projekte in Sachsen gewesen (beispielweise bei einem Projekt für Telekonsilen durch Hausärzte oder Einführung der telemedizinischen Versorgung in einer Justizvollzugsanstalt). Im Februar 2024 hatten Vertreter des Innovationszentrum für Computerassistierte Chirurgie (ICCAS), einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertem interdisziplinären Forschungszentrum an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, zusammen mit dem deutschen Industrieverband Spectaris ein Whitepaper mit dem Titel "Telemedizin im Rettungsdienst: Weichenstellung für eine digitale Zukunft" veröffentlicht.

Der DRK-Landesverband Sachsen e. V. hält derweil eine weitere Novellierung des sächsischen Rettungsdienstgesetzes für unvermeidbar, um "über kurz oder lang" ein Telenotarztsystem in Sachsen in die Notfallversorgung zu integrieren. Beim DRK Kreisverband Freital laufen bereits Planungen für ein eigenes TNA-Pilotprojekt, das voraussichtlich Anfang 2025 in die Praxis starten soll. In einem Gespräch mit heise online erläuterte Lars Dittrich als Leiter des DRK Freital das geplante Projekt an dem auch der Landkreis Sächsische Schweiz als Träger des Rettungsdienstes, die Uniklinik Dresden und das Kreiskrankenhaus Freital beteiligt sind.

Als Technik kommt die "RescueLink" von GHC Health zum Einsatz. Aktuell werden Vorbereitungen für die Ausstattung der RTW getroffen, getestet werden verschiedene Ausbaustufen – von Smartphone-App bis zur im RTW integrierten Kamera. Der TNA-Standort ist noch in Planung, wird aber nicht bei einer Leitstelle, sondern bei einem Krankenhaus sein. Der mit dem TNA abgedeckte Bereich umfasse dann den ehemaligen Weißeritzkreis (eine Hälfte des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge). Der Antrag für dieses TNA-Pilotprojekt soll noch vor Oktober 2024 beim Ministerium vorliegen.

Sachsen-Anhalt hat bei der letzten Änderung seines Rettungsdienstgesetzes im Dezember 2021 unter dem neuen § 49a eine Experimentierklausel "zur Erprobung neuer Versorgungskonzepte, die der Erhaltung oder Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, der Leistungsfähigkeit oder Qualitätsverbesserung des Rettungsdienstes" eingeführt. Innenministerin Dr. Tamara Zieschang erhoffte sich "einen Schub für die Erprobung neuartiger Konzepte" vor allem im Bereich der Telemedizin.

Die Sprecherin des Innenministeriums, Karina Wessel, teilte heise online mit, dass ab Oktober 2024 ein erstes TNA-Projekt in Sachsen-Anhalt starten wird. Die Initiative dazu sei von den ärztlichen Leitern des Landkreises Mansfeld-Südharz, des Saalekreis und der kreisfreien Stadt Halle (Saale) ausgegangen, die "mit finanzieller Unterstützung der AOK eine Telenotarztausbildung absolviert und mit hohem persönlichem Engagement einen entsprechenden Antrag (...) auf den Weg gebracht" hätten. Herausgekommen ist ein Gemeinschaftsprojekt der drei Kommunen, das die Zustimmung der Kreistage beziehungsweis des Stadtrates und die Bewilligung des Innenministeriums erhalten hat.

Als Standort für die TNA-Zentrale ist die Integrierte Leitstelle in Halle-Neustadt (Saale) vorgesehen. Das Projekt soll bis zum bis 30. September 2026 laufen und wird von der Martin-Luther-Universität Halle wissenschaftlich mit einem Forschungsvorhaben begleitet. Geklärt werden soll, ob durch ein Telenotarztsystem die Versorgung im Rettungsdienst in Sachsen-Anhalt landesweit verbessert werden kann. Das Innenministerium will herausfinden, welche Dichte an TNA-Standorten in Sachsen-Anhalt erforderlich ist, welche Entlastung es für klassischen Notärzte gibt und welche Unterstützungsleistung für das ärztliche und nicht-ärztliche Personal vor Ort erzielt werden kann.

Technisch bestehe das TNA-System aus stationärer und mobiler Kommunikationstechnologie, kompatibler Telemetrie, adaptierter Medizintechnik und der TNA-Zentrale mit Logistik und Hardware, inklusive spezieller Softwarekomponenten für das Gesamtsystem in einer verteilten Serverumgebung. Welcher Systemhersteller eingesetzt wird, wollte das Innenministerium auf Nachfrage von heise online nicht sagen.

Tatsächlich gab es in Sachsen-Anhalt bereits mit dem am 15. Dezember 2021 in Kraft getretenen Corona-Sondervermögensgesetz eingeplante Mittel zur "Beschaffung von Technik zur Digitalisierung aller Rettungsmittel", was insbesondere die Telemedizin in Form der Übertragung von Vitaldaten zwischen Rettungsdienst und Krankenhäusern betraf. Zu einer Umsetzung kam es in den Folgejahren nicht, da es sich um eine "hochkomplexes Vergabeverfahren" handeln würde, wie aus einer Antwort der Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage hervorging. Bevor es zu einem Vergabeverfahren kam, kam ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt der Bundesregierung dazwischen. Dieses Urteil erklärte das Corona-Sondervermögen für verfassungswidrig, was auch entsprechend Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt hatte.

Mit der am 24. Juli 2024 veröffentlichten "Sachsen-Anhalt Digital 2030"-Strategie (PDF) hält Sachsen an seinen Plänen für die Digitalisierung des Rettungsdienstes fest. Dem Rettungsdienst soll "durch die Schaffung telemedizinischer Elemente eine deutliche Verbesserung der Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren in der Notfallversorgung", "zwischen Rettungsmitteln und Behandlungseinrichtungen durch digitale Technik ermöglicht und danach durch die Einführung eines Telenotarztdienstes erweitert" werden.

Überlegungen für eine Änderung des Rettungsdienstgesetzes durch die Einführung des TNA sind im Ministerium bisher nicht abgeschlossen.

Der Freistaat Thüringen hat seit 2009 die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen (KBV) mit der landesweiten Notfallversorgung im bodengebundenen Rettungsdienst beauftragt. 2020 startete ein TNA-Pilotprojekt am Standort Weimar. Dieser TNA-Standort ist auch gegenwärtig für den gesamten Freistaat Thüringen zuständig und könne jederzeit bedarfsorientiert angepasst werden, teilte Daniel Baumbach als Mediensprecher des Innenministeriums auf Anfrage von heise online mit.

Die Notarzteinsatzfahrzeuge in Thüringen wurden bereits beginnend ab 2019 mit einem Tablet zur Einsatzdatenerfassung und -übermittlung im Rettungsdienst ausgestattet. Zum Einsatz kam in der Folge auch ein eigenes entwickelten System zur Mobilelektronischen Einsatzdokumentation im Rettungsdienst (MEDiRett), über das Daten landesweit einheitlich erfasst und mit den am Rettungseinsatz Beteiligten, dem Telenotarzt und Thüringer Kliniken ausgetauscht werden können. Schrittweise wurden zusätzlich zu den Notarzteinsatzfahrzeugen auch die Rettungstransportwagen mit einheitlicher Kommunikationstechnik ausgestattet. Im Rahmen des Pilotprojekts in Weimar kam dabei eine Telenotarzt-System-Lösung von corpuls zum Einsatz, dieser Testbetrieb ist aktuell pausiert.

Mit einer Gesetzesänderung wurde der TNA zum 01.01.2024 fest im Thüringer Rettungsdienstgesetz verankert. Die Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen soll nun für ein landesweit regelhaftes Telenotarztsystem sorgen. Welches System und welche technischen Komponenten zukünftig zum Einsatz kommen sollen, werde noch in einer Arbeitsgruppe "Digitalisierung" des Landesbeirats für das Rettungswesen abgestimmt.