Missing Link: Digitale Polizei – in München steht ein Holodeck

Seit 2013 arbeitet das LKA München mit Virtual Reality. Der zuständige Experte träumt von einem richtigen "Holodeck". Das steht jetzt in der Maxvorstadt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 50 Kommentare lesen

Das Holodeck in München.

(Bild: LKA Bayern)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Ulrike Heitmüller
Inhaltsverzeichnis

Bei Star Trek war es noch Science Fiction: das Holodeck, der Raum, in dem man virtuelle Welten simulieren konnte, und zwar sichtbar, hörbar und fühlbar. In der Wirklichkeit ist man noch nicht ganz so weit, aber das Landeskriminalamt Bayern gibt sich alle Mühe: Das Ergebnis wirkt so echt, dass sich einmal ein Besucher auf dem "Holodeck" gegen ein virtuelles Auto lehnte und prompt ins Leere stürzte.

Das bayerische Holodeck ist einzigartig in Deutschland. "Wir sind das Landeskriminalamt, das die größte Erfahrung im VR-Bereich hat", sagt Ralf Breker, der im Kriminaltechnischen Institut des LKA das Sachgebiet Forensische Medientechnik leitet. "Wir arbeiten tatsächlich schon seit dem Jahr 2013 mit virtueller Realität, damals mit den ersten Entwickler-Kits. Und seit 2014 setzen wir diese Technik in Ermittlungsansätzen und kriminaltechnisch ein." Im Dezember 2016 ließ Breker sich von der FAZ zitieren: "Ich möchte ein Holodeck im LKA bauen". Jetzt hat er es.

Die Anschaffungskosten lagen bei rund 670.000 Euro, finanziert wurde es aus Sondermitteln, die das Bayerische Staatsministerium des Innern dem LKA zusätzlich zum Budget zugewiesen hat. Brekers Team setzt das Holodeck seit etwa eineinhalb Jahren "bei ausgewählten Fällen ein, also auch schon während der letzten Entwicklungsphasen", sagt er. Insgesamt seien es bisher etwa "20 bis 30" Fälle, unter anderem das Zugunglück in Burgrain bei Garmisch-Partenkirchen im Juni 2022: "Seit Fertigstellung und Release wird eigentlich jeder Tatort, den wir aufgenommen haben, Holodeck-kompatibel gemacht."

Breker und sein Mitarbeiter Dominic Franz führen das Deck beim LKA in München-Maxvorstadt vor. Das Holodeck ist ein etwa 70 Quadratmeter großer Saal mit abgedunkelten Fenstern. Etwa vier Fünftel des Saales stehen leer, das ist der Anwenderbereich. Oben an der Wand verlaufen Schienen, an denen Kameras angebracht sind. Der kleinere Teil des Saales ist der Zuschauerbereich: Ein langer Tisch, Stühle, auf dem Tisch fünf oder sechs verkabelte VR-Brillen. Am Rand des Zuschauerbereiches ein Computer mit zwei Monitoren, dahinter der Server, über der Tür eine Klimaanlage.

(Bild: LKA Bayern)

Im Holodeck entsteht der "digitale Zwilling" eines Tatorts. Breker und Franz zeigen das an einem realen Fall: Ende November 2021 hatte ein Mann einen anderen Mann an der Münchner Haltestelle Stachus zum Gleis gezerrt und ihn vor die einfahrende S-Bahn gestoßen. Das Opfer reagierte blitzschnell: Er stieß sich etwas ab und hechtete unter die gegenüberliegende Bahnsteigkante. Dort befindet sich eine kleine Nische, die Schutz bot. Dennoch wurde der Mann schwer verletzt.

Danach hat die Polizei nicht nur wie üblich Zeugen befragt, sondern zwei Fachleute nahmen den Tatort auch digital auf: Ein Vermesser mit einem terrestrischen LED-Laserscanner scannte die Haltestelle ein. Die Reichweite des Scanners liegt bei 300 Metern, seine Auflösung bei 40 Millionen Messpunkten in 3,5 Minuten, und er ist auch nachts einsetzbar. Das Einscannen dauert je nach Tatort sechs bis acht Stunden. Bei einer kleinen, vollgestellten Wohnung eher mehr, weil der Vermesser da "Schatten" vermeiden muss. Außerdem macht ein Fotograf fotogrammetrische Aufnahmen. Zusätzlich bekam die Polizei von der Deutschen Bahn die Überwachungsvideos – das ist aber nicht bei jedem Tatort möglich. Aus all diesen Daten entstand die Rekonstruktion in 3D. Diese kann man auch in 2D auf dem Monitor betrachten.

Im Münchner Holodeck setzen wir eine VR-Brille vom Typ HTC Focus 3 auf. Mit den Brillen haben wir eine vertikal/horizontale Sicht von 360 Grad in 4K-Auflösung. Und plötzlich stehen wir mitten in der VR-Rekonstruktion der Haltestelle. Wir sehen die Säulen, den Boden, den Bahnsteig, die Nische, die Schienen; wir können uns ungehindert in der gesamten "Haltestelle" bewegen. Wir schauen zu, wie die S-Bahn einfährt und der Mann vor die S-Bahn gestoßen wird.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.