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Missing Link: James Bond und "War Room" - die Welten von Filmarchitekt Ken Adam

Detlef Borchers

Der "War Room" aus Stanley Kubricks Film "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" von 1964

(Bild: Directed by Stanley Kubrick, distributed by Columbia Pictures, Public domain, via Wikimedia Commons)

Er entwarf Waffen, fliegende Autos, den berühmten "War Room" und sogar ein Monster: Ken Adam gestaltete spektakuläre Filmsets und gewann zwei Oscars.

Er baute Behausungen für die Schurken dieser Welt, mit Falltüren, Geheimgängen und allerhand Folterkrams. Er konstruierte Waffen, die sich in Alltagsgegenständen versteckten und die immer die Guten retteten. Schiffe, fliegende Autos und vor allem schnelle Autos bevölkerten die Welten des Ken Adam, der als "Production Designer" oder Filmarchitekt mit einem schlichten Filzstift die spektakulären Filmkulissen gestaltete, ehe Computer und Animationstricks das Kommando übernahmen. Der von ihm gestaltete "War Room" aus dem Film "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" ist nach Meinung von Kunstkritikern das "Zentralkunstwerk des 20. Jahrhunderts".

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Als der US-amerikanische Regisseur Stanley Kubrick sich daran machte, den Roman "Bei Rot: Alarm!" des Luftwaffenpiloten Peter George zu verfilmen, wollte er auf Anregung von George in einem Kontrollraum des Semi-Automatic Ground Environment (SAGE) drehen. Doch die US Air Force verweigerte die Drehgenehmigung des Systems, das frühzeitig den Anflug von Bombern erkennen sollte – zum Glück. Denn Kubrick wandte sich nach der Absage an den Filmarchitekten Ken Adam, der gerade mit den Bauten zum ersten Bond-Film "007 jagt Dr. No" für Furore gesorgt hatte. Adam skizzierte gleich beim ersten Gespräch die zentrale Idee: ein großer runder Tisch in einer riesigen dunklen Halle, an dem 36 Menschen unter grellen Lampen saßen. Noch in derselben Woche experimentierten Kubrick und Adam mit verschiedenen Lampen, bis sie mit der Lösung zufrieden waren: Über den Militärs schwebte in zehn Meter Höhe ein bedrohlich aussehender Lampenring.

Doch wie sollte die Halle aussehen? "Ich habe zwangsläufig weiter experimentiert, bis mir die Geschichte mit dem Dreieck einfiel: Eine riesige Kommandozentrale mit einer dreieckigen Deckenkonstruktion, in der Mitte ein großer runder Tisch, den wir, obwohl schwarz-weiß gedreht wurde, mit grünem Filz bezogen, um eine Pokerspiel-Atmosphäre zu kreieren. So als ob die Generäle, der Präsident und der russische Diplomat um das Schicksal der Welt pokerten", erzählte Adam später. Praktisch zeichnete Adam eine Halle, die das freundliche Taliesin West von Frank Lloyd Wright ins Monströse und Bedrohliche verkehrte: Der "War Room" war 12 Meter hoch, 30 Meter breit und 45 Meter lang. Niemals vergaß Ken Adam, dazu die Anekdote zu erzählen, dass der Filmschauspieler Ronald Reagan diesen "War Room" sehen wollte, als er US-Präsident wurde.

Ken Adam kam als Klaus Hugo Georg Fritz Adam am 5. Februar 1921 in einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Berlin als drittes von vier Kindern zur Welt. Sein Vater Fritz Adam war ein Kavallerie-Offizier der Zietener Husaren gewesen und wurde im Ersten Weltkrieg mit zwei Eisernen Kreuzen ausgezeichnet. Zusammen mit seinen zwei Brüdern führte Fritz Adam eine Reihe von Bekleidungsgeschäften, zum Schluss versuchte er sich mit einem Sportgeschäft. Für die Adams entwarf Ludwig Mies van der Rohe 1928 ein gläsernes Kaufhaus [2], das nachts hell beleuchtet sein sollte. Es wurde nicht realisiert, da Fritz Adam den Entwurf als "zu grell" empfand.

Ken Adam ging wie sein älterer Bruder Peter auf das Französische Gymnasium Berlin, das schon Schüler wie Kurt Tucholsky oder Wernher von Braun besucht hatten. Bis auf das Fach Mathematik wurden an dieser Schule alle anderen Fächer in Fremdsprachen unterrichtet. Kens Klassenlehrer war Ernst Lindenborn [3]. Er schrieb: "Klaus, jetzt Quartaner, ist anders als Peter. Er ist ein Träumer. Er malt, musiziert, versucht zu dichten und verschlingt mehrere Bücher auf einmal – ein Bengel, der vorläufig noch schwer zu nehmen ist." Besagter Klaus brillierte im Kunstunterricht, wo er Bilder von van Gogh aus dem Gedächtnis nachzeichnete. Sein Bruder Peter war am Gymnasium eng mit Gottfried Reinhardt [4] befreundet und nahm Ken mit, der so schon als zwölfjähriger die quirlige Berliner Theaterszene kennenlernte.

Nachdem sein jüngerer Bruder Dieter einen Jungen in der Uniform der Hitlerjugend verprügelt hatte, schickte die Familie Adam die drei jüngsten Kinder nach England – der Älteste war da schon nach Paris ausgewandert und warnte die Eltern vor den Nationalsozialisten. Die beiden Buben kamen zunächst auf ein Internat in Edinburgh und ändern dort ihre Namen zu Ken und Denis Adam [5], ihre Schwester Loni fing in einer Sekretärinnenschule einer Tante an. Später folgten die Eltern. Die Mutter konnte dank geschmuggelter Goldstücke und mit geliehenem Geld der Verwandtschaft eine kleine Pension im Londoner Stadtteil Hampstead eröffneten. Der Vater versuchte sich erfolglos im Modegeschäft und starb verbittert über Deutschland im Jahre 1936.

In der Pension Greensoft Gardens 80 wohnten bald viele Emigranten, wie die Brüder von Alexander Korda [6], die in den Londoner Filmstudios arbeiten und Ken Adam mitnahmen. Auch sonst war die Gegend architektonisch inspirierend. In der Nähe der Pension hatte der kanadische Architekt Wells Coates die Isokon Flats [7] gebaut, in denen die Bauhaus-Emigranten Walter Gropius, Marcel Breuer und László Moholy-Nagy Quartier fanden. Aus der ursprünglichen "kommunistischen" Gemeinschaftsküche wurde bald die "Isobar", in der das linksintellektuelle Milieu verkehrte. Erwähnenswert ist auch 2 Willow Road [8], ein modernes Ensemble des Architekten Ernő Goldfinger. Gegen den Abriss der alten Häuser in dieser Straße demonstrierte eine Bürgerinitiative, an der sich auch der Autor Ian Fleming beteiligte. So kam Auric Goldfinger [9], der Schurke in Flemings siebtem Bond-Roman, zu seinem Namen.

Bis Ken Adam auf die für ihn unerhört ergiebige Goldmine der Bond-Romane stieß, vergingen freilich etliche Jahre. Ken ging zunächst auf die Schule St. Pauls, dann nahm er ein Abendstudium an der Bartlett School of Architecture am University College auf. Tagsüber arbeitete er beim Architekturbüro Glover & Partners, einer Firma, die sich auf den Bau von Hallen spezialisiert hatte und nun Luftschutzkeller entwarf. Ken Adam zeichnete viele dieser Keller, was dazu führte, dass er unabkömmlich war, als der Zweite Weltkrieg begann und Großbritannien Deutsche und Italiener internierte. Im Oktober 1940 wurde Adam dem Pionierkorps zugeteilt und zeichnete auch dort Luftschutzanlagen, "gleichförmige, künstliche innere Umwelten als Refugium gegenüber einer fehlgeleiteten, zerstörerischen Zivilisation", wie sie der Architektur-Kritiker Lewis Mumford [10] beschrieb.

Nach acht Monaten Zeichnerei bewarb sich Adam bei der britischen Air Force und begann eine Ausbildung als Kampfpilot. Ihm folgte sein Bruder Denis, als er das notwendige Alter erreicht hatte. Beide flogen Unterstützungseinsätze mit Flugbombern vom Typ Hawker Typhoon [11]. Die Adam-Brüder gingen damit ein hohes Risiko ein: Als Deutsche wären sie bei einem Absturz über feindlichem Gebiet nicht als Kriegsgefangene, sondern als Verräter eingestuft und getötet worden. Von der Fliegerei blieb bei Ken Adam eine lebenslange Leidenschaft für schnelle Flugzeuge, schnelle Autos und schnelle Schiffe.

Da er nach der Demobilisierung keine Aufstiegsperspektive in der Armee sah, ging Adam, nunmehr britischer Staatsbürger, als Zeichner und Filmausstatter in die Filmszene. Er fertigte zunächst eine ganze Reihe von Schiffsmodellen, von der Galeere bis zu den Schiffen für einen Film um den fiktiven britischen Seehelden Horatio Hornblower [12]. Sein wichtigstes Filmschiff baute Adam indes für den Film "Der rote Korsar [13]", der rund um Ischia gedreht wurde. Adam selbst segelte mit dem umgebauten Piratenschiff nach Italien, ganz Ischia sah beim Einlaufen zu, darunter eine "hinreißende Blondine" namens Maria-Letizia Moauro, die er 1952 heiratete. Für den Film fuhr Adam sein ganzes späteres Bond-Arsenal auf: Bomben explodieren, ein Heißluftballon wird geflogen, ein Flammenwerfer-Panzer kommt zum Einsatz und ein Ruderboot verwandelt sich in ein U-Boot.

Der erste eigenständige Einsatz von Ken Adam als "Production Designer" war der Film "Der Fluch des Dämonen [14]" unter der Regie von Jacques Tourneur. Für diesen Film entwarf Adam nicht nur die verschiedenen Gebäude und hallen, sondern – unter Protest – das einzige Monster [15], das von ihm gezeichnet wurde: Adam meinte, dass das Monster nicht gezeigt werden müsste. Im ersten Bond-Film schuf Adam die lauschige Unterwasser-Wohnung von Dr. No mit einem äußerst überschaubaren Budget von 14.500 Pfund. Bei diesem Etat waren Bilder von Haien und anderen Fischen viel zu teuer, also filmte man Goldfische und vergrößerte sie zu Monstren. An den Wänden sollte ein damals gestohlenes Bild von Goya hängen, das Adam über das Wochenende vor Drehbeginn malte.

Auf den ersten Bond folgte die Arbeit mit Stanley Kubrick. Hier half es, dass Adam sich mit Flugzeugen auskannte und der Autor der Vorlage selber Bomberpilot war. Das Bomber-Cockpit der damals noch geheimen B-52 [16] geriet so realistisch, dass die USA Untersuchungen wegen Geheimnisverrats einleiten wollten. Zu unrealistisch war das Ende des Klassikers, eine gigantische Tortenschlacht im "War Room", für die 3000 Torten hergestellt wurden. Am Ende strich Kubrick die alberne Szene und ersetzte sie durch das denkwürdige "We'll meet again [17]". Die Realität war eben nicht witzig: Während Dr. Seltsam gedreht wurde, eskalierte die Kubakrise [18].

Ken Adam, der "Frank Lloyd Wright des Décor Noire", kannte sich in der Architekturgeschichte aus, besonders bei den Bauten und Ideen von Claude-Nicolas Ledoux und Louis Etienne Boullée. In seinem Goldfinger-Design ist das Innere von Fort Knox den Carceri entnommen, die Giovanni Battista Piranesi [19] zeichnete, einem Künstler, den auch Hermann Warm bewunderte, der als Filmarchitekt die Bauten für "Das Cabinet des Dr. Caligari [20]" erschuf. Seinen größten Erfolg erzielte Adams mit einem Monumentalkunstwerk, dem teuersten freistehenden Filmset der Filmgeschichte. Für den Bond-Film "Man lebt nur zweimal [21]" hatte Adam ein Budget von einer Million Pfund und verbaute 700 Tonnen Stahl, 200 Tonnen Gips und 300.000 qm Leinwand zu einem Vulkan, in dem eine 33 Meter hohe Rakete passte. Auch für diesen Film kreierte Ken Adam eine Reihe von Gadgets – und packte einen flugfähigen Hubschrauber namens "Little Nellie" mit VW-Motor dazu, den ein Bond-Fan selbst gebaut hatte. Natürlich bekam der Flieger eine Adam-gerechte Extra-Ausstattung mit Maschinengewehren, Raketenwerfern, Flammenwerfern, Nebelmaschinen und Luftminen.

Als schwierigstes Bauprojekt seiner Filmlaufbahn nannte Adam die Vehikel, die er für den Film "Tschitti Tschitti Bäng Bäng [22]" konstruierte. Sie waren wirklich fahrtüchtig [23], jedenfalls auf der Erde. Wie üblich übernahm Adam auch in diesem Film die Architektur der Innenräume, während das Äußere von einer anderen Fantasiearchitektur übernommen wurde: Das Schloss des Bösewichtes Baron Bumburst ist Neuschwanstein.

Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass Ken Adam seinen ersten Oscar für sein zweites Filmprojekt mit Stanley Kubrick gewann, als beide am Film "Barry Lyndon [24]" arbeiteten. Adam schuf wunderbare Kulissen, doch für Kubrick musste alles absolut authentisch sein, was Adam "eher als Nachbildung" denn als Kreativität verstand. Dabei waren seine Nachbildungen perfekt, genau wie die Wahl der Requisiten und Drehorte für "King George [25]", für den Adam den zweiten Oscar bekam.

Die richtigen Auszeichnungen folgten später: niemand Geringeres als der Architekt Norman Foster. Die von ihm gestaltete U-Bahn-Station Canary Wharf [26] nimmt gleich mehrere Motive aus Adams Entwürfen auf. Da findet sich im Aufgang eine Anspielung an den Tarantula Room [27], während der Bahnsteig an die Liparus, den Supertanker des Oberschurken Karl Stromberg in "Der Spion, der mich liebte [28]" erinnert. Doch die größte Hommage steht am Geburtsort von Ken Adam: "Noch im von Foster zum demokratischen Parlament umgebauten Reichstag steckt nicht wenig Ken Adam", schrieb ein Architektur-Kritiker. Das zu entdecken, sei unseren Leserinnen und Lesern überlassen.

(tiw [29])


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[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Denis_Adam
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[7] https://en.wikipedia.org/wiki/Isokon_Flats
[8] https://en.wikipedia.org/wiki/2_Willow_Road
[9] https://en.wikipedia.org/wiki/Auric_Goldfinger
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Lewis_Mumford
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Hawker_Typhoon
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Des_K%C3%B6nigs_Admiral
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_rote_Korsar_(Film)
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Fluch_des_D%C3%A4monen
[15] https://ken-adam-archiv.de/ken-adam/night-demon
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Boeing_B-52
[17] https://www.youtube.com/watch?v=15YgdrhrCM8
[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Kubakrise
[19] https://de.wikipedia.org/wiki/Giovanni_Battista_Piranesi
[20] https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Cabinet_des_Dr._Caligari
[21] https://de.wikipedia.org/wiki/James_Bond_007_%E2%80%93_Man_lebt_nur_zweimal
[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Tschitti_Tschitti_B%C3%A4ng_B%C3%A4ng
[23] https://profilesinhistory.com/press-releases/chitty-chitty-bang-bang-to-be-sold-at-auction/
[24] https://ken-adam-archiv.de/ken-adam/barry-lyndon
[25] https://de.wikipedia.org/wiki/King_George_%E2%80%93_Ein_K%C3%B6nigreich_f%C3%BCr_mehr_Verstand
[26] https://www.fosterandpartners.com/projects/canary-wharf-underground-station/
[27] https://ken-adam-archiv.de/editorial/verliese-labore
[28] https://de.wikipedia.org/wiki/James_Bond_007_%E2%80%93_Der_Spion,_der_mich_liebte
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