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Missing Link: KI in der Wettervorhersage – die stille Revolution

Malte Kirchner

Mithilfe von KI könnten Wettervorhersagen in Zukunft besser werden

(Bild: mki / heise online)

Wettervorhersagen wurden in der Vergangenheit mit komplexen numerischen Modellen errechnet. Mit der künstlichen Intelligenz hat eine Revolution begonnen.

Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, Systeme, die ihre Algorithmen selbst weiterentwickeln – das wäre doch eigentlich auch etwas für die Wettervorhersage, denkt sich der Laie. Und recht hat er: Nur, dass Meteorologen beim Thema KI längst nicht mehr in der Kategorie "Was-wäre-wenn" denken, sondern bereits in Prozessen stecken, die praktische Anwendungen zum Ergebnis haben. So auch beim Deutschen Wetterdienst (DWD). Und streng genommen spielt KI bereits seit Jahrzehnten eine Rolle in der Wettervorhersage. Nur, dass die aktuellen Entwicklungen dies auf ein ganz neues Niveau heben.

Prof. Dr. Roland Potthast, beim DWD Leiter der Numerischen Wettervorhersage, würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass der DWD durchaus schneller als manch anderer Wetterdienst dabei ist, neue Technologien zu integrieren. Dafür, bei Innovationen agil reagieren zu können, habe sich die Bundesanstalt mit Sitz in Offenbach am Main im vergangenen Jahrzehnt entsprechend aufgestellt. Und nun zahle sich das aus: Die KI sei weit mehr als eine kleine Verbesserung, sagt der Mathematiker: "Das Wort Revolution ist durchaus angemessen." Nur dass diese Revolution deutlich stiller abläuft, als bei Sprachmodellen wie ChatGPT [1] oder Bard, die fast täglich in den Schlagzeilen stehen.

Vereinfacht gesagt: Mit KI soll sich die Qualität der Wettervorhersage verbessern. Die Berechnungen würden schneller, erklärt Potthast. Und wo vorher ein Großrechner notwendig war, genügt in Zukunft manchmal auch ein Laptop. Der Wetterexperte warnt allerdings davor, die bisherigen numerischen Modelle als veraltet abzutun: Es sei eher wie in der Mobilität im Vergleich zwischen Auto und Flugzeug. Die Fliegerei habe ganz neue Industrien und Möglichkeiten geschaffen. Doch das Auto bleibt das Mittel der Wahl am Boden und auf kurzem Wege. So ähnlich sei es auch in der Meteorologie mit der KI: "Neue und alte Ansätze ergänzen sich."

Der DWD sei dabei angetreten, diese Revolution mitzugestalten. Der Deutsche Wetterdienst forscht dabei nicht nur auf eigene Faust, sondern auch sehr stark im europäischen Verbund mit seinen Partnern, etwa bei EUMETSAT oder EUMETNET. Im Dezember wurde zusammen mit anderen Wetterdiensten bei EUMETNET die neue KI-Roadmap beschlossen. Der DWD sei dabei "coordinating member", übernimmt also die Führungsrolle. Doch längst hat auch Big Tech das Potenzial der KI für die Wettervorhersagen entdeckt. Darunter sind bekannte Namen wie Google, Nvidia, Huawei und Microsoft. Auch hier versperren sich die Wetterdienste nicht, stellen Daten bereit und schauen sich die Entwicklungen, wie GraphCast von Google DeepMind, genau an.

GraphCast etwa berechnet keine physikalischen Gleichungen, sondern lernt auf Grundlage historischer Wetterlagen, wie sich das Wetter weiter entwickeln könnte. Das ist ein ähnlicher Ansatz wie bei Text-KIs, die aufgrund von komplexen Wahrscheinlichkeiten bemerkenswert gut Texte formulieren. In sogenannten Reanalysen berechnet die KI die damaligen Analysen anhand von Wetterbeobachtungen noch einmal neu: Aus diesem Prozess können im Idealfall Erkenntnisse gewonnen werden, die die Vorhersagen verbessern.

Testlauf: Beim ECMWF kann eine aktuelle Vorhersage eingesehen werden [2], die mittels Machine Learning und GraphCast entsteht.

(Bild: ECMWF)

Eine Studie untersuchte die Qualität von GraphCast am Beispiel von Daten des Europäischen Zentrums für Mittelfristvorhersage (ECMWF). Das Ergebnis: In den meisten Fällen war GraphCast dem besten Modell des ECMWF überlegen [3]. In 90 Prozent der Fälle wurden zudem Wind, Temperatur und Luftdruck in verschiedenen Höhen in einer 10-Tagesvorhersage genauer vorhergesagt. Aber es zeigten sich eben auch Schwächen der KI, wie der Diplom-Meteorologe Christian Herold in einem Blogpost [4] im November 2023 darlegte. Sein Fazit: KI könne eher als zusätzliches, sehr gutes Handwerkszeug betrachtet werden.

So sieht es auch Roland Potthast. KI komme heute schon in Bildverarbeitungsalgorithmen zum Einsatz, um Wolken zu beobachten und zu emulieren, wie sich weiterentwickeln könnten. Über die verschiedenen Vorhersagestufen wie etwa Nowcasting für das unmittelbare Wetter sowie Mittel- und Langfrist hinaus, sehe der DWD aber auch Chancen und Möglichkeiten in allen Bereichen der Wertschöpfungskette. Ein Beispiel dafür ist ein Chatbot, der interessierten Bürgern künftig qualifizierte Auskünfte auf Fragen zum Wetter geben könnte.

Je mehr der Kollege Computer übernimmt und den Reigen der Aktivitäten erweitert, umso mehr muss der Mensch aber auch genau hinschauen, ob er das richtig macht. Auf Vorhersagen und Warnmeldungen des DWD verlassen sich unter anderem Feuerwehren, das Technische Hilfswerk und die Luftfahrt. Extremwetterlagen traten in den vergangenen Jahren gehäuft auf. Die Wettervorhersage bekommt damit noch mehr Gewicht. So rasant die Entwicklungen rund um die KI auch unterwegs sind: "Das System braucht viel Qualitätssicherung", sagt der Entwicklungschef. Bis zur operationellen Nutzung neuer Funktionen vergehen deshalb oft Jahre.

Das ECMWF hat sich vorgenommen [5], bis zum Jahr 2031 maschinelles Lernen "vollständig in numerische Wettervorhersagen und Klimadienste" zu integrieren. EUMETSAT gibt noch einen weiteren Punkt zu bedenken, der sogar eine Erfordernis von KI-Lösungen deutlich macht: Mit den Meteosat-Satelliten der dritten Generation fallen 50 Mal mehr Daten an als bei der Vorgängergeneration. Um dieses hohe Datenvolumen zu verarbeiten, seien fortschrittlichere Verarbeitungstechniken notwendig, heißt es in einer Veröffentlichung aus dem Juli 2022 [6].

Anders als manches Unternehmen in der Privatwirtschaft, das vom KI-Hype im Jahr 2023 überholt wurde, plagen den DWD laut Potthast keine Sorgen, dass genügend Know-how für die Erforschung und den Einsatz von KI und ML versammelt sind. Immer schon hätten beim Wetterdienst Physiker, Mathematiker und Meteorologen interdisziplinär zusammengearbeitet. Zudem arbeite die Bundesanstalt mit etlichen Forschungsinstituten zusammen. Aber: "Wir brauchen weitere Experten", sagt der Entwicklungschef. Der DWD befinde sich dazu in Gesprächen mit dem zuständigen Bundesministerium für Digitales und Verkehr.

Während Angehörige anderer Branchen fürchten, dass die KI sie perspektivisch ersetzen könnte, sind sich Meteorologen relativ sicher, dass der Faktor Mensch künftig weiterhin eine große Rolle spielen wird. Denn so sehr die bisherigen Ergebnisse von KI-Lösungen die Experten faszinieren: Der Mensch in seiner Interaktion mit der KI wird auf unabsehbare Zeit ein wesentlicher Faktor bleiben. So sicher wie dass morgen die Sonne aufgeht.

(mki [7])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9598838

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/thema/ChatGPT
[2] https://charts.ecmwf.int/products/graphcast_medium-mslp-wind850
[3] https://www.heise.de/news/Auf-einem-Prozessor-Supercomputer-geschlagen-KI-liefert-beste-Wettervorhersage-9528839.html
[4] https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2023/11/19.html
[5] https://www.ecmwf.int/en/about/media-centre/news/2021/ecmwf-strategy-2021-30-and-machine-learning-roadmap-launched
[6] https://www.eumetsat.int/features/eumetsat-explore-new-artificial-intelligence-approaches
[7] mailto:mki@heise.de