Missing Link: Kriminelle Präsidenten und die Konsequenzen – 50 Jahre Watergate

Man könnte meinen, der Watergate-Skandal sei nach 50 Jahren endgültig Geschichte. Und doch scheinen nicht alle Lehren daraus gezogen.

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(Bild: oxinoxi / Shutterstock.com)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

"Wenn es keine Rechenschaftspflicht gibt, wird ein anderer Präsident versuchen, das Gesetz zu umgehen. Aber das nächste Mal ist möglicherweise kein Wachmann in der Nacht dabei." Mit diesen Worten sprach sich der republikanische Abgeordnete James Mann 1974 dafür aus, ein Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Richard Nixon einzuleiten.

Vor 50 Jahren entdeckte ein Wachmann im Watergate-Bürokomplex eine abgeklebte Tür und alarmierte die Polizei, die fünf Einbrecher verhaftete. Was zunächst wie ein drittklassiger Einbruch aussah, entwickelte sich bald zum bisher größten politischen Skandal in der US-amerikanischen Geschichte und zum ersten und bisher einzigen Rücktritt eines US-Staatsoberhauptes: Watergate.

In der Nacht vom 17. Juni 1972 fand Frank Wills kurz nach Mitternacht die abgeklebte Tür in dem Teil des Watergate-Komplexes, in dem die Demokratische Partei Büros für den anstehenden Wahlkampf angemietet hatte. Wills entfernt den Klebestreifen und setzt seine Runde fort. Auf der nächsten Runde sieht er, dass die Tür wieder so abgeklebt ist, dass sie nicht ins Schloss fallen kann. Wills alarmiert die Polizei. Die Fahrstühle werden abgestellt, die Wahlkampfbüros durchsucht.

Der Watergate-Komplex im Jahr 2022

(Bild: EQRoy / Shutterstock.com)

Schließlich werden fünf Männer festgenommen, die neben dem Einbruchswerkzeug in einer Tasche eine ganze Batterie von Abhörwanzen und Kameras mit sich führen. Dass es sich um keine gewöhnlichen Einbrecher auf der Suche nach Beute handelt, wird den Polizisten klar, als sie 2000 Dollar in nagelneuen Scheinen finden, deren Seriennummern zueinanderpassen. Noch am selben Tag, es ist ein Samstag, übernimmt das FBI die Ermittlungen.

Während vier Festgenommene als ex-kubanische Kleinkriminelle aus Florida identifiziert werden, ist der fünfte Mann ein ehemaliger CIA-Agent namens James McCord. In den Notizen der Einbrecher findet sich der Name eines weiteren CIA-Agenten, Howard Hunt. Hunt arbeitet für das republikanische "Committee for the Re-Election of the President", abgekürzt CREEP. Es ist für die creepy things zuständig, für die Suche nach belastendem Material, mit dem politische Gegner unter Druck gesetzt werden kann. Zu der Schmutzarbeit gehört das Installieren von Abhörwanzen und die Durchführung von Einbrüchen, etwa in eine Arztpraxis, um die Patientenakten des Whistleblowers Daniel Ellsberg zu fotografieren. Dieser hatte 1971 die Pentagon Papers an die Presse übergeben. Offiziell wird CREEP von dem Nixon-Berater und früheren Justizminister John Mitchell geleitet und galt nach außen hin als seriöse Organisation, die Spenden für den Wahlkampf sammelt.

Die dirty jobs, das Anwerben von Kleinkriminellen und die Beschaffung von Bestechungsgeldern erledigt der Ex-Anwalt Gordon Liddy. Er hatte die Anweisung erteilt, im Watergate-Komplex nach Beweisen zu suchen, dass Fidel Castro die demokratische Partei finanziert und notfalls mit den neuen Dollar-Noten die Beweise selbst zu produzieren. Liddy ist es auch, der zwölf Stunden nach dem Einbruch den gerade von Nixon neu ernannten Justizminister Richard Kleindienst bei der samstäglichen Golfrunde stört und ihn auffordert, das FBI vom Fall abzuziehen und die Ermittlungen zu stoppen. Da Kleindienst die Hintergründe nicht kennt, weigert er sich.

Darüber informiert Liddy den Nixon-Berater "Bob" Haldemann, der am 23. Juni im Weißen Haus in einem aufgezeichneten Gespräch Nixon darüber aufklärt, dass das FBI nicht unter Kontrolle ist. Daraufhin machte Nixon den Vorschlag, den FBI-Direktor anzuweisen, dass man gefälligst nicht weiter zum Watergate-Einbruch ermitteln soll. "Sag ihm, dass wir im Sinne des ganzen Landes wollen, dass sie nicht weitermachen in dem Fall. Und das erledigt die Angelegenheit."

Diese Aufforderung zur Vertuschung einer Straftat sollte Nixon den Job als US-Präsident kosten. Im Jahr 1972 war das noch nicht abzusehen. Die Ermittlungen laufen weiter, doch der Staatsanwalt informiert das Weiße Haus, dass nur gegen die Kleinkriminellen sowie gegen McCord, Liddy und Hunt ermittelt wird. CREEP zahlt eine halbe Million Dollar Schweigegeld an diverse Mitwisser, damit Richard Nixon unbehelligt Wahlkampf führen kann; die Wahl gewinnt er im November 1972 mit klarer Mehrheit. Die glanzvolle Wiederwahl zeigt deutlich, wie überflüssig die Drecksarbeit und der Einbruch bei den Demokraten war.

Doch der zweite Teil des Watergate-Skandals beginnt wenig später, als sich der ehemalige CIA-Agent McCord im März 1973 vor Gericht geständig zeigt. Nachdem ihm der Richter mit einer Haftstrafe von 35 bis 40 Jahren gedroht hatte, bricht er sein Schweigen. McCord nennt CREEP und John Mitchell als Auftraggeber. Mit dem Mann aus dem engsten Kreis der Nixon-Berater wird schließlich auch die Presse hellhörig. Alle großen Zeitungen beginnen über den Einbruch zu berichten.

Richard Nixon verlässt 1974 nach seinem Rücktritt auf Grund des Watergate-Skandals das Weiße Haus

(Bild: Ollie Atkins, als Werk eines Angestellten des Weißen Hauses in der Public Domain)

Die meisten Details graben Bob Woodward und Carl Bernstein von der Washington Post aus. Sie haben einen Informanten, den sie regelmäßig treffen und "Deep Throat" nennen. Es dauerte 33 Jahre, bis die Welt erfuhr, dass die tiefe Quelle Mark Felt war, der Vizepräsident des FBI. Es dauerte 50 Jahre, bis die Identität einer weiteren Quelle von Bob Woodward enttarnt wurde: Martha Mitchell, die umtriebige Ehefrau von John Mitchell, gewährt Bernstein und Woodward einen Blick in die Papiere und Notizen, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte: "Macht euch ran, Jungs! Nagelt ihn fest!"

Während zahlreiche neue Details bekannt werden, erfährt der Watergate-Skandal immer größere Dimensionen. Der FBI-Chef Patrick Gray muss Anfang April 1973 seinen Hut nehmen, weil er belastendes Material von Howard Hunt verschwinden ließ. Ende April müssen "Bob" Haldeman und John Ehrlichman das Weiße Haus verlassen, die beiden engsten Berater des Präsidenten. Dann folgt der Rücktritt von Justizminister Richard Kleindienst. Nur Richard Nixon bleibt verschont. In einer Rede an die Nation verkündet er: "Im Weißen Haus darf es keine Beschönigungen geben." Das sieht auch der Kongress so. Die Abgeordneten setzen das Justizministerium unter Druck, einen Sonderermittler einzusetzen, außerdem wird im Senat ein Sonderausschuss eingerichtet, dessen Sitzungen im TV übertragen werden. Doch im Sommer 1973 erlahmt das Interesse der Öffentlichkeit. Nixon freut sich mit seinem Außenminister Henry Kissinger: "Wir haben es überlebt".

Das Interesse der Öffentlichkeit kommt wieder, als bei einer Sitzung des Senatsausschusses bekannt wird, dass im Weißen Haus ein System installiert ist, das automatisch alle Gespräche in den wichtigen Räumen mitschneidet. Sonderermittler Archibald Cox drängt auf die Herausgabe aller Bänder. Nixon versucht im Gegenzug, den neuen Justizminister Elliot Richardson dazu zu bringen, Cox zu entlassen. Der weigert sich und tritt von seinem Amt zurück. Auch sein Stellvertreter weigert sich und tritt zurück.

Erst der dritthöchste Beamte gehorcht und feuert den Ermittler, vergeblich. In den Zeitungen werden empörte Kommentare zum "Samstagnachtmassaker" veröffentlicht. Unbeeindruckt von der Entwicklung zieht Nixon vor Gericht und beruft sich auf das Amtsgeheimnis. Am 24. Juli 1974 beschließt der Supreme Court der USA einstimmig, dass die Tonbänder dem Senatsausschuss übergeben werden müssen. Am 8. August veröffentlichte die Washington Post das entscheidende Gespräch, aus dem hervorgeht, dass Nixon über den Einbruch in die Watergate-Büros der Demokraten informiert war. Um dem drohenden Amtsenthebungsverfahren zuvorzukommen, tritt Nixon am 9. August zurück und verlässt das Weiße Haus.

Der Kongress stoppt daraufhin das Amtsenthebungsverfahren. Eine juristische Aufarbeitung war aber weiterhin möglich: Nixon entging dem aber, da sein Nachfolger Gerald Ford ihn vorauseilend begnadigte. Mit der Verordnung Fords wurde Nixon von aller Strafverfolgung geschützt, die Verbrechen betrafen, die er selbst während seiner Präsidentschaft begangen oder an denen er sich beteiligt haben könnte. Die meisten der anderen Beteiligten wurden von Gerichten verurteilt.

Wer nun glaubt, das sei zwar spannend wie ein Krimi, aber doch nur Historie, täuscht sich. Und nicht nur deswegen, weil heutzutage jeder größere Skandal unter Bezugnahme auf Watergate als <Irgendwas>gate bezeichnet wird, selbst die Besäufnisse von Boris Johnson in Downing Street 10. Denn 50 Jahre nach Watergate drängt sich ein Vergleich mit den Ereignissen rund um den 6. Januar auf, als US-Präsident Donald Trump die Anerkennung der Wahl seines Nachfolgers zu verhindern versuchte. Auch hier geht es um Aufzeichnungen.

Unterstützer des abgewählten Präsidenten Donald Trump beim Sturm aufs Capitol - ein Ereignis, das heutzutage außer bei einigen Kreisen der Republikaner als Putschversuch angesehen wird

(Bild: lev radin / Shutterstock.com)

Da ist einmal das Telefongespräch von Trump mit Brad Raffensperger, dem obersten Wahlleiter des US-Bundesstaates Georgia. Nach Meinung von Nick Akermann, einem der Watergate-Ankläger, reicht der bekannte Inhalt des Gespräches aus, Trump anzuklagen.

Da ist zum anderen ein übersehenes Medium, das im Untersuchungsausschuss zum 6. Januar aktuell für Aufregung sorgt. Der britische Dokumentarfilmer Alex Holder soll Donald Trump auf Wunsch von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner an jenem Tag mit der Kamera begleitet haben. Ob die Aufzeichnungen von Holder und seiner Crew eine "Smoking Gun"-Passage enthalten, wie seinerzeit die Tonbänder des Weißen Hauses, ist nicht bekannt.

Von den zahllosen Büchern, die über Watergate geschrieben wurde, ist "Scorpion's Dance" von Jefferson Morley das neueste Sachbuch. Morley wertet in ihm die Gespräche der Nixon Tapes aus, die die beiden Skorpione Richard Nixon und Richard Helms, der Chef der CIA geführt haben. Er kommt zu dem Schluss, dass die CIA weit mehr bei Watergate beteiligt war als bisher angenommen. Im Interview zum Erscheinen des Buches behauptet er, dass Donald Trump von Nixons Fehlern gelernt hat und es besser macht: Nicht die Gerichte beachten, Beweismaterial vernichten und dann noch stolz auf die Taten sein.

Wer sich für Politik interessiert, kennt sicher das Dokudrama "Die Unbestechlichen" mit Dustin Hoffmann und Robert Redfotrd in der Rolle der Journalisten Bernstein und Woodword, das bereits 1976 den Journalismus verklärte. Zum 50. Jahrestag ist mit Gaslit eine kleine Serie erschienen, die Watergate aus der Sicht der Mitchells erzählt, mit Sean Penn und Julia Roberts als Hauptdarsteller, umgeben von einem Haufen von Dumpfbacken.

Außerdem veröffentlichte Netflix eine Dokumentation über Martha Mitchell, die Ehefrau von Nixons Justizminister und Wahlkampagnen-Manager, die sich nicht scheute, auf die Beteiligung der Nixon-Regierung am Watergate-Skandal aufmerksam zu machen. Nach ihr ist der Martha-Mitchell-Effekt benannt: Nixon und seine Kumpane unterstellten ihr in der Öffentlichkeit, psychisch krank zu sein und wilde Verschwörungstheorien zu von sich zu geben - und so die Fakten, die sie nannte, unglaubwürdig zu machen. Der Effekt: Es erschien viel zu unwahrscheinlich, als dass man den Vorwürfen Martha Mitchells glauben konnte.

(jk)