Missing Link: Smart Meter – wenn der Monteur mit der Hochsicherheitsbox kommt

Der Einbau intelligenter Messsysteme ist gestartet. Für Betreiber handelt es sich noch nicht um ein lohnendes Geschäft. Was motiviert die ersten Privatkunden?

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(Bild: Pushish Images/Shutterstock.com)

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Eine typische Mietskaserne an einer mehrspurigen Verbindungsstraße in Berlin-Friedrichshain. Die Briefkästen sind zugeklebt, noch längst nicht alle Wohnungen renoviert. Ein ungewöhnlicher Ort für eine Premiere: Erstmals wird im Keller des unglamourösen fünfstöckigen Gebäudes Anfang Oktober ein "intelligentes Messsystem" bestehend aus einem modernen Zähler und einer wenige Zentimeter großen Kommunikationseinheit "Smarty" alias Smart-Meter-Gateway im Osten der Hauptstadt installiert.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Der Monteur hat seinen Auftritt kurz nach 8 Uhr morgens. Im Lieferauto befindet sich eine große schwarze Box mit einer auffälligen Schließeinheit. Unbedarfte Beobachter könnten von einer eiligen Arzneimittel-Lieferung, dem Transport einer Organspende oder gar einer gut abgeschirmten Sprengladung ausgehen. Der Techniker gibt eine Einmal-PIN auf einer gesonderten Tastatureinheit ein und hält diese an einen Sensor an dem Kasten. Das Schloss öffnet sich nach einem Piepsen klickend und gibt den Blick frei – auf einen etwas verloren wirkenden Smart Meter.

Schuld an dem umständlichen Verfahren ist Silke, die "sichere Lieferkette". Diese muss der Messstellenbetreiber – in diesem Fall Discovergy – vom Lager bis zum Verteilerkasten einhalten. Alternativ zur speziellen Lieferkiste könnte der Installateur das Gateway allenfalls noch ständig am Mann tragen. Auf "Smarty" selbst prangt der Bundesadler über dem Kürzel BSI nebst einer Gerätenummer. Der Aufdruck zeigt an, dass der Hersteller Sagemcom Dr. Neuhaus das Gateway vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifizieren ließ.

Nach dem Einbau im Keller des Wohnhauses, der rund eine Stunde dauert, leuchtet eine der drei LED-Lämpchen am linken Rand blau neben "TLS". Sie signalisiert, dass ein mit dem Verschlüsselungsprotokoll Transport Layer Security gesicherter Kanal zur zentralen IT-Plattform von Discovergy in Heidelberg über Mobilfunk besteht.

Die so übertragenen Messwerte landen in einem mit Überwachungskameras bestückten Raum im Entwicklungs- und Support-Zentrum am Neckar, zu dem "nur Berechtigte mit Extra-Schlüsseln" Zugang haben, wie Dennis Nasrun, Leiter Energiewirtschaft bei Discovergy, erläutert. "Dort werden die Daten stark verschlüsselt abgelegt, kommen dann in unser Backend" und von dort perspektivisch auf ein spezielles Portal per Web oder App für die Kunden.

Dennis Nasrun – Leiter Energiewirtschaft bei Discovergy

(Bild: heise online)

Zeichnet sich ab, dass in einem Keller auch über Roaming-Partner kein Empfang besteht, versucht es der Installateur zunächst mit unterschiedlichen Antennen, und Verlängerungskabeln, um aus dem Zählerschrank und gegebenenfalls aus einem mit einer Stahltür abgeschirmten Lager herauszukommen. Nützt das alles nichts, bleibt noch eine Ethernetverbindung über einen HAN-Anschluss (Home Area Network). Powerline unterstütze Discovergy nicht, führt Nasrun aus. Die Datenübertragung per Stromleitung sei selbst bei den momentan erzeugten rund 40 Megabyte im Monat nicht nur recht teuer, sondern auch "sehr fehleranfällig".

Ein intelligentes Messsystem bestehend aus einem modernen Zähler und einer wenige Zentimeter großen Kommunikationseinheit "Smarty" alias Smart-Meter-Gateway.

(Bild: heise online)

Die Furcht, sich mit einem Smart Meter einen "Spionagezähler" ins Haus zu holen, kann der einstige Direktor eines Beratungsunternehmens nicht ganz verstehen. Prinzipiell erfasse das Messsystem zwar alle 15 Minuten den Zählerstand. Discovergy gebe die Daten aber nur an den Stromlieferanten weiter, wenn der Kunde dem zugestimmt habe.

Praktisch führt für den Endverbraucher aber kaum ein Weg daran vorbei, den Versorger mit den ausführlichen Messwerten zu beglücken, wenn er etwa von flexiblen Tarifen profitieren will. Discovergy arbeitet hier mit Awattar zusammen. Das Unternehmen bietet als eines der wenigen unter den Energielieferanten neben Neueinsteigern wie Tibber bereits zeitabhängige Vergünstigungen an und orientiert sich dabei am Börsenpreis für Strom. Das ist nur möglich, wenn ihm die detaillierten Verbrauchswerte vorliegen.

Der Anbieter kann so auch recht ausführliche Profile über seine Kunden mit deren Nutzungsvorlieben erstellen. Wer dem entgehen will, muss sich selbst mit Strom versorgen und auf die eigene Erzeugung etwa über eine Photovoltaik-Anlage (PV) mit Speicher setzen. Dann hat er die volle Transparenz und muss allenfalls Teile von Verbrauchsinformationen herausgeben, wenn er Überschüsse verkaufen will.

Das Smart-Meter-Gateway mit dem zugehörigen digitalen Zähler kostet den Verbraucher derzeit 100 Euro brutto im Jahr. Vorgeschrieben ist es für Haushalte mit einem Jahresstromverbrauch von über 6000 kWh, was durchschnittlich mit fünf oder mehr Personen erreicht sein dürfte.

Verpflichtend ist der Smart-Meter-Einbau auch, wenn Solarpanels mit einer Leistung von sieben bis 100 kW installierter Leistung Strom erzeugen oder Verbraucher ein verringertes Netzentgelt für eine Wärmepumpe oder eine Nachtspeicherheizung zahlen beziehungsweise über eigene Ladepunkte für E-Autos verfügen. Mit der geplanten EEG-Novelle sollen intelligente Messsysteme schon bei einer PV-Anlage mit einer Leistung von einer kWh an nötig sein.

Aktuell läuft das Geschäft mit smarten Zählern langsam an, nachdem das BSI im Februar dafür den Weg frei gemacht und zuvor die ersten Modelle zertifiziert hatte. Discovergy habe bis Anfang Oktober bundesweit rund hundert entsprechende Geräte verbaut und plane, pro Monat dreistellig weiter voranzukommen und bis Ende des Jahres die 1000er-Marke zu knacken, berichtet Nasrun. Bei einem freiwilligen Zähleraustausch solle sich der Jahrespreis dafür runterbewegen, "aber das skaliert noch nicht".

Derzeit handelt es sich dem Insider zufolge um lauter Einzelinstallationen, für die ein Monteur weite Anfahrtswege habe und anfangs auch oft noch vergleichsweise lange rumfrickeln müsse. Bei den ersten Kunden handle es sich um "Pioniere, die sich damit jetzt technisch auseinandersetzen wollen oder auch müssen". Theoretisch könne man aber ein gutes Dutzend Zähler fest verdrahtet an ein Gateway anschließen, per Funk sogar mehrere hundert. So ließen sich auch Gas, Wasser oder Wärme anbinden und die Kosten dann "ganz anders durchreichen". Mit seiner aktualisierten Marktanalyse hat das BSI in diesem Sinne gerade dargelegt, dass die Voraussetzungen für die Anbindung sogenannter "SLP-Gaszähler" an das Smart-Meter-Gateway gegeben sind.

Erstmals wird im Keller des unglamourösen fünfstöckigen Gebäudes Anfang Oktober ein "intelligentes Messsystem" im Osten der Hauptstadt installiert.

(Bild: heise online)

Dem Eigentümer des Hauses im Friedrichshain, Karl Friedrich Rommel, blieb keine Wahl als der Griff zum Smart Meter. Mit rund 30.000 kWh gibt er den Verbrauch allein in der Wohnung an, die nun über das Gateway angeschlossen ist. Grund für die hohe Zahl sei die installierte elektrische Heizung mit Infrarot, die viel Strom ziehe. Er hoffe nun, über den flexiblen Tarif via Awattar die Energiekosten deutlich senken zu können.

Der Solarunternehmer hat vor, eine PV-Anlage aufs Dach zu bauen und die Zeiten des hohen Stromverbrauchs insgesamt über die smarte Schnittstelle besser zu steuern. Er beklagt aber, dass es für Privatverbraucher in diesem Bereich noch wenig Möglichkeiten gebe.

"Der Strommarkt muss weiter liberalisiert werden", fordert der Ravensburger. Es sollte möglich werden, ganze Häuser mit darin bestehenden Speichermöglichkeiten direkt mit der Strombörse zu verbinden und auch von Überschusszeiten zu profitieren. Derzeit sei dies nur den "Großen" Versorgern möglich, während der Steuerzahler die Zeche für das schlecht ausbalancierte Einspeisen von Wind- und Solarenergie in die Netze über die EEG-Umlage begleichen müsse.

Für Mieter unterhalb der Verbrauchsschwelle sei ein Smart Meter derzeit noch nicht unbedingt interessant, ist sich Nasrun derweil im Klaren. Das Gerät lohne sich hier höchstens beim Erzeugen von Mieterstrom. Für Eigentümer stelle sich die Sache anders dar, wenn sie etwa ein Elektroauto mit eigener Ladesäule hätten und flexible Stromtarife nutzen wollten. Ein Umrüsten lohne sich letztlich bei allen, die in Richtung Autarkie spielen und etwa mit einer eigenen PV-Anlage unterwegs sind.

Aktuell hat das BSI vier Gateway-Modelle zertifiziert. Dazu gehören neben Dr. Neuhaus die Firmen Power Plus Communications (PPC), EMH Metering und seit November die Theben AG. Discovergy will demnächst der fünfte entsprechend geprüfte Hersteller sein. Drei der Produzenten wollen sich laut Nasrun rezertifizieren lassen, zwei davon noch in diesem Jahr. Dies sei nötig, um neue Funktionalitäten wie eine sekundenscharfe Messung für den Börsenbetrieb hinzuzufügen.

Den erweiterten Code müssen Hersteller in so einem Fall erst wieder ans BSI und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) schicken. Letztere entscheidet auch über die verfügbare Portal-Software. Ende Oktober war PPC als erstes mit der zweiten Prüfprozedur fertig und darf nun erweiterte Tarif-Anwendungsfälle implementieren, also etwa Netzzustandsdaten und Einspeisewerte bereitstellen. BSI-Präsident Arne Schönbohm sprach von einem "weiteren Meilenstein zur Digitalisierung der Energiewende". Strom-Netzbetreiber erhielten nun über intelligente Messsysteme wichtige Informationen über die aktuelle Belastung ihrer Leitungen und können so mögliche Engpässe rechtzeitig erkennen.

Geld verdienen Discovergy und andere Betreiber derweil bereits mit "modernen Messeinrichtungen". Das sind digitale Zähler, die ebenfalls Verbrauchswerte verschiedener Nutzungszeiten, die momentan beanspruchte elektrische Leistung sowie tages-, wochen-, monats- oder jahresbezogene Stromverbräuche für die letzten 24 Monate anzeigen können.

Von diesen nicht-zertifizierten Geräten hat Discovergy rund 70.000 installiert vor allem bei Gewerbekunden, die mit einer damit möglichen höheren Auflösung ihre Energieversorgung besser als über konventionelle Drehscheibenzähler optimieren können. Für die Zwischenklasse besteht Bestandsschutz von bis zu acht Jahren, im Anschluss müssten sie Nasrun zufolge aber eh getauscht werden.

Typische Anwendungsfälle sind Filialisten wie Supermarkt- und Bäckereiketten, die überall den gleichen Betreiber haben und Werte vergleichen möchten. Zusätzlich sei die Branche an Mehrwertdiensten dran, wie etwa zur Geräteerkennung, verrät Nasrun. So könne etwa ein defekter Kühlschrank oder eine ganze Kette davon getauscht werden, wenn der Verbrauch zu hoch sei. Mobilfunkanbieter wie Telefónica setzten auf die Technik, um ihre Funkmasten bestmöglich mit Strom zu versorgen.

Der für die Hauptstadt prinzipiell zuständige Grundversorger Stromnetz Berlin alias Vattenfall war übrigens auch nicht viel schneller mit der Installation seines ersten Smart-Meter-Gateways: Sie erfolgte einen Tag früher als die von Discovergy im Euref-Campus in Schöneberg. Eine App, über die Privatkunden die damit verknüpften Zähler selbst auslesen können, hatte der Anbieter zum Start aber noch nicht fertig.

(bme)