Missing Link: Sommerzeit ade

Winter is coming, plötzlich wird es eine Stunde früher dunkel. Dabei wäre es diesmal vielleicht besser gewesen, die "Sommerzeit" beizubehalten, um zu sparen.

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Uhren verschiedener Zeitzonen an einem ehemaligen Juwelier

Uhren am ehemaligen Standort des Juweliers Grüttert in Bremen. Das Durcheinander zeigt, sie wurden schon länger nicht mehr gewartet.

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 20 Min.
Inhaltsverzeichnis

An diesem Wochenende wurden wieder die Uhren umgestellt, die Sommerzeit ist zuende, abends wird es eine Stunde früher dunkel als in den vergangenen sieben Monaten. Und zwar mancherorts noch dunkler als in den kälteren Monaten der vergangenen Jahre, denn laut einer in diesem Jahr wegen der Energiekrise erlassenen Verordnung der Bundesregierung sollen Baudenkmäler und Gebäude abends nicht von außen beleuchtet werden.

Eigentlich sollte die Zeitumstellung in Europa schon 2019 abgeschafft werden, doch das ist nicht passiert. Angesichts der Coronavirus-Pandemie, des Kriegs Russlands gegen die Ukraine und der darauf folgenden Energiekrise hatte die saisonale Zeitumstellung keine höhere Priorität. Offenbar auch nicht für die deutsche Bundesregierung, die auf eine ausführliche Anfrage von heise online dazu in dieser Woche, wie ihr Standpunkt dazu aussieht, lediglich knapp mit allgemeinen Hinweisen zur rechtlichen Lage der gegenwärtigen Zeitordnung antwortete.

Aber vielleicht wäre es gerade wegen der Energiekrise besser gewesen, wenn die Sommerzeit im kommenden Winter beibehalten wäre. Diese Meinung vertrat kürzlich die Energie-Expertin Aoife Foley von der Queen's University Belfast. Der abendliche Energiebedarf sei zwischen 17 und 19 Uhr am größten. Diese Spitze könne gemildert werden, wenn die Zeit nicht umgestellt würde. Zudem könnten die privaten Haushalte dann jährlich umgerechnet etwa 460 Pfund einsparen. Auch wenn es in der Normalzeit morgens eine Stunde heller sei, schalteten die Menschen dennoch das Licht an, weil die Tage oft trübe seien. Die Sommerzeit sei zunächst im Ersten Weltkrieg eingeführt worden, um im Sommer Energie einzusparen. Nun gehe es darum, im Winter zu sparen, schrieb sie auf Twitter.

In der Tat wurde die Zeitumstellung in Deutschland erstmals mitten im Ersten Weltkrieg eingeführt, hier einmal erweist sich der Krieg in Heraklits Sinne als "Vater aller Dinge". Der 1. Mai 1916 begann damals am 30. April 1916 um 23 Uhr, am 1. Oktober 1916 wurde die Uhr wieder zurückgestellt. Während des Krieges stellte auch Frankreich die Uhr um, das auf diese Weise ebenso wie das Deutsche Reich insbesondere Kohle für die Beleuchtung einsparen wollte. Andere Länder folgten diesem Beispiel. In neuerer Zeit schafften Großbritannien und Irland 1968 die Sommerzeit ab, um sich Europa anzugleichen, führten sie aber 1972 wieder ein. Vorangegangen waren Italien und Griechenland in den Jahren 1966 und 1971. 1980 wurden sowohl in der BRD als auch in der DDR die Uhren am 6. April des Jahres von 2 Uhr MEZ auf 3 Uhr die MESZ gestellt. 1978 schon hatte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Sommerzeit einzuführen und auf ein Okay aus der DDR gewartet, damit die Teile Deutschlands nicht zwei unterschiedliche Zeitzonen bekommen.

Der Bundestag hatte die Bundesregierung 1978 auch aufgefordert, zwei Jahre nach der Einführung der sommerlichen Zeitumstellung einen Erfahrungsbericht zu der Zeitumstellung abzugeben. Dem folgte die Regierung im April 1982, als sie unter anderem schrieb, die damals so bezeichnete Deutsche Bundesbahn habe wegen der kurzen Vorlaufzeit erhebliche Schwierigkeiten gehabt, die zu "beträchtlichem Arbeits- und Kostenaufwand" geführt habe. Auch die Lufthansa benötige wegen der Flugpläne und der dafür nötigen Absprachen mit anderen Fluggesellschaften und anderen Beteiligten eine längere Vorlaufzeit. Der Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe hatte seinerzeit hingegen keine besonderen Schwierigkeiten zu vermelden.

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Für die Deutsche Bahn und ihre 120.000 Uhren ist die Zeitumstellung inzwischen zur Routine geworden, wie sie selbst schreibt. Zur Umstellung in die Sommerzeit fehlt den Zügen, die zwischen 1.59 und 3 Uhr unterwegs sind, eine Stunde, S-Bahnzüge, die nur innerhalb dieser Stunde unterwegs wären, fallen aus. Das sieht für die Bahn unkompliziert aus – anders als im Oktober. Zum Ende der Sommerzeit halten zwischen 2.59 und 2 Uhr Züge in der um eine Stunde längeren Nacht an einem geeigneten Bahnhof. S-Bahnen, deren Abfahrtszeit zwischen 2 und 3 Uhr liegt, müssen in dieser Nacht zweimal abfahren – einmal vor und einmal nach der Umstellung der Uhren. Dazu wird entsprechend mehr Fahrzeuge und auch mehr Personal gebraucht.

An ihren Bahnhöfen betreibt die Bahn 17.000 Uhren, vor allem für die Fahrgäste. 6000 Uhren werden per Funksignal gesteuert, 2500 Mutteruhren steuern Uhren, die mit dieser zusammenhängen. Das ist übrigens der Grund, warum die Sekundenzeiger auf Uhren an Bahnhöfen kurz vor der vollen Minute innehalten. Diese Ruhepause dient dem ständigen Abgleich aller Uhren innerhalb eines Uhrensystems.

"Die gesetzliche Zeit wird von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt dargestellt und verbreitet", heißt es in dem Gesetz über die Zeitbestimmung vom 25. Juli 1978. Die PTBA sendet über den Langwellensender DCF77 die mit Hilfe von Atomuhren bestimmten Signale für die Nummern von Minute, Stunde, Kalendertag, Wochentag, Kalendermonat und die beiden letzten Ziffern des Kalenderjahres. Diese Signale können in einem Umkreis von 2000 km um den Sender in Mainflingen bei Hanau empfangen werden, von Rundfunk- und Fernsehstationen, von den Uhren der Deutschen Bahn, Schaltuhren in der Energieversorgung und Verkehrsregelung und eben auf den vielen Funkuhren in den Privathaushalten. Smartphones und Tablets wiederum bekommen die gültige Uhrzeit von Time-Servern im Internet. Das Mikrowellengerät in der Küche kann vermutlich nicht Zeitsignale empfangen, da muss mal wieder die Betriebsanleitung hervorgekramt werden.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Die PTBA schickt ihre Signale minütlich und daher für uns im normalen Alltag meist nicht so ersichtlich herum. Zweimal im Jahr aber rücken sie in unser Bewusstsein, denn seit 1980 gilt bei uns die Regel, dass die Uhren im Frühjahr vor und im Herbst zurückgestellt werden. So wie die Straßencafés es mit ihren Stühlen und Tischen machen, wie eine Faustregel für Menschen besagt, die sich nicht merken können, wann die Uhren vor- und wann sie zurückgestellt werden.

Die Funksignale sendete die PTBA schon Anfang der 1980er Jahre über den Langwellensender DCF77. Ein "Zeitzeichengleichlaufregler" überwachte die angeschlossenen Hauptuhren und Uhrenanlagen, die wiederum Nebenuhren steuerten. Allerdings waren damals nicht wie heute alle Uhren an das Zeitdienstnetz angeschlossen. Laut dem Bericht der Bundesregierung betraf das bei der Deutschen Bundesbahn eine "hohe Zahl" solcher Uhren, weshalb ein "verhältnismäßig hoher personeller Aufwand" nötig gewesen sei, um alle Uhren innerhalb kurzer Zeit umzustellen. Als einen Behelf gab es Automaten, die die Zeitumstellung anstelle der Menschen vornahmen. Kostenpunkt 150 bis 1000 DM.

Einen solchen Automaten hatten die allermeisten Menschen in West- wie in Ostdeutschland Anfang der 1980er Jahre nicht, sie stellten ihre Uhren von Hand auf Sommerzeit um. In der Folge ging ein Drittel von ihnen später schlafen, ergab ein Gutachten, das die Bundesregierung damals in Auftrag gegeben hatte. Insbesondere Schulkinder waren demnach vermehrt unausgeschlafen, da sie wegen der verlängerten Helligkeit schwerer ins Bett zu bewegen waren. In Umfragen hatten damals 4 Prozent angegeben, sie würden während der Sommerzeit viel weniger schlafen, 27 Prozent etwas weniger, 2 Prozent etwas mehr und 66 Prozent hatten gemeint, für sie habe sich nichts geändert.

1981 ermittelten Infratest und Emnid für die Bundesregierung in repräsentativen Umfragen, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung die Sommerzeit begrüßt habe. Ein Hauptargument war für die meisten seinerzeit, dass ihnen der Tag länger erscheine und sie dadurch länger im Freien aktiv bleiben könnten. Der Energie-Effekt hingegen erschien marginal. Nach den damaligen Modellrechnungen ergab sich laut Bundesregierung eine geringe Energie-Einsparung, beim Strom etwa 0,15 Prozent. Allerdings gehe von der Einführung der Sommerzeit ein "gewisser Signaleffekt" aus, da die Bevölkerung damit häufig den Gedanken an Energieeinsparung verbinde.

Bis heute ist umstritten, ob der sommerliche Verschub des Tages nach hinten tatsächlich einen energetischen Nutzen bringt. Das deutsche Umweltbundesamt hatte 2018 angegeben, dass die Deutschen wegen der Zeitumstellung im Sommer tatsächlich abends seltener das Licht anschalten, im Frühjahr und Herbst werde jedoch morgens mehr geheizt, denn die Sonne wärme eine Stunde später als gewöhnlich.

Die EU-Kommission meinte 2018 ebenso, die gewünschten Energieeinsparungen seien marginal – und stieß eine Online-Konsultation unter der EU-Bevölkerung an, unter der sogleich die Server ächzten. Zuvor hatte im Herbst 2017 eine Bürgerinitiative in Finnland 70.000 Unterschriften gegen die Zeitumstellung gesammelt, was das EU-Parlament veranlasst hatte, die EU-Kommission aufzufordern, die Zeitumstellung zu überprüfen.

In der Konsultation, die vom 4. Juli bis 16. August 2018 lief, ergab sich, dass die meisten Menschen in Deutschland und Europa meinten, die Zeitumstellung sollte abgeschafft werden. 4,6 Millionen Menschen hatten an der Umfrage der EU-Kommission teilgenommen, 84 Prozent von ihnen wollten die Uhren nicht mehr umstellen. 3,1 Millionen der Meinungsbekundungen stammten aus Deutschland, wo das Thema die Menschen innerhalb der EU offenbar am meisten umtreibt. Das wurde auch deutlich in einer Umfrage in einer Meldung auf heise online zur Zeitumstellung vor gut einer Woche. Daran haben knapp 29.000 Leser von heise online teilgenommen und damit wesentlich mehr als sonst an dieser Art Umfrage.

Durch das augenscheinlich einheitliche Meinungsbild zieht sich ein Riss, denn selbst wenn die Uhr nicht mehr im Frühjahr und Herbst umgestellt würde, wäre noch nicht klar, welche Zeitregelung eingeführt werden sollte. In der EU-Konsultation hatten 56 Prozent der gesamten Teilnehmenden angegeben, sie bevorzugten die "dauerhafte Sommerzeit", während 32 Prozent die dauerhafte Normalzeit haben wollten. Dieser EU-Durchschnitt entsprach ungefähr der Meinungsverteilung in Deutschland. Von den Teilnehmern aus Portugal, Zypern und Polen waren hingegen mehr als 70 Prozent für die dauerhafte Sommerzeit, am anderen Ende traten vor allem Menschen aus Finnland, Dänemark und den Niederlanden zu 45 bis 48 Prozent für die dauerhafte Normalzeit ein.

In einer repräsentativen Umfrage für den "Focus" sprachen sich im Herbst 2018 rund 51 Prozent der gut 1000 Teilnehmer aus Deutschland dafür aus, die Sommerzeit dauerhaft zu belassen, 42 Prozent wollten die dauerhafte Normalzeit. Für die erste Variante hatte sich seinerzeit der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ausgesprochen, der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn meinte, er könne sich "zwölf Monate Sommerzeit" gut vorstellen.

In der Umfrage auf heise online hatten sich 61 Prozent der 29.000 Teilnehmenden dafür ausgesprochen, dauerhaft zur Normalzeit zurückzukehren, 27 Prozent möchten eine dauerhafte Sommerzeit und 10 Prozent sind mit der gegenwärtigen Regelung einverstanden. Allerdings ist diese Umfrage ähnlich wie die EU-Konsultation nicht nach den Anforderungen der Statistik repräsentativ, es wurde keine Stichprobe herangezogen, die die Grundgesamtheit abbildet. Wer an der heise-Umfrage und an der Konsultation teilgenommen hatte, tat dies aus einem bestimmten Antrieb heraus, nicht weil er zufälligerweise dazu befragt wurde; diese Menschen könnte das Thema wohl mehr umtreiben als andere, die möglicherweise aber eine andere Meinung dazu haben.

Gegen eine dauerhafte Sommerzeit spricht sich der Schlafforscher Prof. Dr. Till Roenneberg aus. Für ihn wäre sie eine Katastrophe, sinnvoll wäre eine ganzjährige Normalzeit. Der Deutsche Lehrerverband rief die Bundesregierung im Frühjahr 2019 "dringend" dazu auf, eine dauerhafte Sommerzeit verhindern, denn sonst hätten insbesondere Schulkinder und Jugendliche unter gravierenden gesundheitlichen Auswirkungen zu leiden. Die Wahrscheinlichkeit für Schlaf- und Lernprobleme, Depressionen und Diabetes werde nachweislich massiv erhöht. Über 10 Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland müssten zwei Monate länger bei absoluter Dunkelheit ihren morgendlichen Schulweg antreten. Das würde die Unfallhäufigkeit in die Höhe treiben.

Unabhängig von der Diskussion über die Zeitumstellung ist hinlänglich bekannt, dass Kinder und Jugendliche wegen des für ihre innere Uhr zu frühen Schulbeginns ein Schlafdefizit anhäufen, wie die Chronobiologin Eva Winnebeck von der TU München Anfang dieses Jahres gegenüber TR online sagte. Sie hatte eine Schule in Aachen begleitet, die für die Oberstufe einen optionalen späteren Unterrichtsbeginn eingeführt und Vorteile für die Jugendlichen gesehen hatte: Sie gaben an, ihnen falle es leichter, sich zu konzentrieren – und wer später kam, schlief in der Regel mehr. Erkenntnisse, die durch Studien während der Schulschließungen in der Coronavirus-Pandemie gestützt wurden. Die Schule sollte besonders für Pubertierende morgens besser um 9 anfangen, manche Schlafforscher meinen sogar, besser um 10 Uhr.

Auch falls die Erkenntnisse der Chronobiologen die Entscheidungsträger in Deutschland überzeugen sollten, kein EU-Land kann einfach aus der momentanen Zeitregelung aussteigen. Seit 2001 verpflichtet die EU-Richtlinie 2000/84/EG nämlich unbefristet alle Mitgliedstaaten, am letzten Sonntag im März auf die Sommerzeit umzusteigen und am letzten Sonntag im Oktober wieder auf ihre Standardzeit zurückzusteigen. Ach EU-Richtlinien hatten sich seit 1981 mit der Sommerzeit befasst und die – damals noch jeweils befristeten Regelungen – dabei zunehmend harmonisiert.

2018 legte die EU-Kommission einen weiteren Richtlinienvorschlag zur Zeitumstellung vor. Allerdings schrieb sie dabei im Wesentlichen lediglich davon, dass alle EU-Mitgliedsstaaten nicht mehr saisonal die Uhr umstellen, aber nicht, welche Zeitregelung danach EU-weit gelten soll. Diesen Ball warf die EU-Kommission dem EU-Rat zu, wie sie es selbst gegenüber heise online ausdrückte. Schließlich könnten die Mitgliedsländer am besten selbst entscheiden, ob sie Sommer- oder Winterzeit dauerhaft beibehalten wollen. Gleichzeitig solle es aber nicht zu einem Flickenteppich kommen.

Im EU-Rat wurde zuletzt im Dezember 2019 über das Thema Zeitumstellung gesprochen, seitdem hat sich dort nichts mehr getan. Möglicherweise nimmt Schweden, das als nächstes Land ab dem 1. Januar 2023 dem Europäischen Rat vorsitzt, das Thema in sein Arbeitsprogramm auf. Dort hat aber gerade erst die Regierung gewechselt, deshalb wohl bekam heise online von dort noch keine Stellungnahme zu dem Thema. Im März 2022 hieß es aus Schweden, die Regierung habe noch keine Entscheidung darüber getroffen, ob die Zeitumstellung abgeschafft werden, und falls ja, welche Zeit dann zur Normalzeit werden sollte.

Schweden hatte 1980 die Sommerzeit eingeführt, um sich Dänemark anzugleichen, das wiederum Deutschland damit folgen wollte, die Uhr umzustellen. So wollte Schweden mögliche Probleme mit den Verkehrsverbindungen zum südlichen Nachbarn über den Öresund vermeiden. Die damals neuen und schnelleren Verkehrsverbindungen zwischen den Ländern durch die Eisenbahn, ließen es auch schon im 19. Jahrhundert notwendig erscheinen, überhaupt Standardzeiten und größere Zeitzonen einzuführen. Bis dahin konnte in Deutschland die Zeit zwischen zwei benachbarten Orten um Minuten voneinander abweichen, da große Städte ihre Ortszeit selbst nach dem Sonnenstand um Mittag festlegten. So gab es in Deutschland mehr als 60 Zeitzonen, die die insbesondere die Eisenbahn vor Probleme stellte. Aus der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts, als im Deutschen Reich die MEZ eingeführt wurde, stammt übrigens die Vorschrift, nach der jeder Eisenbahner und insbesondere jeder Lokführer eine genau gehende Uhr mit sich zu führen hat. Sie gilt noch heute.

Ein Gutachten der schwedischen Aufsichtsbehörde Statskontoret zu den Auswirkungen der Zeitumstellung stellte keine eindeutigen Effekte zum Energieverbrauch fest. Eine Auswertung des schwedischen und norwegischen Strommarkts in den Jahren 2003 bis 2009 habe gezeigt, dass schwedische Haushalte in der Sommerzeit 1 Prozent weniger Strom verbrauchen, jährlich insgesamt etwa 175 MWh. Die derzeitige Zeitumstellung habe negative Effekte für bestimmte Risikogruppen und positive, die sich auf die breite Bevölkerung verteilen. Es sei schwierig, beide gegeneinander abzuwägen, heißt es zusammenfassend in dem Gutachten. Mit Einführung der Sommerzeit hörbare Klagen aus der Landwirtschaft – unter anderem wegen verschobener Melk- und Fütterungszeiten – hätten dank Automatisierung solcher Vorgänge nachgelassen.

Abgesehen von der saisonalen Zeitumstellung gibt es in Europa aber noch andere Überlegungen zur Zeit, vor allem in Spanien. Das Land liegt in der Zone der Mitteleuropäische Zeit (MEZ, UTC + 1 h), die sich von dort im Westen bis nach Polen im Osten zieht. Dabei wird die MEZ durch den 15. Längengrad östlich des Nullmeridians durch Greenwich definiert, die Zeitzone umfasst einen geographischen Bereich von +/- 7,5 Grad um den 15. Längengrad. Dieser geht exakt durch Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands. Somit sind Deutschland im Westen und Polen im Osten die Länder, in denen die gesetzliche Zeit genau im Bereich der MEZ liegt. Dazu kommen in Europa Schweden im Norden sowie unter anderem Tschechien, Österreich, Ungarn und Italien im Süden. Die Länder weiter westlich, Benelux und Frankreich, liegen schon im Bereich der WEZ, in der das Vereinte Königreich, Irland, Portugal und Island liegen.

Die europäischen Zeitzonen (blasse Hintergrundfarben) basieren auf dem jeweiligen Sonnenstand. Die soziale Zeit vieler Länder (kräftige Farben) passt allerdings schon in der Winterzeit (links) nicht dazu. In der Sommerzeit (Mitte) ist die Diskrepanz noch stärker. Die Karte rechts zeigt den Vorschlag des Schlafforschers Till Roenneberg: Die chronobiologisch passende Einteilung in Zeitzonen wäre durch die Ländergrenzen recht genau vorgegeben.

(Bild: Prof. Dr. Till Roenneberg)

Spaniens Mittelmeerküste liegt nur unweit westlich vom Greenwich-Meridian, der durch London geht und die GMT beziehungsweise WEZ markiert. In Vigo in Galicien gilt die gleiche Zeit wie in der polnischen Hauptstadt Warschau, die 3200 Kilometer voneinander entfernt sind. In der portugiesischen Stadt Porto hingegen, die 150 Kilometer fast genau südlich von Vigo entfernt liegt, gilt die WEZ.

Benelux, Frankreich und Spanien haben gewissermaßen jetzt schon so etwas wie eine dauerhafte Sommerzeit, die durch die Zeitumstellung im März noch verschärft wird. Spanien hatte während der Franco-Diktatur 1940 die Sommerzeit eingeführt, erklärt der spanische Ökonom und Verkehrsexperte José Enrique Villarino. Anders als eigentlich vorgesehen sei die Uhr dort aber nicht wieder im Herbst zurückgestellt worden, die Sommerzeit wurde zur Normalzeit, Spanien gehörte zur MEZ. 1941 passten sich Großbritannien und Frankreich an die MEZ an; Großbritannien stellte die Uhr nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zurück, Frankreich und Spanien nicht.

Es dauerte 72 Jahre, bis das spanische Parlament einen Unterausschuss für die Rationalisierung von Zeitplänen installierte, der wiederum zu untersuchen empfahl, wie sich ein Anschluss Spaniens an die WEZ auswirken würden. Seit 2019 liegt der spanischen Regierung eine Studie vor, in der die Comisión Nacional para la Racionalización de los Horarios Españoles empfiehlt, sich wenigstens für die Abschaffung der Zeitumstellung einzusetzen. Darauf hat die Regierung nicht reagiert, vielmehr hat sie die Termine für die Sommerzeiten von 2022 bis 2026 schon veröffentlicht. Ein Grund für Spanien, gewissermaßen in der falschen Zeitzone zu bleiben und auch die Sommerzeit beizubehalten, dürfte sein, dass der Tourismus in dem Land eine gewichtige Rolle spielt und viele Menschen im Urlaub in der Lage sind und dazu neigen, später als im Alltag aufzustehen.

In Sachen Zeitumstellung sind die USA Europa voraus. In diesem Jahr hat der US-Senat ohne Gegenstimme dafür votiert, die jährliche saisonale Zeitumstellung abzuschaffen und komplett auf die – bis jetzt so genannte – Sommerzeit umzustellen. Der "Sunshine Protection Act of 2021" liegt momentan dem Repräsentantenhaus und dort einem Unterausschuss des Wirtschafts- und Energieausschusses vor. Falls das Repräsentantenhaus wie der Senat stimmen sollte, würde damit die "Sommerzeit" als Unterscheidungsmerkmal zur Normalzeit abgeschafft, denn dann würde sie ja zur Normalzeit.

Dann würde in den USA eine Idee zu Dauerinstitution, die Ende des 18. Jahrhunderts Benjamin Franklin in die Welt gesetzt hatte, einer der Gründerväter des Landes. Der findige Mann rechnete im Journal de Paris vor, wie viel Wachs und Talg eine Zeitumstellung vom 20. März bis 20. September eingespart würden, wenn die Pariser erst später am Tag ihre Kerzen anzündeten. Auch ihm war es also schon darum gegangen, Ressourcen zu schonen. Allerdings meinte Franklin seinen Vorschlag nicht ganz ernst, anders als der neuseeländische Entomologie George Hudson, dem die Idee der Zeitumstellung oft zugeschrieben wird. Wäre es nach ihm gegangen, würden wir allerdings die Uhr im März um zwei Stunden vorstellen.

(anw)