Missing Link: "Wir haben keinen Plan B" – von Energiekrisen und Prophezeiungen
SF kann prophetischer sein, als uns lieb ist. Ein Gespräch mit Andreas Eschbach anlässlich Energiekrise und 15 Jahre alter, unerwartet aktueller Geschichten.
"Doch abgesehen davon glaubte niemand auch nur ein Wort von dem, was der Gazprom-Sprecher sagte. Das Ganze war, darin waren sich alle einig, eine Machtdemonstration. [...] Und insbesondere Deutschland war [...] längst völlig abhängig vom russischen Erdgas. Sollte der Konflikt zwischen Russland und den USA eskalieren, so zweifelte niemand daran, dass Russland den Gashahn zudrehen würde [...]. War der Nachbar Frankreich in der Vergangenheit ob seiner Nuklearpolitik oft scheel angesehen worden, wurden die Blicke über den Rhein nun zunehmend neidischer."
Die nachträgliche Zustandsbeschreibung eines auf 2022 zurückblickenden Historikers? Weit gefehlt. Der Thriller- und Science-Fiction-Autor Andreas Eschbach entwickelt ein Szenario, das wie ein tagesaktueller Bericht klingt, bis hin zum Gebalge zwischen Grünen und FDP um das Weiterlaufen oder Abschalten der AKWs. Geschrieben allerdings vor 15 Jahren im Roman "Ausgebrannt". Das war Anlass für uns, mit Eschbach über Prognosen in Romanen, die aktuelle Energiekrise und seine Erwartungen zu sprechen.
Andreas Eschbach, Jahrgang 1959, schreibt seit seinem 12. Lebensjahr. Er studierte Luft- und Raumfahrttechnik und arbeitete zunächst als Softwareentwickler. Bis 1996 Geschäftsführer einer IT-Beratungsfirma, lebt er seit 2003 als freier Schriftsteller in der Bretagne. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Zu seinen bekanntesten Science-Fiction- und Thriller-Romanen zählen "Das Jesus-Video", "Die Haarteppichknüpfer", "Eine Billion Dollar", "Ausgebrannt", "Herr aller Dinge" und "NSA". Aktuell ist sein Roman "Freiheitsgeld" erschienen.
heise online: Herr Eschbach, Ihr Roman "Ausgebrannt" ist schon 15 Jahre alt, liest sich in der zweiten Hälfte vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs aber wie gerade erst geschrieben. Sie entwerfen ein Szenario, in dem die Ölbestände aufgebraucht sind und die Preise für Benzin durch die Decke gehen. Der Roman dreht sich ja eigentlich um das Überschreiten des Ölfördermaximums, doch die von Ihnen beschriebenen Konsequenzen weisen erstaunliche Parallelen zu den reduzierten Gasfördermengen auf. Wie sind Sie damals auf das Szenario gekommen?
Andreas Eschbach: Über mögliche Zukünfte der Menschheit nachzudenken ist sozusagen meine vorherrschende Besessenheit, also hat mich das Thema "ausgehendes Öl" natürlich seit jeher beschäftigt. Die konkrete Idee für "Ausgebrannt" kam mir, als ich auf ein Buch von einem gewissen Matthew Simmons gestoßen bin, einem amerikanischen Investmentbanker im Ölsektor, der sich durch Hunderte von freigegebenen Reports von Saudi Aramco gewühlt und dabei zwischen den Zeilen gelesen hat, also auf das geachtet hat, was sie nicht sagen. In dem Buch damals stellte er die Theorie auf, dass die Saudis, um ihre Position als "swing producer" zu halten und der amerikanischen Forderung nach Erhöhung der Ölproduktion nachzukommen, Gefahr liefen, ihr großes Ölfeld Ghawar zu überfordern. Das könnte, bedingt durch die Technik ihrer Förderung, im Extremfall dazu führen, dass die Quelle abrupt versiegt. Diese Vorstellung hat mich fasziniert: Was wäre, habe ich mich gefragt, wenn die Ölversorgung der Welt von einer Woche zur anderen zum Stillstand käme?
Aus solchen Fragen entstehen Romane, wobei so eine Grundidee im Lauf des Entwicklungsprozesses natürlich immer noch allerhand Variationen erfährt, weil es ganz so einfach meistens dann doch nicht laufen kann. Aber daraus wurde jedenfalls "Ausgebrannt". Wobei schon damals, während ich den Roman schrieb, der Ölpreis auf bis dato nie gekannte Höhen geklettert ist und ich gedacht habe, Mist, mein Buch kommt zu spät …
Verschwiegene Branchen
Sie hatten sich Jahr später in einem Interview gewünscht, dass Journalisten bei den Energiekonzernen vorstellig werden und nach Plan B fragen. Stattdessen hat man Sie interviewt. Angesichts der aktuellen Situation warten Sie vermutlich weiterhin auf die Antworten?
Ich fĂĽrchte, es gibt gar keine Antworten. Und ich frage mich immer noch, ob es mir nur so vorkommt, als sei die Ă–lindustrie eine extrem verschwiegene Branche, oder ob es so ist und es einen Grund dafĂĽr gibt.
Jedenfalls bleibt mir unvergesslich, wie nach einer Lesung aus dem Buch ein Mann zu mir kam, sich sein Exemplar signieren ließ und im Weggehen sagte: "Ich hab übrigens mal in der Ölförderung gearbeitet. Ich könnte Ihnen da Sachen erzählen …!" Und weg war er, ehe ich reagieren konnte! Denn hätte ich mir liebend gern Sachen erzählen lassen. Ich hatte im Vorfeld nach Lebenserinnerungen oder dergleichen von Ölingenieuren gesucht, bei Verlagen, im Selfpublishing, in anderen Sprachen, soweit ich sie lesen kann, aber nichts gefunden. Niemand, der in der Ölbranche arbeitet, scheint das Bedürfnis zu haben, von seiner Arbeit und seinem Leben zu erzählen.
In "Ausgebrannt heißt es auf S. 557: "Insbesondere Deutschland war, das hatte dieser Vorfall gezeigt, längst völlig abhängig von russischem Erdgas. Sollte der Konflikt […] eskalieren, zweifelte niemand daran, dass Russland den Gashahn zudrehen würde." Haben Sie 2007 schon geahnt, dass Deutschland sich zu sehr von russischem Gas abhängig macht oder war das Fiktion?
Da gab es doch nichts zu ahnen! Das lag immer auf der Hand, und daran war auch absolut nichts Fiktion. Ich habe in den 90ern eine Zeit lang Unternehmensberatung gemacht und mitgekriegt, wie in der Einkaufsabteilung eines großen Konzerns diskutiert wurde, wie sehr man sich von einem einzelnen Lieferanten abhängig machen dürfe und inwieweit die Vorteile des "single sourcing" – größere Stückzahlen machen niedrigere Preise verhandelbar, das Management ist einfacher usw. – das Risiko ausglichen. Die Beziehungen zwischen Lieferanten und Abnehmern sind, klar, auch Machtbeziehungen, nicht nur zwischen Firmen, sondern auch zwischen Staaten, und natürlich macht man sich abhängig, wenn man sich so einrichtet, dass man aufgeschmissen ist, falls der Lieferant nicht mehr liefert. Man hat damals nur gedacht, das macht nichts, weil Russland ja noch zu den Guten gezählt wurde.
Optimierungen und Effizienz
In dem Buch beschreiben Sie auch Lieferkettenengpässe, die sich ergeben. Haben Sie dafür ein Beispiel?
Wenn wir heute "Lieferkettenengpass" sagen, weil irgendwas im Supermarkt nicht verfügbar ist, dann steckt in dem Wort auch ein Stück Selbstberuhigung. Es sagt uns: Das, was wir brauchen, gibt es noch, keine Sorge – es hat nur den Weg hierher noch nicht geschafft. Aber was, wenn es das, was wir brauchen, mal tatsächlich nicht mehr gibt? Und Öl ist eben – und Gas auch, wie wir jetzt gelernt haben, wenn auch in geringerem Maß – nicht nur Energieträger, sondern auch Rohstoff für eine unfassbare Bandbreite an Produkten.
Diese komplizierten Lieferketten sind ja das Ergebnis von Optimierungen. Wenn ein Joghurtbecher zweitausend Kilometer zurücklegt, ehe er gefüllt bei uns auf dem Tisch steht, dann tut er das nicht, weil die Hersteller es schick finden, Lastwagen über Autobahnen fahren zu lassen, sondern weil dadurch irgendwo irgendwie Kosten gespart werden. Diese Kalkulation gerät aber natürlich sofort durcheinander, wenn sich die Transportkosten verändern, sprich: steigen.
Oder anders gesagt: Effizienz kostet Resilienz. Das erleben wir gerade.
In dem Buch hat sich die Menschheit komplett vom Erdöl abhängig gemacht. Wie sehen Sie das heute?
Nicht nur in meinem Buch, das ist so. Das ist der Punkt, auf dem ich darin herumreite. Unsere gesamte technische Zivilisation funktioniert nur auf der Basis von Erdöl, die Vorräte an Erdöl aber sind endlich, und wir haben keinen Plan B, was wir tun, wenn sie ausgehen.
Das ist ein ungefähr so "vernünftiges" Verhalten wie, von einem nicht allzu üppigen Erbe zu leben, sich aber keinerlei Gedanken darüber zu machen, wie es weitergehen soll, wenn das Geld auf dem Konto aufgebraucht ist.
Und die Energiewende?
Noch gibt es jedenfalls genug Öl, um Windkraftanlagen oder Solarkraftwerke zu bauen ... Wie sehen Sie den gegenwärtigen Status der Energiewende?
Ein zartes Pflänzchen mit ungewisser Prognose. Der Kern des Problems und das, was die Wende so schwierig macht, ist, dass fossile Brennstoffe abrufbare Energiespeicher sind, erneuerbare Energien aber nicht. Ein Schiff mit Dieselmotor fährt los, wenn man auf den Knopf drückt – ein Segelschiff nur dann, wenn Wind weht. Wenn Sie einen Tank voll Benzin haben, können Sie das Benzin genau dann in Energie umsetzen, wenn Sie sie brauchen. Den erneuerbaren Energien müssen Sie einen solchen Speicher erst hinzufügen, und das ist es, was viel kostet und viele Dinge technisch schwierig macht. Hinzu kommt, dass Benzin, was Energiedichte anbelangt, auch der modernsten Batterie weit überlegen ist. Batteriebetriebenes Autofahren geht, batteriebetriebene Langstreckenflüge dagegen wird es ziemlich sicher nicht geben. Schon batteriebetriebene Traktoren sind eine echte technische Herausforderung, habe ich neulich gelesen.
Es ist auch nicht hilfreich, dass sich bei diesem Thema so viele Leute so bereitwillig in die Tasche lügen. Das Problem ist halt nicht gelöst, wenn an einem sonnigen, windigen Tag die Rotoren und PV-Anlagen allen benötigten Strom erzeugen, denn Strom macht nur ungefähr ein Drittel der insgesamt benötigten Energie aus. Will man Transport und Verkehr sowie Heizungen auch elektrisch bewerkstelligen – und das muss man, wenn man auf Öl und Gas verzichten will –, dann steigt der Strombedarf, Optimierungen eingerechnet, wenigstens auf das Doppelte. Und den Anteil, den man für Nächte und windstille Zeiten braucht, wird man gespeichert vorhalten müssen, was nur um den Preis von Umwandlungsverlusten zu haben ist, also braucht man dafür noch mehr Strom.
Und, richtiger Hinweis, das alles sollte stehen, bevor das Ă–l ausgegangen ist.
Auf S. 481 schreiben Sie: "Außerdem stehe der Winter unmittelbar bevor: Wie würde die deutsche Bevölkerung in den nächsten Monaten heizen?" In "Ausgebrannt" eskaliert die Situation. Wie weit ist die Wirklichkeit davon entfernt? Wie würden Sie - fiktiv - diese Situation in Ihrem Roman zu einem Happy End führen?
O je. In Romanen, die einigermaßen realistisch in der nahen Zukunft spielen, sind Happy Ends eine echte literarische Herausforderung. Die Lösung in meinem Buch, mithilfe einer "Nanofolie" Alkohol aus landwirtschaftlichen Abfällen zu gewinnen und damit zumindest die vorhandenen Millionen Fahrzeuge zu betreiben, würde so wohl in Wahrheit nicht funktionieren. Obwohl – nach Veröffentlichung des Buches hat sich jemand bei mir gemeldet und mir erzählt, sie forschten an einer Art Nanokeramik, die so etwas Ähnliches können solle. Was daraus geworden ist, keine Ahnung, aber offenbar nichts, von dem man schon gehört hätte.
Was den kommenden Winter anbelangt, weiß ich natürlich auch nicht, wie der wird. Wenn ich herumrechne mit den Zahlen, die man so findet, wird mir immer schnell schwarz vor Augen, also rechne ich nicht mehr, sondern hoffe das Beste und mache mich auf Schlimmes gefasst. Aber allein schon, dass man das muss – sich auf Schlimmes gefasst machen, nur weil es Winter wird – ist ein Armutszeugnis für etwas, das sich für Zivilisation hält.
Nicht nur hierzulande gibt es Gruppen, die solch ein Happy End auf die eine oder andere Art erzwingen wollen. Aktivisten und Aktivistinnen, die sich eher radikalen oder auch eschatologischen Gruppen wie der "letzten Generation" zuwenden, sehen bereits einen Zustand der Welt erreicht, der nahezu jede Maßnahme rechtfertigt. Wie sehen Sie die Chancen auf eine tatsächliche Wende, die eine Klimakatastrophe zumindest noch eingrenzen kann?
Das Klima ist noch einmal ein ganz anderes Thema, das ich in meinem Roman weitgehend ausgeklammert habe, um es nicht noch komplizierter zu machen. Es ist in gewisser Weise auch bedauerlich, dass dieses Thema heute so im Mittelpunkt steht, denn das ausgehende Öl wäre selbst dann ein Riesenproblem, wenn es auf das Klima überhaupt keine Auswirkungen hätte, ein Problem, das wir auf jeden Fall lösen müssen, sogar wenn die Klimaleugner vollkommen recht hätten.
Ich sehe nicht, was man in diesem Zusammenhang mit Protestaktionen erreichen könnte. Es ist ja nicht so, dass "die da oben" die Lösung aller Probleme hätten und sie nur nicht rausrücken. Die sind doch genauso ratlos, hangeln sich irgendwie durch und hoffen nur, dass sie die ungelösten Probleme ihren Nachfolgern überlassen können. Was es braucht, sind nicht noch mehr Leute, die sich irgendwo festkleben (allein diese Idee des Festklebens kommt mir vor wie ein unbewusstes Eingeständnis, in festgefahrenen Denkmustern zu verharren), sondern Leute, die bessere und billigere Batterien entwickeln, Supraleitung bei Zimmertemperatur erfinden oder Verfahren, der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen.
Nur weg hier ...
Anders gefragt: "Es ist immer dasselbe. Die Titanic sinkt, aber das Orchester spielt weiter. […] Nur das es diesmal überhaupt keine Rettungsboote gibt." Haben wir diesmal noch ein Rettungsboot? Oder müssen wir auf Leute wie Elon Musk hören, die die Menschheit auf den Mars umsiedeln wollen?
Nun, das will er ja nicht wirklich, er würde nur gerne selber auf den Mars auswandern. Ohnehin ist die Idee, die Menschheit auf einen anderen Planeten umzusiedeln, von allen Schnapsideen die schnapsigste. Man muss sich nur mal die Bevölkerungszahlen anschauen und überlegen, wie viele Raumschiffe man bauen müsste, um das zu stemmen – und woher die Rohstoffe dafür kommen sollten. Das wäre selbst für Perry Rhodan ein Problem.
Also: Nein, Rettungsboote gibt es keine. Was immer kommt, wir werden es durchstehen mĂĽssen.
Würden Sie die Geschichte vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse genauso erzählen? Gab es in den letzten Wochen Momente, die Sie an Ihr Buch erinnert haben?
Jedes Buch hat seine Zeit, in der man es schreibt, und ist auf gewisse Weise eben auch ein Abbild dieser Zeit. Die Frage müsste eher lauten, ob ich heute ein Buch über das ausgehende ÖL schreiben würde, wenn ich noch keins geschrieben hätte, und die Antwort wäre, dass ich, falls ich dazu heute eine Idee hätte, es sicher eine sehr andere wäre. Aber natürlich erinnert mich die aktuelle Gaskrise sehr stark an viele Aspekte meines Romans, und ich bin nicht gerade glücklich, jetzt womöglich zu erleben, wie er Wirklichkeit wird. Eine Verfilmung hätte mir vollkommen gereicht …
(jk)