Mit fMRI das Böse im Blick

Bildgebende Verfahren helfen inzwischen dabei, spezielle Gehirnmuster zu erkennen, die bei Menschen mit psychopathischen Störungen häufiger vorzukommen scheinen.

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Von
  • Richard Brandt
Inhaltsverzeichnis

"Ich musste es tun. Ihr habt mir keine andere Wahl gelassen." Diese Sätze von Cho Seung-Hui, die der "Virginia Tech"-Amokläufer in einem Video spricht, das nach dem Massaker in den USA auftauchte, werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. Was trieb den Studenten dazu, zu glauben, dass diese Morde unbedingt notwendig seien? Was er ein Psychopath, der kaltblütig töten konnte oder bei dem bereits die kleinste Provokation ausreichte, ihn zum Killer zu machen? Steckte in ihm das, was die meisten Religionen schlicht als "das Böse" bezeichnen?

Psychiater und Neurowissenschaftler sind zurzeit dabei, enorme Fortschritte beim Verständnis der Gehirnstrukturen von Psycho- oder Soziopathen zu machen. Diese Störung bedingt, dass der Betroffene keine Empathie, kein Mitgefühl und auch kein Gewissen kennt. In den interessantesten neuen Untersuchungen ergab sich, dass bestimmte Gehirnbereiche dieser Personen "Fehlzündungen" zu erleiden scheinen.

Bei der Untersuchung kommt die so genannte funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI) zum Einsatz, bei der ein Kernspintomograph Verwendung findet. Forscher in den USA, in Deutschland sowie weiteren Ländern beobachteten damit inzwischen die Gehirne von Psychopathen, während ihnen Horrorbilder vorgeführt werden – etwa von Messerstechereien, Schießereien oder Verstümmelungen. Bei normalen Personen zeigt sich dann sofort eine starke Aktivität in Bereichen des Gehirns, die mit dem limbischen System zu tun haben, das für das Gefühlsleben zuständig ist – besonders erregt ist der so genannte Mandelkern, auch Amygdala genannt. Dieser Bereich gilt als Zentrum der Erzeugung von Mitgefühl.

Bei psychopathischen Patienten bleibt der Bereich des Mandelkerns "dunkel": Die Aktivitäten sind gering oder gar nicht vorhanden. Dieses Phänomen könnte bedeuten, dass einige dieser Menschen grundlegende Emotionen gar nicht erst aufrufen können – das bedeutet womöglich im Umkehrschluss, dass die primitiven Killerinstinkte dieser Menschen auch nicht mehr in Schach gehalten werden können.

Andere Forscher sahen ähnliche Probleme im in der vorderen Hirnrinde, die bei der Regulierung impulsiver und irrationaler Verhaltensweisen hilft. Fehlt hier eine Aktivität, könnte dies dazu führen, dass für emotionale, impulsive und gewalttätige Reaktionen nur geringste Anlässe ausreichen.

James Blair, Leiter des Sektion "Affective Cognitive Neuroscience" beim US-Nationalinstitut für geistige Gesundheit, glaubt, dass Fehlfunktionen des Mandelkerns auch Störungen des vorderen Hirnrindenbereichs hervorrufen können. In seiner jüngsten Untersuchung von Gehirnen psychopathischer Patienten, die noch in diesem Jahr veröffentlicht werden könnte, zeigt er fMRI-Bilder, bei denen die fehlende Aktivität des Mandelkerns sich in der vorderen Hirnrinde widerspiegelt. Er meint, dass der Mandelkern die falschen Signale weitergibt.

Dennoch glauben einige Wissenschaftler, dass die Konzentration auf den Mandelkern zu einfach ist. "Ich bin mir nicht sicher, ob die Amygdala das Hauptproblem ist", erklärt Joshua Greene, Dozent für Psychologie an der Harvard University. Er glaube, dass dieser Bereich zwar betroffen sein dürfte, aber die Bereiche, die bei Psychopathen beschädigt seien, von Patient zu Patient unterschiedlich sein könnten.

Er selbst habe zwar noch keine entsprechenden Personen untersucht, mit fMRI aber Menschen beim Treffen moralischer Entscheidungen zugesehen. Dabei spiele entweder das Gefühlszentrum oder der für Logik zuständige Bereich eine Rolle – je nach Art der Frage.

Natürlich heißt das nicht, dass jeder Mensch mit entsprechenden Gehirnabnormalitäten zum Killer wird. Einige Menschen mit Störungen im limbischen System werden zu Helden – als Feuerwehrmänner, Polizisten oder Kampfpiloten, weil sie eine unterdrückte Angstreaktion zeigen und insgesamt große emotionale Stimuli benötigen. Eine weitere Theorie: Erst andere "Trigger", etwa schwerer Kindesmissbrauch, sind notwendig, um aus Menschen mit unterdrückter Gefühlswelt Killer zu machen.

Außerdem ist nicht jeder Mörder auch ein Psychopath. Thomas Lewis, Psychiater mit viel Erfahrung auf dem Gebiet, der sich außerdem auf die Neurochemie der Depression an der University of California in San Francisco spezialisiert hat, beschreibt eine sehr seltene Situation, in der auch aus Nichtpsychopathen Amokläufer werden.

Diese Personen sind oft stark depressiv, traumatisiert und selbstmordgefährdet – was ererbt, aber auch aufgrund eines Hirntumors ausgelöst worden sein könnte. Eine Krise führt dann dazu, dass sie "ausrasten", viele Menschen töten und sich dann selbst das Leben zu nehmen: "Es ist wie ein Wutanfall – nur eben mit Waffen", erklärt der Forscher.

Die Neurowissenschaft wird erst seit kurzem zum Verständnis solcher anscheinend zufälliger Gewaltakte verwendet. Eine Diagnose oder Vorhersage liegt jedoch noch in weiter Ferne, sollte sie überhaupt möglich sein. Dennoch glauben Forscher an das enorme Potenzial neuer bildgebender Verfahren. "Wir dachten einst, dass Psycho- oder Soziopathen überhaupt nicht zu behandeln ssind", meint Blair, "das könnte sich damit tatsächlich ändern". (bsc)