Mobilfunk-Netz in Eigenregie

Selbst in den abgelegenen Gegenden von Mexiko besitzen viele Menschen Mobiltelefone, die sie meist nur zum Musik hören, als Fotoapparat oder als Wecker einsetzen können. GSM-Projekte wie Rhizomatica ändern das und setzen dabei auf Open Source, Mitarbeit und Wissensvermittlung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 14 Kommentare lesen
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Friederike Maier
Inhaltsverzeichnis

Laut der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) nutzen im Jahr 2013 über 6,8 Milliarden Menschen Mobilfunk-Anschlüsse. Davon verortet die Organisation 1,6 Milliarden in den Industrieländern, sodass dort rechnerisch auf eine Person 1,28 Mobiltelefone kommen. In Entwicklungsländern liegt die Zahl der Mobiltelefone noch unter der Einwohnerzahl bei 0,89 Geräten pro Person. Außerdem wächst diese Zahl aktuell nicht mehr so schnell wie noch im Jahr 2005: Lag der Anstieg damals bei über 30 Prozent, ist er derzeit auf circa 6 Prozent zurückgegangen. Die meisten größeren Städte in den Entwicklungsländern haben inzwischen eine gute Netzabdeckung. Anders sieht es auf dem Land aus. Da der Netzausbau unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorangetrieben wird, gehen Gebiete mit wenig potentiellen Mobilfunkkunden häufig leer aus. So werden in Mexiko Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern grundsätzlich nicht von den großen Telekommunikationsunternehmen ans Mobilfunknetz angeschlossen. Besonders in den Bergen wie dem Südwesten Mexikos, wo viele Dörfer nur durch mehrstündige Autofahrten über schlechte Straßen zu erreichen sind, lohnt sich für die Unternehmen die Investition in die Infrastruktur nicht.

Die Berge der Sierra Norte de Oaxaca. Immer mehr Gemeinden dort bauen sich ihre eigenen GSM-Netze. Für Telekommunikationsunternehmen lohnen sich Investitionen in den abgelegenen Regionen nicht.

(Bild: Augustine Sacha)

Diese Versorgungslücke will die Organisation Rhizomatica füllen: Sie baut möglichst günstige Basistationen, die sich auch kleine Gemeinden leisten können. Dabei verwalten und betreiben die Gemeinden ihr GSM-Netz selbst, technischen Support und Schulungen steuert Rhizomatica bei. In Mexiko geht dieses Konzept auf, da die mexikanische Verfassung (Artikel 2, Absatz IV) den indigenen Gemeinden im Land das Recht garantiert, eigenen Kommunikations- und Telekommunikationsmedien zu betreiben und zu administrieren. Außerdem herrscht bislang noch keine Enge im 850-MHz-Band, das neben dem 1900-MHz-Band für GSM in Mexiko genutzt wird. Diese beiden Voraussetzungen, ein guter Anwalt sowie ein Haufen Schreibarbeit haben dem Projekt eine zweijährige Testlizenz für das 850-MHz-Band in den Bundesstaaten Oaxaca, Veracruz, Puebla, Guerrero and Tlaxcala im Südosten Mexikos verschafft.

Das Red Comunitaria de Talea (RCT) nahm im April 2013 als erstes GSM-Netzwerk seinen Betrieb auf. Die Gemeinde Talea de Castro hat rund 2500 Einwohner, hauptsächlich Zapoteken; eine der mehr als 60 indigene Gruppen Mexikos. Die Ortschaft liegt zwar nur knapp 100 km von der Provinzhauptstadt Oaxaca de Juárez entfernt in der Sierra Norte. Allerdings liegen zwei fast 3000 Meter hohe Pässe dazwischen, sodass die Fahrt über 5 Stunden dauert.

In Talea gab es schon eine ganz gute Internetverbindung über Richtfunk. Vor einigen Jahren hat auch ein Telefonprovider circa 100 Festnetzanschlüsse verlegt, dann aber keine weiteren Bestellungen angenommen. Obwohl es in dem Dorf noch nie ein GSM-Netz gegeben hatte, versuchten sich, nach dem Einschalten der Basisstation über 500 Mobiltelefone einzuwählen, berichtet Ciaby, der Techniker von Rhizomatica. Jede Menge Leute, auch in abgelegenen Regionen ohne Mobilfunkversorgung haben Mobiltelefone. Diese werden zum Musik hören, als Taschenlampe, zum Spielen, als Fotoapparat oder als Wecker verwendet. Das war auch der Grund GSM-Netze zu bauen und nicht etwa WLAN-Netzwerke, wo es mit Freifunk und vielen anderen Projekten schon eine lange Tradition gibt, diese gemeinschaftlich zu betreiben. Der Preisunterschied zwischen einem günstigen Mobiltelefon und einem Computer ist immer noch eklatant, sodass es sehr wenige Computer, aber sehr viele Mobiltelefone gibt. Inzwischen registiert das RCT über 700 Mobiltelefone.

Die Basisstation von Rangenetworks in Talea de Castro mit Israel Hernández García vom Radio Dizha Kieru de Talea de Castro, einem der Initiatoren von RCT.

(Bild: Augustine Sacha)

Ähnliches geschah auch in Santa Maria Yaviche, einer weiteren Gemeinde in der Sierra Norte von Oaxaca rund 10 Kilometer über einen Berg von Talea entfernt. Dort installierten die Bewohner im Oktober mit technischer Unterstützung von Rhizomatica die zweite Basisstation in der Gegend. Bei weniger als 700 Bewohnern gab es über 100 Mobiltelefone, die sich beim Einschalten mit der Basisstation verbinden wollten. Inzwischen bekommen alle Mobiltelefone, die in die Reichweite der Basistation von Aire Zapoteco, wie das Netzwerk nach dem örtlichen Community-Radio benannt wurde eine Willkommensnachricht auf zapotekisch. Das Radio übernimmt in Yaviche die Verwaltung des GSM-Netzwerkes.

Neben dem praktischem Vorzügen für den Einzelnen sollen die Community-GSM-Netze aber auch für die Gemeinschaft Nutzen bringen: Diskutiert wird, wie das neue Mobilfunknetz die Gesundheitsversorgung verbessern kann oder wie sich mittels Mobiltelefon kommunale Erinnerungen aufzeichnen lassen. Das Projekt Los Ojos de la Milpa (Die Augen des Maisfeldes) sammelt beispielsweise Wissen über traditionelle Anbaumethoden und bewahrt es so vor dem Vergessen.

Derzeit testet Rhizomatica verschiedene GSM-Systeme auf ihre Tauglichkeit. Die Aktivisten achten besonders auf die Kosten, denn das gesamte Mobilfunksystem sollen sich auch kleine Gemeinden leisten können. Sie greifen etwa auf verschiedene Open-Source-GSM-Software zurück, die seit 2007 entwickelt werden. OpenBTS und OpenBSC haben besonders praktische Relevanz: Beide verfolgen unterschiedliche Ansätze, die der Artikel Building a GSM network with open source sehr anschaulich beschreib.

In Talea de Castro setzt das Mobilfunknetz auf OpenBTS auf, das die gesamte GSM-Architektur als Black-Box behandelt und sich auf die Luftschnittstelle (UM-Interface) zwischen Basisstation (Base Tranceiver Station - BTS) und Mobiltelefon konzentriert. Es verfolgt den klassischen Software-Defined-Radio-Ansatz, um möglichst unabhängig von spezialisierter und damit teurer Hardware zu sein. Es generiert Sendedaten und moduliert das Übertragungssignal in Software: Ein Rechner sendet die fertig modulierten komplexen Sendedaten an ein Frontend, das die Daten auf die Übertragungsfrequenz mischt. Das Ausgangssignal wird nur noch verstärkt, gegebenenfalls gefiltert und auf die Antenne gegeben.

Statt bei der Vermittlung die GSM-spezifischen Mobile Switching Centers (MSC) einzusetzen, setzt OpenBTS dabei auf Internet-Protokolle: Im GSM-Netz in Talea de Castro läuft ein Asterisk-Server, der die Mobiltelefon mittels SIP praktisch in VoIP-Telefone verwandelt.

Dank guter Internet-Anbindung über Richtfunk und zu einem SIP-Anbieter bietet das GSM-Netz sehr günstige internationale Tarife zum Beispiel nach Los Angeles, wo viele Verwandte der Bewohner von Talea de Castro wohnen. Mit einer monatlichen Gebühr von 15 Pesos (umgerechnet etwa 90 Cent) können die Mobilfunk-Teilnehmer zudem unbegrenzt telefonieren und SMS schreiben. Das Mobilfunk-Netz in Talea verkraftet etwa 20 Gespräche parallel sowie 40 bis 50 Nachrichten in der Minute: Die Hardware stammt von der Firma Rangenetworks, mit der die Entwickler von OpenBTS inzwischen günstige GSM-Hardware und Support vermarkten.

OpenBSC und die anderen GSM-Projekte der Osmocom-Familie verfolgen ein eher traditionelles GSM-Modell. Angefangen hat es mit der Implementierung eines quelloffenen Base Station Controlers (BSC) und der A-bis-Schnittstelle für die Kommunikation zwischen Basisstation (BTS) und BSC sowie der Vermittlungseinheit (MSC). Anfangs kam eine kommerzielle Siemens BS-11 Basisstation zum Einsatz. Später kam die Unterstützung der nanoBTS, einer GSM-Picozelle von ip.access hinzu.

Ein UmTRX-BTS-Frontend und viele GSM-Testnetze beim GSM-Workshop in Mexiko Stadt.

Inzwischen haben die Entwickler mit OsmoBTS auch die Funktion der Basisstation in Open Source Software ergänzt. 2011 begannen sie die Entwicklung der Low-cost-GSM-Basisstation UmTRX, deren Hardware ebenfalls offengeliegt. Die im Mobilfunk-Netzwerk von Yaviche laufende UmTRX vermarktet inzwischen die russischen Firma Fairwaves, die im Zuge der Entwicklung von UmTRX gegründet wurde. Die Entwickler von OpenBSC um Harald Welte haben ebenfalls eine Firma gegründet. Sysmocom baut ebenfalls BTS-Hardware (sysmoBTS) und bietet fertige Telefoniesysteme an.

Als Vermittlungsstelle fungiert im Netz von Yaviche wiederum Asterisk. Dadurch können die Teilnehmer auch innerhalb des Netzes telefonieren und Nachrichten verschicken. Die einzige Verbindung zur Außenwelt führt derzeit über eine wackelige Satellitenverbindung, sodass man momentan nach außerhalb nur Textnachrichten übertragen kann.

Besonders interessant wäre eine Verbindung von Yaviche zum 10 Kilometer entfernten Talea de Castro, das ein kleines Krankenhaus mit Labor besitzt. Anrufe im Krankenhaus würde dem Arzt in Yaviche die Arbeit sehr erleichtern und Diagnosen enorm beschleunigen.

Ciaby, der Techniker von Rhizomatica, empfiehlt ein paar Anpassungen der Basisstation-Konfiguration an die Situation in den Bergen: Um nicht von sämtlichen Mobiltelefonen in den umliegenden Bergen Registrierungsanfragen zu bekommen, haben sie die Reichweite des Netzes auf unter 10 Kilometer beschränkt (Timing Advance Value). Der Wert gibt an, um wieviel früher das Mobiltelefon aufgrund der Ausbreitungsverzögerung senden muss, um im richtigen Zeitschlitz bei der Basisstation anzukommen.

Teilnehmer des GSM-Workshops konfigurieren die UmTRX-Basisstation.

Mit ihren über 700 registrierten Telefonen stößt die Basistation in Talea schon an ihre Grenzen. Aber da nur diese eine Basistation zur Verfügung steht, versuchen die Techniker durch Erhöhung diverser Timeouts möglichst viel herauszuholen. Ein paar Kontrollkanäle könnten bei dem Dorfnetz abgeschaltet werden, da sie nur unnötigen Traffic verursachen. So ist es zum Beispiel nicht notwendig, dass alle 700 Telefone ständig ihre Position mitteilen, wenn es nur die eine Zelle gibt, erklärt Ciaby.

Wegen der enormen Nachfrage aus anderen Dörfern, bietet Rhizomatica Schulungen an. Die Organisation kann die Nachfrage nicht alleine stemmen, denn sie besteht nur aus 4 Personen. Bei einer ersten 4-tägigen Workshop-Runde in Mexiko Stadt gab es eine Einführung zu GSM. Im Anschluss wurde der praktische Aufbau eines GSM-Netzes mit OpenBSC geübt. Mit dabei war auch Alexander Chemeris von Fairwaves, der diverse UmTRX-Frontends zum testen mitbrachte. Die rund 20 Teilnehmenden kamen aus ganz Mexiko und hatten teilweise sehr konkrete Pläne, wie und wo sie ein Mobilfunk-Netz aufbauen wollen. So berichtete eine Teilnehmerin aus dem Bundesstaat Guerrero, dass die Situation in vielen Dörfern ähnlich sei wie in Oaxaca. Der Kurs sei eine große Hilfe, das Projekt zu beschleunigen. Ohne die Erfahrungen der Leute von Rhizomatica, sei der Bau von GSM-Netzen kaum denkbar.

(rek)