NASA-Astronaut: Was man als Arzt über das Leben im Weltraum lernen kann

Der kanadische Astronaut David Saint-Jacques arbeitet auch als Mediziner – was seine Erfahrung an Bord der ISS auf einzigartige Weise geprägt hat.

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Astronaut David Saint-Jacques bei einem ISS-Weltraumspaziergang.

(Bild: NASA)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Neel V. Patel

Nicht alle Astronauten fangen als Testpiloten an. David Saint-Jacques ist kanadischer Astronaut – und er hat eine medizinische Ausbildung. Im Interview mit Technology Review erläutert er, was das für seine 203 Tage an Bord der Internationale Raumstation ISS bedeutet hat.

Die meisten Leute denken, dass es reicht, Ingenieur oder Astrophysiker zu sein, um ins All zu kommen. Sie haben auch ein Medizinstudium absolviert - und sind dann erst Astronaut geworden. Warum haben Sie so viele verschiedene Dinge verfolgt?

Ich weiß, dass das ungewöhnlich klingt. Aber wissen Sie, ich bin wie jeder andere auch. Ich plane mein Leben nicht, sondern die Dinge passieren einfach. Ich wollte von klein an die Welt verstehen. Den Ehrgeiz zu haben, alles zu verstehen, ist ziemlich irre – und das werde ich auch nie erreichen können. Aber ich werde es sicher weiter versuchen. Ich habe das nicht geplant, aber habe mir immer wieder neuen Möglichkeiten eröffnet. Das Wissen, das ich dabei sammeln konnte, hat mir als Astronaut sehr genutzt.

Wie haben diese Erfahrungen Ihre Zeit im Weltraum beeinflusst?

Jeder Astronaut ist anders. Es gibt nicht den einen vorgeschriebenen Weg. Was die Raumfahrtbehörden wirklich suchen, ist eine Art Tausendsassa. Denn wenn man einmal im Weltraum ist, muss man in der Lage sein, so ziemlich jedes Problem zu lösen.

Ich bin im Grunde meines Herzens ein Ingenieur. Ich war schon immer von Maschinen fasziniert. Ich löse gerne Probleme und packe sie beiseite. Und Medizin setzt ein Interesse an Menschen voraus. Man versetzt sich in die Lage von jemandem und überlegt dann: "Was würde man tun, wenn das ich wäre oder mein Bruder oder meine Mutter?" Das finde ich an der Medizin faszinierend. Sie zeigt dir, was es heißt, ein Mensch zu sein. Sie hilft dir, das von der Kultur geprägte Äußere zu durchdringen und wirklich zum Kern der Individuen vorzudringen. Im Weltraum ist das extrem nützlich. Man kann anderen Mut machen und die Dinge ins rechte Licht rücken. Das ist sehr hilfreich, wenn an Bord etwas passiert. Als Crew ist es unsere Aufgabe, auf uns gegenseitig aufzupassen.

Sie sind während der Pandemie wieder als praktizierender Arzt tätig gewesen. Hat der Aufenthalt im Weltraum Ihre Einstellung zur Medizin verändert?

Ich habe das Gefühl, als sei ich noch immer im Weltraum – auf dem Mutterschiff Erde. Ich sehe die Dinge noch immer aus dieser Perspektive. Vom Weltraum aus blickt man auf die Erde – und sie ist natürlich wunderschön: die leuchtend blauen Meere und die Lichter der Städte bei Nacht, die vom Tanz unseres Lebens erzählen. Aber am beeindruckendsten ist es, wenn man der Erde den Rücken kehrt und in die andere Richtung schaut. Alles, was man sieht, ist nichts – nur Leere. Und man stellt sich vor, dass das ewig so weitergeht. Es ist sehr berührend zu erkennen, wie ausgeliefert die Menschen auf diesem kleinen, zerbrechlichen Wunder von einem Planeten sind. Dadurch hat sich bei mir eine Art Ehrfurcht davor entwickelt, wie unglaublich es ist, dass wir uns an diesem Ort behaupten, all diese Kultur entwickeln, Kinder aufziehen, Dinge erfinden und Kunst schaffen konnten. Das hat mich dazu gebracht, die Menschen zu lieben.

Wie kann die medizinische Forschung, die wir im Weltraum betreiben, den Menschen auf der Erde zugutekommen?

Wir forschen viel an den Astronauten im Weltraum selbst. Denn es gibt viele Krankheiten, die Menschen im Weltraum betreffen. Allein schon die Umgebung im All wirkt sich schlecht auf uns aus: die fehlende Schwerkraft, Strahlung, Isolation und die Enge – der ganze Stress einer solchen Umgebung ist einfach sehr ungünstig für einen Menschen. Wir sind also ideale Versuchskaninchen für die medizinische Forschung: über den Gesundheitszustand der Knochen, des Herzkreislaufsystems und des Gehirns sowie zu Fragen der Psychologie, Hämatologie, Immunologie – es gibt so viele Bereiche.

Ein anderer Aspekt ist die Medizintechnik. Wir müssen Astronauten in die Lage versetzen, sich so weit entfernt sowohl selbst als auch gegenseitig helfen zu können. Das Problem ist vergleichbar mit Situationen hier auf der Erde: zum Beispiel Menschen, die in ländlichen oder abgelegenen Regionen leben, medizinisch zu versorgen. Oder Arbeiter bei gefährlichen Einsätzen, Militärs auf einer Mission, Teilnehmer großer Expeditionen oder auch ältere Menschen, die zu gebrechlich sind, um überhaupt in eine Klinik zu kommen. Die Aufgabe, Medizin zum Patienten zu bringen, ist heutzutage sehr wichtig. Die Pandemie hat sicher dazu beigetragen, dem noch mehr Bedeutung zuzumessen – und dabei auch den Weltraum zu nutzen, um zu testen, wie so etwas praktisch funktioniert.

(bsc)