Nachwachsende Hochhäuser

Eine neue Generation von Architekten zeigt, was in Holz steckt: Sie errichten zehngeschossige Hochhäuser und halten sogar 30 Stockwerke für möglich.

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Von
  • Christian Buck
Inhaltsverzeichnis

Eine neue Generation von Architekten zeigt, was in Holz steckt: Sie errichten zehngeschossige Hochhäuser und halten sogar 30 Stockwerke für möglich.

Auf den ersten Blick unterscheidet sich das 27 Meter hohe Bürogebäude in Dornbirn in Vorarlberg nicht von vielen anderen seiner Art. Schmale Fenster durchbrechen eine Fassade aus hellen Metallelementen, und an einer Ecke ragt das dunkle Treppenhaus ein wenig aus dem rechteckigen Grundriss heraus. Erst beim Betreten des "LifeCycle Tower One" (LCT One) wird klar, dass hier etwas anders ist. Im Foyer riecht es angenehm nach Holz. Ein Blick in den großen Raum im ersten Stock erklärt, woher der Wohlgeruch kommt: Er ist hell erleuchtet und von oben bis unten voll von dem natürlichen Baumaterial – vom hellen Holzfußboden über die Stützen und Seitenwände bis hin zur Decke. Der im November 2012 feierlich eingeweihte Büroturm ist mit acht Stockwerken das höchste Holzgebäude in Österreich und weltweit eines der wenigen Hochhäuser aus Holz überhaupt.

Sechs Stockwerke weiter oben hat die Cree GmbH ihren Sitz, und auch hier sind die Wände komplett und die Decken zu einem großen Teil aus Holz. Das Tochterunternehmen des österreichischen Bau- und Bahnkonzerns Rhomberg sowie der Signa Holding und der RIMO Privatstiftung hat als Bauherr vier Millionen Euro in den LCT One investiert, weil er nicht nur ihre Büros beherbergen, sondern auch eine Botschaft transportieren soll: Holz eignet sich nicht nur für Einfamilienhäuser, Kindergärten oder Handwerksbetriebe. "Wir sind sicher, dass man aus dem Material Gebäude mit bis zu 30 Stockwerken errichten kann", sagt Marketingleiter Michael Zangerl. "Der LCT One mit seinen acht Geschossen ist ein Prototyp, mit dem wir die Vorteile des Holzbaus für Hochhäuser nachweisen wollen."

Sein wichtigstes Argument: Wer mit Holz baut, belastet das Klima wesentlich weniger mit CO2. "Im Vergleich zu einer konventionellen Betonbauweise haben wir nur etwa halb so viel Kohlendioxid freigesetzt", rechnet Zangerl vor. "Theoretisch könnte man sogar 90 Prozent vermeiden – allerdings mussten wir wegen der österreichischen Brandschutzvorschriften das Treppenhaus mit dem Aufzugschacht aus Beton bauen." Das verhagelt die Öko-Bilanz des Gebäudes etwas, weil bei der energieintensiven Zementproduktion pro zehn Kilogramm des Materials sechs bis neun Kilogramm CO2 entstehen. Ganz anders sieht die Rechnung beim Einsatz von Holz aus: Bäume speichern große Mengen Kohlendioxid, das für viele Jahrzehnte in den Gebäuden gebunden bleibt.

Dabei muss niemand befürchten, dass der Klimanutzen mit der Abholzung ganzer Landstriche erkauft wird. "Es gibt genug Baustoff, denn wir stellen keine besonderen Anforderungen an das Rohmaterial", versichert Christoph Dünser vom Architekturbüro Hermann Kaufmann in Schwarzach nahe Dornbirn, der das LCT-One-Projekt geleitet hat. "Das Holz für einen LifeCycle Tower mit 20 Geschossen wächst in Österreich in 45 Minuten nach." Selbst wenn man alle Neubauten in Deutschland aus dem Naturstoff errichten würde, bräuchte man dafür nur etwa ein Drittel der jährlichen Holzernte. Zudem liegt der Einschlag in den Wäldern trotz steigender Nachfrage immer noch unter dem Zuwachs: Jedes Jahr kommen hierzulande rund 110 Millionen Kubikmeter Holz hinzu, von denen 2011 aber nur 56 Millionen geerntet wurden.

Immer mehr Bauherren lassen sich von den Vorteilen überzeugen: Rund 15 Prozent der Kleingebäude werden derzeit aus dem Material errichtet. Hochhäuser aus Holz sind hingegen bis jetzt noch die absolute Ausnahme.

Das aber soll sich ändern. "Es gibt viele Initiativen in Richtung Nachhaltigkeit, und manche Regionen wie Oregon in den USA und British Columbia in Kanada fördern den Holzbau ganz gezielt", berichtet Cree-Mann Zangerl. Erste Projekte weisen den Weg: Im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg steht seit 2008 "e_3", die "erste siebengeschossige Holzkonstruktion im großstädtischen Zentrumsbereich Europas", wie die Broschüre des Architektenbüros Kaden + Klingbeil verkündet. Ein weiteres befindet sich seit 2009 im Londoner Stadtteil Hackney: Das Wohngebäude hat neun Stockwerke und besteht ab dem zweiten Geschoss sogar komplett aus Holz. Auch in Australien wollten sich die Holzfans nicht länger mit flachen Häusern begnügen: In Melbourne steht seit Ende 2012 das Apartmenthaus "Forté" mit zehn Stockwerken. Und in Vancouver will man sogar noch höher hinaus: Dort plant der Architekt Michael Green einen 30-stöckigen Wolkenkratzer. Wo die Grenzen liegen, ist derzeit noch nicht abzusehen. Für Green jedenfalls ist in puncto Holzbau jetzt der "Eiffelturm-Moment" gekommen – das Wahrzeichen von Paris war rund 40 Jahre lang das höchste Gebäude der Welt:

"Er wurde errichtet, als niemand große Strukturen verstand – aber er hat gezeigt, was möglich ist, und er hat unsere Vorstellungskraft erweitert." Ermöglicht haben die hölzernen Himmelsstürmer Fortschritte in der industriellen Holzverarbeitung: Dank moderner CNC-Fräsen lassen sich die Fertigbauteile mit einer Genauigkeit von einem Zehntelmillimeter herstellen – bei Beton sind die Fertigungstoleranzen deutlich größer als ein Zentimeter. Die Stützen, Wände und Decken des LCT One wurden fix und fertig an der Baustelle angeliefert und dort nur noch zusammengesetzt. "Die Stützen sind 2,8 Meter hoch und bestehen aus zwölf Fichtenbrettern von jeweils vier Zentimetern Dicke, die aufeinandergeleimt sind", erklärt Architekt Dünser. "Die Wandelemente sind zwölf Meter breit und wie ein Sandwich aufgebaut: Außen liegen zementgebundene Spanplatten, innen Grobspanplatten. Dazwischen ist Steinwolle als Isoliermaterial."

Wenn sie erst einmal an der Baustelle angekommen sind, entsteht aus den Komponenten in Windeseile ein Gebäude: Ein Team von fünf Arbeitern errichtete die Holzkonstruktion des LCT One in nur acht Tagen. "Sie schafften im Schnitt ein Stockwerk pro Tag", erzählt Dünser. Dennoch müssen die heutigen Bewohner auf nichts verzichten: Holz ist im Gegensatz zu Beton und Ziegeln ein guter Isolator – es reflektiert die Wärme im Raum und sorgt für angenehme Temperaturen. Nur bei den Deckenelementen ging es nicht ganz ohne Beton: Während ihre Unterseite aus Holz besteht, ist oben eine Betonschicht aufgebracht. Theoretisch hätte sich diese Hybridkonstruktion vermeiden lassen, aber das wäre unwirtschaftlich gewesen – Holz hält Druckbelastungen nicht so gut stand wie Beton, sodass die Planer sehr große Querschnitte gebraucht hätten. Zudem fordern die Bauvorschriften, dass sich zwischen den Geschossen immer eine Lage aus unbrennbarem Material befindet.

Brände seien aber ohnehin keine Gefahr, beruhigen die Konstrukteure des LCT One. Vor dem Bau hat Cree die Komponenten des Gebäudes ausgiebig getestet. "Dabei wurden beispielsweise komplette Deckenelemente mit Brennern von unten auf 1000 Grad erhitzt", berichtet Dünser. "Die Vorschriften verlangen, dass die Oberseite auch nach 90 Minuten höchstens 120 Grad warm wird – was wir problemlos nachweisen konnten."

Aus seiner Sicht widersteht Holz einem Feuer mindestens genauso gut wie Stahl oder Beton: "Holz brennt mit einer bekannten Rate von etwa 0,6 Millimetern pro Minute ab, was wir bei der Dimensionierung der Komponenten berücksichtigen können", so der Architekt. "Bei Stahl und Beton kommt es bei einem Brand hingegen zu einem plötzlichen Versagen der Struktur." So erhitzt das Feuer zum Beispiel Wasser, das im Beton gebunden ist – wird seine Temperatur zu hoch, sprengt der entstehende Wasserdampf Löcher in das Material und verringert so seine Tragfähigkeit. "Für die Menschen in den Büros ist der LCT One genauso sicher wie ein herkömmliches Gebäude", versichert Kurt Giselbrecht von der Brandverhütungsstelle Vorarlberg, der als Sachverständiger bei der Konzeption des Neubaus beteiligt war. "Bei einem Brand können sie es sicher und in kurzer Zeit verlassen. Ein Krankenhaus würde ich aber nicht aus Holz bauen, weil es deutlich länger dauern würde, die Patienten zu evakuieren."

Eine Klinik aber steht momentan bei Cree ohnehin nicht an. Zurzeit baut das Unternehmen eine gute Autostunde von Dornbirn entfernt in Vandans das neue Wasserkraft-Kompetenzzentrum der Vorarlberger Illwerke AG. Der Rohbau ist malerisch zwischen einem Berg und dem unteren Becken eines Pumpspeicherkraftwerks gelegen, und an ihm lässt sich der modulare Aufbau aus Fertigbauteilen noch gut erkennen: Die Außenwände der Bürofluchten bestehen wie in Dornbirn aus vorfabrizierten Elementen mit Fenstern und Holzstützen, auf die die Deckenelemente aus Holz und Beton aufgesteckt werden. Das "Illwerke Zentrum Montafon" (IZM) ist zwar nur 21 Meter hoch – dafür aber 120 Meter lang. Nach seinem Bezug im September 2013 soll es Büros für rund 270 Menschen bieten. "Das IZM wird eines der größten Bürogebäude Europas in Holzbauweise sein", so Zangerl. Ihm zufolge eignet sich der Holzbau aus Fertigteilen für 80 bis 90 Prozent aller Bürogebäude.

Aus Dünsers Sicht hätte die nachhaltige Bauweise sogar einen positiven Effekt auf die lokale Wirtschaft: Da die Wertschöpfung weitgehend in der Region bleibt, könnten die Bauern wieder von der Bewirtschaftung ihrer Wälder leben und sich mehr um den Baumbestand kümmern. "In der Vergangenheit haben sie die Fichten wegen des niedrigen Holzpreises einfach stehen lassen, bis sie alt waren", berichtet der begeisterte Skiwanderer.

Als Flaschenhals für die Errichtung der Holzhochhäuser dürfte sich daher nicht die Menge an Holz erweisen – eher schon der Mangel an gut ausgebildeten Architekten. "Es gibt nicht viele, die den Holzbau beherrschen", sagt Dünser. Das Problem sieht auch Tom Kaden vom Berliner Architekturbüro Kaden + Klingbeil, der den Holz-Siebengeschosser "e_3" geplant hat: "Nur wenige Universitäten wie die TU München haben eine gute Holzbau-Ausbildung." Aber wenn der Holz-Boom so weitergeht, wachsen die jungen Architekten vielleicht bald genauso schnell nach wie die Fichten in Vorarlberg. (bsc)