Neuartiger Chip ahmt das Gehirn in Hardware nach

Am biologischen Vorbild orientierte neuronale Netze sind bemerkenswert gut in der Mustererkennung – brauchen dafür aber extrem viel Rechenkraft. US-Forscher haben jetzt eine effizientere Variante gebaut.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Tom Simonite

Am biologischen Vorbild orientierte neuronale Netze sind bemerkenswert gut in der Mustererkennung – brauchen dafür aber extrem viel Rechenkraft. US-Forscher haben jetzt eine effizientere Variante gebaut.

Forscher an zwei US-Universitäten haben einen neuartigen Chip entwickelt, der ausschließlich aus Memristoren besteht – exotische Elektronik-Bausteine, deren Existenz erst seit 2008 belegt ist und die ähnlich funktionieren wie ein natürliches Gehirn. Der Prototyp kann nicht mehr, als extrem einfache Schwarz-Weiß-Muster zu erkennen. Größere und komplexere Versionen aber könnten Computer weitaus besser darin machen, Sprache, Bilder und die Welt um sie herum zu verstehen.

Der Chip, konstruiert von Forschern der University of California in Santa Barbara (UCSB) und der Stony Brooks University, verarbeitet Daten nicht mit digitalen Logik-Schaltkreisen, sondern mit Elementen, die in vereinfachter Form die Neuronen und Synapsen in biologischen Gehirnen nachbilden. Wenn ein solches Netzwerk neue Daten erhält, "lernt" es: Die Synapsen, die als Verbindung zwischen den Neuronen dienen, passen sich so an, dass sich der Einfluss der unterschiedlichen Neuronen aufeinander verändert.

In Software realisierte künstliche neuronale Netze gibt es seit Langem, und mit großen Versionen davon haben Unternehmen wie Google oder Facebook zuletzt Durchbrüche bei Sprach- und Gesichtserkennung erreicht. Für konventionelle Computer sind solche neuronalen Netze allerdings eine schwere Last: Ein Google-Experiment, bei dem ein großes neuronales Netz lernte, in YouTube-Bildern Katzen zu erkennen, beschäftigte 16.000 Prozessoren über drei Tage. In Chip-Form realisierte neuronale Netze dagegen haben das Potenzial, diese Art von Informationsverarbeitung deutlich stromeffizienter und praktikabler zu machen. dadurch könnten zum Beispiel mobile Roboter deutlich intelligenter werden.

Vom Hirn inspirierte – neuromorphe – Chips gibt es schon länger, und IBM versucht derzeit, sie zu kommerzialisieren. Im Allgemeinen nutzen sie dieselben Silizium-Transistoren und digitalen Schaltkreise, die auch in normalen Prozessoren zu finden sind. Die aber sind für die Nachbildung von Synapsen schlecht geeignet, sagt Dmitri Strukov, Assistant Professor an der UCSB, der die Arbeit an dem neuen Chip geleitet hat. Um eine einzelne Synapse nachzubilden, braucht man viele Transistoren und Schaltkreise. Bei Strukovs Chip dagegen wird jede der ungefähr 100 Synapsen von einem einzelnen Memristor repräsentiert.

"Eine biologische Synapse ist ein analoges Speichermedium, und es gibt keine wirklich gute Methode, um das mit konventioneller Technologie kompakte und energieeffizient umzusetzen“, erklärt Strukov. "Memristoren dagegen sind selbst analoge Speicher. Sie passen perfekt."

Der Memristor-Chip wurde Anfang Mai in einem Fachaufsatz in der Zeitschrift Nature beschrieben. In einem Kommentar zu dem Projekt schreibt Robert Legenstein, Associate Professor an der Technischen Universität Graz: „Wenn sich das Design zu großen Netzwerken hochskalieren lässt, wird es Auswirkungen auf die Zukunft des Computing haben. Laptops, Mobiltelefone und Roboter könnten mit neuromorphen Chips mit extrem niedrigem Stromverbrauch ausgestattet werden, die visuelle, akustische und andere Arten von Sinnesinformationen verarbeiten.“

Mathematisch wurden Memristoren schon 1971 von Leon Chua, einem Elektronik-Professor an der University of California in Berkeley, beschrieben. Als "gefunden“ wurden sie erklärt, nachdem Forscher bei Hewlett-Packard, zu denen auch Strukov gehörte, einfache Komponenten bauten, deren elektrischer Widerstand eine Art Speicher für die vorher an sie angelegte Spannung bildete. Das war genau die von Chua vorausgesagte Eigenschaft. Sofort war davon die Rede, dass das Prinzip für dichtere Datenspeicherung und neuronale Netze aus Hardware genutzt werden könnte.

HP und der Speicherhersteller SK Hynix versuchen seit 2010, Memristor-Datenspeicher zu kommerzialisieren. HP setzt sogar darauf, dass die Technologie eine radikale Neudefinition der Grundarchitektur von Computern möglich machen wird. Bislang aber hatte es laut Strukov niemand geschafft, einen Chip für ein neuronales Netz nur aus Memristoren zu bauen. Seine Gruppe habe Methoden entwickelt, um den Prozess der Memristoren-Herstellung so zu kontrollieren, dass sie zuverlässiger funktionieren als zuvor, erklärt er.

Der einfache Chip von Strukovs Gruppe ist zunächst einmal nur ein Nachweis der Machbarkeit. Aber die Forscher sind der Ansicht, dass sich ihre Techniken skalieren lassen, um größere und leistungsfähigere Chips zu produzieren. Die Bemühungen von Unternehmen wie HP und SK Hynix um eine Kommerzialisierung von Memristoren für Speicherzwecke können dabei nur helfen, erklärt Strukov.

(sma)