Neue Biosensoren sollen Viren und Umweltgifte detektieren

20 Jahre nach dem Hype um die molekulare Elektronik stellt Roswell Biotechnologies mithilfe von EinzelmolekĂĽlen bessere Biosensorchips her.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 10 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Karmela Padavic-Callaghan
Inhaltsverzeichnis

1999 hatte der Chemiker Jim Tour von der Rice University große Träume. Er war Mitgründer der Molecular Electronics Corporation, die einzelne Moleküle zur Herstellung einer neuen Art von elektronischem Speicher verwenden wollte. In 2000 prophezeite Tour in der Zeitschrift Wired eine Zukunft, in der die Molekularelektronik die Schaltkreise auf Siliziumbasis überholen und Computerchips immer dichter und leistungsfähiger machen würde. Diese Vision war allerdings kurzlebig: Fünf Jahre später hatte Flash den Speichermarkt erobert, Silizium dominierte weiterhin die Chiptechnologie und Tour stieg aus dem Geschäft mit der Molekularelektronik aus. Das einst gut finanzierte Feld brach fast zusammen.

Jetzt hofft das in San Diego ansässige Start-up Roswell Biotechnologies, der Molekularelektronik zu einer zweiten Chance zu verhelfen. Tour sitzt im wissenschaftlichen Beirat von Roswell und ist bereit. "Ich habe die ganze Zeit gesagt, dass diese Sache funktionieren kann", sagt er.

Statt auf Computerschaltkreise zu zielen, konzentriert sich Roswell auf die Integration einzelner Moleküle in elektronische Biosensor-Schaltkreise. Von diesem Ansatz erhoffen sich viele, dass er bald eine billige und bequeme Möglichkeit bieten wird, Viren zu detektieren, Umweltgifte aufzuspüren und die Wirkung von Arzneimitteln in Echtzeit zu bewerten.

Im Januar meldete das Unternehmen in der Fachzeitschrift "PNAS" einen entscheidenden Fortschritt: Es hatte einen Satz von 16.000 funktionalen molekularen Biosensoren vollständig in die Schaltkreise eines Halbleiterchips integriert. Das zeigt, dass diese Chips mit bestehenden Fertigungsmethoden im kommerziellen Maßstab hergestellt werden können und könnten laut Barry Merriman, dem Mitbegründer und Roswells Wissenschaftsvorstand, nur wenige Dollar pro Stück kosten.

"Es ist ein großartiges Konzept. Ich denke, es ist längst überfällig, dass die Chip-Hersteller etwas für uns in den Biowissenschaften tun", sagt Nils Walter, Chemiker an der University of Michigan und Mitbegründer von aLight Sciences. Dieses Unternehmen entwickelt ebenfalls einzelne Moleküle als Biosensoren, allerdings mit dem Unterschied, dass es Fluoreszenz, also die Emission von Licht, und nicht elektrische Signale zum Auslesen der Ergebnisse nutzt.

Roswell ist nicht das einzige Unternehmen, das chipbasierte Biosensoren entwickelt. Dynamic Biosensors mit Sitz in München bietet beispielsweise Chips mit DNA-basierten Sensoren an, die mit Licht arbeiten. Der Herstellungsansatz von Roswell erzeuge jedoch präzise Sensoren, die flexibel genug für einen "universellen Biosensor" sind, die mit modernen Chip-Herstellungstechniken in Massenproduktion hergestellt werden können, sagt Merriman.

Um Tausende von Sensoren zusammenzusetzen, zieht Roswell mit elektrischer Spannung Moleküle aus einer Lösung auf einen Siliziumchip, der mit vorgefertigten Nanoelektroden bestückt ist.

(Bild: Roswell Biotechnologies)

Das Herzstück von Roswells Schaltkreisen ist ein molekularer Draht, der aus einer Kette von Aminosäuren besteht und mit dem Rest des Chips verbunden ist – ganz wie ein normaler Metalldraht es wäre. Um einen Sensor zu erzeugen, bringt das Labor ein Molekül am anderen Ende des Drahtes an. Wenn dieses Molekül mit dem vorgesehenen Ziel interagiert – das kann ein DNA-Strang, ein Antikörper oder ein anderes biologisch relevantes Molekül sein – ändert sich seine elektrische Leitfähigkeit. Der Chip zeichnet diese Veränderung auf und eine Software extrahiert die entsprechenden Interaktionsdetails.

Um Tausende von Sensoren zusammenzusetzen, zieht Roswell mit elektrischer Spannung Moleküle aus einer Lösung auf einen Siliziumchip, der mit vorgefertigten Nanoelektroden bestückt ist. Dieser Teil des Montageprozesses dauert weniger als zehn Sekunden. In der Vergangenheit dauerten ähnliche molekulare Prozesse Stunden oder sogar Tage.

Roswells Ansatz könnte einige der Hoffnungen wiederbeleben, die Forscher vor 20 Jahren in die molekulare Elektronik setzten. Damals schien es, dass die geringe Größe von Molekülen dazu beitragen könnte, Schaltungskomponenten kleiner und Computerchips dichter zu machen. Interessanterweise könnte ein molekularer Chiphersteller im Prinzip Schaltkreise "selbst zusammenbauen", indem er Moleküle unter streng kontrollierten Bedingungen hinzufügt und sie ganz von selbst zu den gewünschten Strukturen zusammensetzen lässt, erklärt Harvard-Genetiker George Church, der ebenfalls Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Roswell ist.

Die Begeisterung über solche molekularen Eigenschaften führte in den späten neunziger Jahren zu einem raschen Wachstum der molekularen Elektronik. Es schien der perfekte Zeitpunkt zu sein. "In den achtziger und neunziger Jahren gab es all diese Vorhersagen, dass Silizium an seine Grenzen stoßen würde", erinnert sich Tour. Aber das war nicht der Fall; die Ingenieure arbeiteten weiter daran. "Wir haben nicht auf ein statisches Ziel geschossen. Silizium wurde einfach immer leistungsfähiger", sagt er. Der darauffolgende Niedergang der Molekularelektronik war ziemlich dramatisch, sagt Philip Collins, ein Physiker von der University of California Irvine, der Roswell früher beraten hat: "Ich würde sagen, neun von zehn Forschern sind ausgestiegen."

Mit dem neuen Chip hat Roswell nun eine Anwendung im Auge, für die Silizium schlecht geeignet ist. Moleküle sind etwas Besonderes, weil "sie so viel komplexer sein können als binär", sagt Collins. "Sie können all diese interessanten unterschiedlichen Zustände kodieren, wie in der Biochemie, auf die wir auf andere Weise nicht zugreifen können."

Die neue Vision von Roswell und anderen Herstellern von On-Chip-Molekulartechnologie umfasst Biosensoren, die es ermöglichen, Biomarker wie den Vitaminspiegel oder Anzeichen einer Infektion mit nur wenig mehr Aufwand zu überprüfen, als es heute nötig ist, ihre Herzfrequenz auf einer Smartwatch zu kontrollieren. Im Fall von Roswell könnten Tausende von Biosensoren gleichzeitig verschiedene molekulare Interaktionen erkennen, und die Chips wären Einwegartikel.

Nils Walter von der University of Michigan zufolge kann Roswells Gerät zwar mehr als 10.000 Biosensoren auf einem Chip unterbringen, aber Hunderttausende oder Millionen mehr würden dem Gerät zu einer marktfähigeren Funktionalität verhelfen. Insbesondere wenn es darum geht, niedrige Konzentrationen von Biomarkern im Frühstadium einer Krankheit zu erkennen.

Der kommerzielle Biotechnologiemarkt ist für Church, Merriman und andere Unternehmensleiter kein neues Terrain. Doch die Erfahrung und das Fachwissen des Roswell-Teams haben die Finanzierung des Unternehmens nicht so einfach gemacht, wie Geschäftsführer Paul Mola es einst gehofft hatte. Nach der Gründung des Unternehmens im Januar hatte Mola erwartet, dass das Risikokapital in Strömen fließen würde. Doch das sei nicht der Fall gewesen. Obwohl Roswell bisher mehr als 60 Millionen Dollar vor allem von strategischen Investoren und Vertretern wohlhabender Familien eingeworben hat, musste das Unternehmen im Februar fast die Hälfte seiner Belegschaft entlassen.

Mola ist frustriert über den Mangel an Investitionen in das Unternehmen, das seiner Meinung nach kurz vor der Kommerzialisierung steht. „Wir haben das Gefühl, dass wir mit so wenig viel erreicht haben“, sagt er. "Jetzt brauchen wir wirklich die Unterstützung der Gemeinschaft und dass sie uns den ganzen Weg begleitet." Dass es nicht so ist, schreibt der schwarze Unternehmer zum Teil der problematischen Erfolgsbilanz der Biotech-Branche in Bezug auf Vielfalt. "Wenn man an Unternehmer und Gründer denkt, dann hatten sie in der Regel einen Unternehmer in ihrer Familie, sie haben Netzwerke und Zugang zu Investoren. Aus systemischer und grundlegender Sicht haben schwarze Gründer das nicht“, sagt Mola. "Ich habe das nicht."

Roswell ist immer noch auf Kurs, um bis Ende des Jahres ein kommerzielles Gerät auf den Markt zu bringen, sagt Mola. Das Start-up steht kurz vor dem Start seiner nächsten Finanzierungsrunde. Außerdem führt es eine Dienstleistung ein, die Kunden anlocken könnte, bevor das Unternehmen ihnen fertige Chips verkaufen kann: Es bietet Wissenschaftlern an, ihre Proben an Roswell zu schicken und dessen molekulare Biosensoren für sich arbeiten lassen – um wertvolle Daten etwa über die Echtzeitfunktion von neuen Medikamenten zu sammeln.

Für Tour ist die Arbeit von Roswell weiterhin ein Symbol für die Wiedergeburt der molekularen Elektronik: "Es ist schön zu sehen, dass etwas passiert, und zu sagen: Okay, es hat funktioniert, wir haben nur länger gebraucht, als wir dachten."

(vsz)