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Neue Erkenntnisse zum Beginn von Corona: Experte geht nicht von Laborunfall aus

Jane Qiu

Stadtansicht von Wuhan.

(Bild: Willem Chan / Unsplash)

Ein erfahrener Evolutionsbiologe hat neue Daten entdeckt, die die These vom Beginn der Pandemie auf einem Tiermarkt belegen sollen.

Michael Worobey war sich lange nicht sicher, woher das Coroanavirus stammt. Während der Pandemie hat der Professor an der University of Arizona untersucht, wie sich der Erreger im Laufe der Zeit veränderte – und gehörte auch zu einer Gruppe von 18 einflussreichen Wissenschaftlern, die im Mai einen vielbeachteten offenen Brief unterzeichneten, in dem sie weitere Forschungen nach der tatsächlich Herkunft von SARS-CoV-2 forderten [1]. Die Theorie, ob das Virus womöglich durch einen Laborunfall entkommen ist, müsse endlich untersucht werden.

Jetzt hat Worobey in der Zeitschrift "Science" eine neue Studie veröffentlicht, die darauf hindeutet, dass der früheste diagnostizierte Fall von Corona falsch verstanden wurde [2] und dass der Huanan-Wildtiermarkt in Wuhan mit ziemlicher Sicherheit der Ort war, an dem das SARS-CoV-2-Virus von Tieren auf Menschen übergesprungen ist. Die Theorie vom sogenannten Spillover-Virus dürfte die Debatte um die Suche nach den Ursprüngen des Coronavirus neu entfachen.

Was er herausfand – nicht nur, dass es wohl keine offensichtliche Voreingenommenheit bei den Untersuchungen gab, sondern auch, dass viele der ersten diagnostizierten Fälle von COVID-19 entweder Menschen waren, die auf dem Markt arbeiteten oder in der Nähe wohnten – hat ihn zu der Überzeugung gebracht, dass es unwahrscheinlich ist, dass das Virus aus einem Laborleck stammt.

Huanan, ein einst belebter Markt im Zentrum von Wuhan, der täglich von Tausenden von Einkäufern besucht wurde, stand im Mittelpunkt der hitzigen und oft erbitterten Debatte über den Ursprung der Pandemie. Als Folge wurde der Markt geschlossen – und viele der ersten Fälle von COVID-19 wurden mit ihm in Verbindung gebracht. Aber eben nicht alle. Der Markt war auch ein berüchtigter Ort, an dem man lebende Tiere kaufen und vor Ort schlachten lassen konnte und der als Brutstätte für Seuchen geeignet war. Mehrere Restaurants in der Nähe waren dafür bekannt, sogenanntes Yewei ("Wildgeschmack") von Tieren zu servieren, die nicht nur gerade frisch getötet worden waren, sondern auch aus Wildbeständen kamen. Schlangen, Bambusratten, Waschbärhunde – sie wurden in übereinander gestapelten Käfigen gehalten.

Der Markt befindet sich zudem in der Nähe eines Kindergartens, einiger Einkaufszentren und Dutzender von Wohnhochhäusern. Er ist auch nur eine halbe Meile vom Hankou-Bahnhof entfernt, durch den täglich Tausende von Menschen strömen, wobei die Zahl der Reisenden während des Chunyun, der "Wanderung" zum Frühlingsfest im Januar, mit gut 100.000 ihren Höhepunkt erreicht. (Sowohl das alte SARS als auch COVID-19 gerieten während des Chunyun-Festes außer Kontrolle.)

Die genaue Rolle von Huanan bei der Ausbreitung von COVID-19 ist seit Beginn der Pandemie umstritten. Eine von drei Personen unter den 174 Patienten, die im Dezember 2019 erkrankten [3], war auf dem Markt gewesen, aber Epidemiologen für Infektionskrankheiten wie William Hanage von der Harvard University haben argumentiert, dass dies ein Ablenkungsmanöver sein könnte. "Wenn Menschen eine Häufung atypischer Lungenentzündungen sehen, neigen sie dazu, nach dem nächstgelegenen Markt zu suchen. Sie sagen: Oh, sieh mal, der Markt! Das muss der Markt sein!", sagt er. Zudem glaubt er, dass diese Annahme, wenn sie falsch war, zu einer Art von Zyklus geführt haben könnte, der die Rolle von Huanan unverhältnismäßig stark betonte. Gleichzeitig hätten dann eine große Zahl von Fällen in anderen Teilen der Stadt übersehen werden können. "Man neigt dazu, dort, wo man Fälle erwartet, genau hinzuschauen – und nicht dort, wo man sie eben nicht erwartet", sagt Hanage.

Worobey, der laut dem Virologen David Robertson von der Universität Glasgow dafür bekannt ist, ein Faible für "wilde Theorien" zu haben, bürstet gerne gegen den Strich und setzt sich mit aktuell heiß diskutierten Theorien auf dem Gebiet der Erreger auseinander. Während der Pandemie, so Robertson, habe sein Kollege zunächst versucht, die Theorie eines natürlichen Ursprungs zu durchlöchern, indem er die Frage stellte, ob die offensichtliche Verbindung zwischen den frühen COVID-19-Fällen und Huanan real oder eine Fata Morgana ist.

Anhand der lückenhaften und bruchstückhaften Informationen, die er erhalten konnte, zeichnete Worobey nach, wie die ersten 20 COVID-19-Patienten in drei Krankenhäusern in Wuhan diagnostiziert wurden (bis zum 30. Dezember wurden insgesamt 27 Fälle als verdächtig eingestuft). Er fand heraus, dass die Ärzte die Fälle anhand der klinischen Manifestation der Krankheit identifizierten, insbesondere anhand der Merkmale eines CT-Scans der Lunge, unabhängig von ihrer früheren Exposition in Huanan. Es stellte sich heraus, dass neun von ihnen Arbeiter auf dem Markt waren, während ein Patient, der nicht mit dem Markt in Berührung gekommen war, Freunde hatte, die dort arbeiteten und ihn zu Hause besucht hatten.

Worobeys Studie kommt zu dem Schluss, dass dies alles geschah, bevor die Gesundheitsbehörden in Wuhan ihre Aufmerksamkeit auf den Huanan-Markt richteten – und daher die Diagnose nicht verfälscht haben können: Der Markt stand tatsächlich im Mittelpunkt der ersten Fälle und war nicht das Ergebnis davon, dass die Ärzte mehr SARS-CoV-2 an jenen Orten sahen, an denen sie mehr Zeit mit ihrer Untersuchung verbrachten.

Worobey behauptet auch, dass der Patient, von dem man bisher annahm, er sei der erste dokumentierte Fall von COVID-19 – und der keine frühere Begegnung mit dem Huanan-Markt hatte – fälschlicherweise als das bezeichnet worden sein könnte. Die WHO hatte zuvor berichtet, dass bei einem 41-jährigen Buchhalter am 8. Dezember 2019 COVID-19-ähnliche Symptome diagnostiziert worden waren, was ihn zum sogenannten "Indexfall" ("Patient Zero") machte. Laut einem Videobericht in chinesischen Medien, Krankenhausunterlagen, die Worobey online fand, sowie einer wissenschaftlichen Abhandlung [4] zum Thema wurde bei dem Mann jedoch zunächst ein Zahnproblem diagnostiziert und er entwickelte erst acht Tage später COVID-19-Symptome.

Wenn sich diese Person später als ursprünglich angenommen mit dem Erreger angesteckt hat, würde das bedeuten, dass eine Frau namens Wei Guixian, die am 11. Dezember erkrankte, tatsächlich die erste dokumentierte COVID-19-Patientin war. Wei verkaufte Garnelen auf dem Huanan-Markt. Worobeys Detektivarbeit liefert auch wichtige Hinweise auf ein anderes Rätsel über die frühe Ausbreitung der Krankheit.

Ältere Studien, die sich mit den Genomsequenzen einiger der am frühesten diagnostizierten Patienten befassten, zeigen, dass sich das Virus im Dezember 2019 bereits in mindestens zwei Linien aufgeteilt hatte [5]: Stamm A, die von den am frühesten gemeldeten Patienten stammt – die in den Wochen vor ihrer Erkrankung nie den Huanan-Markt besucht hatten – und Stamm B, die von denjenigen stammt, die vor Ort waren. Verwirrenderweise scheinen die Genome des Stammes A – im Gegensatz zu denen der Huanan-Patienten – enger mit Fledermausviren verwandt zu sein, die als Urväter von SARS-CoV-2 gelten.

Die Virologen wissen immer noch nicht genau, ob der eine Stamm den anderen hervorgebracht hat oder ob sie Geschwister waren. Aber die Unterschiede haben Zweifel daran aufkommen lassen, ob die Seuche tatsächlich in Huanan ausgebrochen ist. Worobeys Untersuchung zeigt, dass die Genome des Stammes A von der ersten gemeldeten Gruppe von COVID-19-Fällen abstammen: einem älteren Ehepaar und seinem Sohn. Obwohl keiner von ihnen in letzter Zeit Huanan besucht hatte, wohnte das Ehepaar nur wenige Häuserblocks entfernt im Yangchahu-Viertel und ging dort auf einen nahegelegenen Markt. Es wurde vermutet, dass auf dem Markt lebendes Geflügel verkauft wurde, aber es ist unklar, ob dort auch lebende Säugetiere verkauft wurden, die für SARS-CoV-2 empfänglich sind.

Das nächstfrühere Genom des Stammes A kommt von einem COVID-19-Patienten, der kurz vor seiner Erkrankung in einem Hotel in der Nähe des Huanan-Marktes übernachtet hatte. Worobey stellte außerdem fest, dass diese geografische Nähe nicht auf den ersten Cluster beschränkt ist. Tatsächlich lebten viele der mehr als 100 COVID-19-Patienten, die im Dezember 2019 erkrankten und bei denen kein epidemiologischer Zusammenhang mit Huanan bekannt war, in dessen unmittelbarer Nähe.

Dies, so Worobey, ist ein deutlicher Beweis dafür, dass die Übertragung in der Community um den Markt herum begann und bereits im Gange war, als die ersten COVID-19-Fälle auftraten – was erklären könnte, warum viele Erstfälle keine frühere Exposition im Markt hatten, zumal wir jetzt wissen, dass viele infizierte Menschen mit sehr leichten oder gar keinen Symptomen das Virus verbreiten können. Harvard-Forscher Hanage ist noch nicht davon überzeugt, dass Wei, die Huanan-Marktverkäuferin und nicht der Buchhalter der erste dokumentierte COVID-Patient war. Es sei nicht ideal, bei epidemiologischen Untersuchungen auf nicht verifizierbare Quellen zurückgreifen zu müssen, sagte er in einer E-Mail. "Aber das ist es eben, womit wir arbeiten müssen."

Dennoch stimmt Hanage Worobey zu, dass es überzeugende Beweise gegen eine mögliche Verzerrung bei der Erfassung der Daten gibt. Und er fügt hinzu, dass die Frage, wer der Indexfall war, keinen Einfluss auf das Gesamtbild hat – denn angesichts dessen, was wir über das Virus wissen, "sollten wir nicht erwarten, dass die ersten festgestellten Patienten auch die ersten Infizierten sind". Dennoch: Es stehe außer Frage, dass der Markt die eigentliche Quelle der Pandemie ist.

Doch nicht jeder ist davon überzeugt. Virginie Courtier, Genetikerin und Evolutionsbiologin an der Universität Paris, meint, dass die bekannten COVID-19-Patienten nur einen Bruchteil der Gesamtzahl der tatsächlichen Fälle ausmachen könnten, so dass Worobeys Studie einige alternative Szenarien nicht ausschließen könne. Sie stimmt aber zu, dass es den Anschein hat, dass "auf dem Markt wirklich etwas passiert ist, aber ich bin mir nicht sicher, ob es eine Übertragung von Tier zu Mensch oder von Mensch zu Mensch war". Es sei immer noch möglich, dass ein kontaminierter Labormitarbeiter in der Nähe des Marktes lebte, dorthin ging und ein Superspeader-Ereignis verursachte. Es gab keine der verräterischen Anzeichen, die bei späteren Ausbrüchen beobachtet wurden: "Wir können nicht sicher sein."

Worobey glaubt eher nicht an ein Superspreader-Event. Auf dem Tiermarkt seien regelmäßig lebende Säugetiere, die für SARS-CoV-2 empfänglich sind, verkauft worden – und das auf eine Art und Weise, die der Entstehung von SARS sehr ähnlich war. Mit anderen Worten: Bei einem Superspreader-Ereignis hätte es auch andere Orte treffen können. "Wir müssen uns auch die Gesamtheit der Beweise ansehen."

Dazu gehört die Erkenntnis, dass viele der frühen symptomatischen Patienten in dem Teil des Marktes arbeiteten, in dem – laut einer Quelle, die nicht genannt werden wollte, um mögliche Probleme zu vermeiden – bis Ende 2019 regelmäßig lebende Säugetiere verkauft wurden, die für SARS-CoV-2 anfällig waren. Das stimmt weitgehend mit den Orten überein, an denen Umweltproben, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, gesammelt wurden, obwohl unsere Quelle betont, dass diese Verbindungen nur grob sind und weiter untersucht werden müssen.

"Ich gehörte früher zu den Leuten, die glaubten, dass es sich bei den Ereignissen auf dem Huanan-Markt nur um eine Verstärkung handelt", sagt Worobey. Ein weiterer Faktor, der seine Meinung änderte, war das bessere Verständnis verblüffender Parallelen zwischen SARS und SARS-CoV-2, die seiner Meinung nach erst jetzt voll zum Tragen kommen. Die meisten Leute denken, die Entstehungsgeschichte von SARS sei abgeschlossen und erledigt. Doch als Worobey sich die Sache genauer ansah, stellte er fest, dass es noch "unerledigte Jobs" gibt, wie er sagt. "Die SARS-Entstehung wird oft missverstanden und viel zu wenig gewürdigt."

Im November 2002 – fast genau 17 Jahre vor dem Auftreten der ersten COVID-19-Fälle [6] – gelangte SARS-CoV-1 über Zibetkatzen, Dachse und Marderhunde, [7] die auf einem Nassmarkt in der südchinesischen Provinz Guangdong verkauft wurden, an Wildtierhändler. An der Seuche erkrankten 8.000 Menschen und fast 800 starben. Seitdem haben Wissenschaftler festgestellt, dass Nassmärkte ein perfektes Umfeld für Viren bieten, in dem sie sich vermischen, mutieren und neu formieren können, um Stämme zu schaffen, die für Menschen tödlich sind.

Als Konsequenz aus der Rolle, die die Märkte bei SARS spielten, verschärfte China die Vorschriften für den Handel mit Wildtieren, indem es von den Verkäufern verlangte, die Herkunft der Tiere anzugeben und Quarantänemaßnahmen einzuhalten. Gleichzeitig wurde eingeschränkt, welche Arten lebend auf dem Markt gehandelt werden dürfen.

"Die Strafen für Zuwiderhandelnde können hart sein", sagt Zhou Zhaomin, Experte für den Handel mit Wildtieren an der China West Normal University in Nanchong. Wer mit geschützten Arten erwischt wird, dem drohen bis zu 15 Jahre Haft, und wer sie in ausreichender Zahl nach China ein- oder herausschmuggelt, kann lebenslang verurteilt werden.

Doch die Umsetzung der Gesetze war mangelhaft. Mehrere Forscher erklärten gegenüber MIT Technology Review, es sei "ein offenes Geheimnis", dass der illegale Handel mit Wildtieren in China weit weithin verbreitet sei. Tatsächlich führten Zhou und seine Kollegen zwischen 2017 und 2019 eine Untersuchung durch [8], die ergab, dass auf vier Märkten in Wuhan, darunter Huanan, insgesamt fast 48.000 Wildtiere aus 38 Arten verkauft wurden, von denen fast alle lebendig, in Käfigen und unter beengten, unhygienischen Bedingungen angeboten wurden. Die eignet sich perfekt für die Übertragung von Viren. Unter den Tieren, die entweder in freier Wildbahn gefangen oder gezüchtet und nicht domestiziert wurden, befinden sich Arten, die sowohl für SARS-CoV-1 als auch für SARS-CoV-2 empfänglich sind – darunter auch Zibetkatzen, Nerze, Dachse und Marderhunde.

Diese Studie ergab, dass der gesamte Handel mit Wildtieren, den die Forscher untersuchten, illegal war. Viele Händler verkauften geschützte Arten. Keiner von ihnen stellte die erforderlichen Bescheinigungen aus, woraus hervorgeht, woher die Tiere stammen oder dass sie frei von Krankheiten sind.

Sobald Huanan also früh mit COVID-19 in Verbindung gebracht wurde, nahmen wohl die Händler Reißaus, die lebende Säugetiere – höchstwahrscheinlich illegal – verkauften, um einer Inhaftierung zu entgehen. Es ist anzunehmen, dass die Strafverfolgungsbehörden derlei Verhalten wahrscheinlich nicht zugeben würden. In Anbetracht dessen sei es nicht überraschend, dass die chinesischen Behörden keine Hinweise auf den Verkauf von lebenden Tieren auf dem Huanan-Markt gefunden hätten, so Hanage aus Harvard.

Nach dem Ausbruch von SARS gab es nur minimale Beschränkungen für den Handel mit Wildtieren, was den Wissenschaftlern nahezu unbegrenzten Zugang zu den Tieren und Händlern auf den Märkten in Guangdong ermöglichte. Aber selbst das reichte nicht aus, um die Quelle von SARS zu finden.

Zwar wurden schnell Viren bei Zibetkatzen, Dachsen und Marderhunden gefunden, die zu mehr als 99 Prozent mit SARS-CoV-1 identisch waren [9], doch die anschließenden Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf eine weite Verbreitung des Virus, weder in freier Wildbahn noch unter Zuchtbedingungen. Die vorherrschende Meinung ist, dass sich die Zibetkatzen das Virus beim Handel zugezogen haben, höchstwahrscheinlich von Fledermäusen, die zur gleichen Zeit ge- und verkauft wurden.

Heute, 18 Jahre später, ist die Situation verblüffend ähnlich. Es scheint keine weit verbreitete Zirkulation von SARS-CoV-2 bei Tieren zu geben. Bei keiner der rund 80.000 Proben, die das chinesische Team der Weltgesundheitsorganisation bei der Suche nach den Ursprüngen der Pandemie getestet hat – darunter die Hauptverdächtigen wie Schuppentiere, Zibetkatzen, Dachse und Bambusratten – konnte das Virus nachgewiesen werden.

Dennoch neigen viele Wissenschaftler nach wie vor zu der Theorie, dass solche Märkte mit lebendigen Tieren eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung von COVID-19 gespielt haben. Obwohl der Fokus auf Yunnan und andere Teile Südostasiens liegt, wo die Pandemie am wahrscheinlichsten ihren Ursprung hat, sagt Hanage, dass es "nicht völlig verrückt ist", zu vermuten, dass SARS-CoV-2 in der Provinz Hubei in Wuhan auf natürliche Weise entstanden sein könnte.

Tatsächlich haben Wissenschaftler des Wuhan Institute of Virology bei Fledermäusen in Hubei SARS-ähnliche Coronaviren gefunden [10]. Obwohl sie Nutztiere in der Provinz nicht systematisch auf Coronavirus-Infektionen untersucht haben, fanden sie in einer wenig bekannten Studie [11], die in der Zeit nach SARS durchgeführt wurde, heraus, dass die sieben Zibetkatzen, die sie 2004 in einer Farm in der Provinz getestet hatten, alle mit Verwandten von SARS-CoV-1 infiziert waren. Mehrere Forschungsteams in China und in den USA versuchen herauszufinden, woher die Tiere das Virus hatten, ob die Infektion mit dem Coronavirus bei Zibetkatzen weiter verbreitet ist als bisher angenommen und welche Auswirkungen dies auf unser Verständnis der Ursprünge von COVID-19 haben könnte.

Doch ohne den Nachweis eines mit einem Coronavirus infizierten Tieres, das zu mehr als 99 Prozent mit SARS-CoV-2 identisch ist, haben einige Wissenschaftler weiterhin gegen einen natürlichen Ursprung argumentiert.

Eine dieser Kritikerinnen ist Alina Chan, eine Molekularbiologin am Broad Institute des MIT und Harvard (MIT Technology Review gehört zum MIT, ist aber redaktionell unabhängig davon). Die zentrale Frage, so sagte sie kürzlich in einem vom Wissenschaftsmagazin Science organisierten Webinar [12], sei, wie das Virus aus den mehr als tausend Meilen entfernten Höhlen in China oder anderen Teilen Südostasiens nach Wuhan gelangt ist. "Es gibt eine sehr starke Verbindung zwischen Wissenschaftlern in Wuhan und diesen Orten, an denen sie SARS-Viren finden würden, die sie dann über Tausende von Kilometern in die Stadt Wuhan bringen", sagte sie. Für den Handel mit Wildtieren gebe es jedoch keine Beweise für solche Routen, fügt sie hinzu.

Diese Unklarheit betrifft auch die Ursprünge von SARS, sagt Linfa Wang, Direktorin des Programms für neu auftretende Infektionskrankheiten der Duke-National University Singapore. Die Höhle, in der Fledermäuse mit der engsten Verwandten von SARS-CoV-1 gefunden wurde, ist fast 1.000 Meilen von dem Markt in Guangdong entfernt, wo die ersten SARS-Fälle auftraten – ähnlich wie die Entfernung zwischen Wuhan und dem Ort, an dem Fledermäuse mit einer der engsten Verwandten von SARS-CoV-2 entdeckt wurde.

Und es wird immer deutlicher, dass Menschen, die in engem Kontakt mit Wildtieren stehen, viel häufiger mit Coronaviren infiziert sind als bisher angenommen.

Studien zeigen, dass bis zu 4 Prozent der Menschen, die in Südchina in der Nähe von Fledermäusen leben [13] und eng mit Wildtieren zusammenarbeiten [14], mit tödlichen, von Tieren übertragenen Viren, einschließlich Coronaviren, infiziert sind. Ein laotisches und französisches Team, das die engsten Verwandten von SARS-CoV-2 entdeckte [15], stellte fest, dass einer von fünf Fledermauspflegern in Laos Antikörper gegen diese Coronaviren hatte. [16]

Die meisten dieser Übersprungs-Infektionen erlöschen von selbst, so die Forscher. In einer Studie, die im April in Science veröffentlicht wurde [17], zeigen Worobey und seine Kollegen anhand von Computersimulationen, dass für die Ausbreitung von SARS-CoV-2 eine städtische Umgebung von entscheidender Bedeutung ist, um größere Epidemien auszulösen – ohne diese würde das Virus sehr schnell aussterben.

"Es ist hunderte, wenn nicht tausende Male wahrscheinlicher", dass ein Wildtierhändler, der einem SARS-CoV-2-Vorläufer ausgesetzt war – entweder von Fledermäusen oder einer anderen Tierart – den Erreger nach Huanan brachte, als dass ein Forscher, der Proben von Fledermäusen sammelte, mit dem Erreger nach Wuhan zurückkehrte und ihn dann nach Huanan brachte, sagt Wang.

Worobey stimmt dem zu. Aufgrund zahlreicher Indizien ist er inzwischen nicht nur davon überzeugt, dass die Pandemie tatsächlich mit dem Huanan-Markt in Verbindung steht, sondern auch, dass dort ein SARS-CoV-2-Vorläufer von einem Tier auf den Menschen übergesprungen ist. "Das ist viel wahrscheinlicher als alle anderen Szenarien, die wir jetzt kennen", sagt er.

Vorläufige Ergebnisse der laufenden Arbeiten seiner Gruppe und anderer werden dazu beitragen, diese These weiter zu untermauern, fügt er hinzu: "Sie weisen alle in die gleiche Richtung".

(bsc [18])


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[1] https://www.heise.de/hintergrund/Spitzenforscher-fordern-echte-Untersuchung-des-Ursprungs-von-COVID-19-6046278.html
[2] http://www.science.org/doi/10.1126/science.abm4454
[3] https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/origins-of-the-virus
[4] https://www.thelancet.com/action/showPdf?pii=S0140-6736(20)30251-8
[5] https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/origins-of-the-virus
[6] https://www.science.org/doi/10.1126/science.abf8003
[7] https://www.science.org/doi/10.1126/science.1087139
[8] https://www.nature.com/articles/s41598-021-91470-2
[9] https://www.science.org/doi/10.1126/science.1087139
[10] https://www.science.org/doi/10.1126/science.1118391
[11] https://journals.asm.org/doi/10.1128/JCM.43.5.2041-2046.2005
[12] https://www.facebook.com/watch/live/?ref=watch_permalink&v=2941880282717315
[13] https://link.springer.com/article/10.1007/s12250-018-0012-7
[14] https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0194647
[15] https://www.researchsquare.com/article/rs-871965/v1
[16] https://www.thelancet.com/journals/lanwpc/article/PIIS2666-6065(21)00106-1/fulltext
[17] https://www.science.org/doi/10.1126/science.abf8003
[18] mailto:bsc@heise.de