Neue Gentherapie auf Antikörperbasis wird am Menschen getestet

So genannte B-Zellen, die für die Produktion von Antikörpern zuständig sind, sollen verwendet werden, um seltene Krankheiten zu bekämpfen.

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DNA

DNA-Fragment (Symbolbild).

(Bild: Corona Borealis Studio/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Antonio Regalado
Inhaltsverzeichnis

Während der COVID-19-Pandemie zeigte sich, welche herausragende Rolle Antikörper für den Menschen spielen. Wir verwendeten Testkits, um Zuhause nach ihnen zu fahnden und ließen uns Impfstoffe spritzen, damit sie von unserem Körper gegen das Coronavirus produziert werden.

Weniger Aufmerksamkeit wurde bislang allerdings den sogenannten B-Zellen zuteil, den Zellen des Immunsystems, die die eigentlichen Antikörper bilden. Von diesen werden bis zu 10.000 pro Sekunde produziert – und sie verbleiben nach einer Infektion oft jahrelang im Knochenmark.

B-Zellen sind aber auch für neue Therapien interessant. Nun hat ein Biotechnologieunternehmen aus Seattle von der US-Gesundheitsaufsicht Food and Drug Administration (FDA) die Genehmigung erhalten, die erste Studie an Menschen mit einer neuen Art von Gentherapie unter Verwendung gentechnisch veränderter B-Zellen durchzuführen. Das Unternehmen Immusoft plant, diese zur Behandlung einer seltenen Erbkrankheit namens MPS-1 einzusetzen.

"Ich kann mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass wir die ersten sind, die grünes Licht für solche klinischen Studien erhalten haben", sagt Sean Ainsworth, der CEO von Immusoft. Sein Konzept besteht darin, B-Zellen so zu verändern, dass sie andere Proteine anstelle von Antikörpern produzieren. Zur Behandlung von MPS wird ein Enzym benötigt, dessen Fehlen vielfältige und verheerende Symptome verursacht. Patientinnen und Patienten mit der Krankheit werden derzeit mit wöchentlichen Infusionen des fehlenden Enzyms behandelt – aber das reicht nicht aus, um die Krankheit vollständig zu heilen. Immusoft kann nach eigenen Angaben B-Zellen so verändern, dass sie stattdessen das Enzym selbst produzieren.

Die vorgeschlagene MPS-Behandlung, die in den nächsten sechs Monaten an der University of Minnesota Medical School getestet werden soll, ist das jüngste Beispiel für einen Ansatz, bei dem Forscher eine Gentherapie an Zellen im Blut durchführen und sie genetisch so programmieren, dass sie völlig neue Funktionen erhalten. Der Vorteil der Verwendung von Zellen des Blutsystems, um dem Körper einer Person neue Gene hinzuzufügen, besteht darin, dass sie einem Patienten entnommen, im Labor verändert und dann dem selben Patienten über eine Infusion wieder zugeführt werden können.

Von den etwa 15 Gentherapien, die von den Behörden in den USA oder Europa zugelassen sind, werden bei mehr als der Hälfte entweder Stammzellen des Knochenmarks (aus denen alle roten Blut- und Immunzellen gebildet werden) oder weiße Blutkörperchen, die so genannten T-Lymphozyten, mit einer "Genladung" versehen. Nach Angaben des National Cancer Institute wurden in den USA sechs Gentherapien für Blutkrebs genehmigt, bei denen T-Zellen manipuliert werden. Bei anderen Gentherapien, wie z. B. zur Behandlung der Sichelzellenanämie, wird das Knochenmark einer Person vollständig durch genetisch korrigierte Blutstammzellen ersetzt.

Bislang haben B-Zellen nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhalten. Tatsächlich wurden gentechnisch veränderte Versionen noch nie an einem Menschen getestet. "Das liegt zum Teil daran, dass es nicht so einfach ist, B-Zellen zu manipulieren", sagt Xin Luo, eine Professorin an der Virginia Tech, die 2009 gezeigt hat, wie man B-Zellen mit einem zusätzlichen Gen erzeugt. In dieser frühen Arbeit, die am Caltech durchgeführt wurde, wurde untersucht, ob die Zellen dazu gebracht werden könnten, Antikörper gegen HIV zu bilden, was vielleicht eine neue Form der Impfung darstellen könnte.

Diese Idee hat sich zwar nicht bewährt, aber jetzt wollen Biotech-Unternehmen wie Immusoft, Be Biopharma und Walking Fish Therapeutics diese Zellen als molekulare Fabriken zur Behandlung schwerer seltener Krankheiten nutzen. "Die Zellen sind wahre Kraftpakete, wenn es um die Sekretion von Proteinen geht – und das wollen sie verwenden", sagt Luo. Immusoft lizenzierte die Caltech-Technologie und erhielt eine frühe Investition von Peter Thiels Biotech-Fonds Breakout Labs. Unternehmensgründer Matthew Scholz, eigentlich Softwareentwickler, sagte 2015 kühn voraus, dass seine Studie sofort beginnen könnte. Die Technologie, die das Unternehmen als "Programmierung des Immunsystems" bezeichnet, erwies sich jedoch nicht als so einfach wie erhofft.

Laut Ainsworth musste Immusoft zunächst mehrere Jahre damit verbringen, zuverlässige Methoden zum Hinzufügen von Genen zu B-Zellen zu entwickeln. Statt Viren oder Gen-Editing für genetische Veränderungen zu verwenden, setzt das Unternehmen nun ein Transposon ein – ein Molekül, das DNA-Abschnitte ausschneidet und wieder einfügt. Es hat auch einige Zeit gedauert, die FDA zu überzeugen, die Studie zuzulassen. Denn es ist bekannt, dass hinzugefügte DNA, wenn sie in der Nähe von krebsfördernden Genen landet, diese manchmal aktivieren kann.

"Die FDA ist besorgt, dass sich eine Leukämie entwickeln könnte, wenn man dies in einer B-Zelle macht. Das ist etwas, das sehr genau beobachtet wird", sagt Paul Orchard, Arzt an der Universität von Minnesota, der die Patientinnen und Patienten rekrutieren und die Studie praktisch durchführen wird.

Der erste Test am Menschen könnte einige offene Fragen zu dieser Technologie klären. Eine davon ist, ob sich die verbesserten Zellen langfristig im Knochenmark der Menschen ansiedeln werden, wo die B-Zellen normalerweise leben. Theoretisch könnten die Zellen Jahrzehnte überleben – sogar das gesamte Leben des MPS-Patienten. Eine andere Frage ist, ob sie genug von dem fehlenden Enzym produzieren, um die fortschreitende Erkrankung aufzuhalten.

"Ich weiß nicht, ob sie erfolgreich sein werden, aber es ist für uns alle spannend, dass sie die Erlaubnis erhalten haben, einen Versuch zu starten", sagt Richard James, dessen Labor an der University of Washington ebenfalls Ansätze zur Entwicklung neuer B-Zellen erforscht.

Ein entscheidender Vorteil der Technologie ist laut James, dass die manipulierten Zellen keine Immunreaktion hervorrufen. Im Gegensatz dazu geht man davon aus, dass bei Gentherapien, bei denen Viren verwendet werden, um neue DNA in den Körper zu bringen, der Patient eine Immunität gegen die Behandlung entwickelt. Das heißt, wenn solche Therapien nachlassen – und es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass dies der Fall ist – können die Patienten gar keine zweite Dosis mehr erhalten.

"Bei [B-]Zellen kann man die Dosis bis zum Gehtnichtmehr geben, weil sie nicht immunogen sind. Man kann dem Patienten eine bestimmte Menge verabreichen, mehr hinzufügen oder später nichts mehr hinzufügen", sagt James. Die Behandlung ist auch nicht so hart und intensiv wie der Ersatz des Knochenmarks eines Menschen.

Falls die Behandlung bei MPS funktioniert, haben die Forscher viele Ideen, welche Krankheiten als Nächstes bearbeitet werden könnten. Es muss sich um solche handeln, bei der frei im Blut schwimmende Proteine, wie sie von B-Zellen ausgeschieden werden, helfen können. Ainsworth sagt, dass Immusoft daran interessiert ist, B-Zellen zu verwenden, um Follistatin, ein Gen, das Muskelwachstum verursacht, als mögliche Behandlung für Sarkopenie und Muskelschwund zu liefern.

Eine weitere mögliche Anwendung ist die Produktion von Gerinnungsfaktoren, die bei Hämophilie-Patienten fehlen. "Das Ziel ist es, ein möglichst sicheres Verabreichungssystem zu bekommen", sagt Orchard. "Wir müssen abwarten und sehen, ob wir das schaffen."

(jle)