Nicht nur bei der EM 2024: Welche Rolle virtuelle Werbung im Sport spielt

Die Fußball-Europameisterschaft hat viele darauf gestoßen: Virtuelle Werbung spielt im Sport eine immer größere Rolle. Wie die Technik funktioniert.

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Werbeband bei der Fußball-EM 2024

Eine Werbebande in einem Stadion der Fußball-Europameisterschaft 2024

(Bild: katatonia82 / Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

"Diese Sendung enthält virtuelle Werbung" – manch einem Zuschauer ist diese nicht weiter erläuterte Einblendung während der Fußball-Europameisterschaft in den vergangenen Wochen ins Auge gefallen. Doch wo genau diese virtuelle Werbung in Erscheinung tritt, bleibt angesichts der perfekten Illusion in der Regel verborgen. Es sei denn, es flitzt plötzlich mal ein Spieler in die Werbebande und verschwindet dann teilweise vom Bildschirm. Zu sehen sind solche Fundstücke, die die Nutzer amüsieren, bei TikTok und anderen sozialen Netzwerken.

Doch so neu, wie es die Einblendung bei der aktuellen Europameisterschaft suggeriert, ist die virtuelle Werbung längst nicht mehr. Bei einer Fußball-EM wurde sie laut der ausrichtenden Uefa zwar zum ersten Mal eingesetzt. Generell ist sie im Fußball aber schon länger im Einsatz. Dass sie so unscheinbar ist, zeigt allerdings, wie gut die Technik die meiste Zeit lang funktioniert. Dabei gibt es verschiedene Ansätze, wie das Ganze in die Tat umgesetzt wird. Weltweit gibt es verschiedene Unternehmen, die Lösungen bereitstellen. Mit einem Anbieter, der einen softwarebasierten Ansatz fährt, hat heise online gesprochen.

"Im Fußball ist aktuell virtuelle Werbung auf die Hauptkamera beschränkt. In anderen Sportarten, etwa beim Ski oder im Motorsport, bei denen das Event auf viele Kameras verteilt ist, sind es auch mehr", erklärt Ralf Dragon, Gründer der Firma uniqFEED. Wer genau hinschaut, kann hier und da auch die sozusagen "echten" Werbebanden sehen, die die Zuschauer in der Sportstätte zu sehen bekommen. Denn "direkte Wiederholungen und Zeitlupen sind aus technischen Gründen üblicherweise ohne virtuelle Werbung. Spielzusammenfassungen werden hingegen aus verschiedenem Material zusammengeschnitten, können also auch virtuelle Werbung beinhalten."

Bei der Umsetzung virtueller Werbung in Sportübertragungen sind derzeit zwei Methoden im Einsatz: Bei den hardwarebasierten Systemen wird ein Kamerakopf genutzt, um die Kamerabewegung präzise zu verfolgen. Um Vorder- und Hintergrund zu unterscheiden, strahlen die Banden ein Infrarotsignal aus, das sogenannte Keying. Dieses wird in der Kamera als zusätzlicher Farbkanal aufgezeichnet, um später Verdeckungen zu analysieren. "Das ist wie Green-Screening, nur dass die Farbe nicht sichtbar ist und aktiv vom Hintergrund ausgestrahlt wird", erklärt Dragon.

Im Gegensatz dazu stehen softwarebasierte Systeme, wie sie uniqFEED anbietet: "Unser softwarebasiertes System wurde entwickelt mit der Prämisse, dass die Produktionsbedingungen vor Ort unverändert bleiben. Statt Sensoren analysieren wir Kamerabewegungen und Verdeckungen mit Software. Virtuelle Objekte werden in das bereits geschnittenen Signal eingefügt." Die Herausforderung ist dabei das Keying in Software. Die Fortschritte der letzten Jahre bei der Hardware-Rechenleistung, die nötig sind, das alles in Echtzeit zu erledigen, spielte dem Anbieter in die Hände.

Ralf Dragon von uniqFEED vor Hardware-Equipment, das für die Integration von virtueller Werbung in Live-Sportübertragungen verwendet wird.

(Bild: uniqFeed)

Künstliche Intelligenz spielt bei der virtuellen Werbung eine wachsende, aber nicht alles bestimmende Rolle. Dragon sagt: "Virtuelle Werbung ist noch lange nicht durch KI gelöst. Viele Probleme werden auch durch Engineering gelöst. Die Analyse von Verdeckungen ist ein klassisches KI-Thema, da das Problem trainiert werden kann, zum Beispiel mit einem hardwarebasierten System. Die Analyse von Kamerabewegung ist eher ein Engineering-Thema, da das Problem durch Formeln beschrieben werden kann."

Der Einsatz virtueller Werbung ist nicht auf Bandenwerbung beschränkt. Dragon erklärt: "Man kann virtuelle Objekte überall platzieren, aber physische Interaktion mit virtuellen Objekten ist nicht möglich. Deswegen ist man meistens auf virtuelle Banden oder Inhalte auf dem Boden beschränkt, re-texturiert also bestehende Flächen. Wenn Interaktion ausgeschlossen ist, kann man auch virtuelle 3D-Objekte platzieren."

Theoretisch könnte also auch der Rasen im Stadion als gewaltige Werbefläche genutzt werden. Die technischen Möglichkeiten werden allerdings durch gesetzliche Vorgaben eingeschränkt: Rechtlich gibt es in Deutschland die Vorgabe, dass "im Programm auf virtuelle Werbung hingewiesen werden muss und es darf nur bestehende Werbung ersetzt werden", sagt Dragon. "In anderen Ländern, zum Beispiel der Schweiz, darf virtuelle Werbung nicht auf freie, unveränderte Flächen eingeblendet werden. Es muss also bereits etwas Künstliches, und sei das nur eine weiße Bande, vorhanden sein."

Dragon, der das von ihm mit gegründete Unternehmen uniqFEED 2015 als Ausgründung der ETH Zürich startete und heute rund 50 Mitarbeiter beschäftigt, hat sich für die nächsten Jahre ein Ziel gesetzt: "Unsere Vision ist, dass 2030 virtuelle Werbung flächendeckend im professionellen Sport eingesetzt wird." Während heute in verschiedenen Ländern unterschiedliche Werbung ausgespielt wird, wäre für die Zukunft sogar ein noch höheres Maß an Personalisierung denkbar, wenn es die jeweiligen Bestimmungen zulassen.

Trotz gelegentlicher Fehler, wie dem in sozialen Medien kursierenden Clip eines teilweise "unsichtbaren" Spielers, schreitet die Technologie rasch voran. Dragon sieht solche Fehler gelassen: "Das ist wahrscheinlich ein typisches KI-Artefakt, da zu wenig Trainingsdaten für solch einen Fall verwendet wurden. Diese Probleme werden in Zukunft durch zusätzliche Daten wahrscheinlich so stark reduziert werden wie Videokodierartefakte."

Die virtuelle Werbung eröffnet neue Möglichkeiten für Vermarkter und Sender, sie wirft aber auch Fragen nach der Authentizität des Sporterlebnisses auf und stellt, wie die Entwicklungen in der KI, den Realitätsbegriff auf die Probe. Eines ist sicher: Die Einblendung "Diese Sendung enthält virtuelle Werbung" wird in Zukunft wohl immer häufiger zu sehen sein – und wird vielleicht bald so selbstverständlich sein wie die Werbung selbst.

(mki)