50 Jahre Notruf: So ortet die Leitstelle Ihr Mobiltelefon

Rettungsdienste oder die Feuerwehr sollen möglichst schnell am richtigen Einsatzort sein. Dabei hilft eine automatische Standortbestimmung der Anrufenden.

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Feuerwehr, Notruf, Blaulicht
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Lesezeit: 26 Min.
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  • Imke Stock
Inhaltsverzeichnis

Die Notrufnummern 110 und 112 wurden am 20. September 1973 durch den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder eingeführt. Anlass dafür war ein tragischer Unfall eines Achtjährigen, bei dem der Krankenwagen fast eine Stunde brauchte, um bis zum Einsatzort zu gelangen. Daraufhin gründeten seine Eltern die Björn-Steiger-Stiftung und stießen unter anderem zentrale Notrufnummern und den Ausbau der Notrufnetze an.

Der Notruf Anruf baut automatisch eine Verbindung zur nächstgelegenen Rettungsleitstelle auf. Sind Sie als Mobilfunkteilnehmer in einer überlasteten Funkzelle, werden andere Verbindungen in der Zelle schon mal gekappt, denn ein Notruf hat immer Vorrang. Die Einsatzleitstelle der Rettung muss unter anderem Folgendes wissen: Was ist passiert? Und wo genau wird die Hilfe benötigt?

Die Kenntnis des genauen Einsatzortes ist wichtig. Doch nicht alle Hilfesuchenden können ihren Standort exakt benennen, also eine Positionsbestimmung vornehmen. Der Mensch ist fehlbar: sei es fehlende Ortskenntnis, eine eingeschränkte räumliche Orientierung, nicht beschilderte Wege oder unwegsames Gelände. Auch Aufregung und Stress in der Notfallsituation, eine schlechte Audio-Qualität, Sprachschwierigkeiten, ein plötzlicher Gesprächsabbruch vor Nennung des Standortes oder andere Dinge können zu falschen Angaben führen. Die Ermittlung der richtigen Ortsangaben kostet Zeit, die im Notfall fehlt. Falsche Einsatzorte, falsche Anfahrtswege und Verwechslungen müssen vermieden werden. Abhilfe schafft hier bei neueren Smartphones der Dienst Advanced Mobile Location (AML).

Dahinter steckt folgende Idee: Mobilgeräte können dank zahlreicher Sensoren ihren eigenen Standort oft ziemlich gut selbst bestimmen. Applikationen und Dienste greifen auf Standortinformationen zu. AML nutzt diese Standortinformationen, um sie bei einem Notruf automatisch an die Rettung zu schicken.

Advanced Mobile Location ist ein quelloffener Standard zur Übertragung von Standortdaten, um eine automatische Ortung zu gewährleisten. AML ist im Betriebssystem des Smartphones integriert, bei Android seit Version 4 und in Apple iOS ab Version 13.3. Sie müssen also keine zusätzliche App installieren oder aktivieren. Sobald Sie über das Smartphone die Rettungsnotrufnummer 112 wählen, wird parallel während der Kommunikation der Standortdienst im Smartphone, die Feststellung und Übermittlung der Position über AML automatisch aktiviert. Ist die Position bestimmt, übermittelt das Smartphone sie mittels SMS, Daten-SMS (für Android) oder HTTPS an einen Endpunkt. Die folgende Darstellung zeigt den Ablauf der Datenübertragung.

Von dem AML-Endpunkt kann die Rettungsleitstelle (PSAP) die Daten abrufen. AML bleibt nur während des Anrufs aktiv. AML ist das Ergebnis des EU-Projekts "HELP 112", dessen Ziel es war, Standortdaten des Anrufers während eines 112-Notrufs an die Rettungsleitstelle zu übertragen.

(Bild: EENA)

Initiiert wurde das Projekt durch die European Emergency Number Association (EENA). Die EENA ist eine Nichtregierungsorganisation, die das Ziel verfolgt, die Sicherheit und den Schutz der Menschen zu verbessern. Maßnahmen der EENA reichen vom Wissenstransfer über den Ausbau einer besseren internationalen Vernetzung von Notruf bearbeitende Stellen, die Etablierung von Standards hin zu einer Modernisierung der Technik und Nutzung neuer Technologien, zu der auch eine bessere Standortermittlung im Notfall gehört. Die Geschichte der 112 als Notrufnummer für die schnelle Rettung in Deutschland und Europa.

Die Genauigkeit der Positionsbestimmung eines Mobilgeräts ist von mehreren Faktoren abhängig. Es kommt nicht nur auf das Gerät, also dessen Ausstattung und Zustand, sondern auch auf die genutzten Methoden zur Positionsbestimmung an. Dazu kommen Umgebungsfaktoren, die mit der Zeit auch variieren können. Um die Position eines Mobiltelefons zu ermitteln, kann man Methoden im Bereich der Mobilfunk-, Satelliten- und WLAN-Technik nutzen.

Eine netzbasierte Positionsbestimmung eines Mobiltelefons über die genutzte Funkzelle im Mobilfunk ist ungenau. Je nach Netzausbau gibt es in einem Gebiet mehr oder weniger Funkzellen, in Großstädten mehr als in ländlichen Gebieten. Die Funkzellgröße wird durch die Reichweite des Funksignals begrenzt. Diese Reichweite variiert und ist von Umgebungsvariablen abhängig. Eine Funkzelle ist weder rund noch wabenförmig.

So sieht sie nur in der Theorie der Netzstruktur des digitalen Mobilfunknetzes GSM (Global System for Mobile Communications) aus. In der Praxis sind diese Zellen ziemlich individuell. Gründe dafür können die Umgebung (Stadt, Land, Bebauung, Vegetation), die Ausgestaltung der genutzten Antennen (Typ, Aufbauhöhe, genutzter Mobilfunkstandard, Sendeleistung) und das Wetter sein. Die Größe einer Funkzelle kann sich, abhängig von dem verwendeten Mobilfunkstandard, mit der Auslastung auch ändern (sogenannten Zellatmung). Funkzellen überlappen sich stellenweise oft auch. Ist eine Funkzelle überlastet, springt das Endgerät in eine Nachbarzelle, um unter anderem ein laufendes Gespräch und die Kommunikation nicht abbrechen zu lassen.

Funkzellgrößen variieren zwischen wenigen Metern im Durchmesser bis zu vielen Kilometern. Die größte Funkzelle aller Mobilfunknetze kann einen Zellradius von 150 km haben und gehört zum European Aviation Network (EAN). In Deutschland können Funkzellen einen typischen Radius von wenigen 10 Metern (Picozelle) bis zu 35 km (Makrozellen) haben. Ist Ihr Mobilgerät eingeschaltet und mit einer Basisstation verbunden, ist die genutzte Funkzelle dem Mobilfunknetzbetreiber bekannt.

Weiterhin kann der Abstrahlwinkel bekannt sein, denn Basisstationen haben in der Regel drei gegeneinander versetzte Antennen, die drei Sektoren in einem Winkel von 120 Grad einschließen. Dies ist jedoch nach wie vor eine relativ große Fläche innerhalb der Funkzelle und kann von 500 Metern bis zu 40 Kilometern reichen – je nach Größe der Funkzelle.

Eine nähere Positionsbestimmung kann durch eine Triangulation (Winkelmessung) erfolgen: aus der Signallaufzeit zwischen Mobilgerät und Basisstation kann die relative Position innerhalb der Funkzelle bestimmt werden. Mithilfe der Laufzeitunterschiede der Funksignale von drei Basisstationen zum Mobilgerät lässt sich der Standort eines Mobilgeräts dann genauer bestimmen (Trilateration: Streckenmessung durch Berechnung von Abständen). Es gibt verschiedene Verfahren für funkbasierte Positionsbestimmungen, die Signalwinkel, Signalstärke und Signallaufzeit messen. Diese Messungen lassen sich auch miteinander kombinieren. Je nach genutzten Verfahren und Umständen vor Ort ist so eine Genauigkeit auf 30 bis 50 Meter möglich – systembedingte Toleranzen nicht ausgeschlossen.

Schwierig für verschiedene Ortungstechniken sind Standorte an unterirdischen Orten, wie Keller, in Tunneln, aber auch in Hochhäusern, in Stadtzentren mit hohen Gebäuden, (in Häuser-)Schluchten und in Innenräumen. Die Signale aus dem Netz globaler Navigationssatelliten (GNSS) kommen dort wegen der Gebäudekonstruktion (Wanddicke) oder Abschattungen nicht an oder ihre exakte Laufzeit wird insbesondere in Häuserschluchten aufgrund von Reflexionen verzerrt. Eine genaue Berechnung der Position ist dann nicht möglich. Eine genaue Positionsbestimmung nur mit Funkzelle und Navigationssatelliten ist insbesondere in geschlossenen Räumen oft nicht ohne Weiteres möglich.

Wenn Signale vom/an das Mobilgerät nicht richtig ankommen, kann man auch nicht richtig messen. Und eine einzige Technik zur Positionsbestimmung hilft nicht an allen Orten, oder ist einfach zu ungenau. AML kann die Genauigkeit der Standortangabe laut Bericht der EU-Komission im Vergleich zur netzbasierten Positionsbestimmung über Funkzellen um das bis zu 4000-fache verbessern. Dabei reichert AML die Daten der genutzten Funkzelle mit weiteren Daten aus den Bereichen der Satelliten- und/oder WLAN-Technik an.

Standortbestimmung mit und ohne AML

(Bild: Google)

Das Europäische Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) legt die technische Spezifikation mit den Anforderungen für AML unter ETSI TS 103 625 fest. Die aktuelle Version 1.2.1 ist vom April 2022.

Genutzte Ortungsverfahren bei AML sind:

  • GNSS (Globales Navigationssatellitensystem) oder AGNSS (unterstütztes Globales Positionierungssystem) (Abkürzung: G)
  • Wi-Fi Signale (Abkürzung: W)
  • Die Funkzelle/Location Area Cell (Abkürzung: C)

Kombinierte, das heißt hybride Ergebnisse aus mehreren Ortungsverfahren werden nach der vorherrschenden Standortmethode für die Übertragung klassifiziert.

Je nach Smartphone und Standort werden bei einem Notruf maximal vier Standort-Datensätze übermittelt. Die ersten Standortdaten werden gesendet, sobald sie vorliegen. Danach werden aktualisierte Standortdaten (im Idealfall mit genaueren Daten als der vorherige Datensatz) im Abstand von ca. 10 bis 30 Sekunden nach Kommunikationsbeginn übermittelt.

Bei der Rettungsleitstelle lassen sich die Standortdaten beispielsweise so darstellen:

Beispiel für eine Ortung mit AML

(Bild: Leitstelle Lausitz)

Der so ermittelte Standort wird als Angabe von Breiten- und Längengrad mit einem Radius und der Höhe (Altitude) übermittelt. Dazu kommen Zeitstempel (Anrufzeit und Lokalisationszeiten), die Angabe der Positionsmethode (G, W, C oder N für nicht ermittelbar) und das Vertrauen zur Präzision dieser Standorteinschätzung (LOC – Level of Confidence) in Prozent. Um Datensätze zuordnen zu können, werden der MMC (Mobilie Country Code), der MNC (Mobile Network Code), Teile der IMSI (International Mobile Subscriber Identity – SIM-Kartenidentifikation) und die IMEI (International Mobile Equipment Identity – Gerätenummer) übermittelt.

Beispiel für eine AML-Nachricht

(Bild: ETSI)

Bei der Übertragung von AML mittels HTTPS können weitere Daten, wie die Geschwindigkeit des Anrufers übermittelt werden. Wenn ein Standort nicht ermittelt werden kann, wird dies als Ergebnis ebenfalls per AML übermittelt. AML-Daten lassen sich abseits eines Abrufs über eine Webseite auch direkt in Systeme der Einsatzleitstellen integrieren.

Während der Disponent der Leitstelle mit dem Anrufer spricht, kann so im Idealfall im Hintergrund parallel bereits der Standort des Anrufers automatisch in das System der Einsatzleitstelle übertragen und weiterverarbeitet werden. Abseits von einer Visualisierung im GIS (Geo-Informations-System) kann auch eine GPS-gestützte Disposition bei der Leitstelle stattfinden. Das heißt, es können die freien Rettungskräfte zum Einsatzort geschickt werden, die am nächsten dran sind und den kürzesten Anfahrtsweg haben.

Kurz: das geeignete Rettungsmittel soll schnellstmöglich an den richtigen Einsatzort gesendet werden. Einsatzdaten inklusive des genauen Standorts können per Digitalfunk an die Rettungskräfte oder den Rettungswagen (RTW) übertragen werden. Abseits von der verbalen Kommunikation zwischen Leitstelle und eingesetzten Kräfte sind diese Informationen dadurch sofort bei den Empfängern auf deren Funkgerät oder im RTW direkt im dortigen Navigationssystem verfügbar. Verwechslungen durch missverständliche Kommunikation oder falsche händische Eingaben sind so ausgeschlossen. Und eine Zeitersparnis ist die automatische Übertragung auch.

Nicht alle Mobiltelefone unterstützen AML. Sie müssen mit der Standard-Telefon-App den Notruf wählen. Über Telefonanwendung von Dritten wie Skype, WhatsApp und ähnliche funktioniert AML nicht. Bei Dual-SIM-Smartphones besteht die Gefahr, dass die anrufende Nummer von der Rufnummer abweicht, die per AML übermittelt wird. Wenn keine Netzverbindung über Mobilfunk oder WLAN besteht, können keine Standortdaten per AML übertragen werden. Die Ortung über WLAN kann fehlerhaft sein, wenn der WLAN-Router kurz zuvor noch an einem anderen Standort aufgestellt war.

Ob AML im Notfall funktioniert, hängt nicht also nur von dem genutzten Gerät und dessen Betriebssystem, sondern auch von den Einsatzleitstellen im Land ab: Diese müssen technisch und operationell in der Lage sein, die Standortinformationen vom Endpunkt zu empfangen und weiterzuverarbeiten.

Nicht jede AML-Nachricht kommt bei dem Endpunkt und von dort bei der für den Anrufer zuständigen Rettungsleitstelle an. Probleme können schon bei der Positionsbestimmung im Mobilgerät oder beim Senden der Nachricht vom Mobilgerät an den Endpunkt auftreten. Wichtig zu wissen: es gibt keine Garantie, dass AML überall und immer funktioniert. Auch sonst funktionierende Technik kann mal versagen, wenn es darauf ankommt. Deshalb sollten Sie beim Notruf immer die Frage der Leitstelle nach dem genauen Ort des Notfalls auch beantworten, wenn Sie es können.

Grundlage für die Feststellung und Übermittlung von Standortdaten bei der Herstellung einer Notrufverbindung unter der einheitlichen europäischen Notrufnummer 112 sind Richtlinien des Europäischen Parlaments und Rates, die in den Mitgliedsländern umzusetzen sind. Das ist zum einen die Richtlinie 2018/1972 vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (Artikel 109, Absatz 6) und zum anderen die Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten vom 7. März 2002 (Artikel 26 Absatz 5). Ab dem 21. Dezember 2020 müssen der am besten geeigneten Notrufabfragestelle neben netzgestützten Informationen zum Standort des Anrufers auch die genaueren vom Mobilgerät gewonnenen Angaben zum Standort bereitgestellt werden, sobald ein Notruf über 112 eingeht.

In Deutschland ist der Notruf über § 108 Absatz Telekommunikationsgesetz (TKG) in Verbindung mit der Verordnung über Notrufverbindungen (NotrufV) geregelt. Die Umsetzung dieser rechtlichen Vorschriften in einer Technische Richtlinie Notrufverbindungen (TR Notruf) verantwortet die Bundesnetzagentur. Die Richtlinie gibt den Diensteanbietern und Betreibern von Kommunikationsdiensten/-netzen die Einzelheiten zur Herstellung von Notrufverbindungen zur örtlich zuständigen Notrufabfragestelle und zur Übermittlung von Standortdaten vor.

Im Jahr 2020 wurde der Entwurf für ein bundesweites Gesetz zur Reform der Notfallversorgung veröffentlicht. Ziel des Gesetzes war es, die Notfallversorgung in Deutschland effektiver und effizienter zu gestalten. Konkret wurde die Einrichtung eines gemeinsamen Notfallleitsystems (GNL) angestrebt. Alle an der medizinischen Notfallversorgung Beteiligten und deren Ressourcen sollten digital erfasst und vernetzt werden. Die zentrale Steuerung der Hilfe unter 112 würde dann durch das GNL erfolgen. Über einen Referentenentwurf ist das Gesetz nicht hinausgekommen. Die Gesetzgebung zu den Rettungsleitstellen ist Ländersache. Die Ausgestaltung vor Ort und der Betrieb der Leitstellen der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ist örtlich unterschiedlich per Gesetz oder Verordnung geregelt. Entsprechend kommt auch unterschiedliche Leitstellentechnik zum Einsatz.

In Deutschland gibt es verschiedene Formen von Einsatzleitstellen, von getrennten Feuerwehr- und Rettungsleitstellen, über Integrierte Feuer- und Rettungsleitstellen (ILS) hin zu integrierten Regionalleitstellen (IRLS), die für Feuerwehren, den Rettungsdienst und den Katastrophenschutz in mehreren Gebietskörperschaften zuständig sind. Dann gibt es kooperative Regionalleitstellen, also Leistellen, bei denen die IRLS und die Polizei gemeinsam in einem Gebäude sind - wobei betont werden muss, dass es grundsätzlich keine Vermischung der Rettungsleitstellenaufgaben mit den Polizeileitstellenaufgaben gibt. Die Rettung ist für 112 zuständig und die Polizei für 110.

In Deutschland wurde AML im Oktober 2019 eingeführt. Bundesweit funktioniert AML inzwischen sowohl mit neueren Android- und Apple-Mobilgeräten für Anrufe bei der Notfall-Rufnummer 112. AML wird nur bei Anrufen an die 112 aktiviert. Eine selbst geschriebene SMS, die man manuell an die 112 sendet, führt in Deutschland nicht zur Aktivierung von AML. Die AML-Daten des Anrufers werden über das Internet (LTE, UMTS, EDGE oder WLAN) oder per (Daten-)SMS an zwei zentrale Endpunkte in Deutschland übertragen: konkret landen sie auf Servern bei der integrierten Leitstelle Freiburg und redundant bei der Berliner Feuerwehr. Von dort können die Rettungsleitstellen als PSAPs (Public Safety Answering Point) die Daten zu ihrem akuten Einsatz über einen für sie vergebenen Zugang zum System (per API über eine gesicherte Datenverbindung) abrufen.

223 von 234 Leitstellen haben in Deutschland AML in ihr System implementiert. Jede Rettungsleitstelle kann nur die AML-Daten für den Anruf anfordern, der aktuell bei ihr über den Notruf 112 eingegangen ist. Dafür muss die Rettungsleitstelle die Rufnummer des Anrufenden kennen. Nach der Übermittlung vom Endpunkt werden die Standortdaten dann im GIS (Geo-Informations-System) der Rettungsleitstelle dargestellt.

Weder die Mobilfunkbetreiber noch die Hersteller der Betriebssysteme haben Zugriff auf die Inhalte der gesendeten AML-Daten. Diese Daten sind nur für einen begrenzten Zeitraum beim festgelegten Endpunkt des Landes für die Rettungsleitstelle abrufbar. In Deutschland liegen die Daten für 60 Minuten zum Abruf durch die Rettungsleitstelle bei den zwei Endpunkten vor. Die Rufnummer ist als Hash gespeichert. Die Rufnummer wird erst mit einer Zufallsfolge verkettet und anschließend gehashed. Ein Rückschluss vom so gespeicherten Hash auf die Rufnummer soll zu keinem Zeitpunkt möglich sein, sodass auch die Administratoren der Endpunkte keinen Einblick in personenbezogene Daten erhalten.

Nach Ablauf der 60 Minuten werden die Daten des Anrufs aus der Datenbank der Endpunkte größtenteils gelöscht. Für Evaluationszwecke (siehe AML Report Card der EENA) werden zunächst noch Zeitstempel, Netzbetreiber und Genauigkeit der Positionsdaten gespeichert.

Datenschutzrechtlich wurde das AML-Konzept von verschiedenen Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern über die Jahre separat geprüft. Unter anderem hat sich auch der Arbeitskreis Medien, bei dem es sich um eine Arbeitsgruppe der Datenschutzkonferenz (ein Gremium der unabhängigen deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder) mit dem AML-Konzept beschäftigt. Der Ausbau und die Wirksamkeit von AML wird regelmäßig in Berichten der EENA evaluiert. Dazu gibt es den Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Wirksamkeit der Einführung der einheitlichen europäischen Notrufnummer 112.

AML in Europa

(Bild: EENA)

Wie bereits erwähnt sind Android-Geräte ab Version 4.0 AML-fähig, iOS-Geräte ab Version 13.3. Einen Sonderfall stellt allerdings der SOS-Notruf über Satelliten dar. Wenn keine Mobilfunk- oder WLAN-Verbindung vorhanden ist, können das iPhone 14 mit iOS 16.1 und neuer auch einen Notruf SOS via Satellit absetzendazu hatte es Ende des Jahres einen ersten Fall gegeben. Inzwischen gibt es drei Systeme, über die Smartphones direkt mit Satelliten verbunden werden können.

Google setzt auf eine eigene Implementation von AML im Android OS mit der Bezeichnung ELS (Emergency Location Service). Google will mit ELS der Rettungsleitstelle schnellstmöglich den genauen Standort des blauen Punkts – also den Standort des anrufenden Hilfesuchenden – auf der Karte zeigen und wenn möglich noch hilfreiche Zusatzinfos für die Rettung des Anrufers geben.

Google nennt vier Punkte für eine gute geobasierte Standortbestimmung:

  • Accurat: die Genauigkeit der Positionsbestimmung
  • Smooth: der wahrscheinlichste Verlauf der Position, wenn das Mobilgerät in Bewegung ist, ohne Ausreißer und ohne Sprünge auf der Karte
  • Ubiquitous: die Positionsbestimmung soll überall verfügbar sind - unabhängig der Umgebung, in der sich das Mobilgerät befindet, ob auf dem Land oder in der Stadt, ob draußen oder drinnen, zu Fuß oder auf Rollen und auch unabhängig von der Trageweise des Mobilgeräts (in der Hand, in der Hosentasche, in der Handtasche, in einer Halterung
  • Instant: die Positionsbestimmung soll sofort oder ohne relevante Verzögerung verfügbar sein

Der blaue Punkt ist eine Schätzung des Standorts. Android definiert die horizontale Genauigkeit als den Radius, der mit 68-prozentiger Sicherheit dafür sorgt, dass sich das Gerät innerhalb dieses Radius befindet. Anders ausgedrückt: Wenn ein Kreis mit einem Radius gleich dieser Genauigkeit um den gemeldeten Standort gezogen wird, besteht eine Wahrscheinlichkeit von 68 Prozent, dass der tatsächliche Standort in diesen Kreis fällt. Diese Genauigkeit gilt nur für die horizontale Positionierung und nicht für die vertikale Positionierung.

Android bietet Zugriff auf verschiedene Technologien zur Positionsbestimmung. Je nach Standort können verschiedene Systeme dafür zur Verfügung stehen. Diese werden miteinander kombiniert, um Schwächen einzelner Systeme auszugleichen. Je mehr Systeme und unterschiedliche Messverfahren zur Verfügung stehen, desto genauer kann der Standort des Mobilgeräts bestimmt werden. Diese Kombination von Positionierungssystemen und Sensoren, die bei der Positionsbestimmung helfen, trägt die Bezeichnung Fused Location Provider (FLP).

Kombiniert werden nicht nur Daten aus Funkzelle, GPS und WLAN – dazu kommt bei Smartphones noch eine Kombination aus den im Gerät verbauten Sensoren. Sensoren im Smartphone, die bei der Positionsbestimmung eine Rolle spielen, sind etwa das Barometer (Höhenbestimmung – in welchem Stockwerk des Gebäudes befindet sich das Mobilgerät vermutlich?), der Beschleunigungssensor (Bewegt sich das Mobilgerät? Wie schnell bewegt es sich?), Gyroskop (Rotationssensor) und Magnetometer (digitaler Kompass). Mithilfe der Sensordaten lässt sich die Bewegungsart/Aktivität (zu Fuß, fahrend) feststellen.

Da die Position bei den verschiedenen Messtechniken nicht fortlaufend bestimmt wird (schon aufgrund der begrenzten Akkukapazität), nutzt Google zur Positionsbestimmung eines sich bewegendes Mobilgeräts Algorithmen, die Vorhersagen zum wahrscheinlichen Standort in der Bewegung treffen. Dieser wahrscheinliche Standort wird dann beim Abgleich mit der nächsten exakten Positionsbestimmung (nächster Messzeitpunkt oder zur Verfügung stehende Messtechnik) korrigiert. Solche Korrekturen können Sie in Google Maps als plötzliches Hüpfen des blauen Punkts auf der Karte wahrnehmen.

In den Google Play Services ist FLP als Komponente integriert. Verschiedene Anwendungen und Dienste können FLP in standardisierter Weise ansprechen, um Standortdaten abzurufen.

FLP legt anhand der verfügbaren Quellen und des Nutzungszwecks des Geräts auf intelligente Weise fest, wie der Standort am besten abgerufen wird. Wenn Sie im Freien unterwegs sind und einen guten Satellitenempfang haben, funktioniert GPS am zuverlässigstem. Gehen Sie nun in ein Gebäude, kann der FLP automatisch von dem dort nicht mehr oder nur noch schlecht funktionierendem GPS auf WLAN wechseln. Wenn Sie nun mehrere Stockwerke im Gebäude hochsteigen, wird dies durch die Sensoren ebenfalls registriert. ELS ermöglicht die Bestimmung einer Position inklusive der Z-Achse (XYZ-Lokalisation) als Annäherungswert. Google kann bei mehrstöckigen Gebäuden einen vertikalen Radius als Schätzwert für mehrere zusammenhängende Stockwerke liefern. Aufgrund unterschiedlicher Raum-/Stockwerkhöhen und möglicher Störfaktoren (Wetter hat Einfluss auf Barometer) handelt es sich um einen vertikalen Schätzwert. Die Funktion befindet sich noch in der Entwicklung und benötigt laut Google noch weitere (weltweite) Forschung und nötige Datenerhebungen. Es gibt beispielsweise Gebäude, die das 13. Stockwerk einfach nicht auszeichnen und direkt nach 12 mit 14 weitermachen.

Auch per FLP ermittelte Positionen sollten in 2D oder 3D Darstellung immer im Kontext von der angenommenen Genauigkeit und dem Vertrauen in den ermittelten Wert interpretiert werden. Im Idealfall entspricht der blaue Punkt dem Standort, in der Realität sollte man in einem nach vorhandenen Daten einigermaßen sicher einzuschätzenden begrenzten horizontalen und vertikalen Radius um den blauen Punkt fündig werden.

Sollte FLP einmal nicht zur Verfügung stehen, wird auf die Rückfallebene der älteren Standortdienst-API von Android zurückgegriffen.

Fused Location Provider können Sie selbst testen und sich mittels GnssLogger-App anschauen, wie Android Ihren Standort mit und ohne FLP ermittelt und wie genau sich Ihre Position an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Systemen darstellen lässt.

GnssLogger-App

(Bild: Google)

Das Android-Gerät aktiviert bei einem Notruf automatisch den Notfall-Standortdienst ELS. Der Dienst berechnet lokal auf dem Smartphone den eigenen Standort und nutzt dafür die kombinierte Standortbestimmung (Fused Location Provider), um die Standortsignale von Mobilfunkmasten, GPS, WLAN sowie den Smartphone-Sensoren zusammenzufassen. Somit kann ELS präzisere Standortdaten berechnen und auch Standorte an sonst nur schwer zu lokalisierenden Orten (Innenräume, unterirdische Orte, Stadtzentren mit hohen Gebäuden) bestimmen. Das Ergebnis wird dann vom Mobilgerät direkt an den Endpunkt übermittelt, ohne vorher über einen Google Server zu laufen.

Ablauf eines Notrufs unter Android

(Bild: Google)

Google betont, dass sie selbst überhaupt keinen Einblick in die (gesendeten) Notfall-Daten bekommen. Aus diesem Grund sei das Troubleshooting in den Ländern mit den verschiedenen Anbietern auch eine Herausforderung für das Google ELS Team. Die ELS-Daten werden laut Google direkt vom Endpunktpartner an den Rettungsdienst gesendet, basierend auf der vom Partner eingerichteten Konfiguration (zum Beispiel Mobile Country Code oder Mobilfunknetzkennzahl). Die Rettungsleitstelle muss also im Gegensatz zu AML nicht selbst beim Endpunkt die Daten aktiv anfordern.

Weiterhin soll in einigen Regionen der Welt auch die Übermittlung von weiteren Informationen zur Verfügung stehen. Dies kann zum Beispiel die eingestellte Gerätesprache sein, oder ob das Mobiltelefon einen Verkehrsunfall erkannt hat. Aktuell ist ELS in mehr als 40 Ländern aktiv und hilft Android-Nutzern bei Hunderttausenden von Notfall-Anrufen pro Tag, schnell Hilfe zu erhalten, teilte Google auf Nachfrage mit.

Der Zugang zur Notrufkommunikation unter der 112 soll überall in der EU allen Menschen zur Verfügung stehen. Die 112 soll digitaler werden. In der Zukunft soll eine Ortungsfunktion wie AML nicht nur bei Anrufen über die 112 zur Verfügung stehen, sondern auch bei IP basierten Diensten. Notfallhilfe über die 112 soll für jegliche Art von Sprach-, Video-, Text- oder sozialer Echtzeit- oder Fast-Echtzeit-Kommunikation möglich werden, die im täglichen Leben schon genutzt wird oder im Rahmen des Ausbaus von 5G und der Verbreitung von IoT eine Rolle spielen wird. Also für alle Dienste und Applikationen, die Daten per Internet Protocol übermitteln.

Dazu wird eine neue einheitliche Architektur benötigt, die von der EENA unter dem Titel Next Generation 112 Architecture (NG112) vorangetrieben wird. Angestrebt wird letztendlich eine internationale Interoperabilität. Der technische Standard wurde schon beschrieben und erste Tests wurden in verschiedenen Ländern durchgeführt. Was mit eCall in Fahrzeugen und AML in Mobiltelefonen begann, soll mit der Next Generation 112 Architecture (NG112) auf ein neues Technologie-Level gehoben werden.

Die Europäische Kommission veröffentlichte bezüglich der Notrufnummer 112 am 16. Dezember 2022 eine sogenannte deligierte Verordnung: Innerhalb eines Jahres sollen die Mitgliedstaaten den kombinierten Effekt der technisch machbaren Lösungen zur Bestimmung des Anruferstandorts bewerten und die Mindestkriterien für die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Angaben zum Anruferstandort festlegen, die den Notdiensten eine wirksame Hilfe ermöglichen.

Der Notruf soll zur am besten geeigneten Notrufabfragestelle weitergeleitet werden. Neben Angaben zum Anruferstandort sollen auch Kontextinformationen zur Beschreibung des Notfalls übermittelt werden. Dies können etwa die physische Umgebung, der Zustand und die Fähigkeiten der betroffenen Personen und andere relevante Informationen sein. Sollte der Anrufer nicht fähig sein, diese Informationen selbst zu übermitteln, könnten diese automatisch aus dem Gerät des Anrufers oder dem Netz gewonnen werden. Um einen europäischen Flickenteppich zu vermeiden, hat die EENA die Initiative ergriffen und eine Empfehlung für die Mitgliedsstaaten zu Genauigkeits- und Zuverlässigkeitskriterien bei der Standortbestimmung von Mobilgeräten ausgearbeitet. Erste Ergebnisse sollen bei der EENA Conference im April 2023 veröffentlicht werden.

Das Tracking von Geräten, auch in Form der Echtzeit-Lokalisierung (RTLS = Real Time Locating System) wird weiter vorangetrieben. In Innenräumen können neben WLAN auch RFID (Radio Frequency Identification), BLE (Bluetooth Low Energy), UWB (Ultra Wideband) und andere Nahbereichskommunikationsdaten bei der Positionsbestimmung als Hilfe zur Navigation genutzt werden. Verschiedene Hersteller arbeiten an Lösungen für Indoor-Positionierungssysteme (IPS). Es bleibt abzuwarten, inwieweit Google, Apple und andere Hersteller diese und andere Technologien weiterentwickeln und miteinander kombinieren, um noch genauere Standortbestimmungen und weitere Kontextinformationen im Notfall automatisch an Rettungsdienste übermitteln zu können.

(mack)