Onlinespieler helfen Biologen

Ein neues Internet-Game soll Forschern dabei helfen, HIV-Impfstoffe und andere medizinisch wirksame Proteine herzustellen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Katherine Bourzac
Inhaltsverzeichnis

Proteine sind die Arbeitstiere der Biologie. Neben diversen weiteren Funktionen beschleunigen sie chemische Reaktionen, helfen Blutkörperchen dabei, eindringende Viren zu erkennen und dienen als Kopierstation für DNA. Die Möglichkeiten, die sich aus der Neuschaffung von Proteinen ergeben, die bislang in der Natur noch nicht existierten, sind dementsprechend potenziell riesig – vom HIV-Impfstoff bis zur effizienteren Biotreibstoffproduktion. Leicht ist ihre Herstellung allerdings nicht.

Führende Proteinwissenschaftler haben sich deshalb nun mit Computerwissenschaftlern zusammengesetzt, um ein Online-Spiel zu schaffen, das bei der Entwicklung nützlicher Proteinstrukturen helfen soll. David Baker, Proteinforscher an der University of Washington, hofft, dass die Spieler seinem Labor dabei helfen können, neue Impfstoffe zu erstellen und Enzyme zu bauen, die DNA in erkranktem Gewebe reparieren können.

Seit Jahren bauen Forscher natürlich vorkommende Proteine um, in dem sie sie in Viren und einzelligen Organismen wachsen lassen – der Prozess nennt sich gerichtete Evolution. Dabei müssen die Wissenschaftler jedoch stets mit einem bestehenden Protein beginnen, was es schwierig macht, völlig neue Funktionen einzubauen. Baker konnte jüngst einen wichtigen Fortschritt machen: Er demonstrierte den ersten Algorithmus, der neue, funktionierende Enzyme von Grund auf erstellen kann. Zwar haben so geschaffene Proteine chemische Eigenschaften, die es in der Natur noch nicht gibt, besonders effizient sind sie dabei allerdings nicht.

Das kostenlose Spiel namens Foldit ist nun Teil von Bakers Vision einer Zukunft, in der Proteine nach Belieben gezüchtet werden können. Seine Algorithmen beherrschen es bereits jetzt recht gut, neue Proteinsequenzen zu schaffen, die einen bestimmten Zweck erfüllen. Menschen, die sich einen besseren Überblick als der Computer verschaffen können, was ihre Ausgestaltung anbetrifft, sollen sie nun mit Hilfe des Spiels weiter verbessern.

Proteine bestehen aus langen Aminosäure-Ketten, die in einem komplexen dreidimensionalen Gewirr gefaltet sind, das zahlreiche Unterbereiche enthält. Die Funktion eines Proteins hängt von dieser dreidimensionalen Struktur ab. Ein Bereich eignet sich beispielsweise ideal dafür, ein anderes Protein zu ergreifen, während andere nur eine unterstützende Rolle spielen und Strukturen abbilden, die das Molekül zusammenhalten. Bakers Methode, neuartige Proteine zu schaffen, beginnt mit den aktiven Bereichen. Sind diese einmal vorhanden, entscheiden strukturelle Fragen, vor allem, wie eng das Protein bepackt sein kann, ob das Design wirklich funktioniert. Herauszufinden, wie die aktiven Bereiche eines Proteins am besten zusammengehalten werden, stellt ein kompliziertes Suchproblem dar, für das viel Rechenleistung benötigt wird. Es gibt eine riesige Anzahl von Möglichkeiten, doch die meisten funktionieren nicht auf Anhieb.

Seit 2005 nutzt Bakers Labor bereits die Rechenpower der PCs von Internet-Nutzern, die ein kostenloses Programm installiert haben, das Proteindesigns untersucht. Rund 200.000 Menschen in aller Welt lassen Rosetta@home bereits laufen – es nutzt Computerleistung, die sonst brach liegen würden. Während die Software läuft, zeigt sie die aktuell bearbeiteten Proteinstrukturen als Bildschirmschoner an. Viele Nutzer schauen diesen Darstellungen gerne zu: Sie sehen dann, wie ein vielfarbiges, chaotisches Band seine Strukturen verbessert. Allein, eingreifen konnten sie bislang noch nicht, dabei hört Baker nicht selten, dass es die User frustriere, dass sie der Software nicht bei der Arbeit helfen können, etwa um hier die Struktur enger zu packen und dort ein loses Ende einzustecken. Wenn der Rechner nicht mehr ermitteln kann, was der beste nächste Schritt wäre, verändert er derzeit die Struktur zufällig.

Baker erzählt, wie ihm deshalb die Idee in den Sinn kam, die ihm angebotene Mithilfe der Nutzer in Form eines Spiels nutzbar zu machen. Baker setzte sich also mit Zoran Popovic zusammen, einem Spieledesigner an der University of Washington. Die Aufgabe war für ihn und sein Team ungewöhnlich: "Bei Standardspielen ist das Ziel bekannt und das Gameplay ist so gestaltet, dass der Spieler sanft dorthin geführt wird", sagt Popovic. Mario müsse eben die Prinzessin retten und auf dem Weg dorthin möglichst viele Münzen sammeln. Im Falle des Proteinspiels sei das Endziel offen. "Die ultimative Proteinkonfiguration und der Weg zu ihr sind unbekannt."

Die ersten paar Level von Foldit sind darauf ausgerichtet, dem Spieler beizubringen, wie gute Proteine aussehen müssen und wie man sie mit den Werkzeugen des Spiels manipulieren kann. Spieler könnten die Moleküle in drei Dimensionen drehen, ihre einzelnen Fäden zusammenziehen, die Struktur des Proteins dehnen und dabei versuchen, Wasserstoff-Bindungen zu generieren, die das Protein stabilisieren helfen. Das Spiel stellt die Proteinchemie grafisch dar. Beispielsweise ist es gut, Proteine eng zusammenzupacken. Zu eng ist aber auch nicht sinnvoll – dann stoßen sich elektrische Ladungen in den verschiedenen Bereichen der Seitenketten gegenseitig ab. Solche Probleme werden von roten Symbolen gekennzeichnet, die wieder verschwinden, wenn die Ketten auseinander gezogen werden.

Nach der Verbesserung des Designs einiger Testproteine starten die Spieler in einen Wettbewerb und können entweder allein oder im Team an dem Problem arbeiten. Baker und Popovic lassen die Spieler dabei an Proteinen werkeln, deren optimale Gestaltung bereits bekannt ist, um das Spiel weiter zu verfeinern und Spielergruppen zu trainieren. Mit der Zeit sollen die Nutzer dann bei neuen HIV-Impfstoffen und anderen Projekten mithelfen, die in Bakers Labor entstehen.

Luis von Ahn, Computerwissenschaftler an der Carnegie Mellon University, glaubt, dass Menschen Lösungen für Proteinprobleme erarbeiten können, die Computer nicht so leicht beherrschen. "Der Rechner sucht mit brutaler Gewalt, während wir vielleicht sofort eine Abkürzung kennen", sagt er. Schließlich lebten die Menschen in einer 3D-Welt und wüssten, wie sie sich darin zu bewegen hätten. Von Ahn hat selbst Spiele gestaltet, die dabei helfen sollen, Bilder für Google mit Überschriften zu versehen oder Bücher korrekt zu digitalisieren. Rechentechnik hat mit einigen Aufgaben noch immer herbe Probleme, die der Mensch leicht bewältigt – etwa die Erkennung eines Hundes auf einem Bild oder das Lesen von verschwommenen Buchstaben. Das Manipulieren komplexer dreidimensionaler Strukturen sei aber ein wesentlich schwereres Problem. Deshalb ist sich von Ahn nicht sicher, ob Foldit nicht zu schwierig ist, um genügend Nutzer zu finden.

Popovic und Baker räumen ein, dass das Spiel nicht leicht ist. Ihr Ziel sei es, es unterhaltsam genug zu machen, dass die Spieler weitermachen und auch ihre Freunde einladen. Durch die kostenlose Verfügbarkeit im Web hoffen die Forscher, dass sie irgendwo auf der Erde Nutzer finden, die sie selbst "Proteingenies" nennen – Menschen, die für optimale Proteinstrukturen ein großes Talent haben und deshalb jede Woche mehrere Stunden spielen.

Popovic und sein Team wollen Foldit weiter verbessern, in dem sie speichern und überprüfen, was gute und schlechte Spieler mit dem Game anfangen. "Durch diese Analyse lernen wir, welche Strategien die besten Spieler nutzen und können das Spiel dann mit diesen Informationen verbessern." Dane Wittrup, am MIT mit der Gestaltung von Proteinen beschäftigt, hält den Ansatz für durchaus interessant: "Ich vermute, dass die Forscher durch die Analyse besonders erfolgreicher Spielstrategien neue, automatisierte Wege finden könnten, die sich dann in bestehende Software integrieren lassen." (bsc)