PFAS-Skandal: "Die Unternehmen haben die Gefahr aktiv vertuscht"
Vor 25 Jahren deckte der US-Anwalt Robert Bilott die Gefahren der PFAS-Substanz PFOA auf. Im Interview erklärt er, warum das Thema heute wichtiger denn je ist.
Vor fast 25 Jahren verklagte der Anwalt Robert Bilott den Chemiekonzern DuPont in Parkersburg, USA. Der Konzern hatte wissentlich einen ganzen Landstrich mit der giftigen und krebserregenden PFAS-Variante PFOA (Perfluoroktansäure) kontaminiert, die er für seine Teflon-Produktion nutzte. Kühe starben und Menschen wurden krank. Bilott brachte die Behörden auf Trab und initiierte eine epidemiologische Studie. Heute ist klar: Die Gefahr ist global. Auch Deutschland ist betroffen. Für seinen Einsatz erhielt Bilott den Right Livelihood Award – auch als "Alternativer Nobelpreis" bekannt.
MIT Technology Review: Der "Ur-Fall" gegen DuPont ist mittlerweile abgeschlossen und PFOA ĂĽber die Stockholm-Konvention praktisch weltweit verboten. Welche Bedeutung hat das Thema heute fĂĽr Sie?
Robert Bilott: Vor etwa zehn Jahren wurden umfangreiche Testergebnisse zur PFOA-Kontamination von Trinkwasser in den USA veröffentlicht. Leider mussten wir feststellen, dass diese Chemikalien praktisch überall im Trinkwasser gefunden wurden und insbesondere in der Nähe von Militärstützpunkten, Flughäfen, Feuerwachen und an anderen Orten, wo PFAS-haltige Löschschäume versprüht wurden. Erst vor kurzem führten die Vereinigten Staaten erste Trinkwasserstandards ein. Weil es aber unglaublich teuer werden wird, diese Standards zu erreichen, haben Städte, Gemeinden und Einzelpersonen Klagen gegen Schaummittel- und PFAS-Produzenten eingereicht. Aktuell vertreten wir mehr als 250 Städte und Gemeinden in den USA. Wir vertreten außerdem Bundesstaaten, die Ansprüche wegen verseuchter Böden, Fische und anderer Tiere geltend gemacht haben. Alle diese Fälle wurden in eine große neue Runde von Gerichtsverfahren vor dem US-Bundesgerichtssystem aufgenommen. Damit wollen wir sicherstellen, dass die Hersteller der Chemikalien und des Feuerlöschschaums für die Kosten verantwortlich gemacht werden. Und dass die Kosten nicht auf die Opfer – die Steuerzahler – abgewälzt werden.
Gibt es schon Erfolge?
Im Sommer 2023 haben wir die größten Vergleiche in der Geschichte der USA für Trinkwasserklagen erreicht. Wir haben DuPont und 3M dazu gebracht, bis zu etwa 14 Milliarden US-Dollar für die PFAS-Kontamination der öffentlichen Wassersysteme in den USA zu zahlen. Wir haben gerade weitere Vergleiche mit Tyco und BASF über weitere etwa eine Milliarde US-Dollar erzielt. Die Klagen der Bundesstaaten wegen kontaminierter natürlicher Ressourcen sind noch anhängig. Und dann gibt es noch Tausende Einzelklagen von Menschen, die glauben, dass sie aufgrund dieser Chemikalien an Krebs erkrankt sind – Feuerwehrleute und Militärangehörige zum Beispiel, die mit PFAS-basierten Feuerlöschschäumen gearbeitet und auch Schutzkleidung getragen haben, die möglicherweise mit diesen Chemikalien beschichtet war. Außerdem haben wir eine separate Klage eingereicht, in der wir versuchen, neue Studien und Tests und eine medizinische Überwachung für die Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten zu erwirken, die diese Chemikalien im Blut haben.
PFAS-Verfahren gegen Unternehmen laufen
Das klingt nach einer Menge Arbeit.
Wir haben uns mit einer ganzen Reihe von Anwaltskanzleien zusammengetan. Es ist ein sehr großes Projekt, an dem viele Menschen beteiligt sind. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Wissenschaft inzwischen eindeutig nachgewiesen hat, dass PFOA eine ernsthafte Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellt. Die US-Umweltschutzbehörde EPA hat kürzlich bestätigt, dass die Substanz krebserregend ist. Und nach den EPA-Richtlinien bedeutet das: Der Zielwert für die maximale Konzentration im Trinkwasser sollte Null sein. Das hat hier in den USA einfach eine Menge Aktivitäten ausgelöst. Und ich habe in den vergangenen Jahren versucht, diese Geschichte in den Rest der Welt zu tragen und das Bewusstsein auf globaler Ebene zu schärfen.
"PFOA ist nur eine Substanz aus der PFAS-Gruppe"
Warum ist das Ihnen wichtig?
Die gleiche Chemikalie ist auch im Trinkwasser von vielen Millionen Menschen weltweit vorhanden, nicht nur in den USA. PFOA und andere PFAS wurden auch im Trinkwasser in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, in Japan und Australien gefunden. Menschen in anderen Ländern sind denselben Chemikalien ausgesetzt. Und es wurden vielerorts noch keine Schritte unternommen, das Problem anzugehen. Das ist besorgniserregend. Und PFOA ist nur eine Substanz aus der PFAS-Gruppe, also nur ein Teil des gesamten Problems. Die Herstellung wurde in den Vereinigten Staaten eingestellt. Ein Teil davon wurde nach Übersee, nach China und an andere Orte verlagert. Und die Industrie hat ihre Produktion auf verwandte Chemikalien umgestellt, die einfach nur ein paar Kohlenstoffatome mehr oder weniger haben und von denen Fachleute fürchten, dass sie ebenfalls eine Bedrohung darstellen. Heute wissen wir, dass es mehr als 10.000 PFAS gibt. Deshalb sehen wir zumindest in Europa diesen Schritt hin zur Beschränkung der gesamten Stoffklasse.
Nach mehr als 20 Jahren Engagement in dieser Sache. Wie fĂĽhlt es sich fĂĽr Sie an, dass Menschen noch immer nicht ausreichend geschĂĽtzt sind?
Viele Jahre lang war es unglaublich frustrierend, weil es niemanden interessiert hat. Niemand hat reagiert. Niemand hat zugehört. Die Unternehmen haben die Gefahr aktiv vertuscht und Informationen zurückgehalten. Sie haben die Öffentlichkeit, die Wissenschaftler und die Aufsichtsbehörden in die Irre geführt. Es bedurfte wirklich Dinge wie den Film "Dark Waters", den Dokumentarfilm "The Devil You Know", und mein Buch "Exposure", um die Aufsichtsbehörden dazu zu zwingen, hinzuschauen – und auch die Öffentlichkeit zu erreichen. Aber mich ermutigt sehr, zu sehen, welche massiven Veränderungen jetzt angestoßen werden. Heute wissen so viele Menschen Bescheid, dass man die Bedrohung nicht mehr einfach unter den Teppich kehren kann.
Haben Sie Zahlen, wie viele Menschen in der Region, in der Sie gearbeitet haben, aufgrund dieser Chemikalie krank wurden oder sogar starben?
Bei meinem ersten Rechtsstreit in den Vereinigten Staaten, im sogenannten Mid-Ohio Valley des Ohio River, wurden Tausende Menschen durch den Kontakt mit diesen Chemikalien krank. Und jetzt wissen wir leider, dass Millionen und Abermillionen von Menschen auf der ganzen Welt ebenfalls betroffen sein könnten. Einige Wissenschaftler haben sogar berechnet, dass jedes Jahr möglicherweise Tausende Menschen an den Folgen von PFAS sterben. Und das ist einfach schockierend. Dabei ist die Bewertung der Gesundheitsgefahr sehr schwierig ist. Denn Gesundheitsstudien beruhen oft darauf, exponierte Personen mit nicht-exponierten zu vergleichen. Wir finden aber fast keine nicht-exponierten Menschen – oder zumindest keine ausreichend große Gruppe – für einen solchen Vergleich.
Sie haben oft mit den Herstellern zu tun. Haben Sie dann den Eindruck, dass auch die Unternehmen ihre Einstellung ändern?
Ich denke schon. Gerade jetzt, wo Menschen besser Bescheid wissen und sich auch Verbraucher fordern, dass diese Chemikalien nicht mehr in Produkten enthalten sind. Noch bevor sich die Gesetze ändern, sehen wir, dass Unternehmen reagieren, dass sie nach Alternativen suchen. Und ich denke, eines der dramatischsten Beispiele dafür ist, dass der ursprüngliche Erfinder dieser Chemikalien 3M öffentlich angekündigt hat, bis Ende 2025 aus der PFAS-Produktion auszusteigen. Und das ist ein Unternehmen, das jahrzehntelang der Öffentlichkeit und allen Wissenschaftlern erzählt hat, dass es bei diesen Chemikalien keinen Grund zur Sorge gibt.
Problem: PFAS-Chemikalien wieder aus dem Boden bekommen
Allerdings ist der Schaden schon angerichtet und die Chemikalien kontaminieren Böden und Grundwasser. Wie sieht es aktuell in der Region am Ohio-Fluss aus, wo Ihre PFAS-Recherchen begannen?
Leider wurden die Chemikalien in den USA bisher nicht aus dem Boden und dem Grundwasser entfernt, auch nicht an dem Ort, an dem alles begann. Da gab es bisher noch keine Regulierungen. Zum GlĂĽck wurden Filter eingebaut, um sie zumindest aus dem Trinkwasser zu entfernen. Die EPA hat PFOA und eine zweite, wahrscheinlich krebserregende PFAS-Variante, PFOS, kĂĽrzlich unter ein Bundesgesetz zur Altlastensanierung gestellt. Dadurch wird es wahrscheinlicher, dass endlich Schritte unternommen werden, um zumindest einen groĂźen Teil der Kontamination zu beseitigen. Aktuell wird nun viel daran gearbeitet, herauszufinden, wie das gehen kann. Wie bekommen wir die Chemikalien aus dem Boden heraus? Und wohin dann damit? Wie kann man sie vernichten? Eine andere HĂĽrde ist auch, dass viele Hersteller fĂĽrchten, dass sie die Beseitigung bezahlen mĂĽssen. Sie wehren sich gerade juristisch gegen die neuen EPA-Vorschriften.
Nicht alle Unternehmen setzen in Zukunft auf Alternativen. Viele wollen trotz der bekannten Gefahren weiter mit PFAS arbeiten. Eines ihrer Hauptargumente ist, dass etliche PFAS unverzichtbar seien.
Das ist ein Argument, das wir seit vielen, vielen Jahren hören. Wir sehen aber viele Forschende und Unternehmen, die Alternativen entwickeln. Es ist einfach wichtig, dass die Menschen in Deutschland und überall auf der Welt verstehen, dass es sich um die gleiche Chemikaliengruppe handelt, mit der wir hier in den USA seit Jahrzehnten zu tun haben. Und ich hoffe einfach, dass wir diese Geschichte nicht immer wieder aufs Neue erzählen und durchleben müssen.
Dieser Beitrag ist zuerst bei t3n.de erschienen.
(vza)