Precision Farming: Teleskop im All soll Wassernutzung im Ackerbau verbessern

Ein Großteil des Süßwassers wird in der Landwirtschaft eingesetzt – oft verschwenderisch. Deutsche Forscher schicken nun zur Abhilfe ihre Entwicklung ins All.

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Sie und ihre Teams haben gemeinsam das neue Teleskop entwickelt (v. l. n. r.): Dipl.-Ing. Henrik von Lukowicz (Fraunhofer IOF), Dipl.-Ing. Marius Bierdel (ConstellR) und Dr. Matthias Beier (SPACEOPTIX).

(Bild: Fraunhofer IOF)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Marco Krefting
  • dpa
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Sie sind so groß wie Schuhkartons und sollen die Wassernutzung in der Landwirtschaft weltweit verbessern: Mit einem Schwarm sogenannter Mikrosatelliten der Freiburger Firma ConstellR wollen Forscher Daten zur Temperatur an der Erdoberfläche sammeln. Das helfe, den Wasserbedarf abzuschätzen, sagt Technikchef Marius Bierdel. "Wenn es Pflanzen schlecht geht, werden sie bräunlich und welk", erklärt er. "Dann ist es aber zu spät."

Dank der Infrarottechnik, mit der die Satelliten ausgestattet sind, soll schon zwei Wochen früher sichtbar werden, wo Bedarf zu wässern besteht. Auf der anderen Seite könne verhindert werden, an anderen Stellen Wasser zu verschwenden, sagt Bierdel. Die ConstellR GmbH ist eine Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik (EMI) in Freiburg, welches das Projekt geleitet hat.

Die Landwirtschaft verbraucht der Umweltschutzorganisation WWF zufolge 70 Prozent des weltweit zugänglichen Süßwassers. Durch undichte Bewässerungssysteme, ineffiziente Anwendungsmethoden sowie Pflanzen, die gemessen an ihrer Umgebung zu viel Wasser brauchen, würden jedoch 60 Prozent davon verschwendet. Ähnliche Zahlen nennen etwa die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) (PDF-Datei) und eine Studie unter anderem des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und der Humboldt-Universität zu Berlin (PDF-Datei).

Hier setzen Bierdel und sein Team an: Ihre Daten wollen sie in erster Linie Unternehmen bereitstellen, die Agrardaten analysieren und die Erkenntnisse daraus an ihre Kunden weitergeben. Aber auch große Agrar- und Lebensmittelkonzerne wie Bayer Crop Sciences, BayWa und Ferrero sowie politische Entscheidungsträger und globale Agrarforschungsgruppen nennt Bierdel als mögliche Kunden.

Dass es in der Branche Interesse gibt, wird beim Deutschen Bauernverband deutlich: Die Hoffnung sei groß, dass neuartige, satellitenbasierte Messinstrumente der beiden Fraunhofer-Institute helfen, in der Landwirtschaft nachhaltiger mit der Ressource Wasser umgehen zu können, teilt eine Sprecherin mit. "Wir gehen aber davon aus, dass diese Technik nicht nur für Bewässerung oder Bodenfeuchtemessung genutzt werden kann." Wichtigste Anwendung für Satellitendaten seien GPS-Dienste zur präziseren und gezielteren Ausbringung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln.

Auch auf wissenschaftlicher Seite spielt das Thema eine immer größere Rolle. So gibt es beispielsweise seit September 2021 an der Universität der Bundeswehr München eine Professur für Erdbeobachtung.

Erdbeobachtung aus dem All ist an sich nichts Neues. Die Deutsche Raumfahrtagentur listet eine ganze Reihe laufender und abgeschlossener Projekte auf. "Vor dem Hintergrund einer kontinuierlich anwachsenden Weltbevölkerung steigen die Anforderungen an eine ökologisch nachhaltige und gleichzeitig ertragreiche Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen", heißt es dort. "Satellitengestützte Erdbeobachtung liefert hierzu Informationen über den Zustand von Ackerböden und Feldfrüchten." Precision Farming lautet das internationale Schlagwort – präzise Landwirtschaft.

Das von Forschern in Jena und Freiburg entwickelte Spiegelteleskop soll künftig den Wasserkreislauf der Erde vermessen.

(Bild: Fraunhofer IOF)

Auch zur Messung der Oberflächentemperatur gibt es schon Projekte der US-Raumfahrbehörde NASA und der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Erstere liefere aber nur alle 16 Tage Bilder vom selben Ort, sagt Bierdel. Und die Auflösung der ESA-Daten sei zu grob für kleinere Flächen. "Wir bringen das Beste aus beiden Welten zusammen." Zugleich habe das Team es geschafft, die Technik so zu verfeinern, dass die Satelliten nicht mehr die Größe eines Kleinbusses haben.

Michael Nyenhuis von der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sieht solche kommerziellen Projekte als Ergänzung zu den staatlich finanzierten, die gröbere Daten lieferten und meist weniger spezifisch eingesetzt würden. Mit Hilfe großer Satelliten könnten kleinere auch kalibriert werden.

2,5 bis 3 Millionen Euro kostet ein ConstellR-Satellit laut Bierdel. "Im Vergleich zu anderen Missionen verschwindend gering." Und auch die Alternativen, die Erde mit stationären Sensoren zu pflastern oder mit Drohnen zu überfliegen, sei in Summe und bei den Dimensionen, um die es geht, nicht günstiger, sind er und Nyenhuis überzeugt. Klug könne es sein, solche Systeme mit Satelliten zu kombinieren, sagt der Experte der Raumfahrtagentur.

Bis Ende des Jahres 2024 sollen die ersten vier ConstellR-Satelliten im All sein. Um die Technologie – in erster Linie ein Spiegelteleskop mit einer Thermalinfrarotkamera und einem miniaturisierten Computer zur Datenverarbeitung – vorher zu testen, soll ein Prototyp des Messinstruments am 19. Februar vom NASA-Standort Wallops Island aus zur Raumstation ISS geschickt werden. "Da werden wir beweisen, dass die Technologie funktioniert", sagt Bierdel. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert den Versuch.

An der ISS-Mission beteiligt sind unter anderem das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF aus Jena, welches das Design des Spiegelteleskops realisiert hat, sowie die Firma Spaceoptix, die das Teleskop gefertigt hat. Auch hierbei handelt es sich um eine Ausgründung aus der Fraunhofer-Gesellschaft.

Erst in einem weiteren Schritt geht es um satellitenspezifische Fragen etwa zur Stromversorgung, Kommunikation und Positionierung auf einer bestimmten Umlaufbahn. "Das sind viele Baustellen, die mit der Kerntechnologie erstmal nichts zu tun haben", erläutert Bierdel.

Das Ergebnis sind Karten voller bunter Punkte in Blau, Türkis, Gelb, Orange und Rot. Das erinnert an abstrakte Kunst, hat für den Laien aber wenig Aussagekraft. Daher sollen Fachunternehmen die Daten auswerten. Diese könnten nicht nur in der Landwirtschaft Anwendung finden, blickt der ConstellR-Manager voraus. "Sie könnten auch Wettermodelle genauer machen, bei der Stadtplanung helfen oder ein effektiveres Katastrophenmanagement vorantreiben."

Gefördert wurde das Vorhaben zur Entwicklung des Teleskops vom Projekt "Digital Innovation Hub Photonics" (DIHP), einer vom Freistaat Thüringen geförderten Initiative zur Förderung von Gründungsvorhaben im Bereich Optik und Photonik, mit je 50 000 Euro für Spaceoptix und ConstellR.

(tiw)