Premiere von "My Square Lady"

In der Komischen Oper in Berlin war vergangenen Sonntag erstmals ein Roboter Star einer Opernaufführung.

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Von
  • Peter Glaser

In der Komischen Oper in Berlin war vergangenen Sonntag erstmals ein Roboter Star einer Opernaufführung.

Die Komische Oper ist ein hoher Saal im Zuckerbäckerstil, mit vergoldetem Stuck, Kristallüstern und samtroter Bestuhlung. Vom Licht der Notenständer sieht der Orchestergraben aus wie ein glühender Magmasee. Zusammen mit der deutsch-britischen Performancetruppe Gob Squad und dem Forschungslabor Neurorobotik der Beuth Hochschule für Technik in Berlin bringt das Haus ein bemerkenswertes Experiment auf die Bühne: die Opernerkundung "My Square Lady". Haupterkunder soll Myon sein, einer von fünf identischen, schneeweissen Robotern von der Größe eines Grundschülers, der ausgestattet ist mit einer Grundprogrammierung, die nur eines festlegt: dass er selbständig lernt. Mit einem zyklopischen Kameraauge nimmt Myon seine Umgebung wahr und verarbeitet sie. Für Wissenschaftler ein hochkomplexer Vorgang, für ein Opernpublikum eine gewisse Ödnis. Offenbar hat Myon in knapp zwei Jahren Vorarbeit vor allem gelernt, scheu zu sein.

Der Titel "My Square Lady" spielt auf My Fair Lady an, ein Erfolgsmusical aus dem Fünfzigerjahren nach dem Bühnenstück Pygmalion von Bernard Shaw, das seinerseits auf den griechischen Mythos des Bildhauers Pygmalion zurückgeht. Der hat sich in die Statue einer Frau verliebt, und nachdem er die Göttin Venus darum gebeten hat, wird die Statue langsam lebendig. Im Musical formt der Philologe Professor Higgins ein vulgäres Blumenmädchen namens Eliza mit viel Mühe zur Dame. Den Namen Eliza borgte sich Joseph Weizenbaum 1966 für sein legendäres Computerprogramm, das ein Gespräch mit einer Psychologin simuliert.

Eingangs stellt sich nach und nach das ganze Ensemble vor. Vom Direktor bis zu drei Praktikantinnen tritt jeder vor ein Mikrofon auf der Bühne und summiert seine Meinung über Roboter. Dass man sich etwa Pflegeroboter wünsche, damit alte Menschen später so lange wie möglich zu Hause leben können. Oder dass man sich sicher fühle davor, in seinem Beruf nicht durch Roboter ersetzt zu werden. Myon wirkt hinfällig. Er sitzt. Die meiste Zeit bewegt er nur ein wenig den Kopf, wie ein Querschnittsgelähmter. Das Bild vom Pflegeroboter kippt, aus der hilfreichen Maschine wird selbst ein Pflegefall. Und penetrant wird Gefühl, vielmehr Rührseligkeit in die kleine Maschine hineingeredet.

(Bild: Iko Freese / drama-berlin.de)

Tatsächlich löst der Roboter vor allem ein Gefühl aus: Mitleid. Er scheitert. Was als Experiment und Erkundung angesagt ist und in einem tieferen Sinn eine komische Oper sein könnte, ist doch eigentlich eine Tragödie, ein Trauerspiel. Wie ein Folteropfer, das von seinen Peinigern vorgeführt wird, erscheinen seine Entwickler in Anzug und Krawatte und flankieren den erschöpft wirkenden Roboter (der während der Vorführung zweimal ausgetauscht wird), um zu verhindern, dass er einfach umfällt.

Das Interesse an der Maschine verfällt zusehends. Sie wird zu dem, was sie keinesfalls sein sollte, zu einem Requisit. Anfangs wird sie, durchaus ironisch, mit zünftigem Bombast in einem goldenen Muschelthron auf der Bühne präsentiert als das Neue schlechthin. Dann zeigen sich des Kaisers neue Leider: leider kann er nicht aufstehen, leider kann er nicht gehen, leider kann er nichts von sich geben bis auf gelegentliche Befindlichkeitsstandards ("Sitzen, aktiv", "Stehen, stabil"). Auch das Sitzen sei nicht trivial, erläutert Professor Manfred Hild, der das Forschungsprojekt leitet. Ohne Strom klappt Myon zusammen. Auf einer Leinwand, die gelegentlich auf die Bühne herabschwebt, kann man sehen, was die Maschine sieht. Es sieht aus, als würde sie etwas suchen, von dem man als Mensch nicht begreift, was es sein könnte. In den Verbeugungswellen am Ende der Vorstellung kommt Myon gar nicht mehr vor, als schäme man sich seiner.

Das ganze ist ein großes, mit vereinten Kräften vorangetriebenes Missverständnis. Es ist Alchemie im Gewande des 21. Jahrhunderts, indem man sich und dem Publikum durch eine Art moderner Wortmagie einzureden versucht, die Maschine sei im Begriff, einen der komplexesten organischen Selbstregulatonsmechanismen des Menschen aus dem Nichts heraus hervorzubringen, nämlich Gefühle. Aber ein Sensor ist ein Sensor und kein empfindungsfähiges Gewebe und schon gar kein empfindungsfähiges Bewusstsein. Das ganze Stück stützt sich darauf, dass die Metapher der "empfindungsfähigen", da mit Sensoren und Aktuatoren ausgestatteten Maschine sich, wie Quecksilber in Gold, in einem magischen Moment in eine "wirklich" empfindende Maschine verwandelt.

Der Roboter wird im Lauf des Abends in jeder Hinsicht demontiert. Weder kann er die Bürde als Star und Hauptdarsteller tragen, noch der Verheissung der machtvollen Maschine entsprechen, die möglicherweise im Begriff ist, bald die Entwicklung der Zivilisation fortzuführen. Schließlich wird er auch physisch auseinandergenommen. In einem lebenden Bild, in dem die Darsteller um ihn herum an einem langen Tisch Leonardos Abendmahl nachstellen, wird er in seine Einzelteile zerlegt, die entlanggereicht werden, um ihn nach ein paar Minuten neu zusammengebaut wiederauferstehen zu lassen.

Dass der Abend dennoch unterhaltsam verläuft, ist der Nummernrevue aus Arien und Popmusik zu verdanken, die den musikalischen Ablauf zeitgemäß zerflattern lässt. Eine gewisse Beliebigkeit ist der moderne Bildungsbürger ohne Weiteres bereit hinzunehmen, da er es gewohnt ist, dass im Netz allerlei Schönes und Interessantes angeschwemmt wird, ohne dass ihm jemand die algorithmische Struktur dahinter verraten würde. Highlight ist der im brilliantglitzernden Paillettenjackett singende Robotikprofessor Hild, der mit Hingabe Robbie Williams "Feel" zum Besten gibt, während sein Entwicklerteam und die Damen und Herren Performer einen respektablen Gogo-Background abgeben.

Wie Eliza von der Blumenverkäuferin mit Sprachfehler zur weltläufigen Lady transformiert wird, so versuchen die Performer von Gob Squad, den Roboter zu formen. Als Regisseure und Akteure neben den Solisten und Chören der Oper, versuchen sie Myon mit großen Gefühlen zu füttern und ihm diese auch wieder zu entlocken. Mit wenig Erfolg. "Durch die Arbeit der vergangenen zwei Jahre ist für unsere Auswertungen im Forschungslabor eine riesige Datenbank entstanden", sagt Professor Hild. Das freut die Wissenschaft, dem Publikum bleibt das Vergnügen verschlossen.

(Bild: Iko Freese / drama-berlin.de)

Die ganze Gefühls-Sache erscheint vielmehr als eine Marketingmaßnahme, wie bei der NASA die ständigen Hinweise auf Wasserfunde auf fremden Himmelskörpern. Von eigenen Gefühlen sei Myon nach Ansicht Hilds nicht mehr so weit entfernt: "Angst, Zufriedenheit und Neugier werden seine ersten Emotionen sein. Oder auch Schmerz, beispielsweise wenn ein Gelenk heiß läuft." Aber Gefühl ist nicht nur die Rückmeldung eines Sensors, sondern Teil der bewussten menschlichen Selbstvergewisserung. Das in algorithmische Form zu bringen, ist, so es denn überhaupt möglich sein sollte, noch nicht einmal am Horizont zu erkennen. Claudia von Duehren nennt Myon in der B.Z. einen "15 Kilo schweren Herzensbrecher" und zitiert eine der Chor-Sängerinnen: "Wie süß der immer guckt".

Und: "Kann auch ein Roboter wie Myon menschlich werden?" Erst sollte die Maschine aber noch deutlich maschiniger werden. Vorgeblich um ihm Gefühle näherzubringen, singen die Mitspieler dem rezipierenden Roboter Stücke aus Carmen, Mozarts Zauberflöte und Schuberts "Wanderer" vor. Karl Jenkins' "Sanctus" eröffnet die Show grandios, die Sopranistin sucht den auf ihren Schoß gebetteten Myon mit dem "Lied an den Mond" von Dvorak zu bezaubern, und schließlich sinkt alles mit dem Requiem von Brahms tot darnieder.

Tatsächlich wird so aus der Opernbühne eine kulturelle Edelresterampe, die eine große Ratlosigkeit überdecken muss: Was soll man mit so einem nur sacht kopfwackelnden Ding dreieinhalb Stunden lang anfangen? So wie bei Computern reicht es nicht, einfach nur ein funktionales Gerät zu verkaufen, da muss schon ein Mythos her – den der fühlenden Maschine, die sich aus einer unendlichen Fremde ihrem Schöpfer, dem Menschen, zuwendet. Von sich selbst gerührt, versucht er mit dem Ding zu kommunizieren und so zu tun, als sei es kein Ding. "Ich ertappe mich dabei, wie ich Leben in die Maschine hineinsehe", schreibt Carolin Pirich, die den Roboter eineinhalb Jahre lang begleitet hat.

Bei den Proben ist er auch schon mal ein paar Schritte gegangen. Hat gesungen, wie aus einem Blecheimer, aber gesungen. Die Leute von Gob Squad haben nicht damit gerechnet, dass in diesem Projekt ausgerechnet der Roboter, die Technik, das am wenigsten Vorhersehbare ist. Arno Waschk, der schlaksige Dirigent, zeigt Myon, wie man die Arme hebt und senkt. Nach ein paarmal Brunnenpumpen hat die Maschine gelernt und hebt und senkt ein paarmal von allein die Arme, während das Orchester sich von der Bewegung brav dirigieren lässt. Das ist der Höhepunkt des Stücks.

My Square Lady
Von Menschen und Maschinen – Eine Opernerkundung.
Weitere Vorstellung: 5. Juli 2015
Komische Oper Berlin

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