Quantenradieren wider den Zeitstrom (Teil 1): Unergründliche Wege der Photonen

Kann der "Delayed Choice Quantum Eraser" in der Quantenwelt rückwirkend Entscheidungen ändern? Ein Blick auf den Welle-Teilchen-Dualismus hilft beim Verständnis

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Laser in einem Physiklabor

(Bild: luchschenF/Shutterstock.com)

Lesezeit: 25 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Wenn Sie einmal eine schwierige Wahl zwischen zwei Alternativen treffen mussten und sich unglücklicherweise für diejenige entschieden haben, die sich im Nachhinein als unvorteilhafter erwies, haben Sie sich sicherlich gewünscht, die Zeit einfach zurückdrehen zu können. So hätten Sie die Entscheidung revidieren können. Im Alltag ist das leider nicht möglich. Aber in der Welt des Allerkleinsten, der Quanten, gibt es einen Effekt, von dem manche behaupten, er würde es nachträglich erlauben, eine Entscheidung über den Ausgang eines Ereignisses zu treffen, das bereits in der Vergangenheit liegt. An Wissenschaft Interessierte werden vermutlich schon einmal vom "Delayed Choice Quantum Eraser" gehört haben, zu Deutsch auch unter dem Namen "Quantenradierer mit verzögerter Auswahl" bekannt, dem "Retrokausalität" nachgesagt wird, also eine zeitliche Umkehr von Ursache und Wirkung. Wir fühlen dem Experiment auf den Zahn und hinterfragen, ob hier tatsächlich der Zeitablauf umgekehrt wird. Beim Verständnis hilft eine oft übersehene Interpretation von Lichtwellen.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

"Jeder der von der Quantentheorie nicht schockiert ist, hat sie nicht verstanden." Dieser Satz wird Niels Bohr zugeschrieben, und wer sich näher mit Quantenphysik beschäftigt, wird ihm wahrscheinlich beipflichten. Die Welt des Mikrokosmos gehorcht zum Teil absurd erscheinenden Gesetzen, die unserer Erfahrung in der makroskopischen Welt gänzlich fremd sind. Quantenobjekte wie Elektronen oder Protonen können beispielsweise durch Wände hindurch "tunneln", sich gleichzeitig in zwei entgegengesetzte Richtungen drehen oder sich an mehreren Orten gleichzeitig aufhalten. Man kann mit großer Genauigkeit messen, wo sie sich befinden, oder wie schnell sie unterwegs sind, aber nicht beides gleichzeitig. Man kann nicht mit noch so großem Energieaufwand die Quarks in einem Proton oder Neutron einzeln herauslösen, weil aus der aufgewendeten Energie neue Quarks entstehen, die dann wieder Kombinationen aus zwei oder drei Quarks formen. Der größte Teil der Masse von Proton und Neutron steckt gar nicht in den Quarks, sondern im Vakuum zwischen ihnen – und so weiter und so fort.

Eines der oben genannten Beispiele für das seltsame Verhalten der Quanten ist die Heisenbergsche Unschärferelation, die besagt, dass sich zwar verschiedene Zustände eines Quantenteilchens mit großer Genauigkeit messen lassen, aber nicht jede beliebige Kombination davon. Sie können etwa ihren Ort oder ihre Geschwindigkeit (oder besser gesagt ihren Impuls, das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit) messen, aber nicht beides gleichzeitig. Das liegt jedoch nicht am Unvermögen unserer Messmethoden, sondern in der Natur der Quanten selbst begründet.

Ein Beispiel für diesen Effekt ist die Beugung von Licht an einem schmalen Spalt: Man beleuchtet mit einem Laserstrahl einen schmalen Spalt, Bruchteile eines Millimeters durchmessend. Auch die stets lichtschnellen und ruhemasselosen Photonen haben einen Impuls, der sich sehr genau messen lässt: Sein Betrag ist p=h/λ, wobei λ (griechisches kleines Lambda) für die Wellenlänge steht, die bei einem Laserstrahl äußerst scharf bestimmt ist. h ist eine Naturkonstante, das Plancksche Wirkungsquantum. Der Impuls ist (wie die Geschwindigkeit) ein Vektor, das heißt, er hat eine Richtung. Die Richtung des Impulsvektors entspricht der Ausbreitungsrichtung des Lichts, also der Richtung vom Laser zum Spalt.

Die Beugung von Licht am Einzelspalt kann durch die Heisenbergsche Unschärferelation erklärt werden. Je stärker man den Lichtweg einengt, desto breiter erscheint das Beugungsbild des Spalts auf einem dahinterliegenden Schirm, da die Richtung des Impulses der Photonen umso unschärfer wird, je schärfer man ihren Ort durch die Spaltbreite bestimmt.

(Bild: Single_Slit_Diffraction: Wikimedia Commons, DL6ER, CC-BY-SA-4.0)

Durch die Einengung des Photonenwegs des Laserstrahls mittels eines Spalts erfolgt eine eindimensionale Ortsmessung der Photonen. Beim Durchsenden der Photonen durch den Spalt lässt sich mit einer Auflösung, die der Breite des Spalts entspricht, feststellen, wo sich das Photon auf einer gedachten Linie quer zum Spalt befunden hat. Der Ort der Photonen in dieser Dimension wird stark eingeschränkt, während die Position entlang der Länge des Spalts deutlich weniger beschränkt bleibt. Die Photonen quittieren das damit, dass sie hinter dem Spalt Haken schlagen, wobei sie in zufälligen Winkeln von ihrer ursprünglichen Bewegungsrichtung abweichen und sich quer zum Spalt (aber nicht parallel dazu) auffächern (man spricht von "Beugung am Spalt"). Je schmaler der Spalt und somit je präziser die Ortseinschränkung, desto größer ist der Winkelbereich, in den die Photonen abgelenkt werden können. Dies führt wiederum zu einer stärkeren Unschärfe ihres Impulses, der auch die Bewegungsrichtung umfasst. Obwohl alle Photonen des Laserstrahls mit scharf bestimmtem Impuls den Spalt durchlaufen, weichen sie individuell höchst unterschiedlich von ihrem ursprünglichen Impuls ab. Es gibt keinerlei Möglichkeit, vorherzusagen, welchen Weg ein bestimmtes Photon hinter dem Spalt nehmen wird. Man kann lediglich eine statistische Verteilung für den Ablenkungswinkel angeben: Die meisten Photonen gehen geradeaus durch den Spalt, und mit zunehmendem Abstand von dieser Mittelachse erscheint der Strahl immer blasser. Je größer die Ablenkung, desto weniger Photonen nehmen diesen Weg.

Ein vergleichbares Verhalten zeigen Wasserwellen, die als parallele Wellenfronten auf eine schmale Öffnung treffen. Hinter der Öffnung fächern sie sich zu kreisbogenförmigen Wellen auf, umso stärker, je schmaler die Öffnung ist. Man kann das Spaltexperiment also auch über die Wellennatur des Lichts interpretieren.

Noch deutlicher tritt die Wellennatur des Lichts hervor, wenn man es durch zwei eng benachbarte Spalte schickt. Beide Spalte bilden die Quelle von Kreisbogenwellen, die sich auf einem Schirm hinter den Spalten überlagern. Auf der Mittelachse zwischen den Spalten legen die Lichtwellen dieselbe Weglänge vom Spalt zum Schirm zurück. Dort treffen stets gleichzeitig Wellenberge oder Wellentäler aufeinander, sodass die Mittellinie zwischen den Spalten maximale Ausleuchtung erfährt. Bewegt man sich ein wenig von der Mitte nach rechts, verkürzt sich der Weg der Lichtwellen vom rechten Spalt (bis zu dem Punkt, der genau hinter dem Spalt liegt), während sich der Weg zum linken Spalt verlängert. Dadurch treffen die Wellen beider Spalte nicht mehr synchron, sondern mit einem kleinen Zeitversatz ein, sodass bei einem Gangunterschied von einer halben Wellenlänge die beiden Wellen stets im Gegentakt schwingen und einander auslöschen. Das Ganze setzt sich nach links und rechts fort: Bei einer vollen Wellenlänge Gangunterschied addieren sich wieder Wellenberge oder Wellentäler, bei anderthalb Wellenlängen löschen sie sich wieder gegenseitig aus und so weiter. Auf diese Weise entsteht ein Muster aus benachbarten Streifen. Die Lichtwellen "interferieren" miteinander; sie interferieren "konstruktiv", wo Wellenberge auf Wellenberge und Wellentäler auf Wellentäler treffen, genauer gesagt "destruktiv", wo Wellenberge von Wellentälern ausgelöscht werden, und sie bilden so ein "Interferenzmuster".

Interferenzmuster von Laserlicht hinter einem Doppelspalt. In den dunklen Zonen treffen Wellenberge auf Wellentäler und löschen sich gegenseitig aus (destruktive Interferenz). In den hellen Streifen treffen Wellenberge auf Wellenberge und Wellentäler auf Wellentäler, sodass sie sich gegenseitig verstärken (konstruktive Interferenz). Die Gangunterschiede zwischen den Wellen variieren entlang des Schirms aufgrund der unterschiedlichen Entfernungen der Orte auf dem Schirm zu den beiden Spalten. Im oberen Bild ergeben sich helle Streifen dort, wo die gezeichneten Wellenlinien sich am Schirm überschneiden, und dunkle Streifen, wo eine Wellenlinie des Wellenmusters des einen Spalts genau in die Mitte zwischen zwei Linien des Wellenmusters des anderen Spalts fällt.

(Bild: Doubleslit.svg: Wikimedia Commons, Epzcaw und Interference_of_two_waves.png: Wikimedia Commons, Haade, CC-BY-SA-3.0)

Der Niederländer Christiaan Huygens (der auch als Entdecker des Saturnmonds Titan bekannt ist) schlug 1678 als Erster vor, dass Licht wie Schall aus Wellen bestünde. Beim Schall war dies offensichtlich, denn eine klingende Gitarren- oder Geigensaite oder eine angeschlagene Stimmgabel schwingen sichtbar und prägen der umgebenden Luft ein Muster wechselnden Drucks auf, das unser Trommelfell in Schwingungen versetzt und somit für uns hörbar wird.

Huygens' Zeitgenosse Isaac Newton verfocht hingegen Ende des 17. Jahrhunderts die Theorie, dass Licht aus Teilchen bestehe, die er "Korpuskel" nannte und die sich geradlinig ausbreiten sollten. Nur diese erklärten seiner Ansicht nach, wie ein Spiegel ein scharfes Abbild der Umgebung oder eine punktförmige Lichtquelle scharfe Schatten erzeugen konnte.

Erst 100 Jahre später, im Jahr 1801, konnte der Brite Thomas Young anhand des von ihm erstmals durchgeführten Doppelspaltversuchs die Wellennatur des Lichts eindeutig belegen, und damit war die Frage "Welle oder Teilchen?" für das folgende Jahrhundert geklärt. Newtons Argumente waren nichtig, weil die Wellenlänge des Lichts viel kleiner war, als er es sich hatte vorstellen können. Aus der Geometrie des Doppelspaltversuchs konnte Young bestimmen, dass Lichtwellen circa einen halben Mikrometer lang sind (ca. 400 - 700 nm), sodass in einem Millimeter rund 2000 Wellenzüge nebeneinander passen.

Die Teilchentheorie kam jedoch im frühen 20. Jahrhundert mit Wucht zurück, als kein Geringerer als Albert Einstein 1905 erstmals den schon 1887 von Heinrich Hertz nachgewiesenen photoelektrischen Effekt erklären konnte, wofür Einstein seinen einzigen Nobelpreis erhielt (nicht etwa für seine im Rückblick viel bedeutsamere Relativitätstheorie).

Beim photoelektrischen Effekt kann Licht Elektronen aus einer metallischen Oberfläche herausschlagen, aber nur, wenn es genug Energie mitbringt. Langwelliges, sichtbares Licht hat bei keiner noch so hohen Beleuchtungsstärke genug Energie, um Elektronen freizusetzen, sondern nur ultraviolettes Licht mit deutlich kürzerer Wellenlänge, und dies schon bei geringer Intensität. Einstein erklärte dies damit, dass Licht aus kleinen Paketen von Energie, sogenannten "Quanten" (Plural von Quantum, die Menge), bestehe. Nur wenn ein Quantum mit ausreichendem Energiegehalt auf ein Elektron in einem der Atome des Metalls trifft, reicht diese Energie aus, um es aus dem Atom herauszuschlagen. Nur die Quanten des ultravioletten Lichts konnten auf einen Schlag genug Energie an ein Elektron abgeben, sodass es sich aus der äußeren Schale seines Atoms lösen konnte. Noch so viele Photonen längerer Wellenlänge mit jeweils geringerer Energie haben keinen Effekt, denn das Elektron kann ihre Energie nicht ansammeln.

Die Energie eines in einem Atom befindlichen Elektrons steckt (vereinfacht gesagt) in der Schale des Atoms, in der es sich aufhält, und davon gibt es nur eine diskrete Anzahl. Wenn die Energie eines Photons einem Elektron auf der äußeren Schale nicht ausreicht, diese zu verlassen, dann lässt es das Photon unbehelligt passieren. Erst wenn die Energie des Photons größer ist als die Bindungsenergie des Elektrons, kann es das Photon aufnehmen und diese Energie als Ticket zur Freiheit einsetzen. Im photoelektrischen Effekt zeigen die Photonen als Überträger quantisierter Energiemengen, die sie an einem scharf lokalisierten Ort deponieren, ihre Teilchennatur.

Also, was ist Licht denn nun, Welle oder Teilchen? Die Antwort ist: Es kommt darauf an, welche der beiden Erscheinungsformen das durchgeführte Experiment in den Fokus nimmt. Solange man den Ort eines Photons nicht messtechnisch festnagelt, verhält sich Licht wie eine Welle und ist verschmiert über einen ausgedehnten Bereich. Es kann etwa einen Doppelspalt durchlaufen. Der Doppelspaltversuch funktioniert sogar, wenn man die Intensität der Lichtquelle so stark mindert, dass nur noch einzelne Photonen durch die Spalte gehen. Das Interferenzmuster ergibt sich dann bei einer Langzeitbelichtung aus der Summe vieler Photonen. Es sei nochmals daran erinnert, dass ein Photon, das durch einen einzelnen Spalt geht, kein Interferenzmuster verursacht, und daran ändert sich nichts, wenn man viele Photonen aussendet. Man könnte beispielsweise die Spalten abwechselnd verschließen, sodass immer genau einer offen ist; dann würden auch viele Photonen trotz Laufzeitunterschieden zum Detektor zwischen den Spalten kein Interferenzmuster erzeugen – wenn also ein Interferenzmuster entsteht, dann muss das Photon durch beide Spalten gegangen sein. Wenn Licht jedoch mit einem Teilchen interagiert, dann verhält es sich wie ein Teilchen und deponiert seine gesamte Energie in diesem einen Teilchen an einem scharf bestimmten Ort.

Auch Elektronen bilden ein Interferenzmuster, wenn man sie durch einen Doppelspalt schickt. In diesem Experiment von Tanamura et al. (Am. J. Physics 57, 117, 1989) wurden Elektronen einzeln durch einen Doppelspalt auf einen Leuchtschirm geschossen. Die Bilder zeigen das Ergebnis nach 200, 6000, 40000 und 140000 Elektronen.

(Bild: Wikimedia: Double-slit_experiment_results_Tanamura_four.jpg, Dr. Tonomura and Belsazar, CC-BY-SA-3.0)

Aber auch Elektronen oder andere Quantenobjekte, die gemeinhin als Teilchen betrachtet werden (Neutronen, Alphateilchen, Atomkerne und ganze Atome oder gar Moleküle), zeigen dieses Verhalten am Doppelspalt. Auch ein Elektron kann offenbar simultan durch zwei Spalte gehen. Selbst Neutronen oder Atomkerne scheinen beim Durchgang durch den Doppelspalt auf merkwürdige Weise verschmiert zu sein, obwohl ihre Dichte etwa der eines Neutronensterns entspricht – dichter kann man Materie nicht packen, ohne dass sie zu einem Schwarzen Loch kollabiert. Auch solch massiven Teilchen spricht man in der Quantenphysik eine Wellennatur zu. Freilich keine "Elektronen-" oder "Neutronenwelle", sondern eine "Wahrscheinlichkeitswelle", die bestimmt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Teilchen an einer bestimmten Stelle auf einem Detektor aufschlägt. Während Lichtwellen vertraut und über die oben genannten Experimente greifbar sind, ist die Natur der quantenmechanischen Wahrscheinlichkeitswellen vollkommen unklar, aber sie sind mathematisch leicht zu beschreiben und eignen sich vorzüglich zum Rechnen. Der Quantenwelt ist manchmal nur mit Mathematik beizukommen.

Je massiver ein Quantenobjekt ist, desto kürzer ist seine Wellenlänge – bis sie in der makroskopischen Welt so klein wird, dass sie ihre Bedeutung verliert. Regentropfen oder Haustiere befinden sich im Rahmen der Messgenauigkeit niemals an mehreren Orten gleichzeitig und interferieren hinter keinem Doppelspalt mit sich selbst.

Ein Quantenteilchen wie das Photon verhält sich also beim Durchgang durch einen hinreichend engen Doppelspalt wie eine Welle und geht durch beide Spalte gleichzeitig.

Und wenn man das nicht wahrhaben will und einfach nachschaut? Das lässt sich im Falle von Licht relativ einfach bewerkstelligen, indem man etwa die Lichtwege hinter den Spalten durch zwei verschieden orientierte Polarisationsfilter schickt. So läuft etwa das Licht des einen Spalts durch einen Filter mit horizontaler Polarisation und das des anderen Spalts durch einen Filter mit vertikaler Polarisation. Bekanntlich schwingen die elektromagnetischen Wellen hinter den Filtern nur noch in einer Ebene, die für beide Spalte nun um 90° gegeneinander verkippt sind. Somit verrät die Polarisationsrichtung des Lichts, durch welchen Spalt es gelaufen ist. Lässt man das Licht auf einen Projektionsschirm fallen, sieht man, oh Wunder, nun keine Interferenzstreifen mehr, sondern das, was man erwarten würde, wenn die Photonen als Teilchen jeweils nur durch einen Spalt gelaufen sind und sich ihre Streufelder auf dem Schirm überlagern.

Interessant wird es, wenn man diese Information über die Photonen auf dem Weg zum Schirm wieder auslöscht. Dies kann man mit einem weiteren linearen Polarisationsfilter erreichen, den man um 45° gegen die beiden anderen verkippt. Das Filter lässt Photonen beider Lichtwege mit der gleichen Wahrscheinlichkeit durch und die Polarisation beider Lichtwege ist hinter dem Filter wieder identisch. Auf diese Weise lässt sich das Interferenzmuster wiederherstellen. Die Information über den Lichtweg wurde gewissermaßen ausradiert.

Das Experiment kann man sogar mit einfachen Mitteln daheim nachvollziehen:

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Ein Schlaumeier mag einwerfen, na ja, wie sollen denn Photonen, die durch verschiedene Spalte gegangen sind und durch die Polfilter gezwungen werden, in zueinander senkrecht stehenden Ebenen zu schwingen, denn überhaupt noch miteinander interferieren? Die Wellenberge und -täler können sich im rechten Winkel zueinander doch gar nicht auslöschen! Die Gesetze über die Interferenzfähigkeit von polarisiertem Licht sind auch als Fresnel-Arago-Gesetze bekannt.

Tatsächlich würde der Feldstärkevektor der überlagerten Lichtwellen je nach Phasenunterschied Lissajous-Figuren mit einem Frequenzverhältnis von 1:1 beschreiben, also kleine Striche, Ellipsen oder Kreise, die man allerdings nicht sehen kann, es geht hier ja nur um die Amplituden der elektrischen und magnetischen Felder. Man erhält linear (Strich), zirkular (Kreis) oder teils zirkular (Ellipse) polarisiertes Licht, welches anstelle der hellen und dunklen Interferenzstreifen tritt, und diese kann das bloße Auge nicht unterscheiden.

Es sei denn, man fügt hinter ihnen ein lineares Polfilter mit jeweils 45° Neigung zu den beiden anderen Filtern in den Strahlengang ein. Das um 45° geneigte Filter biegt die Schwingungen der Lichtwellen wieder in ein- und dieselbe Ebene und stellt ihre Interferenzfähigkeit wieder her. Oder anders ausgedrückt, zeigt einem das Filter die Orte, wo das überlagerte Licht in Richtung des Polfilters linear polarisiert ist, und dann klappt es auch wieder mit der Interferenz. Aber wo wird da noch etwas radiert? Der Schlaumeier hat da tatsächlich einen Punkt. Man kann das Polfilter-Quantenradierer-Experiment auch allein mit klassischer Wellenmechanik erklären.

Es gibt jedoch auch Varianten des Quantenradierer-Experiments, die ohne Polarisationsfilter auskommen. Im folgenden Aufbau, der auch als Mach-Zehnder-Interferometer bekannt ist, wird kein Doppelspalt verwendet, um zwei Lichtwege zu erzeugen und zur Überlagerung zu bringen, sondern ein "Strahlteiler" oder Beam-Splitter.

Ein Beam-Splitter ist eine teilverspiegelte Glasplatte, welche eine Hälfte des Lichts wie ein Spiegel reflektiert und die andere Hälfte wie ein Fenster durchlässt. Im Photonenmodell hat ein Photon eine 50-prozentige Chance, reflektiert oder durchgelassen zu werden. Im Wellenmodell geht die Hälfte der Lichtintensität geradeaus durch die Glasplatte und die andere Hälfte wird an der teilverspiegelten Oberfläche reflektiert.

Das Mach-Zehnder-Interferometer erlaubt das Quantenradieren ohne Licht zu polarisieren: In Bild A wird der von links unten kommende Lichtstrahl am Beam-Splitter BS1 auf zwei Wege gespalten, die durch rote und blaue Wellen dargestellt sind, welche Wellenmaxima symbolisieren sollen. Beide Lichtwege werden an Vollspiegeln VS1 und VS2 im rechten Winkel abgelenkt und überkreuzen sich oben rechts. Zwei Detektoren (Photodioden D1 und D2) befinden sich in der Verlängerung des blauen oder roten Lichtwegs. Beide werden jederzeit von Licht erreicht. Wenn lediglich einzelne Photonen links unten eingespeist werden, dann werden die Photonen mal den blauen und mal den roten Weg zu dem einen oder anderen Detektor finden.

(Bild: Alderamin)

In Bild B wird ein weiterer Beam-Splitter BS2 oben rechts eingefügt, der die Lichtwege wieder zusammenführt, und zwar sowohl nach rechts als auch nach oben: Beide Lichtwege können den Beam-Splitter durchqueren oder an seiner Unterseite reflektiert werden, sodass sowohl der rote als auch der blaue Lichtweg beide Photodioden D1 und D2 erreichen kann. Dadurch kommt es an beiden Detektoren zur Interferenz: hier interferieren die Lichtwellen in D1 konstruktiv und in D2 destruktiv. Das heißt, dass D1 einen hellen Interferenzstreifen sieht und D2 einen dunklen. Das gilt auch, wenn man nur einzelne Photonen durch das Interferometer schickt: Sie werden stets bei D1 ankommen und niemals von D2 registriert werden (zumindest bei exakter Justierung des Interferometers und in Abwesenheit von Störungen). Dies ist nur zu verstehen, wenn man davon ausgeht, dass sie beide Wege nehmen und mit sich selbst am zweiten Beam-Splitter interferieren, denn ein punktförmiges Photon müsste eigentlich mit Wahrscheinlichkeit 50 % jeden der Detektoren erreichen. Die Lichtwellen sagen etwas über die Wahrscheinlichkeit aus, ob ein Photon einen Ort erreichen kann oder nicht.

(Bild: Alderamin)

Zur Erläuterung des Phasenunterschieds: Eine Reflexion an der Außenfläche eines Beam-Splitters oder Vollspiegels verschiebt die Phase der Lichtwellen um eine halbe Wellenlänge (λ/2). Eine Reflexion innerhalb des Beam-Splitter-Glases verursacht hingegen keine Verschiebung. Beim Durchlaufen des Glases wird die Wellenlänge um einen nicht näher bestimmten Betrag k verlängert, der von den Eigenschaften des Glases und der Länge des Lichtwegs durch das Glas abhängt – unter der Annahme, dass die Beam-Splitter identische Eigenschaften haben. Findet die Reflexion des roten Lichtwegs an der Oberseite des Beam-Splitters BS1 statt und die des blauen Lichtwegs an der Unterseite von BS2, so summieren sich die Phasenverschiebungen des blauen Wegs zum D1 auf λ+2k, und dies ist ebenso die Verschiebung auf dem roten Weg zu D1. Das heißt, die Wellen sind in Phase und verstärken sich.

Auf dem Weg zu D2 erfährt der blaue Lichtweg zweimal k beim Durchlaufen des Glases und λ/2 beim Vollspiegel VS2, das ergibt in Summe λ/2 + 2k. Der rote Lichtweg wird zweimal an einer Außenseite reflektiert, das macht +λ, einmal innerhalb des Beam-Splitter-Glases (+0) und durchläuft dabei zweimal diagonal die Dicke des Glases, das sind +2k. In Summe also λ+2k.

Damit sind roter und blauer Lichtweg um λ/2 gegeneinander verschoben, also gegenphasig und löschen einander aus.In den Grafiken oben ist der am Beam-Splitter BS1 reflektierte Anteil des Lichts rot abgebildet und der durchgehende Anteil blau. Lichtwellenberge werden als Wellenlinien symbolisiert, um den Phasenversatz zu verdeutlichen. Die Lichtwege trennen sich an der reflektierenden Oberseite von Beam-Splitter BS1. Beide Lichtwege werden über Vollspiegel VS1 und VS2 wieder an einem Ort oben rechts zusammengeführt. In Bild A überkreuzen sich die Lichtwege lediglich. Anhand der Richtung, aus denen die Strahlen kommen, messen Detektoren D1 und D2 am Ende der Wege stets Photonen, die einen bestimmten Weg gegangen sind. Wenn man nur einzelne Photonen durch den Beam-Splitter schickt, wird stets nur einer der Detektoren zu einer Zeit ein Photon registrieren – dasselbe Photon triggert niemals beide Detektoren.

Fügt man jedoch wie im unteren Teilbild einen zweiten Beam-Splitter BS2 ein, so kann man die Lichtwege aus der Sicht beider Detektoren wieder zusammenführen: Der blaue Lichtweg kann BS2 nach oben durchlaufen oder an seiner Unterseite nach rechts reflektiert werden. Der rote Lichtweg kann ihn nach rechts durchlaufen oder nach Durchlaufen des Glases an der Unterseite nach oben reflektiert werden.

Merken Sie sich an dieser Stelle bitte für später, dass die Reflexion an der Außenseite des Glases die Phase der Lichtwellen um eine halbe Lichtwelle verschiebt (das heißt, die Welle wird gewissermaßen auf den Kopf gestellt und Wellenberge und -täler werden gegeneinander vertauscht), während eine Reflexion im Glas an dessen Außenseite die Phase nicht verändert. Außerdem sorgt das Glas selbst durch seine Brechungseigenschaften, die mit einer geringeren Lichtgeschwindigkeit innerhalb des Glaskörpers zusammenhängen, dafür, dass die Lichtwellen nach dem Durchlaufen des Glases gegen ihre ursprüngliche Phase verschoben sind.

Aufgrund der optischen Gesetze ergibt sich für die Lichtwege zum Detektor D1 kein Laufzeitunterschied, sodass die Lichtwellen sich im rechten Detektor in Phase überlagern und das Lichtsignal maximal wird. Im Bild oben sind nämlich beide Lichtwege zu D1 einmal an der Oberfläche eines Beam-Splitters reflektiert worden (und beide nochmals an einem Vollspiegel) sowie einmal diagonal durch ihn hindurch gelaufen, was die Laufzeitunterschiede ausgleicht; natürlich muss man den Aufbau exakt justieren, um die Weglängen genau aufeinander abzustimmen.

Auf dem Weg zu D2 laufen beide Lichtwege zweimal diagonal durch Glas (der rote Strahl bei der Reflexion in BS2, der blaue je einmal beim Durchlaufen beider Beam-Splitter), und beide werden an einem Vollspiegel VS1 beziehungsweise VS2 reflektiert. Die Lichtwege unterscheiden sich darin, dass der rote Lichtweg zweimal mit Phasensprung reflektiert wird (und einmal ohne), was insgesamt wieder zur ursprünglichen Phasenlage führt: Die Wellen werden zweimal auf den Kopf gestellt. Dem hingegen wird der blaue Lichtweg nur einmal mit einer halben Wellenlänge Phasenunterschied reflektiert, was zu einem Gangunterschied von einer halben Wellenlänge gegenüber dem roten Lichtweg und somit zu destruktiver Interferenz führt.

Daher kommt bei D2 kein Licht an. Erinnert man sich an den Doppelspaltversuch, so führte die konstruktive Interferenz von phasengleichen Lichtwellen zu den hellen Streifen und die destruktive von um eine halbe Wellenlänge verschobenen Lichtwellen zu dunklen Streifen. D1 sieht also gewissermaßen einen hellen Interferenzstreifen und D2 einen dunklen. Der hinzugefügte Beam-Splitter BS2 radiert die vormals vorhandene "Welcher Weg"-Information wieder aus und stellt die Interferenzfähigkeit beider Lichtwege wieder her. Dieses Mal ganz ohne Polarisation.

Im Wellenmodell ist vollkommen klar, warum D1 ein maximales Signal misst und D2 keines. Wenn man jedoch einzelne Photonen durch das Mach-Zehnder-Interferometer schickt, dann sollte eigentlich ein Photon mit 50 % Wahrscheinlichkeit am Beam-Splitter unten links den roten Weg nehmen oder mit 50 % den blauen. Am Beam-Splitter oben rechts sollte es auf dem blauen Lichtweg mit 50 % nach rechts und mit 50 % nach oben laufen; also sollten insgesamt 25 % aller Photonen über den blauen Weg bei D1 ankommen und 25 % bei D2. Entsprechendes gilt für den roten Weg, sodass in Summe 50 % aller Photonen über einen der beiden Wege an jedem Detektor enden sollten. Das ist aber gemäß dem Wellenmodell nicht der Fall: 100 % der Photonen landen bei D1 und 0 % bei D2.

Sobald es mehrere gleichberechtigte Wege zu den Detektoren gibt, verhalten sich die Photonen auf ihnen wie Wellen, selbst wenn jeweils nur ein einzelnes Photon durch das Mach-Zehnder-Interferometer geschickt wird. Beim Doppelspaltversuch durchläuft ein Photon beide Spalten, beim Mach-Zehnder-Interferometer durchläuft es beide Wege. Gleichzeitig. Quantenphysikalisch betrachtet befindet sich jedes Photon in einer Überlagerung beider möglicher Wege und die Lichtwellen werden zur quantenphysikalischen Wahrscheinlichkeitswellenfunktion, die mit sich selbst vor den Detektoren interferiert und den Weg zum oberen Detektor unmöglich macht, während sie nur den Weg zum rechten Detektor zulässt. Welle schlägt Teilchen.

Licht ist also nicht Welle oder Teilchen, sondern beides zugleich: Die Wellennatur des Lichts bestimmt, an welchen Orten Photonen mit der Umgebung wechselwirken können und dort als lokalisierte Teilchen erscheinen. Wenn es mehrere Wege zum Ziel gibt, so verhalten sich die Photonen so, als ob sie alle diese Wege zugleich beschritten hätten. Paradoxerweise führt dies an Orten, wo sich die Lichtwellen im Falle von destruktiver Interferenz gegenseitig auslöschen, dazu, dass ein zusätzlicher Weg es den Photonen unmöglich macht, diesen Ort überhaupt noch zu erreichen!

Versucht man jedoch, mittels Messungen den Weg eines Photons zu bestimmen, so greift man fundamental in seine Wellenfunktion ein und verändert die Wahrscheinlichkeit, welche Orte es erreichen kann. Die Interferenzfähigkeit der Lichtwellen geht dabei verloren, und übrig bleibt nur eine Überlagerung von zwei Beugungsbildern eines Einzelspalts.

Quantenradierer ermöglichen es, die Interferenzfähigkeit des Lichts wieder herzustellen, weil sie die Information über den genommenen Weg eines Teilchens wieder verschleiern. So kann ein Beugungsbild wieder in ein Interferenzmuster verwandelt werden.

Aber was wäre, wenn wir einen Trick anwenden könnten, um die Information über den Weg eines Photons erst dann auszuwerten, wenn es bereits vom Detektor registriert worden ist? Wenn also bereits feststünde, ob ein Interferenzmuster oder ein Beugungsbild entstanden ist? Würden wir es dann in flagranti dabei erwischen, wie es beide Wege gleichzeitig nimmt? Wäre Interferenz dann gar nicht mehr möglich? Oder könnten wir das Interferenzmuster rückwirkend zerstören?

1982 wurde ein Experiment vorgeschlagen, bei dem das Quantenradieren erst erfolgen sollte, nachdem die Photonen bereits mit der Umgebung in Wechselwirkung getreten sind, und 1998 wurde ein analoges Experiment tatsächlich durchgeführt. Seitdem ranken sich einige Mythen um die Schlussfolgerungen aus dem "Quantenradierer mit verzögerter Auswahl". Im zweiten Teil dieses Artikels geht es um den Ausgang des Experiments und wie er sich mit den Kenntnissen aus dem ersten Teil erklären lässt.

(vza)