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RFID-Technik geht unter der Haut

David Kushner

Ein implantierter Chip kann die medizinische Versorgung in Notfällen verbessern und viele Vorgänge im Alltag vereinfachen.

Man kann sich die Werbeanzeigen für ein schöneres Leben dank Chip-Implantat im Arm schon gut vorstellen: "Ohne Geld im Supermarkt? Kein Problem: Einmal kurz den Bizeps beugen und die lächelnde Kassiererin scannt den Arm - schon ist der RFID-Chip erkannt und der Einkauf bezahlt. Beim Bergsteigen im Urlaub umgekippt? Keine Angst - das Krankenhaus unten im Ort kümmert sich darum. Ein Scan des Arms und schon ist klar: Es war nur ein bisschen Höhenkrankheit. Keine Lust, den Schlüssel für das Bankschließfach diurch die Gegend zu tragen? Winken Sie dem Bankangestellten einfach kurz zu, und schon öffnen sich alle Türen."

Der Mensch mit Chip-Implantat ist längst keine Science Fiction-Vision mehr. Im vergangenen Monat hat die US-Gesundheitsbehörde FDA nach zweijähriger Genehmigungsphase erstmals implantierbare Chips für medizinische Anwendungen erlaubt. Jeder dieser so genannten "Verichips" ist so groß wie ein Reiskorn und enthält eine eindeutige 16-stellige Codenummer. Verknüpft mit einer Datenbank können über diese ID dann diverse Datensätze abgefragt werden - von der virtuellen Krankenakte bis hin zur Finanzangelegenheiten.

Die Technik wird, wenig überraschend, bereits kontrovers diskutiert. Bürgerrechtsorganisationen sehen das Ende der Privatsphäre heraufziehen. Für religiöse Gruppierung ist es eine Technik des Teufels. Aber in Delray Beach, Florida, am Sitz des Verichip-Hersteller Applied Digital, denkt man, man habe eine Goldgrube entdeckt.

Die Verichip-Technik entstand wie so oft bei wissenschaftlichen Erfindungen vor allem durch Zufall. Vor 15 Jahren entwickelte ein Unternehmen namens Digital Angel implantierbare ID-Chips, um Haustiere und Vieh auffindbar zu machen. Die Idee setzte sich schnell durch: Im vergangenen Jahr wurden bereits 800.000 der Tier-Chips in den USA verkauft - zu Preisen zwischen 55 und 70 Dollar. Dies entspricht einem Wachstum von 30 Prozent im Vergleich zum Jahr 2002.

Richard Seelig, ein Chirurg aus New Jersey, fragte sich, warum man die Technik nicht auch zur Identifikation von Menschen nutzen könne. Nach den Terroranschlägen des 11. September hatte Seelig mit Schrecken festgestellt, dass sich New Yorker Feuerwehrleute ihre Sozialversicherungsnummern auf die Unterarme schrieben, um identifiziert werden zu können - nur zur Sicherheit, falls sie bis zur Unkenntlichkeit verbrannt werden sollten. Der Chirurg kannte die Digital-Angel-Technik bereits und implantierte sich freiwillig einen der Chips, um zu testen, ob er am Menschen funktionierte. Das führte schließlich zur Entwicklung des Verichips.

Laut Angela Fulcher, einer Sprecherin von Applied Digital, arbeitet der Chip für Menschen grundsätzlich so wie der für Tiere. Zu ihm gehört ein zylindrischer Transponder aus einem Glasröhrchen mit 11 Millimetern Länge und einem Durchmesser von 2,1 Millimetern. Neben dem Chip verläuft die Antenne, die die ID-Nummer überträgt. Applied Digitals dazu passender "Pocket Reader" liest die Nummer aus, wenn er in höchstens zehn Zentimetern Entfernung über die Haut geführt wird.

Im Gegensatz zur Haustier-Version des Chips ist das Implantat für den Menschen mit einem Material namens Biobond überzogen. Es besteht aus einem porösen Polypropylen-Material, das sich mit dem umgebenden Gewebe verbindet. Der Chip wird mit einem speziellen Verichip-Gerät an fleischreichen Stellen wie dem Bizeps implantiert. "Die Haltbarkeit liegt bei etwa 10 Jahren", sagt Sprecherin Fulcher, "das haben unsere Erfahrung mit den Mikrochips bei Tieren gezeigt."

In den USA wurden Verichips erst jetzt zugelassen, aber in anderen Ländern sind sie schon länger im Einsatz. Insgesamt etwa 1000 Personen sollen bereits mit ihnen herumlaufen. Der mexikanische Justizminister Rafael Macedo de la Concha trägt beispielsweise einen der Chips, um sicheren Zugriff auf Regierungsdokumente zu erhalten. In Barcelona gibt es bereits einen Beach Club, der Besuchern den Chip implantiert anstatt ihnen einen Stempel auf die Hand zu drücken.

Derlei Anwendungen dürften trotz der Genehmigung durch die FDA bald hinterfragt werden. Bürgerrechtler haben kritisiert, dass Applied Digital die tatsächlichen Risiken, die die FDA bei der Verichip-Technik fand, nicht offenlegt. Eine Gruppierung namens "Consumers Against Supermarket Privacy Invasion and Numbering", kurz CASPIAN, die sich gegen Überwachung in Supermärkten einsetzt, hat kürzlich ein Schreiben der FDA an Applied Digital veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem, dass es verschiedene Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit dem Chip gebe. So könne das umgebende Gewebe ihn abstoßen, der Transponder im Körper umherwandern oder es zu elektromagnettschen Störungen kommen. Andere Probleme, die genannt wurden, betreffen mögliche elektrische Schläge und Unvereinbarkeit mit einer Kernspintomografie.

Zu den medizinischen Risiken kommen Bedenken von Datenschützern in bezug auf einen Missbrauch der implantierbaren Chips. Sie stehen in Zusammenhang mit der zunehmenden Verbreitung von RFID-Technik. So will die San Francisco Public Library RFID-Chips in alle ihre Bücher stecken, in Virginia sind sie für Führerscheine vorgesehen, und in einem Gefängnis in Ohio läuft derzeit ein Pilotprogramm, in dem Straftäter mit Hilfe von Chip-Ansteckern überwacht werden sollen.

Die Grundidee dahinter ist, Gegenständen (und offensichtlich auch Menschen) eine Identifikation zu verpassen, mit der es möglich wird, nachzuverfolgen, wo und wie sie sich verteilen. Implantierbare RFIDs verkomplizieren die Sache zusätzlich - besonders, wenn man bedenkt, dass auch die Überwachung am Arbeitsplatz immer weiter zunimmt. Frederick S. Lane III, Autor des Überwachungs-kritischen Buches "The Naked Employee: How Technology Is Compromising Workplace Privacy", sieht implantierbare Chips bereits als Welle der Zukunft. "Das Problem ist, dass die Arbeitgeber dadurch so viele Informationen erhalten, dass sie künftig selbst bestimmen können, was noch als harmlos durchgeht, sagt Lane.

Der Streit um die implantierbaren Chips könnte weiter angeheizt werden, wenn die Geräte auch noch in Verbindung mit der Satelliten-Navigation GPS gebracht werden. Laut Sprecherin Fulcher hat Applied Digital tatsächlich bereits einen Prototypen einer implantierbaren GPS-Komponente entwickelt. Sie nennt sich "Personal Location Device" und ist von der Firma bereits patentrechtlich geschützt. Noch wurde die Technik noch nicht auf den Markt gebracht, weil das viele Millionen Dollar an Investitionen erfordern würde. "Momentan konzentrieren wir uns auf unsere aktuelle Technik", sagt die Sprecherin, "aber mit dem richtigen Partner könnte aich das durchaus interessant werden."

Von David Kushner; Übersetzung: Ben Schwan. (sma [1])


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