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Résumé-Driven Development: Wie IT-Trends den Jobmarkt beeinflussen

Jonas Fritzsch

(Bild: baranq/Shutterstock.com)

Welchen Einfluss haben IT-Trends auf die Jobsuche? Die Universität Stuttgart hat die Auswirkungen von RDD auf die Praxis der Softwareentwicklung untersucht.

Technologietrends spielen für Softwareentwickler bei der Jobsuche eine wichtige Rolle. Unlängst deuten verschiedene Quellen auf Missverständnisse und schlechte Praktiken in diesem Bereich hin. Der anekdotisch geprägte Begriff Résumé-Driven Development (RDD) beschreibt dabei ein Phänomen der Überbetonung von Technologietrends im Bewerbungsprozess. Die Universität Stuttgart hat dieses Phänomen empirisch durch die Befragung von 591 Software-Profis und Personalverantwortlichen untersucht.

Die Ergebnisse konnten RDD-Facetten in wesentlichen Teilen der Stichprobe nachweisen: 60 Prozent der Personaler waren sich einig, dass Trends ihre Stellenausschreibungen beeinflussen. Auf Bewerberseite glaubten 82 Prozent, die Verwendung von Trend-Technologien in ihrer täglichen Arbeit mache sie für potenzielle zukünftige Arbeitgeber attraktiver. Der Artikel fasst die Ergebnisse der Studie zusammen und diskutiert Einflussfaktoren sowie Konsequenzen für die Praxis der Softwareentwicklung.

"Neueste Technologien über funktionierende Lösungen, imposante Buzzwords über erfolgreich abgeschlossene Projekte, kreative Berufsbezeichnungen über technische Fachkenntnis und Setzen auf Trends statt pragmatischer Lösungen" – dieses Zukunftsbild der Softwareentwicklung zeichnet ein satirisches Manifest über Résumé-Driven Development [1].

Tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass diese zugegebenermaßen düstere Zukunftsvision schon heute in der Praxis anzutreffen ist. In Zeiten sozialer Netzwerke, Communities, Jobportalen und insbesondere Karriereplattformen avanciert das eigene Profil samt professionellem Werdegang mehr denn je zum Aushängeschild. Solche Informationen zählten vor wenigen Jahren noch zu vertraulichen Details, die man nur zum Zwecke der Bewerbung auf eine neue Arbeitsstelle preisgab. Inzwischen hat sich ein zunehmend freizügiger Umgang damit etabliert. Ein aktuelles Profil auf Xing oder LinkedIn mit vollständiger Historie, erlangten Abschlüssen und Zertifikaten sowie von Kollegen bestätigten Kenntnissen und Fähigkeiten ("Endorsements") ist bereits eher die Regel als die Ausnahme und komplettiert einen professionellen Auftritt. Ein hoher Vernetzungsgrad erhöht dabei die Glaubwürdigkeit und lässt auch potenzielle Hochstapler leichter entlarven.

Dank ausgefeilter Suchfunktionen wird dort aber nur gefunden, wer sich auch entsprechend präsentiert. Dass es eine wahre Fundgrube für Personalvermittler und Unternehmen ist, können sicher viele bestätigen. Was auf den ersten Blick wie ein äußerst nützliches Hilfsmittel für Bewerber und Personaler aussieht, hat aber auch Schattenseiten. Neben generellen Bedenken zu digitaler Enthaltsamkeit oder Datenschutz kann die hohe Bedeutung der ständig und für nahezu jedermann verfügbaren Profile und Lebensläufe vor allem zu steigendem Drang nach Perfektionierung des eigenen Erscheinungsbildes führen. Hier spielen bei Softwareentwicklerinnen und -entwicklern vor allem Kenntnisse und Fähigkeiten hinsichtlich verschiedener Technologien eine Rolle.

Eine aktuelle Studie unter 65.000 Softwareentwicklern [2] ergab, dass technologische Kompetenzen im Bewerbungsprozess als wichtigster Faktor für eine neue Stelle angesehen werden. Zugleich wurde in einer Studie mittels Eye-Tracking festgestellt [3], dass Personaler im Schnitt 7 Sekunden für den Blick auf den Lebenslauf eines Bewerbers investieren. Somit bleibt nicht viel Zeit, die kritischen Augen der Rekrutierer zu überzeugen. Es liegt nahe, dass das am ehesten mit Breite und Aktualität der präsentierten Technologien gelingt (zynische Zeitgenossen mögen hier von Buzzwords sprechen). Zudem erhöhen diese unter anderem bei Suchanfragen die Wahrscheinlichkeit, überhaupt gefunden zu werden.

Eine Strategie, mit der sich ein solch eindrucksvolles Profil aufbauen lässt, scheint klar: Man gibt der Technologieauswahl im aktuellen Tätigkeitsfeld eine entsprechende Priorität oder wählt zukünftige Arbeitgeber und Jobs konkret nach diesen Kriterien aus. Häufige Wechsel sind immanent, damit man nicht in einem Themengebiet stecken bleibt. Die tatsächlichen Anforderungen des aktuellen Projekts oder Kunden treten damit in den Hintergrund. In Entwicklerkreisen hat sich unlängst RDD als satirischer Begriff etabliert. Der Kern liegt hierbei in einer Fokussierung auf aktuelle Technologietrends, die Lücken im eigenen Profil füllen, dieses damit aufwerten und eindrucksvoller erscheinen lassen. Die Attraktivität des eigenen Profils steht also im Mittelpunkt und verdrängt damit produkt- beziehungsweise projektspezifische Anforderungen, aus denen sich primär die Wahl der zu nutzenden Technologien ergeben sollte.

Fehlt es einer Entwicklerin oder einem Entwickler beispielsweise an Praxis bei der Frontend-Entwicklung in Angular oder React, dann wird sie/er vermutlich eines dieser Frameworks im aktuellen Projekt priorisieren. Steht in einem Lebenslauf noch zu wenig über Microservices, bietet es sich an, die aktuell anstehende simple Web App in Spring Boot zu implementieren und als Containeranwendung in einem Kubernetes-Cluster zu deployen. Die Präferenz orientiert sich dabei an aktuellen Trends oder auch Hypes, die nicht selten nach wenigen Jahren wieder vom Markt verschwinden. Hierfür ist neben Medien, Entwickler-Communities und Foren der regelmäßig für verschiedene Disziplinen erscheinende Gartner Hype Cycle ein guter Indikator [4]. Dieser ordnet zugleich jeden Technologietrend einer von fünf Phasen zu, die er typischerweise durchläuft. Ein noch genauerer Indikator für derartige Technologie-Bewegungen ist das quartals-aktuelle Technology Radar der Firma ThoughtWorks. [5]

Entwickler beziehungsweise Bewerberinnen repräsentieren jedoch nur eine Seite von RDD. Auf der anderen stehen die Unternehmen sowie deren Personalverantwortliche, die dementsprechend agieren und reagieren. Richten Entwickler das Hauptaugenmerk auf das eigene Profil, wollen Unternehmen jedoch das bestmögliche Produkt mithilfe des passenden Werkzeugs erstellen, dann können diese divergierenden Interessen leicht zu Konflikten bei der Technologieauswahl führen. Unternehmen befinden sich hier in einer Zwickmühle. Die tatsächlich begehrten Technologien sind möglicherweise oftmals die, mit denen Entwickler nicht so gern arbeiten möchten.

Da erfahrene Softwareentwickler auf dem Arbeitsmarkt offenbar eher rar sind [6], ist man unter Umständen zu Zugeständnissen bereit. RDD auf Seite der Unternehmen und Personalverantwortlichen impliziert nun, dass sie ihre Stellenausschreibungen mittels aktueller, bei Entwicklern beliebten Technologietrends aufwerten. So könnten sie eine größere Zahl von Bewerbern ansprechen und im Endeffekt vielleicht einen besser geeigneten Kandidaten finden. Im Gegenzug wiederum können Bewerber schließlich davon ausgehen, dass die Stellenausschreibungen auch den tatsächlichen Bedarf eines Arbeitgebers widerspiegeln. Sie sehen sich also sicherlich darin bestärkt, ihre Profile hinsichtlich einer großen Breite aktueller Technologietrends zu optimieren.

Es zeigt sich, dass Résumé-Driven Development eine Wechselwirkung zwischen Bewerber- und Rekrutiererseite beschreibt, bei der Technologietrends im Mittelpunkt stehen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird eine solche Praxis früher oder später negative Auswirkungen haben. Das trifft zum einen die Bewerber, deren Erwartungen nicht erfüllt werden (siehe Kapitel "Why Software Development Hiring Is Broken" in [1]). Noch gravierender können die langfristigen Folgen für das Unternehmen sein, wenn mangelnde Qualität und Wartbarkeit der Software hohe Kosten verursachen.

Es stellt sich die berechtigte Frage, ob die skizzierten Zusammenhänge tatsächlich auf diese Weise existieren und ob sich sogar eine Kausalität nachweisen lässt. Interessant wäre zudem, in welchem Ausmaß dieses Phänomen vorhanden ist und welche Auswirkungen es auf die Softwareentwicklung in der Praxis hat.

Wissenschaftliche Forschungen zu diesem Thema gab es bislang nicht. Auch existiert für den Begriff Résumé-Driven Development (auch Curriculum Vitae-Driven Development, kurz CDD) keine eindeutige Definition. Er ist sporadisch in Blogs und Diskussionsforen zu dieser Thematik zu finden und führt dort interessanterweise meist zu kontroversen Debatten oder auch Polemik, wie der O'Reilly-Radar [7] und die Blogbeiträge "How resumé-driven development shapes our industry" [8] und "Why we at $FAMOUS_COMPANY Switched to $HYPED_TECHNOLOGY" [9] zeigen. Ein Forscherteam vom Institut für Software Engineering der Universität Stuttgart hat 2020 eine Studie gestartet, die das Phänomen mit wissenschaftlichen Methoden erklären und dessen Einflussfaktoren bestimmen sollte. Ziel der Arbeit war es, den Begriff Résumé-Driven Development auf Basis empirischer Untersuchungen in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen.

In einer breit angelegten Umfrage wurden dazu Softwareentwickler auf der einen und Personalverantwortliche auf der anderen Seite befragt. Entwickler in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen, wozu auch Studierende von Informatik-Studiengängen zählen, wurden zur Gruppe der Bewerber zusammengefasst. Die Gruppe der Personaler setzte sich aus Angestellten der Personalabteilungen, Manager mit Personalverantwortung sowie spezialisierten Job-Vermittlern im IT-Bereich zusammen. Teilnehmer konnten auch aus beiden Perspektiven nacheinander antworten.

Eine Fokussierung auf diese beiden Gruppen war Grundlage des Studiendesigns. Betrachtet wurde der Rekrutierungsprozess mit Fokus auf die Lebensläufe der Bewerber und die Stellenausschreibungen der Personaler. Auf Basis einer ausreichend großen Stichprobe plante das Forscherteam gezielt Intentionen und Motivation beider Seiten zu erfassen sowie weitere Einflussfaktoren auf das Phänomen zu ermitteln. Im Zeitraum von Mai bis Juli 2020 hat die Universität Stuttgart eine Onlinebefragung durchgeführt [10], die auch dank der Unterstützung von heise Developer eine überregionale Verbreitung erreichte. Über Entwicklerforen, Karrierenetzwerke sowie Industriekontakte der Forscher wurde die Reichweite zudem international erweitert. Am Ende konnten insgesamt 591 Teilnehmer gezählt werden, von denen jedoch der überwiegende Anteil in Deutschland ansässig war.

Aufgeteilt nach den beiden Perspektiven Personaler und Bewerber ergab sich bei den Antworten ein Verhältnis von 130 zu 558. Die demografischen Daten zeigten eine realistische Streuung hinsichtlich Berufserfahrung und Unternehmensgröße: Einsteiger mit weniger als zwei Jahren Erfahrung und Experten mit mehr als 20 Jahren machten jeweils etwa ein Fünftel aus, der Rest lag dazwischen. Es dominierten Softwareingenieure gefolgt von Managern, Studenten und Architekten (siehe Tabelle). Die Branchenzugehörigkeit wurde klar vom Software- und IT-Services-Umfeld angeführt, zweithäufigste Domäne war der Automotive-Bereich.

Professionelle Rolle Personalverantwortliche Bewerber
Software Engineer   193
Manager / Team Lead 115 27
Informatik-Student   102
Architekt   76
Consultant   36
Forscher / Dozent   33
Systemadministrator   29
DevOps Engineer   27
Projektmanager   20
Personalvermittler 8  
Test / Quality Engineer   8
Requirements Engineer   7
Personaler 7  
Gesamt 130 558

Tabelle: Anzahl der Antworten in den beiden Gruppen "Personalverantwortliche" und "Bewerber", geordnet nach Berufsbezeichnung

Die Personalverantwortlichen wurden zu Beginn nach ihren Präferenzen hinsichtlich der Kenntnisse und Fähigkeiten der Bewerberinnen und Bewerber gefragt. Hier ging es zunächst um die bevorzugte technologiebezogene Ausprägung "Breite" vs. "Tiefe". Rund zwei Drittel aller Befragten erachteten beide Ausprägungen als wichtig. Jedoch vor die Wahl gestellt, würden 22 Prozent der Teilnehmer einen Kandidaten mit tiefem Wissen in spezifischen Technologien bevorzugen, während für 42 Prozent der Kandidat mit breitem Wissen attraktiver erscheint (s. Abb. 1). Das zeigt eine Tendenz hin zum Generalisten, wobei rund ein Drittel keine generelle Aussage dazu machen konnte oder wollte. Bei der Gegenüberstellung der Technologie-bezogenen Ausprägung "Etabliert" vs. "Aktuell/Trend" sahen 59 Prozent Letztere als wichtig an, während etablierte Technologien mit 85 Prozent noch wichtiger angesehen wurden. Wieder in der direkten Gegenüberstellung ergab sich dann auch ein deutlicher Vorteil bei den etablierten Technologien (39 %) gegenüber Kenntnissen in aktuellen Technologietrends (20 %). Wiederum 41 Prozent konnten oder wollten hier keine generelle Aussage machen.

Präferenzen der Personalverantwortlichen hinsichtlich Technologie-bezogener Kenntnisse der Bewerber (Abb. 1).

Es zeigt sich, dass breites Wissen in etablierten Technologien tendenziell eher den Bedürfnissen der Personalverantwortlichen beziehungsweise Unternehmen entspricht. Ein weiterer wichtiger Aspekt im Zusammenspiel beider Gruppen ist die Erwartungshaltung beziehungsweise Einschätzung der Gegenseite (s. Abb. 2). In Bezug auf Bewerber waren sich 71 Prozent der Personalverantwortlichen einig, dass Softwareentwicklerinnen und -entwickler generell Spaß an der Arbeit mit den neuesten Technologien haben. Dazu passend nahm etwa die Hälfte der Befragten an, Bewerber würden durch die Aussicht auf Arbeit mit etablierten Technologien (“Legacy”) eher abgeschreckt. Interessanterweise stimmten die Personaler ebenfalls mehrheitlich (59 %) zu, dass Technologietrends einen Einfluss auf die Inhalte ihrer Stellenausschreibungen haben. Konkret danach gefragt, ob die dort beworbenen Technologien von den Erwartungen potenzieller Bewerber beeinflusst werden, bejahte immerhin noch eine knappe Hälfte von 46 Prozent.

Antworten der Personalverantwortlichen: Einflüsse auf Stellenausschreibungen und Annahmen über Bewerber (Abb. 2).

Indizien für RDD lassen sich hier also durchaus erkennen. Schwieriger war es jedoch, konkrete Gründe dafür auszumachen. Einen möglichen Faktor könnte der Arbeitsmarkt darstellen: 59 Prozent der Befragten gaben an, dass sie Schwierigkeiten haben, passende Kandidaten für ihre offenen Stellen zu finden. Hingegen gaben nur 15 Prozent an, dass es für sie kein Problem darstellt. Seitens der Unternehmen ist demnach also ein Werben, um die besten Bewerber zu erwarten. Dass dies die Unternehmen aber tatsächlich dazu veranlasst, Zugeständnisse zu machen, konnte mittels einer durchgeführten linearen Regressionsanalyse nicht nachgewiesen werden.

Die Bewerberseite startete mit der Frage, welche Rolle Technologietrends bei der Erstellung und Optimierung ihres Profils beziehungsweise ihres Lebenslaufs spielen (s. Abb. 3). Zunächst gab erwartungsgemäß eine große Mehrheit von 73 Prozent an, dass sie Spaß an der Arbeit mit neuen und aktuellen Technologien im Rahmen ihrer täglichen Arbeit haben. Das bestätigt die Annahme auf Seite der Personaler mit einem fast gleich hohen Prozentsatz. Nur 18 Prozent fanden es herausfordernd oder unangenehm, sich dahingehend regelmäßig auf dem aktuellen Stand zu halten. Jedoch waren nur knapp die Hälfte (42 %) der Befragten davon überzeugt, dass sie durch die Arbeit mit aktuellen Technologien zu besseren Softwareentwicklern würden. Ergänzend zu dieser intrinsischen Motivation der Nutzung von Trendtechnologien waren ganze 82 Prozent der Bewerber davon überzeugt, dass sie durch derartige Kenntnisse und Fähigkeiten attraktiver für potenzielle Arbeitgeber würden. Immerhin noch 63 Prozent bestätigten, dass eine größere Breite verschiedener aktueller Technologien die eigene Attraktivität weiter erhöhen würde – je mehr, umso attraktiver.

Antworten der Bewerber: Einstellung zu aktuellen bzw. Trendtechnologien (Abb. 3).

Im zweiten Teil wurden die Bewerber dann nach ihren praktischen Erfahrungen mit Technologietrends gefragt (s. Abb. 4). Die Hälfte der Teilnehmer berichtete, bisher überwiegend positive Erfahrungen gemacht zu haben. Bei 19 Prozent waren diese eher negativ, 32 Prozent antworteten neutral. Immerhin ein Fünftel gab an, dass sie schon mindestens einmal bewusst eine Trendtechnologie eingesetzt haben, obwohl sie nicht die am besten passende für den konkreten Anwendungsfall war. Zusammengefasst bestätigen diese Ergebnisse auch auf Bewerberseite die Indizien für das Vorhandensein von RDD: Technologietrends bewähren sich in der Praxis nicht immer, während sie für den Bewerbungsprozess und die eigene Attraktivität als wesentlich bedeutsamer eingeschätzt werden.

Antworten der Bewerber: Erfahrung mit aktuellen bzw. Trendtechnologien (Abb. 4)

Die explorative Studie verfolgt unter anderem das Ziel, eine Definition des Begriffs Résumé-Driven Development vorzuschlagen. Abbildung 5 zeigt das hierzu entwickelte Konstrukt. Die Abbildung wurde aus der Originalpublikation übernommen und nicht übersetzt, um begriffliche Ungenauigkeiten zu vermeiden. Es finden sich hier beide Gruppen wieder, benannt als "Hiring Perspective" und "Applicant Perspective". Die Seite der Personaler wird dabei durch folgende Facetten charakterisiert: Der Grad, zu dem Technologietrends und die Erwartungen von Bewerbern die Stellenausschreibungen beeinflussen. Auf Bewerberseite wurde das Vorhandensein durch folgende Aspekte definiert: Der Grad, zu dem Bewerber überzeugt sind, dass Kenntnisse in Trendtechnologien sie attraktiver für Unternehmen machen sowie die Wichtigkeit von Trends/Hypes bei der Technologieauswahl. Rechts sind die durch eine Regressionsanalyse ermittelten Prädiktoren zu sehen, die das Konstrukt RDD verstärken.

Das Konstrukt Résumé-Driven Development und seine verstärkenden Prädiktoren (Abb. 5).

Die Kombination der Facetten in beiden Gruppen – und somit Résumé-Driven Development – lässt sich in einem substanziellen Teil der Stichprobe nachweisen. Hier kommt vor allem auch zum Tragen, dass Personalverantwortliche tendenziell Kenntnisse in etablierten Technologien bevorzugen. Die weitere Analyse konnte eine positive Korrelation zur Unternehmensgröße feststellen. Tatsächlich ließen die Daten aber keine signifikante Korrelation zur Arbeitsmarktlage erkennen (den Angaben der Personalverantwortlichen nach).

Es stellt sich nun die Frage, welche potenziellen Auswirkungen Résumé-Driven Development auf die Praxis der Softwareentwicklung hat. Hier ist eine Unterscheidung in zwei Hauptbereiche möglich: Zunächst sind langfristige Auswirkungen auf die Softwarequalität möglich. Die Teilnehmer auf Bewerberseite stimmten mehrheitlich zu, dass permanent aufkommende Technologietrends die Diversität der genutzten Sprachen, Frameworks und Werkzeuge im Unternehmen vergrößern. Das erhöht die Komplexität [11] und verschlechtert die Wartbarkeit der entwickelten Software, sei es durch das Management von Abhängigkeiten und Updates oder auch des Wissenstransfers im Team. Mängel an Zuverlässigkeit werden zudem oft unausgereiften Technologien zugeschrieben. Da sich Trends oftmals nicht langfristig durchsetzen, kann sich der Aufwand schnell als Fehlinvestition herausstellen. Für Unternehmen kann RDD demnach Qualität und Zuverlässigkeit negativ beeinflussen und zudem die Wartungskosten in die Höhe treiben. Die Folgen zeigen sich in der Regel nicht sofort, sondern eher mittel- bis langfristig. Eine aktuelle Einschätzung im IEEE Software Journal [12] zum Thema "Zukunft der Softwareentwicklung" will schon gegenwärtig sichtbare Folgen von "overwhelming complexity, combined with insufficient development competences" ausmachen, beispielsweise in "public’s decreasing acceptance of [...] self-driving cars".

Der zweite Bereich an Auswirkungen umfasst den Rekrutierungsprozess selbst. Hier kann RDD auf beiden Seiten falsche Erwartungen wecken. Bewerberinnen und Bewerber sehen es generell nicht gern, wenn ihre zukünftige Rolle im Unternehmen [13] nicht klar umrissen wird. Mangelhaft kommunizierte Kriterien seitens der Personalverantwortlichen wurde als einer der Hauptmängel bei der Analyse von über 10.000 Reviews des Karriereportals Glassdoor [14] identifiziert. Eine sich im Nachgang ergebende hohe Fluktuation ist für beide Seiten kostspielig, insbesondere aber für das Unternehmen. Die kostenintensive Einarbeitung war vergebens und im schlimmsten Falle hinterlässt der Neuling unverwertbaren Code, da keiner der anderen Teammitglieder die eingesetzte Technologie beherrscht.

Ein weiterer Punkt, der vielfach in den Freitextantworten der Stuttgarter Studie genannt wurde, ist die einhergehende Vernachlässigung von Soft Skills. Hier sind soziale Kompetenzen wie Kommunikation, Selbstmotivation und Lernfähigkeit zu nennen, sowie ein Grundverständnis der Prinzipien, die sich hinter all den Technologien verbergen. Auch hier sei nochmals auf die Einblicke des bereits oben zitierten Autors verwiesen, der beide Seiten aus Erfahrung kennt [1].

Getreu dem Motto "wo Schatten ist, da ist auch Licht", fällt es nicht schwer, dieser Dynamik auch positive Aspekte abzugewinnen. Schließlich ist die Softwareentwicklung geprägt von einem permanenten Wandel. Die sich immer schneller vergrößernde Technologielandschaft erfordert ein permanent hohes Maß an Lernfähigkeit und -willen. Entwickler, die sich gern mit Technologietrends beschäftigen und diese nutzen, bringen solche Fähigkeiten meist automatisch mit und stellen damit ihre Ambitionen unter Beweis. Für Unternehmen kann es daher langfristig lukrativer sein, einem besonders lernwilligen Bewerber den Vorzug zu geben, auch wenn dieser hinsichtlich seiner aktuellen Kenntnisse die Anforderungen nicht optimal erfüllt. Zudem kann der wissbegierige Neuling als Bereicherung für erfahrene Teammitglieder dienen, indem er frischen Wind und neue Ideen einbringt.

Abschließend sei der berühmte Informatiker Donald Knuth zitiert [15]: “computer programming is an art [...] especially because it produces objects of beauty. A programmer who subconsciously views himself as an artist will enjoy what he does and will do it better”. Es spricht in gewisser Weise dafür, Softwareentwicklern die Freiheit zu geben, ihre bevorzugten Tools und Technologien selbst zu wählen. Jedoch erfordert die heutige Omnipräsenz von Algorithmen und Software in vielen sicherheitskritischen Systemen besondere Qualitätsstandards und ingenieurmäßige Methoden. Das sollte jedoch keinen entmutigen, Trends zu verfolgen und sich regelmäßig neues Wissen anzueignen. Das kann man dann beispielsweise bei Coding Challenges oder Hackathons unter Beweis stellen.

Die besprochene wissenschaftliche Studie wird auf der diesjährigen International Conference on Software Engineering (ICSE, 25. - 28 Mai 2021) präsentiert. Für weitere Details zum Thema empfehlen die Autoren zudem die Lektüre der Vorabveröffentlichung [16].

Jonas Fritzsch, M.Sc.
forscht im Bereich Software Engineering und Architekturen an der Universität Stuttgart. Dabei profitiert er von über zehn Jahren Erfahrung in der Enterprise Softwareentwicklung bei seinem vorherigen Arbeitgeber HPE (ehemals HP). Als Universitätsdozent lehrt er Programmierung und Algorithmen in Informatik-Studiengängen.

Literatur

[1] W. Gant, "Surviving the Whiteboard Interview", Apress, 2019, ISBN: 978-1484250068

(mdo [17])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6051956

Links in diesem Artikel:
[1] https://rdd.io
[2] https://insights.stackoverflow.com/survey/2020#
[3] https://www.theladders.com/static/images/basicSite/pdfs/TheLadders-EyeTracking-StudyC2.pdf
[4] https://www.gartner.com/en/information-technology/glossary/hype-cycle
[5] https://www.heise.de/news/Technology-Radar-Sorgfaeltige-Wahl-von-Cloud-Features-schuetzt-vor-Lock-in-Effekt-6015182.html
[6] https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Erstmals-mehr-als-100000-unbesetzte-Stellen-fuer-IT-Experten
[7] http://radar.oreilly.com/2014/10/resume-driven-development.html
[8] https://swizec.com/blog/how-cvdriven-development-shapes-our-industry/
[9] https://saagarjha.com/blog/2020/05/10/why-we-at-famous-company-switched-to-hyped-technology/
[10] https://www.heise.de/news/Resume-Driven-Development-IT-Trends-und-ihr-Einfluss-auf-den-Jobmarkt-5044063.html
[11] https://doi.org/10.1109/MS.2017.100
[12] https://doi.org/10.1109/MS.2017.100
[13] https://research.hackerrank.com/developer-skills/
[14] https://dl.acm.org/doi/10.1145/3377815.3381372
[15] https://doi.org/10.1145/361604.361612
[16] https://arxiv.org/abs/2101.12703
[17] mailto:mdo@ix.de