Assistierter Suizid: Warum disruptive Techniken problematisch sind​

Erst mit KI für den assistierten Suizid qualifizieren, dann in den 3D-gedruckten Sarco. Prof. Thomas Pollmächer findet das unerhört und fordert Regulierung.

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Suizidkapsel Sarco unter freiem Himmel auf einer grünen Wiese

Die Suizidkapsel Sarco.

(Bild: Sarco)

Lesezeit: 8 Min.

"Sarco", eine Suizidkapsel des Sterbehilfe-Aktivisten Philip Nitschke, der auch "Elon Musk der Sterbehilfe" genannt wird, könnte in der Schweiz zu strafrechtlichen Untersuchungen führen. Staatsanwälte aus verschiedenen Kantonen kündigen Ermittlungen für den Fall an, dass die Kapsel für den assistierten Suizid genutzt wird. Das berichtet unter anderem die Neue Zürcher Zeitung (NZZ).

Rolf Jäger von der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft erklärte gegenüber NZZ, dass bei einem Einsatz des Sarco im Kanton Zürich "zwingend ein umfassendes Strafverfahren wegen des Verdachts auf strafbare Handlungen gegen Leib und Leben (Tötungsdelikt)" eingeleitet werden müsste. Weitere Staatsanwälte äußerten sich ähnlich.

Die Suizidkapsel "Sarco" (Kurzform für Sarkophagus) fand breite Medienaufmerksamkeit und stieß auf öffentliche Skepsis, als ihr Start in der Schweiz angekündigt wurde. Die Kapsel, die mit einem 3D-Drucker hergestellt und als "Zukunft der Sterbehilfe" bezeichnet wurde, soll sich per Knopfdruck mit Stickstoff füllen und so einen schmerzlosen Tod innerhalb weniger Sekunden ermöglichen. Kritiker haben Zweifel an dem Versprechen.

Außerdem gibt es Bedenken hinsichtlich der Vermarktungsstrategie von Nitschke. Die erste geplante Nutzung der Kapsel in der Schweiz wurde abgesagt, nachdem die sterbewillige Person, eine 55-jährige Amerikanerin, sich von Nitschkes Team schlecht behandelt fühlte. Sie beschuldigte die Verantwortlichen, ihre Privatsphäre und Wünsche nicht respektiert zu haben. Nitschke und sein Team weisen diese Vorwürfe gegenüber der Schweizer Tageszeitung Blick zurück. Ob und wann die Kapsel in der Schweiz zum Einsatz kommen wird, ist derzeit unklar.

Auch in Deutschland wird das Thema Suizidhilfe kontrovers diskutiert. Eigentlich sollte es bereits im vergangenen Jahr eine gesetzliche Regelung zur Hilfe bei der Selbsttötung geben, doch zwei Gesetzentwürfe im Bundestag scheiterten. Die Gesetze sollten es auch ermöglichen, dass tödliche Medikamente für einen assistierten Suizid verschrieben werden können, allerdings mit unterschiedlichen Hürden. Beim ersten Gesetzesvorschlag sollte die geschäftsmäßige Sterbehilfe unter Strafe gestellt werden. Eine psychiatrische Begutachtung wäre laut Entwurf ebenfalls erforderlich.

Der zweite Vorschlag sah vor, das Recht auf Sterbehilfe aus dem Strafrecht herauszunehmen und auf ein Beratungsnetz zu setzen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht 2020 das Verbot der "geschäftsmäßigen Sterbehilfe" im Strafgesetzbuch gekippt hatte, fehlt eine gesetzliche Regulierung. Demnach ist es mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch möglich, die Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. Beim assistierten Suizid gibt es seitdem Rechtsunsicherheit. Bald könnte es einen neuen Anlauf für eine gesetzliche Regelung geben, die allen Beteiligten Rechtssicherheit und Schutz liefern soll.

Erst kürzlich forderte die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) daher, dass Ärzte, die für die Inanspruchnahme von Suizidhilfe Gutachten erstellen, nicht auch die Suizidhilfe durchführen dürfen. Die Medikamente soll eine staatliche Stelle ausgeben. Die Bundesärztekammer fordert ebenfalls, zunächst auf Suizidprävention zu setzen, wozu Gesundheitsminister Karl Lauterbach Mitte des Jahres auch eine Strategie vorgestellt hatte.

Ebenso müsse laut BÄK eine gesellschaftliche Debatte geführt werden, dann könne man das Thema Suizidassistenz angehen. Da es aktuell keine Regelung für die Suizidhilfe gibt, wäre der Einsatz eines Systems wie Sarco daher auch in Deutschland denkbar, sofern niemand eingreift.

Psychiater Prof. Thomas Pollmächer

(Bild: DGPPN/Claudia Burger)

Über die Details haben wir mit dem Psychiater Prof. Thomas Pollmächer von der DGPPN gesprochen. Er ist Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit am Klinikum Ingolstadt und außerplanmäßiger Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zudem engagiert er sich als Mitglied der Ethikkommission der European Psychiatric Association und im wissenschaftlichen Beirat des Bundesverbands der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen.

heise online: Kann ein System wie Sarco tatsächlich in Deutschland zum Einsatz kommen?

Thomas Pollmächer: Sofern jemand hierzulande so etwas anbietet und das auch in Anspruch genommen wird, ist das grundsätzlich möglich. Sicherlich könnte es hinterher, ähnlich wie es in der Schweiz gerade thematisiert wird, auch Strafanzeigen geben.

Unabhängig davon, ob es umgesetzt wird oder nicht, ist die Idee interessant und auch irgendwie unglaublich. Also, dass man aus so etwas Existenziellem wie den selbst herbeigeführten Tod so umsetzen will, das ist schon unerhört und sehr provokativ. Die Anpreisungen, dass das alles völlig problemlos funktionieren würde, sind nicht korrekt. Es ist zu bezweifeln, dass Menschen in dieser Kapsel innerhalb kürzester Zeit friedlich einschlafen. Als diese Methode – natürlich ohne diese Kapsel – bei Todeskandidaten in den USA angewendet wurde, haben diese unter massiver Atemnot gelitten. Wir wissen nicht, wie suizidwillige Menschen darauf reagieren, wenn sie plötzlich keine Luft mehr bekommen, denn so eine Kapsel wurde bisher nicht getestet.

Was bedeutet es für unsere Gesellschaft, Systeme wie Sarco einzusetzen?

Dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht das gesetzliche Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe, § 217 StGB, gekippt hatte, gibt es derzeit keinerlei gesetzliche Regelungen.

Zwar macht das Bundesverfassungsgericht eine klare Einschränkung, nämlich dass nur diejenigen das Recht wahrnehmen dürfen, die auch wirklich frei verantwortlich über ihren eigenen Tod entscheiden zu können. Die festzustellen ist allerdings keine Banalität. Es sind auch schon Ärzte in 1. Instanz zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, weil sie die Freiverantwortlichkeit nicht hinreichend geprüft hatten.

Es könnte etwa sein, dass einer Person beim Suizid assistiert wird, die gar nicht in der Lage ist, eine derartige Entscheidung frei verantwortlich zu treffen. Dann bedarf es verschiedener Untersuchungen, um sicherzustellen, dass die Menschen dazu tatsächlich in der Lage sind.

BVerfG kippt Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid

Das Bundesverfassungsgericht erklärte 2020 den § 217 StGB für verfassungswidrig, weil das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt. Dieses Recht umfasst auch das Recht, sich selbstbestimmt das Leben zu nehmen und die Freiheit, hierfür Hilfe von Dritten in Anspruch zu nehmen, wenn sie denn angeboten wird. Das Gericht argumentierte, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung so stark einschränkt, dass es faktisch unmöglich wird, dieses Recht auszuüben. Zudem sei das Verbot nicht verhältnismäßig, da es die freie Entscheidung des Einzelnen in einer existenziellen Frage unzulässig einschränkt.

Als Antwort hat die hinter Sarco steckende Organisation KI als Entscheidungshilfe vorgeschlagen, die Psychiater ersetzen soll. Wie schätzen Sie das ein?

Das halte ich für unrealistisch. Mal davon abgesehen, dass dafür die Daten fehlen, müsste man suizidwillige Menschen finden, die sich einerseits bereit erklären, sich mit einem Chatbot zu unterhalten und andererseits mit einem Experten. Aber wie sollten diese Daten dann validiert werden?

Entscheidend ist aber insgesamt, wie wir als Gesellschaft mit Suiziden umgehen. Ob wir sie sozusagen zu einer selbstverständlichen Alltäglichkeit erklären und schulterzuckend hinnehmen oder ob wir sie als etwas betrachten, dass es grundsätzlich zu verhindern gilt. Dabei ist egal, ob da KI und eine Weltraumkapsel im Spiel sind, sich Menschen erhängen oder ein Medikament einnehmen. Suizide sollten die absolute Ausnahme bleiben. Entscheidend ist doch, dass jedem, der sich das Leben nehmen möchte, Hilfe angeboten wird. Und Suizidassistenz sollte eine wirkliche Seltenheit sein.

Anders als in den Niederlanden oder in Belgien, wo bereits etwa 5 Prozent der Todesfälle durch Sterbehilfe zustande kommen. Selbst Kinder sind darunter und 95 Prozent der 5 Prozent sterben durch aktive Sterbehilfe, die bei uns noch strikt verboten ist.

Ist das jetzt gut oder schlecht?

Das überlasse ich Ihrer persönlichen Entscheidung, aber es geht ja noch weiter. Es gibt in den Niederlanden einzelne Fälle, wo Demenzpatienten gegen ihren aktuell geäußerten Willen im Sinne aktiver Sterbehilfe umgebracht werden, weil sie zu einem früheren Zustand den Wunsch geäußert haben, "euthanasiert" zu werden, wenn sie irgendwann dement werden.

Sie möchten, dass eine staatliche Stelle am Prozess mitwirkt?

Ja, wir fordern, dass eine staatliche Stelle bei dem Prozess die Organisation übernimmt und auch das Medikament zur Verfügung stellt. Wir halten es nicht für angemessen, der Ärzteschaft aufzubürden, ein todbringendes Medikament zu verschreiben.

Wenn der assistierte Suizid schon zur gesellschaftlichen Normalität werden soll, dann bitte klar getrennt von den ärztlichen Aufgaben. Die Details dazu muss der Gesetzgeber klären.

Der Vorteil einer staatlichen Organisation wäre auch, dass die geschäftsmäßige Suizidassistenz nicht mehr nötig ist. Denn es steht zu befürchten, dass solche privaten Vereine und Unternehmungen – mit oder ohne Profitorientierung – Menschen nicht ergebnisoffen beraten. Vielen solche Organisationen verherrlichen den Suizid regelrecht, schon, indem sie ihn "Freitod" nennen.

Hinweis: In Deutschland finden Sie Hilfe und Unterstützung bei Problemen aller Art, auch bei Fragen zu Mobbing und Suiziden, bei telefonseelsorge.de und telefonisch unter 0800 1110111. Die Nummer gegen Kummer (Kinder- und Jugendtelefon) lautet 116 111. In Österreich gibt es ebenfalls kostenfreie Hilfsangebote, darunter speziell für Kinder der Kindernotruf unter 0800 567 567 sowie Rat auf Draht unter 147. Dieselbe Telefonnummer führt in der Schweiz zu Pro Juventute.

Update

Gestrichen, dass für den Einsatz von Sarco hohe Gebühren anfallen.

(mack)