Schmutzige Bomben als Psycho-Waffe

Die USA befürchten Terroranschläge mit radioaktiv verseuchten Bomben -- aber die eigentliche Gefahr dabei liegt nicht in der Strahlung

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Von
  • Richard A. Muller
Inhaltsverzeichnis

Das US-Justizministerium und das FBI warnten im vergangenen Monat, dass Terroristen in diesem Sommer erneut einen Anschlag auf die USA durchführen könnten. Am gleichen Tag kündigte das US-Energieministerium einen 450 Millionen Dollar schweren Plan an, gegen terroristische Nuklearwaffen und so genannte "schmutzige Bomben" vorzugehen. Etwas später veröffentlichten US-Ermittler Details über einen Mann namens Jose Padilla - einen ehemaligen Straßengangster, der ein ausführliches Al-Quaida-Trainingsprogramm hinter sich hatte und offenbar plante, eine schmutzige Bombe in Amerika zu zünden.

Laut den vorliegenden Informationen zweifelte die Terrororganisation allerdings daran, dass Padillas Idee durchführbar wäre. Statt dessen sollte er zwei Apartment-Häuser mittels einer Gasexplosion zerstören. Offenbar meinte Al Quaida, dass ein solcher Anschlag tödlicher und zerstörerischer wäre als eine radioaktive Waffe.

Die Terroristen haben Recht - und genau das sollte uns Angst machen. Al Quaida versteht diese schmutzigen Bomben und ihre Anwendbarkeit offenbar besser als viele führende Politiker, die Medien und sogar manche Wissenschaftler.

Unsere Erfahrungen mit so genannten radiologischen Waffen, wie man die schmutzigen Bomben wissenschaftlicher nennt, sind eher gering. Sie benötigen keine Kettenreaktion wie bei Atombomben, sondern nutzen gewöhnliche Explosivstoffe, um ihr radioaktives Material zu verteilen. Saddam Hussein testete solche Waffen 1987, ließ die Arbeiten daran aber einstellen, als er feststellte, wie schlecht sie funktionierten. 1995 vergruben tschetschenische Rebellen Dynamit und eine kleine Menge des radioaktiven Isotops Zäsium-137 in einem Moskauer Park. Sie riefen dann einen Fernsehsender an, der es ausgraben sollte. Wahrscheinlich war den Rebellen klar, dass der Nachrichtenwert der Bombe größer war, wenn sie vor ihrer Explosion entdeckt wurde. Bei diesen Waffen sind die psychologischen Auswirkungen oft größer als der Schaden, den sie tatsächlich anrichten.

Ich will damit nicht den Eindruck erwecken, radioaktives Material sei harmlos. Als 1987 Plünderer im brasilianischen Goiania eine verlassene Strahlentherapie-Maschine fanden und schließlich auseinander nahmen, starben zwei Männer, eine Frau und ein Kind an akuter Strahlenvergiftung. Das Gerät enthielt 1400 Curie Zäsium-137 - eine Curie-Einheit entspricht der Radioaktivität eines Gramms Radium. 250 weitere Personen wurden verstrahlt. 41 Häuser wurden evakuiert, einige davon mussten abgerissen werden, weil sie nicht mehr gereinigt werden konnten.

Man stelle sich vor, die Strahlung wäre nicht auf ein paar Häuser beschränkt geblieben, sondern hätte sich durch eine Explosion über eine ganze Stadt verteilt. Hätte es dann noch mehr Opfer geben? Die überraschende Antwort ist: Nein. Wenn sich die Radioaktivität auf diese Art verteilt, müsste zwar eine größere Gegend evakuiert werden. Zu Todesfällen, die in direkter Verbindung mit dem Ereignis stehen, würde es aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht kommen.

Um die Details zu verstehen, muss man sich den Aufbau einer schmutzigen Bombe ansehen, wie sie Padilla bauen wollte. Ich wähle einmal die gleiche Menge radioaktiven Materials wie in Goiania: 1400 Curie Cäsium-137. Strahlenschäden werden in der Einheit Rem gemessen. Wenn man einen Meter von der Strahlenquelle entfernt steht, absorbiert man 450 Rem in weniger als einer Stunde. Das nennt man dann LD50 - was für eine tödliche Dosis (Lethal Dosis) von 50 Prozent steht. Unbehandelt hat man also eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass man in den nächsten paar Monaten aufgrund dieser Strahlung stirbt.

Wenn man nun die 1400 Curie über eine größere Fläche verteilt, beispielsweise eine Gegend von einem Quadratkilometer, erhält man 1,4 Millicurie pro Quadratmeter. Das entspricht einer Dosis von 140 Rem pro Jahr und Einwohner. Strahlenkrankheiten verteilen sich allerdings nichtlinear: Wenn man sich länger der Strahlung aussetzt, wächst die lethale Dosis um die vierte Wurzel der Zeit. Das entspricht 1250 Rem für eine einjährige Belastung oder auch 2500 Rem nach 16 Jahren. 140 Rem im Jahr reichen also nicht unbedingt aus, um die Strahlenkrankheit hervorzurufen - nicht einmal, wenn man sich 10 Jahre lang 24 Stunden am Tag in einem belasteten Bereich aufhält.

Radioaktive Verseuchung lässt in diesem Fall also nach, wenn sie gewissermaßen verdünnt wird. Es würde keine Toten am Ort des Geschehens geben - außer jemand stirbt aufgrund der Explosion selbst. Deshalb hat wohl auch die Al Quaida Jose Padilla befohlen, seinen Plan mit der schmutzigen Bombe aufzugeben und stattdessen an einer Gasexplosion zu arbeiten.

Aber selbst eine schmutzige Bombe ohne direkte Opfer könnte zu nuklearer Panik führen - weil die Bevölkerung fürchtet, auf lange Sicht an Krebs zu sterben. Für eine Dosis im 100-Rem-Bereich steigt die Krebswahrscheinlichkeit um 0,04 Prozent pro Rem - das zeigen historische Daten. Die Wahrscheinlichkeit, Krebs zu bekommen, steigt also um 6 Prozent für jedes Jahr, in dem man sich in unserem Beispiel-Quadratkilometer aufhält. Würde sich die Radioaktivität über ein größeres Gebiet verteilen, also beispielsweise ein 10 mal 10 Kilometer großes Quadrat, würde die Dosis noch geringer sein: 12,6 Rem pro Jahr. Das Krebsrisiko sinkt dann auf 0,06 Prozent pro Jahr im verstrahlten Gebiet; dabei habe ich konservativ gerechnet und vorausgesetzt, dass das Risiko proportional zur Dosis ist - sogar bei kleinen Dosen.

Würde ich bei einer solchen Dosis mein Heim verlassen? Nicht, wenn ich nicht muss. Das Durchschnittsrisiko, Krebs zu bekommen, liegt bei 20 Prozent. Ein um 0,06 Prozent höheres Risiko, also 20,06 Prozent, ist nicht signifikant.

Man würde mir allerdings keine Wahl lassen und mich trotzdem evakuieren. 12,6 Rem pro Jahr liegt 126 Mal über dem in den USA zulässigen Grenzwert. Die US-Umweltbehörde entseucht bis hinunter auf 0,025 Rem pro Jahr - 98 Prozent der Radioaktivität müsste also entfernt sein, bevor ich zurück nach Hause dürfte.

Am 11. September nutzten die Terroristen geschickt aktuelle US-Verhaltensregeln aus. Sie wussten, sie würden keine Pistolen brauchen, um Flugzeuge in ihre Gewalt zu bekommen - Piloten hatten damals die Anweisung, mit Entführern zu kooperieren. Niemand erwartete, dass jemand Flugzeuge in Waffen verwandeln könnte. Ähnlich könnte ein Terrorist heute eine radiologische Waffen einsetzen: Nicht wegen des tatsächlichen Schadens, sondern aufgrund der gigantischen Panik, die dann entsteht - und die dann auch die Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen würde.

Sind andere radiologische Angriffe gefährlicher als unser Zäsium-137-Beispiel? Elektrische Generatoren, die mit Radioisotopen betrieben werden, waren in verlassenen russischen Leuchttürmen zu finden. 400.000 Curie Strontium-90 enthielten sie. Allerdings gibt Strontium-90 fast keine Gammastrahlung ab - es ist nur gefährlich, wenn man es einatmet oder direkt zu sich nimmt. Eine Aerosol-Wolke aus Strontium-90 kann töten, aber es bleibt nicht lange in der Luft. Aus diesem Grund wäre sogar eine radiologische Bombe aus Plutonium eher ungefährlich. Anthrax, der Milzbranderreger, wäre tödlicher, lässt sich außerdem leichter besorgen und transportieren. Atommülllager und Atomreaktoren enthalten erheblich mehr radioaktives Material - sie sind wesentlich gefährlicher, wenn ihre Radioaktivität freigesetzt werden könnte.

Wenn kleine schmutzige Bomben so wenig Schaden anrichten können, stellt sich die Frage, warum sie gern in einem Atemzug mit echten Massenvernichtungswaffen genannt werden. Der Grund sind die US-Gesetze. 1997 wurden schmutzige Bomben in den so genannten National Defense Autorization Act aufgenommen. Enthalten sind sie außerdem in einigen Gesetzen der Bundesstaaten, etwa in Kalifornien.

Schmutzige Bomben als Massenvernichtungswaffen zu definieren, ist ein Fehler - und er könnte dazu führen, dass die Ressourcen an der falschen Stelle verwendet werden. Und es könnte zu einer generellen Überreaktion kommen, wenn die Waffen bei Anschlägen eingesetzt werden. Ich hoffe und erwarte, dass die oben erwähnten 450 Millionen Dollar des Energieministeriums im Kampf gegen Nuklearsprengstoffe und Angriffe auf nukleare Einrichtungen verwendet werden - und nicht spezifisch gegen die Gefahr radiologischer Waffen.

Wenn Terroristen Amerika in diesem Sommer mit einer schmutzigen Bombe angreifen, sterben die Leute während ihrer Flucht an Autounfällen. Schmutzige Bomben sind keine Massenvernichtungswaffen, sie führen allerhöchstens zu Massenpanik. Sie sind dann erfolgreich, wenn Öffentlichkeit und Regierung überreagieren. Angst müssen wir nicht vor der Radioaktivität haben, sondern vor Nuklearwaffen. In der Angst vor der schmutzigen Bombe liegt ihre größte Gefahr.

Von Richard A. Muller. Übersetzung: Ben Schwan.

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Richard A. Muller ist Physik-Professor an der University of California in Berkeley. Dort hält er die Vorlesung "Physics for Future Presidents"; außerdem ist Muller seit 1972 Berater für die nationale Sicherheit der USA. (sma)