Selbstformende Möbel: einfach auspacken und warten

4D-Programmierung macht aus flachen Holzbrettern wie von Zauberhand über Nacht fertige geschwungene Relaxliegen oder Stühle – durch kalkuliertes Trocknen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 34 Kommentare lesen

Forschende der Universität Stuttgart beziehen das so genannte hygroskopische Schwinden bei der Planung ihrer Möbel mit ein.

(Bild: ICD Universität Stuttgart)

Lesezeit: 3 Min.

Holz ist ein erstaunlicher Werkstoff. Allerdings ist das Verarbeiten von Holz nicht so trivial, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn ihre Form behalten Gebäude, Fenster oder Möbel nur, wenn das Bauholz richtig getrocknet wurde. Jede Zelle des Stammes, aus dem Bretter gesägt oder Balken gehauen werden, enthält Wasser. Verdunstet das Wasser nach dem Fällen des Baumes, ziehen sich die Fasern zusammen. Geschieht das nicht langsam, gleichmäßig und vor allem, bevor das Werkstück gefertigt wird, verziehen sich Regale und Fenster oder Balken bekommen Risse.

Forschende der Universität Stuttgart haben aus der Not eine Tugend gemacht. Sie beziehen das so genannte hygroskopische Schwinden bei der Planung ihrer Werkstücke mit ein. Sie verwenden frisch geschlagenes Ahornholz und schichten dünne Doppellagen aufeinander. Sie errechnen mit einem digitalen Modell das Schwindverhalten des Holzes und verbinden die dünnen Holzlagen so miteinander, dass sie sich während des Trocknungsprozesses gezielt in die gewünschte Form biegen.

Die Form des Möbels wird sozusagen in die Holzschichten hineinprogrammiert. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Ausrichtung der Faserrichtungen zueinander. Wie das genau funktioniert, ist allerdings ihr patentiertes Geheimnis. Bei der Verformung zum Stuhl oder der Chaiselongue rasten die Einzelteile dann ineinander und stabilisieren damit das Möbel.

Ihr Konzept nennen die Stuttgarter Hygroshape. Es ist die Weiterentwicklung einer sich selbst regulierenden Belüftung von Gebäuden nach dem Fichtenzapfen-Prinzip. Solange Zapfen am Baum hängen und mit Feuchtigkeit versorgt werden, sind die Samen sicher im Zapfen verschlossen. Fallen sie vom Baum, trocknet der Zapfen, die Schuppen biegen auf und das Samenkorn fällt auf den Boden. Diese Idee haben die Stuttgarter 2013 für Fensteröffnungen an einem Pavillon realisiert. Scheint die Sonne, trocknen die verleimten Sperrholzklappen und biegen sich wie Blütenblätter nach außen. Das Licht kann durch die Öffnungen in den Pavillon fallen. Bei Regen nimmt das Holz die Feuchtigkeit auf und zieht sich wieder gerade.

Für die selbstformenden Möbel erhalten die Stuttgarter den natürlichen Feuchtegehalt des Holzes während sie berechnen, wie sie die Platten verleimen müssen, damit sie in die gewünschte Form trocknen. Der elegant geschwungene Stuhl oder die freischwingende Chaiselongue – das sind die bislang hergestellten Prototypen – werden dann als flache Bretter zugesägt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine Vimeo-Video (Vimeo LLC) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Vimeo LLC) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Die Bretter, in denen ihre zukünftige Form noch schlummert, werden versiegelt, damit die Feuchtigkeit nicht entweichen kann, und zu ihren neuen Besitzern versendet. Als so genanntes Flatpack. Und hier greift die Design-Innovation: Durch den Trend, Möbel in handliche, flache Pakete zu verpacken und die neuen Besitzer schrauben, stecken und richten zu lassen, ist das Design moderner Massenware – seien wir ehrlich – sehr eingeschränkt.

Ein Paket des Spin-offs hylo tech – das die Entwicklung aus dem Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung in eine Möbelmarke überführen möchte – wird nur wenige Zentimeter dick und flach sein. Die einzige Montageleistung, die nötig ist, um daraus einen 50 Zentimeter hohen Stuhl zu machen, ist das Öffnen des Pakets. Und dann braucht es noch etwas Geduld.

(jsc)