Silicon Valley sucht den Superstar

Auf der "TechCrunch40" in San Francisco wurden innerhalb von zwei Tagen 140 Neugründungen durchs globale Dorf getrieben. Die Unternehmen hatten trotz einiger interessanter Konzepte ihre liebe Mühe, zu den Besuchern durchzudringen.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Steffan Heuer
Inhaltsverzeichnis

Die erste, mit Spannung erwartete Konferenz des einflussreichen Start-up-Blogs TechCrunch in San Francisco zeichnete sich vor allem durch eines aus: die chaotische Qual der Wahl. Mehr als 800 Teilnehmer hatten sich registriert und zum Großteil knapp 2.500 Dollar gezahlt, um im Schatten des inoffiziellen aktuellen Königmachers des Silicon Valley, Michael Arrington, Hof zu halten. Die meisten Neugründungen gingen im Rummel der zweitägigen Veranstaltung unter, die mehr ein Schönheitswettbewerb für "Silicon Valley sucht den Superstar" war als eine Technologie-Konferenz mit Substanz.

Vierzig Neugründungen stellten zumeist eine Betaversion ihrer Produkte vor. Die Zahl der Wettbewerber alleine war ein Indiz für den Gründertaumel, der die Region neuerlich erfasst hat. Arrington und sein Mit-Conferencier Jason Calacanis, Gründer der neuen Suchmaschine Mahalo, Blog-Pionier und einstiger New Yorker "New Economy"-Recke, wollten ursprünglich 20 Firmen einladen. Doch der Kreis wurde dann letztlich auf 40 Firmen aus zehn Ländern, darunter Deutschland, Russland, die Türkei und Südkorea, erweitert – das Grundrauschen stieg so deutlich an.

Unter den Wettbewerbern, die jeder acht Minuten lang präsentieren durften, zeichneten sich drei Trends ab, die Gründer und ihre Kapitalgeber inspirieren und sich unter dem Stichwort "Hypersozialisierung jeglicher Online-Inhalte" zusammenfassen lassen: Da sind erstens die Aggregation und teils öffentliche Analyse von bislang privaten Daten wie Bankkonten, Investment-Portfolios oder Geschäfts-Dokumenten. Zweitens die multimediale Kollaboration an Nutzer-generierten Inhalten, die jeden Filmclip und jedes Lied zu einer Art bewegtem Wiki machen. Und drittens ein Ausblick auf soziale Netze und virtuelle Welten, die die geschlossenen Ökosysteme von Second Life aufbrechen.

Einzelne Ideen und Geschäftsmodelle klar zu erkennen und zu analysieren – das war indes schwer. Die 39 vorab Auserwählten gingen im Chaos und der vom Organisator verordneten Geheimhaltung vor dem Start fast unter. Im Gegenzug für einen kostenlosen Auftritt vor mehreren hundert der wichtigsten Risikokapitalisten, Blogger und Reporter des Silicon Valley mussten sich die präsentierenden Firmen verpflichten, bis zum Morgen der Eröffnung nicht über ihr Produkt zu sprechen.

Zudem konkurrierten weitere 100 Neugründungen in einer so genannten "Demo Pit" um die Aufmerksamkeit der Besucher. Diese Unternehmer, die es nicht in die Endrunde schafften, mussten selbst 2.500 Dollar pro Kopf zahlen, um sich an kleinen Bartischchen in einem Hinterzimmer zu drängen und darauf zu hoffen, dass die Konferenzteilnehmer sie finden und ihr Produkt in den wenigen Pausen verstehen und als Joker oder 40. Neugründung in die Endrunde wählten. Ebenso konnten Zuschauer ihre Favoriten per SMS und Abstimmung im Web küren.

Viele der Aussteller zeigten sich unzufrieden mit dem übervollen, kaum navigierbaren Format. Die anwesenden Firmen erhielten zu wenig Vorlaufzeit, um sich mit Bloggern, Presse und potenziellen Investoren in Verbindung setzen zu können – geschweige denn tiefschürfende Gespräche zu führen. Für die Organisatoren zahlte es sich allerdings aus. Grob geschätzt setzte TechCrunch mit seiner Veranstaltung anderthalb Millionen Dollar um. Arrington stahl damit der etablierten Start-up-Messe "Demo", die kommende Woche in San Diego stattfindet, die Schau und einiges an zahlenden Gästen.

Die überfüllten Hallen sind Beweis für Arringtons Einfluss als Szene-Blogger, aber zugleich machten die organisatorischen Mängel klar, dass das rapide gewachsene TechCrunch-Imperium an seinem Erfolg und Profitstreben zu ersticken droht. Von Anbeginn riet der Veranstalter den Besuchern, die WiFi-Funktion an ihren iPhones auszuschalten und keine Live-Videos ins Netz zu streamen, da das drahtlose Netz zu schwach konzipiert war und selbst per seltenem Ethernet-Kabel oft ausfiel. Schlimmer noch: Auf der Bühne des Palace-Hotels mitten im Herzen San Franciscos gab es noch nicht einmal Mobil-Empfang, so dass mehrere Demonstrationen von schmerzhaften Pannen gezeichnet waren.

Dennoch starteten eine ganze Reihe interessanter Firmen mit innovativen Produkten, die das Zeug haben, ihre entsprechenden Märkte aufzumischen. Mehrere Start-ups bewegen sich schrittweise auf das Ziel des "semantischen Web" zu, in dem Netzdienste nicht nur Stichwörter verstehen, sondern komplexe Sprache analysieren und daraus automatisch logische Zusammenhänge und Hierarchien entwickeln und Vorschläge unterbreiten können.

Die seit langem mit Vorschusslorbeeren bedachte Suchmaschine Powerset stellte ihre Betaversion vor. Darin lassen sich Suchen wie ein simpler Satz mit Subjekt, Verb und Objekt verfassen. Um ihr erst Anfang 2008 an den Start gehendes Produkt feinjustieren zu können, lässt die Firma ab sofort eingeschränkte Anmeldungen im so genannten "Powerset Lab" zu. Dort lässt sich anfangs nur das Universum der Wikipedia durchsuchen und über die Güte der Suchergebnisse abstimmen.

Ähnliche semantische Gehversuche unternehmen die Firmen TripIt, Xobni, Mint und Cake Financial. TripIt versucht den guten alten Berater im Reisebüro zu ersetzen, indem es automatisch Buchungen für Flüge, Mietwagen oder Hotels aus beliebigen Webseiten zu einem übersichtlichen Dokument konsolidiert und mit zusätzlichen Informationen aus Google Maps, Wetterberichten und Flickr-Fotos anreichert. Nutzer müssen ihre Buchungsbestätigungen oder Änderungen lediglich an eine E-Mail-Adresse weiterleiten. TripIt kann die Routenplanung sogar mit den Reiseplänen von Freunden und Bekannten abgleichen.

Die "Weisheit der Masse" versuchen Cake Financial, Mint und SpendView für Finanzfragen auszunutzen. Nutzer können den drei Webdiensten Zugang zu ihrem Aktienportfolio, zu Konten und Kreditkarten gewähren, die sich danach automatisch um Aktualisierung, Auswertung und Vergleich mit anderen, anonymisierten Daten anderer Nutzer kümmern.

Mint, das den mit 50.000 Dollar dotierten Schönheitswettbewerb unter den 40 Auserwählten gewann, konsolidiert Kontoauszüge und Rechnungen, organisiert Ausgaben nach Kategorien in Tag-Wolken und unterbreitet selbstständig Vorschläge, um Geld zu sparen. So tauchen beim Blick in die eigene Online-Buchhaltung Hinweise auf Kreditkarten mit niedrigerem Zinssatz oder bessere Mobiltelefon-Verträge auf. Die Aggregation macht nicht nur Nutzern das Leben leichter, sondern ist auch eine ideale Plattform, um Provision zu kassieren, wenn Mints Empfehlungen zu Transaktionen führen.

Xobni erntete Beifall für sein elegantes Programm, um Berge alter und ständig neu einlaufender E-Mails zu sichten und gleichzeitig Einblick in das eigene soziale Netz zu bekommen. Das Programm funktioniert bislang nur als Erweiterung für Microsoft Outlook, aber soll laut Gründer Matt Brezina bald auch mit allen gängigen Webmail-Diensten funktionieren. Mit Xobni (Inbox rückwärts buchstabiert) lässt sich jede Mail als Einstieg benutzen, um mit ein paar Klicks zu erkunden, welcher Korrespondenz und welchen Absendern man wie viel Aufmerksamkeit schenkt. Die Software stellt dar, wann ein Nutzer wie oft worüber mit jemandem korrespondiert hat, gruppiert alle relevanten Attachments und Gespräche. Für Unternehmen ein ideales Werkzeug, um etwa verborgene Netze unter ihren Mitarbeitern und deren Gesprächspartnern aufzuspüren.

Die gemeinschaftliche Produktion von Multimedia-Dateien und deren Anwendung in sozialen Netzwerken nahm breiten Raum unter den weiteren "TechCrunch40"-Neugründungen ein. Musicshake aus Korea lässt Nutzer im Web in wenigen Minuten Lieder aus Tausenden von Modulen komponieren und dann beliebige andere Nutzer lizenzieren. Eine ähnliche Funktionalität für Videos als Gruppenbastelei stellten Storyblender und Kaltura vor. Die Webseite Kerpoof schließlich versucht Kinder und Jugendliche über im Browser angefertigte Cartoons und Filme an Objekt-orientierte Programmierung heranzuführen.

Die Fotoplattform Zivity ist einer der ersten Crowdsourcing-Vorstöße in den Erotikbereich. Dabei erhalten Fotografen und weibliche Modelle, die ihre Fotos hochladen, nicht nur 40 Prozent der monatlichen Mitgliedsgebühren, sondern können sogar untereinander vereinbaren, wie sie 80 Prozent der von Besuchern verteilten "Trinkgelder" aufteilen.

Während einige wenige Oben Ohne-Bilder rasch die Prüderie der US-Zuschauer im Saal wachriefen, erkannte Brad Garlinghouse von Yahoo aus der Expertenjury das Potential von Zivity: "Von allen Firmen, die ich hier gesehen habe, ist das die einzige, bei der ich mir sicher bin, dass sie wirtschaftlichen Erfolg haben werden."

Ebenso großes Potential besitzt die Plattform für virtuelle Welten namens Metaplace, die der langjährige Manager von Sony Online, Raph Koster, vorstellte. "Virtuelle Welten wie Second Life befinden sich heute auf dem Stand wie AOL Mitte der Neunzigerjahre", so der Spiele-Entwickler. Die SL-Betreiberfirma Linden Lab stellt die Server bereit und kontrolliert damit, wer sich innerhalb ihrer geschlossenen Welt ansiedeln und bewegen kann.

Metaplace hingegen existiert als ein unendliches Universum von Miniwelten, die einen Klick voneinander entfernt sind. Ein entsprechendes Widget lässt sich auf jeder Social Networking-Seite wie MySpace oder Facebook oder einem Blog einbetten und erfordert kein Login oder spezielle Software. Jedes Objekt ist nichts weiter als ein Link, um eigene RSS-Feeds oder eine Wunschliste von Amazon in einen Raum zu stellen. Je nach Client – vom Desktop bis zum Handy – kann jeder Nutzer seine virtuelle Welt in 2D oder 3D modellieren, mit Anzeigen bestücken oder sogar Eintritt verlangen.

Langfristig will Metaplace seine Plattform komplett öffnen und Nutzer ihre Welten verwalten und hosten lassen. Der französische Serienunternehmer Loic LeMeur verglich die Bedeutung von Metaplace mit Facebooks Öffnung für Dritt-Anwendungen: "Damit können sie Second Life rechts überholen."

Ähnlich offen für alle Webdienste und Plattformen ist die britische Neugründung Imagini, die die Vorlieben ihrer Nutzer mit Hilfe von Fotos abfragt und daraus eine "visuelle DNA" ermittelt, mit der sich Gleichgesinnte finden lassen. Diese dynamischen Profile lassen sich als Mini-Anwendung namens "Youniverse" in Facebook und andere Seiten einbetten. Seit ihrem Start im März hat Imagini nur durch Flüsterpropaganda mehr als 4,5 Millionen registrierte Nutzer gefunden und ist dabei, erste Verträge mit großen Firmen wie Pepsi auszuhandeln, die das Vermarktungspotential erkannt haben.

Dass die Realität immer noch die besten Ideen für neue Firmen liefert, bewies die Firma WooMe, die Speed Dating ins Webzeitalter befördert. Nutzer richten Gruppensitzungen ein, in denen zwischen 4 und 16 Männer und Frauen jeweils eine Minute Zeit haben, um sich per Audio und Video kennen zu lernen. Was als Anbandel-Seite für Menschen ohne Geduld gedacht war, hat sich laut CEO Stephen Stokols schon in der Testphase zu einem Tummelplatz für Nutzer entwickelt, die so auf die Schnelle Kandidaten für gemeinsame Reisen oder Wohngemeinschaften aussieben. Einer der Investoren, der an WooMes Modell des Networking nach Stoppuhr glaubt, ist Niklas Zennstrom, der Visionär hinter Firmen wie Kazaa, Skype und Joost.

Die einzige deutsche Firma, die es in die Runde der 40 Startups schaffte, ist die Peer-to-Peer-Suchmaschine Faroo. Vom Informatiker Wolf Garbe entwickelt, versucht das Unternehmen ohne Tausende von Servern in riesigen Rechenzentren auszukommen und stattdessen die brach liegende Kapazität von Internet-PCs zu nutzen. Im Gegensatz zu Googles Pagerank-Verfahren basieren Faroos Sucherergebnisse auf der Aufmerksamkeit und Verweildauer, die Nutzer den Seiten schenken, und ihre Daten werden nicht an eine zentrale Datenbank zurück geschickt.

Bereits mit einer Million installierten Faroo-Clients sei es möglich, das gesamte Web mit seinen zehn Milliarden Seiten zu durchsuchen, so Garbe. Dieses Ziel will die Firma noch vor Ende 2008 erreichen. Anreiz für jeden neuen Nutzer: Wer Faroo als Suchmaschine einsetzt, wird anteilig an den Werbeeinnahmen beteiligt. (bsc)