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Smartphone auf Rädern

Chris Löwer, Gordon Bolduan

Bislang galt das Auto als einer der letzten internetfreien Räume. Nun bringen etliche Autohersteller das Web ins Fahrzeug und versprechen praktische Anwendungen.

BMW-Entwickler Marc Bechler nimmt es mit dem Slogan des bayerischen Autobauers "Freude am Fahren" ziemlich ernst. So ernst sogar, dass er auch noch Freude am Stehen vermitteln möchte. Sein Team macht sich darüber Gedanken, wie lästige Ampelstopps durch Internetanwendungen kurzweiliger werden können. Bechler hat "Mikropausen-Apps" im Sinn, mit denen sich selbst zehn Sekunden durch Nachrichten oder Videoclips überbrücken lassen. Und zwar ohne dass der Fahrer etwas dafür tun müsste. Denn eine speziell ausgerüstete Ampel sendet verschlüsselt über Funk an das Fahrzeug, wie lange die Rotphase noch dauern wird. Sobald die Räder stehen, spielt das intelligente Infotainment-System die passenden "Mikropausen-Apps" in das Kombi-Instrument im Armaturenbrett ein. Die Forscher denken sogar darüber nach, die Fahrer mit Minispielen wie Pacman oder Flipper zu erfreuen. Ob man das wirklich braucht?

In einem Stau steckend, würde sicherlich kein Fahrer den Zugriff auf solche Online-Dienste ablehnen. Autohersteller hegen und pflegen schon seit mehreren Jahren die Idee, dass Manager im Auto E-Mails beantworten, Teenager über das Internet telefonieren und Familienväter ihre Kinder auf dem Rücksitz mit Videoclips aus dem Internet und spontan heruntergeladenen Hörbüchern besänftigen könnten. Diese Vision rückt nun in greifbare Nähe. Fahrzeugindustrie, Betreiber von Mobilfunknetzen und IT-Konzerne wollen das Auto in ein rollendes Online-Terminal verwandeln, um auf diese Weise den "letzten weißen Flecken des Internets", so Ralf Lenninger, Manager des Autozulieferers Continental, zu schließen. Dabei ist man sich auch nicht zu schade, Erfolgsmodelle aus der Mobilfunk-Industrie wie herunterladbare Mini-Programme (Apps) und sogenannte App Stores auf die Autowelt zu übertragen.

Seit Jahren findet immer mehr Unterhaltungselektronik den Weg in den Pkw. Erst wollten Fahrer und Insassen neben Radio auch CD hören, dann sollte Musik auch in Form der im Internet immer beliebter werdenden MP3- Dateien abspielbar sein. Autohersteller reagierten darauf, indem sie spezielle Betriebssysteme für das sogenannte In-Vehicle-Infotainment entwickelten, um diese Funktionalität nicht auch noch in die immer komplexeren Bordelektronik-Systeme packen zu müssen. Doch da jeder Hersteller dazu überging, sein eigenes System zu realisieren und somit auch Kosten und Aufwand allein schultern musste, kommt die Autoindustrie bis heute den rasanten Entwicklungen im Bereich der Unterhaltungselektronik nicht hinterher. Der nächste logische Schritt, Internet-Empfang im Auto zu ermöglichen, wurde zudem durch langsame und vor allem teure Funkverbindungen erschwert.

Das hat sich nun geändert. Mobiles Internet wird durch Flatrates immer erschwinglicher und ist auch nahezu an jedem Ort empfangbar. Long Term Evolution (LTE) übertrifft als Nachfolger des Mobilfunkstandards UMTS mit einer Datenübertragungsrate von 75 Megabit pro Sekunde teilweise sogar schnelle DSL-Leitungen, über die PC und Laptop mit dem Internet verbunden sind. Damit lassen sich dann schon sehr komfortabel Videoclips aus dem Internet auf den Minibildschirm im Auto laden oder auch Programme mit Updates versorgen.

Natürlich haben sich auch die Fahrer verändert. Die Möglichkeit, überall und jederzeit online zu gehen, wird heutzutage als Selbstverständlichkeit angesehen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass 55 Prozent der vom deutschen Marktforschungsinstitut Tema-Q befragten Fahrer angeben, ihr nächstes Auto solle über einen Internetanschluss verfügen.

Schon jetzt will kaum ein Autohersteller seine Modelle im Offline-Modus lassen. BMW stattet bereits unter dem Label BMW Online die Modelle BMW 1er, BMW 3er, BMW 5er, BMW 6er und BMW 7er mit internetbasierten Diensten aus, die weit über das einfache Surfen hinausgehen. BMW-Besitzer können sich laut Aussage des Herstellers freie Parkplätze anzeigen und die Wettervorhersage dreidimensional darstellen lassen oder auch gezielt nach dem Kurs der eigenen Aktienpapiere suchen. Auch das vollständig internetbasierte Infotainmentsystem myCOMAND von Mercedes-Benz hat bereits erste Praxistests erfolgreich absolviert. Es berücksichtigt bei der Routenwahl auch die im Internet verfügbaren Informationen, zeigt Wetterbedingungen und Hotelangebote entlang der Strecke und bietet Telefonieren und Radioempfang über das Internet an.

Den Herstellern ist klar, dass sie in Sachen Internet mehr bieten müssen als nur das Abrufen von E-Mails und der Lieblings-Nachrichtenseite. Auch die Analysten von Tema-Q bestätigen durch ihre Umfragen, dass die künftigen Anwender mehr erwarten, etwa automatische Unfallmeldungen, Hinweise für Stauumfahrungen oder die laufende Aktualisierung des Navi-Kartenmaterials. Daher forschen die Hersteller bereits an sogenannten Car-to-X-Projekten: In Zukunft soll das Auto nicht nur mit Verkehrsinfrastruktur wie speziell ausgerüsteten Ampeln oder Schildern kommunizieren, sondern auch die in einer begrenzten Reichweite fahrenden Autos als rollende Sensoren nutzen, um so in Echtzeit vor Blitzeis, Nebelbänken, Staus, Unfällen und sonstigen Überraschungen gewarnt zu sein.

Bis dahin muss jedoch eine entsprechende Verbindungsqualität gesichert sein. Dazu existieren bisher verschiedene Ansätze. Die einfachste Variante funktioniert über das Smartphone. Apple und Microsoft bieten Schnittstellen-Software an, durch die das Mobiltelefon gewissermaßen zum Router im Auto wird. Zwischen Mobiltelefon und den Schnittstellen im Fahrzeug werden die Datenpakete dann per Nahfunkstandard Bluetooth übermittelt. Allerdings kann die so geknüpfte Internetverbindung zuweilen recht wackelig sein.

Weiterer Nachteil ist die Vielzahl unterschiedlicher Schnittstellen bei Handys und Autos. Sind die jedoch aufeinander abgestimmt, können sie durchaus erfolgreich kooperieren. Das bewies der Telekommunikationskonzern Nokia auf dem vergangenen Genfer Autosalon. Verschiedene Anwendungen des Smartphones wie die zur Navigation oder für das Surfen im Netz ließen sich über einen berührungsempfindlichen Bildschirm im Armaturenbrett steuern, das Fahrzeug lieferte zusätzlich Daten zu Verbrauch und Geschwindigkeit, welche die Smartphone-Anwendung in die Routenplanung einfließen ließ.

Aufwendiger und teurer sind fest installierte Internetempfänger. Da sie jedoch darauf getrimmt sind, schnell zwischen den Zellen eines Funknetzes zu wechseln, bieten sie auch eine stabilere Verbindung. Audi, Citroën, Peugeot oder Daimler behelfen sich über eine Funkbox mit UMTS-Stick und Sim-Karte im Kofferraum. Die von der Telekom und Continental entwickelte Lösung AutoLinQ, die frühestens Ende 2011 auf den Markt kommen soll, setzt ebenfalls auf ein fest verbautes Funkmodul im Fahrzeug.

"Das garantiert Kompatibilität, Robustheit und eine bessere Integration in das Fahrzeug", erklärt Marcus Heitmann, Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung im Automobilbereich bei den T-Labs der Deutschen Telekom. Seit Kurzem bietet auch die Firma Lesswire aus Berlin-Adlershof mit dem "Wi2U car hotspot" für 385 Euro ein Nachrüst-Funkmodul an, durch das sich unterwegs über die Mobilfunknetze eine Internetverbindung herstellen lässt. Dabei verwendet das Gerät den jeweils besten verfügbaren Übertragungsstandard: HSDPA, UMTS, EDGE, GPRS oder GSM.

"Dank dieser Kombination der Übertragungswege bleibt die Verbindung auch unter schwierigen Empfangsverhältnissen stabil", erklärt Lesswire-Chef Ralph Meyfarth. Eine leistungs-fähige Klebeantenne, die innen an der Windschutzscheibe des Fahrzeugs angebracht wird, tut ein Übriges zum stabilen Empfang. Mitfahrer können über den integrierten WLAN-Zugang gleichzeitig mit bis zu acht Geräten im Auto ins Internet gehen. Selbst Schnellfahrer bringen die Verbindungstechnik nicht zum Wackeln. "Tests bei einem Autohersteller haben ergeben, dass die Verbindung auch bei 270 km/h steht", berichtet Meyfarth. Der Geschäftsführer sieht ein riesiges Marktpotenzial für das Nachrüst-Kit: "Das wird künftig ein so selbstverständliches Feature im Fahrzeug sein wie eine Freisprechanlage."

Doch bei Ansätzen, die lediglich die Konnektivität sicherstellen, wird es nicht bleiben. Um den Fahrer nicht noch mehr von der Verkehrssituation abzulenken, wird an neuen Bedienkonzepten gearbeitet. Bei AutoLinQ muss der Fahrer weder die Augen von der Straße abwenden noch die Hände vom Lenker nehmen. So identifiziert das System selber Musiktitel, die gerade im Radio laufen, und lässt sie per Sprachbefehl in das Multimedia-Archiv hochladen. E-Mails sollen sich per Sprachsteuerung vorlesen und ebenso beantworten lassen. Daneben kann das System für aufwendigere Aktionen auch über Lenkradbedienelemente gesteuert werden. Etwa wenn Geschäftsleute unterwegs ihren digitalen Terminkalender samt Adressbuch mit dem Navigationssystem synchronisieren.

Ein weiteres Novum besteht darin, dass AutoLinQ für alle Mobilfunk-Provider, Dienste und Services offen ist. Damit besonders letztere attraktiv und in ausreichender Anzahl vorhanden sind, hat Continental das von Smartphones bekannte und erfolgreiche App-Konzept beinahe eins zu eins kopiert. Mithilfe eines frei verfügbaren AutoLinQ Software Development Kit sollen Entwickler die entsprechenden Apps programmieren. Grundlage ist dabei das ebenfalls frei verfügbare Google-Betriebssystem Android OS, mit dem auch Smartphones und Tablet PCs ausgerüstet werden. "Ausschlaggebend für diese Wahl waren die offene Architektur und die konzeptionelle Möglichkeit, relativ einfach Apps nachladen zu können", sagt Marcus Heitmann.

Die bereits existierende große App-Entwicklergemeinde, die schon 20000 Anwendungen für Smartphones entwickelt hat, dürfte sicherlich auch diesen Entschluss gefördert haben. Ob die Miniprogramme aus den bekannten Online-Shops von Android & Co. oder von Portalen des Autoherstellers kommen, spielt keine Rolle. Dennoch hat Continental bereits einen eigenen App-Store angekündigt. Über ihn sollen Anwendungen in ähnlicher Weise in das Fahrzeug geladen werden, wie man es heute mit Mobiltelefonen praktiziert. Über Angaben zu Geschäftsmodell und Preisen für die Miniprogramme hüllt man sich jedoch noch in Schweigen. Sie sollen erst bei der Markteinführung im kommenden Jahr bekannt gegeben werden.

Die Autohersteller versprechen sich viel von dem App-Konzept. Damit will man schneller auf neue Trends in der Unterhaltungsindustrie reagieren und gleichzeitig Aufwand und Kosten für die Software-Entwicklung reduzieren. "Wir ermöglichen damit Dritten, eigene Applikationen für die Nutzung im Fahrzeug zu erstellen, was bisher den Autoherstellern oder ihren Lieferanten vorbehalten war", erklärt Heitmann. Auch die Fahrer könnten profitieren: Denkbar ist, dass eine Basisausstattung an Apps auch in preiswerten Wagen vorhanden ist, die dann für wenig Geld aufgestockt werden kann. Auch die Fahrer älterer Vehikel dürften es zu schätzen wissen, sich mit Apps neueste Funktionalität in das alte Auto holen zu können.

Zusätzlich sind neben den lokal gespeicherten Miniprogrammen auch Anwendungen vorgesehen, die im Backend, also auf einem zentralen Server, laufen. "Dies hat gegenüber dem App-Konzept den Vorteil, dass der Nutzer die Anwendungen nicht nur im Auto, sondern auch auf seinem PC oder Smartphone nutzen kann", erklärt Heitmann. Auf diese Weise kann daheim am PC eine Route geplant und im Auto abgerufen werden. BMW bietet dies mit BMW Online in ähnlicher Form schon heute an. Für die letzten Meter kann der Nutzer sein Smartphone nehmen, die Route aus dem Backend abrufen und sich dann zu Fuß vom Parkplatz zum Ziel navigieren lassen. "Auf diese Weise muss er die Route nur einmal eingeben, und sie steht automatisch auf allen Geräten zur Verfügung", verdeutlicht der Telekom-Mann.

Die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg von sowohl lokalen als serverseitigen Anwendungen dürfte jedoch darin bestehen, dass die Autoindustrie in der Breite auf offene Systeme setzt und nicht jeder wie bisher sein eigenes System favorisiert. Gut gemeinte Ansätze dazu gibt es: BMW hat eigens die "Genivi Alliance" initiiert, die am radikalsten den Open-Source-Gedanken verficht. Die in Kalifornien ansässige Non-Profit-Organisation führender Automobilhersteller, Technologiefirmen sowie Zulieferer arbeitet an einer Open-Source-Entwicklungsplatt-form, die für Infotainment im Auto das leisten soll, was Googles Android-Plattform heute für die Mobiltelefone diverser Hersteller tut.

Zu der seit 2009 existierenden Allianz gehören unter anderem General Motors, Peugeot, Citroën, Hyundai, Renault, Nissan, die Zulieferer Continental, Delphi, Magneti Marelli und der Chiphersteller Intel. Noch ist eine erste konkrete Anwendung fern, doch die Genivi Alliance hat bereits eine Referenzplattform vorgestellt, die auf dem offenen Betriebssystem Linux basiert. So hofft man Standards zu schaffen, auf deren Grundlage jeder Anbieter kostengünstig neue Applikationen anbieten kann.

Gleichzeitig verfolgen viele Mitglieder der Allianz jedoch noch andere Ansätze, aus der Sorge, wichtige Entwicklungen zu verpassen. Dazu gehören auch immer noch geschlossene kommerzielle Betriebssysteme wie das des Marktführers QNX Software Systems oder von Microsoft. QNX nutzen unter anderem Audi, BMW, Chrysler, Daewoo, GM, Hyundai und Porsche, aufs Microsoft Embedded Automotive 7 setzen dagegen Fiat, Ford und Kia. Ein weltweiter Industriestandard scheint somit noch eine kühne Vision zu bleiben, zumal sich auch hier ein heftiger Wettstreit zwischen Open Source und geschlossenen kommerziellen Systemen entspinnen wird.

Dabei wären Standards nicht nur wünschenswert, um Entwicklungskosten zu drücken, sondern auch um die Sicherheit von Fahrer und Insassen zu gewährleisten. "Applikationen dürfen sich nicht gegenseitig stören", erklärt Christof Paar, Geschäftsführer des Horst Görtz Instituts für IT-Sicherheit der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Ideal wäre es, wenn alle Infotainment-Anwendungen streng isoliert von der übrigen Bordelektronik ausgeführt würden, damit die Steuerung von Motor, ABS oder Airbags nicht beeinträchtigt wird.

Doch die Zeiten sauber getrennter Systeme im Auto sind spätestens dann vorbei, wenn beliebig über eine mobile Funkverbindung Programme, Daten und E-Mail-Anhänge direkt aus dem Netz geladen werden können und Anwendungen gleichzeitig auf Sensordaten der Bordelektronik zugreifen. "Da lässt sich nicht alles abschotten", sagt Paar. Ein neues Gefahrenpotenzial entsteht. Die Plagen des PC, Viren, Würmer und anderer Schadcode, könnten künftig auch für Betriebssysteme auf vier Rädern zu einer ernsten Bedrohung werden. Davon ist Marko Wolf überzeugt, der vier Jahre in diesem Bereich an der RUB forschte und nun als Sicherheitsingenieur mit Schwerpunkt Automotive Security arbeitet.

Denkbar sei vieles, von gezielten Angriffen durch Hacker bis hin zu Manipulationen gesetzlich relevanter Daten, etwa des Tachografs von Nutzfahrzeugen. Gefragt ist ein umfangreicher Schutz für die flotte Informationstechnologie auf Rädern. Laut Wolf müsse dieser von verschiedenen Verschlüsselungstechniken bis hin zu einem Rechte- und Zugriffsmanagement auf alle kritischen Fahrzeugfunktionen und -daten reichen. Gelingt dies nicht, wird der Ärger von Autofahrern sich künftig nicht nur auf den Stau im Verkehr beschränken. ()


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