Software-Fiasko bei Obamacare

Das 600 Millionen Dollar teure IT-Projekt für die neue US-Krankenversicherung erweist sich bislang als schwerer Flop.

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Von
  • David Talbot

Das 600 Millionen Dollar teure IT-Projekt für die neue US-Krankenversicherung erweist sich bislang als schwerer Flop.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht neue Hiobsbotschaften über das neue Krankenversicherungsgesetz in den US-Zeitungen stehen. Für die Umsetzung des "Affordable Care Act", in den USA meist einfach als Obamacare bezeichnet, spielen die Websites von Bundesstaaten und Zentralregierung eine Schlüsselrolle.

Dort sollen die Bundesstaaten Börsen für Krankenversicherungen zur Verfügung stellen. Bürger können private Policen vergleichen und abschließen oder aber prüfen, ob sie für das staatliche Medicaid-Programm infrage kommen. Wenn ein Bundesstaat keine eigene Börse einrichtet, wofür sich 34 von ihnen entschieden, müssen seine Bewohner die Börse der Zentralregierung nutzen. Die findet sich unter der Adresse healthcare.gov – und ist seit dem Start am 1. Oktober für viele unerreichbar.

Inzwischen ist klar, dass das Fiasko mit der 600 Millionen Dollar teuren Website nicht nur bürokratische Gründe hatte, sondern auch technische. Denn verlangt war nicht weniger, als für 34 Bundesstaaten unterschiedliche und langsame Datenbanken von Regierung und 1000 Versicherungsanbietern unter einen Hut zu bringen – und das gesamte System auf einmal zum Laufen zu bringen.

Besonders verheerend wirkte sich eine relativ spät getroffene Entscheidung aus: Bevor Nutzer auf der Website Versicherungsangebote ansehen können, sollten sie ein Konto anlegen und ihre Identität, Wohnsitz und Einkommen überprüfen lassen. Aus diesem Grund musste die Site in Echtzeit mit Datenbanken der US-Steuerbehörde IRS und anderer Regierungsstellen kommunizieren. "Man hätte 100 Google-Ingenieure darauf ansetzen können. Das hätte aber nichts an der Tatsache geändert, dass das Projekt zu umfangreich war und das System der Steuerbehörde langsam ist", sagt John Halamka, Chief Information Officer beim Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston.

Noch am 26. September wollte Präsident Obama von Problemen nichts wissen und verglich healthcare.gov mit großen E-Commerce-Anbietern: "Das ist wirklich einfach", sagte er. "Es ist eine Website, auf der Sie bezahlbare Krankenversicherungen direkt miteinander vergleichen und kaufen können – genau wie Sie auf Kayak nach einem Flugzeug-Ticket oder bei Amazon nach einem Fernseher suchen." Damit zeigte sich der Präsident nicht nur ahnungslos in Bezug auf die dräuenden Probleme. Auch sein Vergleich mit Amazon und Kayak ist höchst unpassend, denn keine der beiden Websites muss erst mehrere Bundesdatenbanken abfragen, bevor ein Nutzer sich dort umsehen kann. Ebenso sind E-Commerce-Anbieter bereit, manche Details erst später zu regeln. So bekommt man bei Amazon sofort eine E-Mail zur Bestätigung eines Kaufs. Erst später – wenn die Kommunikation mit dessen Systemen erfolgreich war – folgt dann eine Mail mit einer Nachverfolgungsnummer vom Paketdienst.

Andere Versicherungsbörsen auf Ebene der US-Bundesstaaten hatten dagegen kaum mit Problemen zu kämpfen. In Massachusetts zum Beispiel können Nutzer anonym Angebote vergleichen und eine Versicherung beantragen, ohne ein Konto zu eröffnen. Die Identitätsfeststellung folgt, wenn der Versicherungsschutz aktiv werden soll. Bei der Börse des Bundesstaats New York ist zwar zunächst eine Konto-Eröffnung und Identitätsprüfung vorgesehen. Doch die Planer haben sich darauf gut vorbereitet und eigene Identifizierungssysteme entwickelt, versichert Greg DeBor, Geschäftsführer bei Manatt Health Solutions, das New York bei der rechtlichen und technischen Gestaltung seiner Börse beraten hat.

Gleichzeitig zeigen die erfolgreichen Beispiele, dass Nachbesserungen möglich sind. Sie werden derzeit in Angriff genommen. Die Centers for Medicare and Medicaid Services als Betreiber der Site sind dabei, mehr Hauptspeicher bereitzustellen, um die Verarbeitung von Anträgen zu beschleunigen. Zudem hat die Behörde Dutzende von Software-Upgrades vorgenommen. Dadurch sollen etwa Datenbanken besser miteinander arbeiten und andere Probleme behoben werden, die erst nach dem 1. Oktober erkennbar wurden. Nach dem Start-Debakel kündigte die Regierung an, dass die Website ab dem 1. Dezember zumindest mit 50000 gleichzeitigen Nutzern zurechtkommen soll. Doch eine geplante Marketing-Kampagne für den Dienst wurde erst einmal verschoben – denn zu viele neue Nutzer könnten die Site immer noch zum Stillstand bringen. (bsc)