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Springende Gene für die Genmanipulation

Susanne Donner

So genannte DNA-Transposons sind zum Allround-Werkzeug der Genetik geworden. Sie erleichtern die Veränderung des Erbguts deutlich.

Als die bunten Körner des Indianermaises plötzlich in den benachbarten gelben Maiskolben auftauchten, muss sich die amerikanische Botanikerin Barbara McClintock ziemlich gewundert haben. Später fand sie heraus, dass springende Gene den Farbwechsel verursachen. Diese Gene können selbsttätig das Erbgut einer Pflanze verlassen und in das Erbgut einer anderen Spezies eindringen. Forscher sprechen von einem Copy- und Paste-Mechanismus. So werden Erbinformationen zwischen verschiedenen Arten ausgetauscht. 1983 bekam McClintock für ihre Entdeckung den Nobelpreis. Mittlerweile kennt man viele springende Gene. Insbesondere unter Mikroben und Pflanzen sind die mobilen DNA-Abschnitte zahlreich. Das Erbgut der Flora besteht in weiten Teilen aus springenden Genen. Und Krankheitskeime können nur mit Hilfe der hüpfenden Erbinformationen gegen Antibiotika resistent werden.

Nun sind die springenden Gene, auch Transposons genannt, sogar zum Allround-Werkzeug der Genetiker avanciert, wie man auf einer internationalen Konferenz [1] Mitte Juni am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch erfahren konnte. Kent Hamra, einer der Teilnehmer von der University of Texas in Dallas, geht gar davon aus, dass die springenden Gene in wenigen Jahren "so allgegenwärtig in den Laboren sein werden wie Stammzellen. Ihre Entdeckung bedeutet einen Durchbruch für die Genetik."

Mit Transposons lassen sich Tiere, Pflanzen und Mikroben gentechnisch verändern – und zwar leichter als bisher. So wurden beispielsweise Mücken, Zecken und Frösche, aber auch Petunien bereits mit dem neuen Werkzeug gentechnisch verändert. Dazu werden die springenden Gene als Vehikel für weitere DNA-Abschnitte verwendet, die sie dann in das Erbgut der Organismen einschleusen. Vormals wurden für diesen Gentransfer nahezu ausschließlich Viren als Genfähren verwendet. Doch Viren sind schwer zu lagern und reagieren empfindsam auf Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen. Der internationale Transport ist mit Sicherheitsauflagen verbunden. Noch dazu rufen Viren in Tieren stets eine Abwehrreaktion des Immunsystems hervor, die dazu beitragen kann, dass die gentechnisch veränderten Zellen vehement bekämpft werden. Transposons bestehen dagegen aus nackter, ringförmig angeordneter DNA. Sie überstehen Jahrzehnte, troten auch widrigen Bedingungen, und das Immunsystem bemerkt sie nicht.

Mit so genannten Trapping-Transposons können auch gezielt Gene ausgeschaltet und damit Knock-out-Tiere erschaffen werden. Auf diese Weise lässt sich einerseits die Funktion einzelner Gene studieren. Andererseits werden an Knock-out-Tieren menschliche Krankheiten studiert. Beispielsweise wenn Mäusen infolge eines blockierten Gens Insulin fehlt, ähnelt ihr Stoffwechsel dem eines Diabetikers.

Aus Sicht der Forscher besonders spektakulär: Mit den springenden Genen lassen sich Knock-out-Ratten [2] erzeugen, was bisher nahezu unmöglich gewesen war. Die Pharma-Industrie testet ihre potenziellen Medikamente vorrangig an Knock-out-Mäusen. Diese werden jedes Jahr millionenfach an die Labore geliefert, wobei einige Tausend verschiedene Varianten angeboten werden. "Die Ratte ist aber ein viel besseres Modell für Krankheiten, weil sie viel schlauer ist als die Maus. Sie ist dem Menschen ähnlicher und trotzdem klein", sagt Kazuhiro Kitada von der Kyoto University in Japan. Für Erkrankungen des Gehirns wie Alzheimer und Parkinson, aber auch bei Krebs und Nierenleiden gäben Ratten ein besseres menschliches Abbild als Mäuse, versichert er.

In den USA wurde nun eigens ein Unternehmen für den Handel mit Knock-out-Ratten gegründet, die Firma Transposagen [3] mit Sitz in Philadelphia. Bis Ende des Jahres will sie 150 verschiedene Knock-out-Ratten anbieten, kündigt sie auf ihren Webseiten an. Die wirtschaftlichen Interessen der Pharmaindustrie an den neuen Nagern seien groß, lässt Aron Geurts vom Medical College in Wisconsin durchblicken. Er gehört einem Knock-out-Ratten-Konsortium an, indem sich Forscher von Universitäten und der Firma Transposagen zusammengeschlossen haben. Auf der Berliner Tagung berichtet Geurts, dass es ihm bereits gelungen sei, mehrere Knock-out-Ratten für Herz-Kreislauferkrankungen zu erzeugen. Infarkte und Durchblutungsstörungen ließen sich an ihnen studieren und Wirkstoffe dagegen ausprobieren. Der einzige Nachteil sei, so gesteht er, dass sich nicht steuern lasse, welches Gen vom Transposon blockiert würde. Deshalb habe er einige Tausend verschiedene Ratten gentechnisch verändern müssen, um dann zu untersuchen, welches Gen inaktiviert worden war.

Die Erzeugung gentechnisch veränderter Tiere als Krankheitsmodelle ist indes nicht unumstritten. Tierversuchsgegner, wie Daniel Amann von der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie, beklagen, dass die gentechnische Veränderung von Tieren die Zahl der Tierversuche sogar weiter in die Höhe treibe. Die Statistik scheint ihm Recht zu geben. Er bemängelt, dass transgene Tiere Krankheiten des Menschen auch gar nicht umfassend widerspiegeln.

Ein ethisches Dilemma, denn ohne transgene Tiere müssten in Teilen ungeprüfte Wirkstoffe an Patienten getestet werden. Denn viele menschliche Krankheiten wie die Lungenerkrankung Mukoviszidose oder Diabetes treten schlichtweg nicht auf natürliche Weise in Tieren auf.

Unterdessen setzt die Pharmaindustrie auch aus anderen Gründen Hoffnungen in die springenden Gene. Kürzlich wurde in den USA erstmals eine Gentherapie mit einem Transposon genehmigt. Acht Patienten mit Lymphknotenkrebs, dem B-Zell-Lymphom, sollen in einer klinischen Studie behandelt werden. Mithilfe des Transposons sollen die T-Zellen ihres Immunsystems dazu gebracht werden, einen spezifischen Abwehrstoff gegen die Krebszellen zu produzieren. In Vorversuchen konnte mit diesem Eingriff die Zahl der Tumorzellen in der Petrischale zurückgedrängt werden. Perry Hackett von der University of Minnesota in Minneapolis, einer der beteiligten Forscher der Studie, ist dennoch zurückhaltend: "Es geht zunächst nur darum zu zeigen, dass diese erste Therapie mit springenden Genen sicher ist und die Patienten keine Leukämien entwickeln, wie dies bei anderen Gentherapien immer wieder vorgekommen ist."

Für die Studie soll eines des sanftesten springenden Gene verwendet werden, das derzeit verfügbar ist. Das Transposon "Sleeping Beauty", zu Deutsch: Dornröschen. Es wurde von den ungarischen Forschern Zsuzsanna Izsvák und Zoltán Ivics im Erbgut eines Zebrafisches entdeckt. Es konnte allerdings nicht mehr springen, wie beide feststellten. Ihnen gelang es, das tote Gen wach zu küssen. In Anlehnung an Grimms Märchen tauften sie es Dornröschen. Eine Besonderheit dieses Konstrukts: Es fügt seine genetische Fracht nur genau ein Mal in das Erbgut einer Zelle ein. Dagegen laden Viren, die bisher für Gentherapien verwendet werden, ihre Gene stets an mehreren Stellen im Genom ab. Dieser Übereifer der Viren wird als eine Ursache ihrer Gefährlichkeit angesehen. "Die Nebenwirkungen einer Gentherapie mit Dornröschen sollten deshalb geringer sein", hoffen Izsvák und Izsvák, die heute beide am Berliner Max-Delbrück-Centrum forschen. "Es könnte ein echter Ersatz für die gefährlichen Viren werden." (bsc [4])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-275436

Links in diesem Artikel:
[1] https://conference.berlin-medien.de/
[2] http://www.knockoutrat.org/
[3] http://www.transposagen.com
[4] mailto:bsc@heise.de