Stille Revolution: Wie der Computerhandel die Börse eroberte

Bulle und BÀr vor der Frankfurter Börse
(Bild: Von Eva K. - Eva K., CC BY-SA 2.5)
Vor 25 Jahren wurde es plötzlich ruhig auf dem Frankfurter Börsenparkett: Der Computerhandel hielt Einzug. Das Xetra-System wurde anfangs skeptisch beÀugt.
Trubel, Rufen, Gestikulieren â auf dem Frankfurter Börsenparkett ist das seit einem Vierteljahrhundert Geschichte. Wenn nicht gerade ein bekanntes Unternehmen seinen Börsenstart feiert, geht es ziemlich ruhig zu im Handelssaal in der Innenstadt. Als einer der ersten Anbieter weltweit setzte die Deutsche Börse vom 28. November 1997 an konsequent auf den elektronischen Wertpapierhandel: "Exchange Electronic Trading" â kurz Xetra â krempelte die Börsenwelt um.
Warnung vor Xetra
Dabei waren viele Börsianer anfangs gar nicht so begeistert von der neuen Computerbörse. "Auf dem Parkett drĂ€ngten sich tĂ€glich bis zu 1500 Leute", erinnert sich Börsen-Urgestein Fidel Helmer, der seit 1970 und bis vor fĂŒnf Jahren das Geschehen an der Frankfurter Börse aktiv mitgestaltete. "Die Börsianer waren damals eher konservativ: Jegliche Neuerungen wurden sehr skeptisch betrachtet."
Noch im September 2000 warnte die Zeitschrift "Finanztest" Privatanleger: "Geht jemand ohne oder mit einem ungenauen Limit in den Markt, was einem Privaten durchaus passieren kann, lĂ€uft er Gefahr, ĂŒber den Tisch gezogen zu werden." Der Rat von "Finanztest": "Lassen Sie die Finger von Xetra. Sie sparen sich unnötigen Ărger."
"Perfektes System" â mit 80 Prozent Marktanteil
Doch der Computerhandel habe von Anfang an bestens funktioniert, sagt Helmer, der lange Leiter des Wertpapierhandels der Privatbank Hauck & AufhĂ€user war, rĂŒckblickend: "Der Handel war besser nachvollziehbar, schneller, das System war einfach perfekt. Und die Frankfurter Börse profitierte enorm vom Computerhandel: Xetra machte Frankfurt zum fĂŒhrenden Handelsplatz in Deutschland."
Ganz offensichtlich haben sich die Skeptiker nicht durchgesetzt: Im laufenden Jahr wurden auf dem Handelsplatz Xetra nach Angaben der Deutschen Börse an Handelstagen durchschnittlich rund 1 Million Orders ausgefĂŒhrt. TĂ€glicher Umsatz: aktuell mehr als fĂŒnf Milliarden Euro. Basierend auf dem Orderbuchumsatz der deutschen HandelsplĂ€tze (Xetra, Frankfurt, Tradegate, Stuttgart, MĂŒnchen, Hamburg, Hannover, DĂŒsseldorf und Berlin) hat der Handelsplatz Xetra nach Angaben der Deutschen Börse aktuell einen Marktanteil von etwa 80 Prozent.
Wertpapiere quasi per Mausklick
Die anderen deutschen Börsenstandorte sahen sich durch Xetra in den Anfangsjahren ĂŒberrollt. "Das voll elektronische Handelssystem trifft den Lebensnerv der regionalen FinanzplĂ€tze", fasste das "Handelsblatt" seinerzeit die Lage der kleineren Börsen von MĂŒnchen bis Bremen zusammen. Die Regionalbörsen in Deutschland mussten sich Nischen suchen, um ihr Ăberleben zu sichern: Die Börse Stuttgart etwa spezialisierte sich auf Optionsscheine, MĂŒnchen legte ein Schwergewicht auf auslĂ€ndische Titel.
Die Stuttgarter bilanzierten spÀter, Xetra sei es gelungen, "den Hauptmarkt im AktiengeschÀft an sich zu binden". Aktuell sind auf dem elektronischen Handelsplatz nach Zahlen der Deutschen Börse 3532 Wertpapiere quasi per Mausklick handelbar. 144 Handelsteilnehmer aus 17 LÀndern sind an der Frankfurter Wertpapierbörse zugelassen, mehr als 3000 HÀndler sind angeschlossen.
"Quantensprung fĂŒr den Finanzplatz Deutschland"
"Xetra ist der globale Referenzmarkt fĂŒr den Handel mit deutschen Wertpapieren und im europĂ€ischen Handel mit seiner State-of-the-Art Technologie der fĂŒhrende Markt", bilanziert Deutsche-Börse-Vorstand Thomas Book. "Xetra gehört zur Deutschen Börse wie Bulle und BĂ€r am Frankfurter Börsenplatz." Seit einem Vierteljahrhundert stehe das System fĂŒr "StabilitĂ€t, LiquiditĂ€t und Transparenz". Auch die Börsen in Wien, Malta (Malta Stock Exchange) und Sofia (Bulgarien Stock Exchange) bauen auf die Technik aus Frankfurt.
Der damalige Börsenchef Werner Seifert schwĂ€rmte bereits zur Xetra-EinfĂŒhrung [1] von einem "Quantensprung fĂŒr den Finanzplatz Deutschland" â und hĂ€tte den Parketthandel am liebsten ganz abgeschafft. Stattdessen steckte die Deutsche Börse 2006/2007 rund fĂŒnf Millionen Euro in den Umbau des Frankfurter Börsensaales.
Handelssaal mit Dax-Tafel â Kulisse fĂŒr die TV-Börsennachrichten
Die heutigen PlĂ€tze in den wie Inseln wirkenden, kreisrunden Arbeitsbereichen fĂŒr Mitarbeiter der Wertpapier- und Handelsbanken sind selten alle besetzt. "Es ist ein bisschen wie Hollywood", sagt der langjĂ€hrige Betriebsrat und Aufsichtsrat der Deutschen Börse, Johannes Witt, bei einem Besuch auf dem Parkett: Der Handelssaal mit der Dax-Tafel als Kulisse fĂŒr die abendlichen TV-Börsennachrichten. "Die Börse ist eigentlich nur noch was fĂŒr die Medien", sagt auch Fidel Helmer. "Aber das ist gut, denn darum ist die Börse jeden Tag im Fernsehen."
Die Hektik vergangener Zeiten gibt es nur noch im Museum: Wer im Besucherzentrum der Frankfurter Börse einen Nachbau der HĂ€ndlerbĂŒros aus den 1980er-Jahren betritt und dort den Telefonhörer abnimmt, bekommt zumindest einen Eindruck, wie schreiende HĂ€ndler das Auf und Ab der Kurse bestimmten, bevor Computer die Börse eroberten.
(bme [2])
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