Stimmung auf Knopfdruck

Das US-Startup Thync verspricht, mit leichten Strompulsen Stress zu lindern oder die Stimmung zu heben. Funktioniert das und ist es sicher?

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Von
  • Kevin Bullis
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Das US-Startup Thync verspricht, mit leichten Strompulsen Stress zu lindern oder die Stimmung zu heben. Funktioniert das und ist es sicher?

Ich arbeite an einem Artikel, der bald fällig ist. Doch dann bekomme ich eine wütende E-Mail. Mein Magen zieht sich zusammen. Ich kann mich nicht mehr auf den Text vor mir konzentrieren. Das ist die Gelegenheit, das Elektrostimulationsgerät von Thync auszuprobieren. Das Start-up aus Boston behauptet, mit Elektroden auf meiner Kopfhaut meine Stimmung so beeinflussen zu können, dass ich mich entspanne. Es klingt wie ein Gag. Aber die Idee, das Gehirn durch elektrische Signale zu stimulieren, ist der Medizin nicht fremd.

Ärzte behandeln damit Krankheiten wie Schlaganfälle und Depression. Zu den wichtigsten Methoden gehören die Tiefenhirnstimulation mit implantierten Elektroden sowie zwei nicht invasive Verfahren: die transkranielle Magnet-stimulation (TMS, bei der Magnetspulen einen leichten Stromfluss im Gehirn erzeugen) sowie die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS, ein schwacher Strom dämpft oder verstärkt die Erregbarkeit von Nervenzellen). Bislang waren die Geräte jedoch für Ärzte zugänglich. Nun soll die Technik Laien zu Hause erreichen. "Die Heimapplikation ist tatsächlich hochattraktiv, wir planen auch Studien, um das zu testen", kommentiert Friedhelm Hummel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Der Arzt behandelt am UKE Schlaganfall-Patienten unter anderem mit Gleichstromstimulation und Bewegungstraining.

Thync setzt auf eine Variante von tDCS, die sogenannte "transdermale elektrische Neuromodulation" (TEN). Das Gerät gibt schwache elektrische Pulse ab. Es bietet zwei Programme: Der Beruhigungs-"Vibe" sei für "Zeiten, in denen Sie sich gestresst fühlen". Der Energie-"Vibe" – bei dem die zweite Elektrode hinter einem Ohr sitzt – habe eine Wirkung wie ein Energie-Drink. Gegründet hat das Unternehmen der Neurowissenschaftler Jamie Tyler von der Arizona State University gemeinsam mit anderen Forschern. Aber funktioniert es auch? Und wie sicher ist es?

Ich platziere je eine Elektrode an meiner Schläfe und am Nacken, verbinde sie mit einem Kunststoff-Konstrukt und starte die Stimulation mit meinem Handy. Die App steuert Frequenz und Intensität der Pulse, die im Verlauf des Programms schrittweise wechseln. Vom Strom spüre ich kaum etwas. Tatsächlich beruhige ich mich in wenigen Minuten.

Die Wirkung beruht Thync zufolge darauf, dass ihr Gerät Gehirnnerven unter der Haut stimuliert. Die Nerven wiederum führen zu Gehirnbereichen, die bei der Kampf-oder-Flucht-Reaktion eine Rolle spielen. So soll die Ausschüttung von Gehirnbotenstoffen wie Noradrenalin, die an der Stressreaktion beteiligt sind, angeregt oder gehemmt werden.

Thync hat sein Gerät nach eigenen Angaben mit mehr als 3000 Probanden getestet. Veröffentlicht hat es bisher aber nur einen Bruchteil der Ergebnisse, etwa eine kleine Studie mit 82 Probanden. Sie sollten den stressreduzierenden Effekt des Thync-Geräts und als Kontrolle denselben Effekt einer herkömmlichen Gleichstrombehandlung auf einer Skala von 0 (nicht entspannt) bis 10 (sehr entspannt) bewerten. Sie erfuhren nicht, welches Gerät wann zum Einsatz kam. 77 Probanden gaben an, dass der Thync-Apparat sie mehr entspannte. Allerdings betrug der empfundene Unterschied bei einem Dreiviertel von ihnen maximal fünf Punkte.

Unabhängige US-Experten kritisieren jedoch, dass die Probanden das Vergleichsgerät vom Thync-Apparat vielleicht doch unterscheiden konnten. Man könnte den Stromfluss auf der Haut spüren, das könnte das Ergebnis verfälscht haben. Zudem wurden keine Placebo-Elektroden getestet, die keinen Strom übertragen. Thync veröffentlichte die Studien darüber hinaus auf der offen zugänglichen Onlineplattform BioRxiv, die kein Gutachtersystem besitzt. Immerhin traten als Nebenwirkungen nur in seltenen Fällen leichte Hautrötungen auf.

Marom Bikson, Biomedizin-Ingenieur am City College in New York, glaubt dennoch, dass der Effekt real ist. Er hatte zuvor in einer von Thync finanzierten Studie mit 100 Probanden einen Prototyp auf seine beruhigende Wirkung getestet. Ihm zufolge hat das Gerät mit relativ hoher Sicherheit den gewünschten Effekt, allerdings auch hier nicht bei allen Probanden. "Für manche Menschen ist der Effekt aber wirklich stark. Sie fühlen sich innerhalb von Minuten so anders, dass es schon an die Wirkung eines Beruhigungsmittels grenzt", sagt Bikson. Noch ist seine Studie aber nicht veröffentlicht.

Thync-CSO Tyler ist zuversichtlich, dass mehr Forscher die Ergebnisse reproduzieren werden, sobald das Gerät dieses Jahr auf den Markt kommt. Geht es nach Thync, soll es jedoch nicht als medizinisches, sondern als Wellness-Gerät zugelassen werden. "Wir wollen keine Krankheiten therapieren", sagt Tyler. UKE-Arzt Hummel hält diesen Schritt jedoch für verfrüht. Ihm fehlt eine Studie, die bestätigt, dass Laien die Elektroden am richtigen Ort anbringen können. Liegt etwa nicht die gesamte Fläche auf, könne es zu Hautrötungen oder Verbrennungen kommen. Hummel erwartet bei jungen, gesunden Menschen nur kleine Effekte. "Unserer Erfahrung nach sind mit der tDCS-Technik eher bei Älteren und Kranken relevante Effekte zu erzielen." (vsz)