Störung durch kosmische Strahlung: "Quantencomputer gehören in den Keller"

Forscher haben untersucht, wie sich der Zerfall von Qubits verzögern lässt. Zwei konkrete Möglichkeiten bieten sich an: Abschirmung oder Anlagen im Untergrund.

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Störung durch kosmische Strahlung: „Quantencomputer gehören in den Keller“

(Bild: Timothy Holland, PNNL)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Neel V. Patel
Inhaltsverzeichnis

Grundsätzlich haben Quantencomputer das Potenzial, komplexe Probleme in extrem hoher Geschwindigkeit zu lösen. Möglich wird das durch die Art und Weise, wie sie mit Qubits arbeiten. Meist handelt es sich dabei um subatomare Partikel wie zum Beispiel Elektronen, deren Quanten-Eigenschaften genutzt werden, um mehr Zahlen-Variationen darzustellen als die Nullen und Einsen konventioneller Bits. Wenn Paare solcher Quanten-Bits "verschränkt" sind, können sie den Zustand des jeweils anderen vorhersagbar verändern. Das funktioniert sogar über große Entfernungen, was die Rechenleistung noch weiter steigert.

Doch all das gibt es nicht ohne Nachteile. Qubits reagieren sehr sensibel selbst auf die leichtesten Störungen, und in einem als Dekohärenz bezeichneten Prozess können sie rasch verfallen und verschwinden. Und laut einer aktuellen Studie in Nature ist einer der Gründe für Dekohärenz kosmische Strahlung, und diese könnte sich als besonders problematisch erweisen.

Die Studie beschäftigt sich mit einem Typ von Quantencomputern, bei dem Qubits mit Hilfe von supraleitenden Materialien und geladenen Elektronen-Paaren produziert werden. Nach den Ergebnissen reicht schon natürliche Strahlung durch normale Materialien wie zum Beispiel Beton-Bauten um uns herum aus, um die nutzbare Lebensdauer eines solchen Qubit-Zustands auf einige Millisekunden zu begrenzen. Kosmische Strahlung aber soll noch gravierendere Folgen haben.

Problematisch daran ist, dass dieser Effekt im Grunde jegliche Quanten-Systeme stört, die nicht von Blei umgeben oder tief unter der Erde untergebracht sind. "Jeder Quantencomputer auf der Grundlage von Supraleiter-Technologie für Qubits wird sehr konkret mit den Folgen von Strahlung zu tun haben", sagt Brent VanDevender vom Pacific Northwest National Laboratory im US-Bundesstaat Washington, einer der Autoren der Studie.

Strahlung beeinträchtigt Qubits, indem sie Energie in sie einträgt. Schon sehr wenig davon reicht aus, um Elektronen-Paare in einem Supraleiter aufzubrechen; dann werden sie zu freien Elektronen, deren Energie wiederum den fragilen Zustand des Computers zerstören kann. Qubits verlieren ihren Quantenzustand und ihre Kohärenz, sodass echtes Quantencomputing nicht mehr möglich ist.

Das Team für die Studie wurde geleitet von Antti Vepsäläinen, einem Quantencomputer-Forscher am MIT. Die Wissenschaftler setzten supraleitende Qubits bestrahltem Kupfer aus und stellten fest, dass Qubits unter lediglich natürlicher Strahlung etwa vier Millisekunden lang stabil blieben. Das ist sogar mehr als die rund 0,1 Millisekunden, die sich derzeit im Durchschnitt bei Quanten-Experimenten beobachten lassen.

Aber selbst einige Millisekunden reichen für Rechnen mit Quanten-Bits in der Praxis nicht aus. Laut der Studie ist diese Technologie deshalb selbst dann noch schwierig einzusetzen, wenn sich andere Ursachen für Dekohärenz wie Vibrationen oder Temperatur-Schwankungen eliminieren lassen.

Als "nicht sehr überraschend" bezeichnet Shyam Shankar diese Erkenntnis, ein an der Studie nicht beteiligter Quantencomputer-Forscher an der University of Texas in Austin. Seiner Ansicht nach seien die Ergebnisse von vielen erwartet worden, wobei noch nicht exakt bekannt gewesen sei, wie sehr Strahlung Qubits beeinträchtigt. Denn derartige Experimente seien sehr schwierig vorzunehmen – "es ist schön, dass andere das geschafft haben und konkrete Werte für dieses Phänomen liefern", sagt Shankar.

Für VanDevender wiederum ist es jetzt Zeit, den Effekt "richtig zu verstehen und damit umzugehen". Mit Hilfe von Mechanismen zur Fehlerkorrektur können Quanten-Forscher die Auswirkungen begrenzen. Doch solche Abhilfen sind derzeit zu langsam, um mit Dekohärenz zurechtzukommen, die von Strahlung ausgelöst wird.

Geringe Mengen an kosmischer Strahlung durchdringen fast alle Standorte auf der Erdoberfläche. Die einfachste Methode, die empfindliche Technik davor zu schützen, könnte zugleich die beste sein: Abschirmung mit Materialien wie Blei oder Anlagen unter der Erde. VanDevender hält einen idealen Mittelweg zwischen beidem für möglich, also leichte Abschirmung und ein wenig im Untergrund: "Wenn Sie einen Quantencomputer bauen, stellen Sie ihn in den Keller." Später könnten auch Qubits entwickelt werden, die weniger empfindlich auf Strahlung reagieren.

Die Studie ist keine erfreuliche Nachricht für das Gebiet der Quantencomputer, könnte aber eine positive Seite haben: "Wie sich zeigt, sind Qubits oder etwas Ähnliches fantastische Strahlungsdetektoren", sagt VanDevender. Das wecke Hoffnung auf erhöhte Sensitivität bei der Suche nach dunkler Materie oder bei Experimenten, "die lange gesuchte Schwächen in unserem Standardmodell der Teilchenphysik zutage treten lassen könnten". (sma)