Stop starting, start finishing: Wie Teams unter extremer Belastung funktionieren

Silke Notheis ist Organisationsentwicklerin beim Energieversorger EnBW. Im Interview gibt sie Tipps für das Bestehen als Team in krisengebeutelter Zeit.

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(Bild: Kompass/Shutterstockcom)

Lesezeit: 20 Min.
Von
  • Silke Hahn
Inhaltsverzeichnis

Die Softwareentwicklerin Silke Notheis arbeitet bei EnBW, einem großen Energieversorger in Baden-Württemberg. Dort ist sie als Agile Coach mit dem Schwerpunkt Organisationsentwicklung und Chapter Lead Transformation tätig. Im Vorfeld der Konferenz TeamUp!, bei der sie einen Vortrag über Teamentwicklung hält, hat heise Developer mit ihr über ihre Arbeit und Erfahrungen gesprochen – mit Blick auf die aktuelle Energiekrise auch über den Druck von außen, dem die Belegschaft von Versorgungsunternehmen nun ausgesetzt ist.

Wie ihre Teams damit umgehen und was andere Teams und Organisationen in den aktuell schwierigen Zeiten beherzigen sollten – dazu gibt sie im Interview Denkanstöße.

heise Developer: Silke, du bist von Haus aus Softwareentwicklerin. Was ist deine Lieblingsprogrammiersprache und wieso?

Interviewgast: Silke Notheis

Silke Notheis ist aktuell bei der EnBW in Karlsruhe als Agiler Coach mit dem Schwerpunkt Organisationsentwicklung tätig und begleitet als Chapter Lead Transformation ein neu entstehendes Produkt mit skalierter Arbeitsweise. Als Softwareentwicklerin konnte sie seit 2007 bereits Erfahrungen in einem Scrum Team sammeln, seit 2014 ist sie als Scrum Master aktiv. Daher kennt sie beide Seiten aus eigener Erfahrung und kann praktische Erfahrungen und Tipps weitergeben. Privat freut sie sich über fixe Abgabezeitpunkte als Fachlektorin und Reviewerin für die Verlage dpunkt und O'Reilly, um Bücher zügig zu Ende zu lesen. Sie ist in agilen Communities aktiv und schaut neugierig über den Tellerrand nach anderen Sichtweisen und Ideen. In Ihrem Job als Agile Coach sieht sie sich selbst als Dienstleister. Getreu dem Motto "Ehre, wem Ehre gebührt" setzt sie sich für Fairness und Respekt im Team ein.

Silke Notheis: Meine Lieblingsprogrammiersprachen oder auch Programmierumgebungen? Basic, da ich darin während der Grundschulzeit meine ersten Schritte auf einem C64 gegangen bin. Symbian OS, da ich zu Beginn meines Arbeitslebens beim Programmieren eines Navigationssystems auf Handys damit gekämpft habe. Und Perl, da ich in dieser Sprache am längsten tätig war und hier unglaublich viel möglich ist. Es gab sogar Wettbewerbe, in denen versucht wurde, kurzen Programmcode zu schreiben, der möglichst viel verschleiert – was man normalerweise zu vermeiden sucht.

Spannend. Inwiefern verschleiert?

Notheis: Man versucht, den Code möglichst kurzzuhalten und die Funktionsweise des Codes möglichst schwer erkennbar zu gestalten. Es ist dann für jemanden, der das liest, wie Rätsel raten, um zu erkennen, was der Programmcode tut. Normalerweise versucht man Code möglichst klar zu schreiben, sodass ein Entwickler, der den Code übernimmt oder auch man selbst nach einigen Monaten, schnell versteht, was er bewirkt und man sich nicht erst lange einlesen muss.

Wann und wie hast du denn zur IT gefunden?

Notheis: Ich war immer schon nah an der IT in meinem Arbeitsleben. Programmieren habe ich mir selbst erarbeitet. Daher sage ich auch immer, dass ich in vielen Programmiersprachen hacken kann und leider keine wirklich gut beherrsche. Mit einem Augenzwinkern: Vielleicht war das auch ein Grund, irgendwann nicht mehr selbst zu programmieren, sondern das den Experten zu überlassen. Aufgefallen ist mir das vor allem in einem großartigen Scrum-Team, in dem ich vor 15 Jahren war. Die haben "an den Nano-Sekunden" geschraubt und das in C++ – da war ich lange nicht fit genug, um mithalten zu können, und bin dann in Richtung Requirements Engineering, Testing und Datenverarbeitung innerhalb des Teams abgebogen.

Ticketverlosung: Fünf Freitickets für TeamUp! zu gewinnen
TeamUp! am 26. Oktober 2022

Heise verlost fünf Freitickets.

(Bild: TeamUp – Impulse für erfolgreiche Teamentwicklung)

Silke Notheis spricht bei der Online-Konferenz TeamUp! am 26. Oktober 2022, und Heise verlost Freitickets unter den Lesern – mehr dazu im letzten Absatz.

Team Up! wendet sich an:

  • Führungskräfte, die ihre Teams nachhaltig weiterentwickeln wollen
  • Verantwortliche in Projektteams
  • HR- und Personalabteilungen
  • (Agile) Coaches und Consultants
  • Scrum-, Kanban- und sonstige Master

Blick ins Programm

Psychologische Sicherheit, sich selbst entwickeln als Teamentwickler, Teamdynamiken erkennen – verstehen – ändern... alternative Retrospektiven und Erkenntnisse aus dem Coaching von Führungsteams: Die Online-Konferenz spannt einen breiten Bogen. Alle Speaker schöpfen aus langjähriger Berufspraxis und stehen nach den Talks für Fragen bereit. Zur Vertiefung gibt es separate Workshops zu den Themen "Jedes Team ist anders", "Teamdynamiken erkennen – verstehen – ändern" und "Psychologische Sicherheit fördern". Wer mag, findet das Programm hier.

Tickets sichern...

Die Konferenzteilnahme kostet 249 Euro (alle Preise zzgl. 19 % MwSt.), die Workshopteilnahme je Workshop 449 Euro. Für Gruppen ab drei Personen wird im Ticketshop automatisch ein Rabatt abgezogen.

...oder am Glücksbaum rütteln: Ticketverlosung

Alternativ gibt es Tickets zu gewinnen: Wer an der Verlosung teilnehmen möchte, schreibt bis zum 20. Oktober 2022 eine E-Mail an die Redaktion (Betreff "TeamUp") und beantwortet folgende Frage:

  • Was war dein lustigstes oder verrücktestes Erlebnis mit Scrum?

Unter allen Einsendungen verlost Heise fünf Freitickets. Die Gewinner werden per E-Mail benachrichtigt.

Bist du noch aktiv in der Softwareentwicklung tätig?

Notheis: Aktuell bin ich nicht mehr selbst als Entwicklerin tätig, aber als Scrum Master und Coach in mehreren Teams sehr nah dran. Lustigerweise komme ich hier gerade wieder mit meinem Thema der Diplomarbeit in Berührung – Web Services. Nur dass sie nicht Apache Tomcat verwenden wie ich damals.

Was hat dorthin geführt, in die Organisationsentwicklung?

Notheis: Das passierte stufenweise. Ich war schon immer gut vernetzt in meinen Unternehmen und habe durch meine Neugierde oft Stellen in – nicht nur meinen – Arbeitsabläufen gesehen, die sich verbessern oder vereinfachen lassen. Dadurch bin ich zu einer kleinen Runde von "Veränderern mit Weitsicht" gekommen, die mit dem Management meines letzten Unternehmens in den Kontakt getreten sind. Wir haben größere Schritte angestoßen, die die PTV Group damals dringend benötigt hat.

PTV?

Notheis: Ein Softwareentwicklungsunternehmen im Bereich Verkehrswesen und Logistik aus Karlsruhe. Dadurch ist die Transformation ins Laufen gekommen und irgendwann konnten die vielen Anforderungen nicht mehr durch kleine Arbeitsgruppen und das Management nebenher bewältigt werden. Zwei Agile-Coach-Stellen wurden geschaffen, und ich habe mich auf die interne Stelle beworben. 800 Augenpaare haben zwei Jahre lang verfolgt, was meine Kollegin und ich in die Wege geleitet haben, und so kam ich zur Organisationsentwicklung.

Wow, das klingt nach Erwartungsdruck. Wie fühlt man sich da, wenn 800 Augenpaare auf einem ruhen?

Notheis: Da das Unternehmen damals wie eine große Familie war, haben wir zwei den Druck natürlich gespürt, aber er war meistens freundschaftlich und sehr kollegial. Zudem war unser damaliger Chef großartig und hat uns immer gefördert und gefordert. Wir sind beide mit unseren Aufgaben gewachsen und durften sehr viele verschiedene Erfahrungen machen – auch einiges ausprobieren, was heute zu meinem großen Erfahrungsschatz und Methodenkoffer beiträgt.

Jetzt arbeitest du als Organisationsentwicklerin bei einem großen Energieversorger in Baden-Württemberg. Inwiefern berührt die aktuelle Energiekrise deine Arbeit und die deiner Teams?

Notheis: Sie berührt uns direkt, da Gesetzesänderungen wie Preisanpassungen, Änderungen der Mehrwertsteuer und einiges mehr bei den Teams landen, mit denen ich arbeite, und wir diese in unglaublich kurzer Zeit umsetzen müssen. Was vor zwei Jahren noch bis zu einem halben Jahr Planungs- und Umsetzungszeit bedeutete, sind jetzt noch wenige Wochen, und die Änderungen kommen viel häufiger.

Wie macht sich das in der Praxis bemerkbar, Stichwort Teamdynamik?

Notheis: Mit den Teams macht das sehr viel, da Änderungen schneller passieren und auch mal "eine Rolle rückwärts" gemacht werden muss, wenn eine geplante Gesetzesänderung doch nicht kommt. Dadurch ist zum Beispiel auch der Anspruch da, die notwendigen Änderungen möglichst dynamisch und konfigurierbar zu halten. Hier sehen wir, dass die Business-Analysten und Softwareentwickler davon profitieren, dass sie schon länger zusammen in crossfunktionalen Teams arbeiten. Sie brauchen einander, um in kurzer Zeit das beste Ergebnis erreichen zu können.

Hast du einen konkreten Rat, wie Teams mit diesen Belastungen umgehen können?

Notheis: Es ist wichtig, darüber im Team sprechen zu können. Nicht allein damit zu sein und gemeinsam im Team nach Lösungen zu suchen ist ein wichtiger Grundstein, damit die Menschen die Mehrfachbelastung und auch Überstunden bewältigen können, die aufgrund der Kürze der Umsetzungszeit immer wieder vorkommen.

Zudem ist es wichtig, immer eine transparente und klare Priorität zu haben. Das ist oftmals nicht leicht zu erkennen, da viele verschiedene Punkte wichtig sind. Ich stelle dann den Product Ownern gerne die Frage: "Wenn du nur eine einzige Sache, ein Feature haben kannst von den vielen, was wäre es?" Das bekommt Prio eins und darauf baue ich auf. Hier zählt dann der bekannte Satz "Stop starting, start finishing" – also nicht zwanzig Dinge gleichzeitig zu tun, sondern ein Ergebnis nach dem anderen zu bearbeiten und vor allem abzuschließen. 80 Prozent nutzbare Lösung ist besser als 30 Prozent bei x Funktionen.

Okay, das merke ich mir… Gibt es weitere Tipps?

Notheis: Soziale Events wie gemeinsam zu feiern, wenn etwas erreicht wurde, sind ein weiterer wichtiger Baustein, um die Erfolge zu würdigen. Und zudem ist es wichtig, seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht mit Insel- und Silowissen in die Situation zu bringen, dass ohne sie nichts mehr umgesetzt werden kann und der Druck auf die Einzelnen dabei unglaublich groß wird. Man darf gefühlt nicht mehr krank werden.

Das heißt jetzt aber auch nicht, dass "jeder alles wissen muss", sonst könnte keiner mehr etwas richtig gut. Die gesunde Mischung macht es aus, so dass Urlaube und Krankheiten über eine gewisse Zeit hinweg von einem Team problemlos überbrückt werden können. Dies mindert die Belastung einzelner und stärkt das Team.

Schöner Rat. Bei der Vorbereitung auf das Gespräch bin ich öfter über den Begriff Scrum gestolpert. Was macht für dich Scrum aus, was ist beim Scrum Master die wesentliche Aufgabe für das Team?

Notheis: Scrum ist ein Framework, eine Arbeitsweise für ein Team, mit dem es sich schrittweise an nutzbare Lösungen für Kundenbedürfnisse herantasten kann. Für mich ein Werkzeug von vielen. Kanban, Scrumban und Lean-Methodiken sowie XP Elemente ergänzen es zum Beispiel.

Scrumban?!

Notheis: Das ist keine offiziell festgeschriebene Arbeitsweise, sondern beschreibt eine Mischung aus Scrum und Kanban und ist in der Realität sehr oft anzutreffen, oftmals auch unbewusst. Ich habe immer die Stacy- und Cynefin-Matrix-Modelle im Hinterkopf, wenn ich schaue, welche Arbeitsweise zum Team jeweils passt.

Scrum – auf dem Bierdeckel erklärt. Begriffe, Konzepte, Grundverständnis (Scrum Intro von it-agile)

(Bild: it-agile)

Vereinfacht gesagt empfehle ich Kanban eher dann, wenn Arbeitsprozesse transparent gemacht und verbessert werden sollen, die regelmäßig in ähnlicher Form auftreten und wenn die Lösung zur Umsetzung bereits bekannt ist, aber nicht jeder sofort selbst umsetzen kann – das ist dann ein kompliziertes Umfeld.

Sobald es komplex wird, kennt man die Lösung noch nicht und arbeitet schrittweise darauf hin, holt Feedback zu den Zwischenschritten ein und ändert auch mal die Richtung komplett oder muss Teile wegwerfen, da sie nicht benötigt werden. Dann kann man gut Scrum einsetzen.

Jedes Werkzeug sollte also zum Umfeld passend eingesetzt werden. Ich sage gerne: Man kann mit einem Hammer eine Schraube in die Wand bekommen – vielleicht wäre es mit einem Schraubendreher aber leichter gefallen.

Oftmals erlebe ich, dass Scrum als bekannteste Arbeitsweise überall eingesetzt wird, ohne zu schauen, ob es für das Team, das Projekt, das Produkt aktuell passend ist. An dieser Stelle beginne ich immer, wenn ich zu einem Team komme. Ich schaue, welche Anforderungen auf deren Tisch landen, wie sie aktuell arbeiten und erarbeite dann zusammen mit dem Team eine passendere Methode bzw. passe Teile an. Dabei frage ich sehr viel, höre zu und empfehle erst mal nur wenig.

Das ist auch eine wichtige Grundeigenschaft eines gutes Scrum Masters. Zuhören, beobachten, den Blick von außen ins Team mitbringen. Das Team dabei unterstützen, seine Arbeitsweise zu verbessern, Konflikte und Herausforderungen zu lösen und in eine gute Zusammenarbeit zu kommen. Das Team wird ein lernendes Team.

Lass uns einen Blick in deine Werkstatt werfen. Wie schaut bei dir ein typischer Tag oder Monat als Scrum Master und Organisationsentwicklerin aus?

Notheis: Einen typischen Ablauf gibt es bei mir nicht, da ich mit den unterschiedlichsten Menschen und Teams arbeite und jeden Tag Überraschungen passieren.

Daher plane ich nicht weit im Voraus, habe allerdings eine sorgsam geführte To-do-Liste mit Prioritäten. Auf diese werfe ich jeden Morgen zusammen mit meinem Kalender einen Blick und schaue, was mich am Tag an Meetings erwartet und welchen einen Punkt von der To-do-Liste ich heute schaffen kann. Diesen fange ich so früh wie nur möglich an und meist schaffe ich durch diesen Trick mehr als nur einen Punkt.

Wenn ich Tage habe, an denen ich fast nur in Meetings bin, die ich dann oftmals moderiere, dann ist mein einziges To-do für diesen Tag, dass am Ende des Tages meine To-do-Liste aktuell ist und ich nichts vergessen habe aufzuschreiben.

Was ich mir fest einplane, das sind größere Vorbereitungen für Workshops, Vorträge oder auch Konzeptarbeit. Für diese blocke ich mir passende Zeiten im Kalender, zu denen ich weiß, dass ich fit bin. Was bei mir immer vor geht, das sind persönliche Gespräche, wenn jemand mich als Coach braucht sowie Termine und To-dos für mein Scrum Team. Da kann man mich jederzeit anrufen.

Was war denn das lustigste, heikelste, überraschendste oder auch schwierigste Erlebnis in einem Scrum Team?

Notheis: Davon gibt es eine ganze Menge. Mein Motto ist unter anderem "spielend lernen" und daher bringe ich gerne kurze Spiele mit, mit denen man Methoden in geschütztem Rahmen ausprobieren und dann auf die Realität übertragen kann. Einmal gab es da ein Team, das ein wirklich schwieriges Spiel in der Hälfte der Zeit gelöst hatte, die andere Teams sonst brauchen. Dieses Team hat mich genauso überrascht wie ein weiteres, das LEGO Serious Play mal ausprobieren wollte und nach anderthalb Stunden mit einer Teamvision aus dem Raum ging, die bis heute Bestand hat.

Und es gab auch schwierige Situationen, wenn aus einer einfachen Anfrage nach einem Workshop ein großer Konflikt im Team sichtbar wird, der jahrelang nicht berücksichtigt worden war. Ich konnte den Teams bisher immer dabei helfen, den ersten kleinen Schritt aus dem Tal der Tränen zu finden. Während dieser Situationen bin ich immer sehr ruhig, biete dem Team den psychologisch sicheren Rahmen an, bin ganz bei mir und dem Team und erkläre ihnen auch, was gerade passiert ist. Ich führe sie zurück auf die Arbeitsebene und zeige ihnen den ersten kleinen positiven Schritt. Nach solchen Erlebnissen fällt es mir erstmal schwer, das Dankeschön des Teams anzunehmen, da ich ihren Schmerz, die Traurigkeit und die Wut miterlebt habe und mir wünsche, dass es nicht dazu gekommen wäre.

Und ich werde nie vergessen, wie es ist, den Tod eines Teammitglieds begleiten zu müssen oder dürfen. Die damit verbundenen Gespräche werde ich nie vergessen und diese Verbundenheit im Team ist heute noch spürbar, wenn wir uns treffen.

Das klingt nach Seelsorge.

Notheis: Meine Erfahrungen gehen da von sehr tiefgehenden Gesprächen mit einer jungen Frau, deren erster Todesfall im Bekanntenkreis eintrat, bis zu einem fast non-verbalen Gespräch mit einem sehr zurückhaltenden Softwareentwickler. Es gilt, jeden Menschen mit dem wahrzunehmen, was er oder sie in dieser Situation benötigt.

Gibt es Stolperfallen für agile Coaches bei der Zusammenarbeit mit IT-Teams?

Notheis: Es besser wissen zu wollen. Als Coach haben wir schon vieles erlebt und haben unsere Kochrezepte, die wir gerne anwenden. Die habe ich auch. Diese nicht direkt als Heilmittel oder gar Gesetz anzubringen, sondern Fragen zu stellen, was denn schon alles probiert wurde und dem Kern des Problems auf den Grund zu gehen, hilft mir immer, ich selbst zu bleiben und nicht als von außen wahrgenommen zu werden, sondern als wirkliche Unterstützung. Und wie schon gesagt: ein IT-Team nicht als reines IT-Team aufzubauen, sondern als crossfunktionales Team zusammen mit Business-Analysten des Fachbereiches.

Du begleitest als "Chapter Lead Transformation" neu entstehende Produkte: Was heißt das konkret – kannst du das an einem Beispiel festmachen?

Notheis: Ja, das klingt komplex... Als Chapter Lead Transformation leite ich informell ein Team von Scrum Mastern und Coaches. Wir sehen uns als Zukunftsentwickler und Reisebegleiter für die Produktentwicklung hin zu einer agilen wertschöpfenden Organisation.

Konkret heißt das, dass die Scrum Master die Teams unterstützen – Arbeit im System mit dem Fokus auf Teamentwicklung, Kommunikation, Zusammenarbeit und Transparenz. Die Arbeit am System und mit dem Umfeld liegt federführend in meinen Händen und bedeutet zum Beispiel, Workshops zu konzipieren und durchzuführen – oder dass Stakeholder und das Management agile Methodiken und deren Anwendung verstehen und auch, wie sie die Teams unterstützen können.

Obendrein arbeitest du als Fachlektorin und Reviewerin, bist daher mit fixen Abgabezeiten vertraut. Woran liegt es, wenn Teams Fristen nicht einhalten? Hast du Hinweise für ein gutes Zeitmanagement?

Notheis: Die erste Frage, die ich mir hier stelle, ist: Woher kommen die Fristen für die Teams? Setzten sie sich die selbst wie zum Beispiel den Inhalt eines Sprints, dann kann man sehr gut damit arbeiten, in Retrospektiven immer wieder auf die Ursachen zu schauen und gemeinsam zu lernen, wie das Team es schafft, zuverlässigere Zeitpunkte anzugeben. Eine Schätzung ist dabei immer noch kein Versprechen.

Kommen die Fristen von außen, kommt mir sofort das Projektmanagement-Dreieck in den Sinn. Im klassischen Projektmanagement wird der Scope festgesetzt: Das sind Funktionen, die für den Kunden umgesetzt werden sollen. Die Zeit und die Ressourcen – gemeint sind Menschen und Arbeitsmittel – werden darauf dann angepasst. Im Agilen ist es andersherum, ich habe ein festes Team und einen festen Zeitraum wie den Sprint im Scrum-Framework und schaue dann, was an Mehrwert für den Kunden hergestellt werden kann.

Mein persönliches Zeitmanagement mit ToDo-Liste und "Getting things done" habe ich eben schon beschrieben. Bei Teams setzte ich viel auf klaren Fokus, nicht zu viel gleichzeitig tun und enge transparente Zusammenarbeit.

Womit können Teams Fairness und Respekt untereinander stärken?

Notheis: Das ist keine einfache Frage. Fairness und Respekt sind für mich Werte und Teil der Kultur. Eine Kultur kann man meiner Erfahrung nach nur durch Verhalten verändern, von innen heraus und nicht von außen. Es beginnt bei einem selbst. Daher fange ich bei mir selbst an, spiegele den Menschen meine Beobachtungen, wenn sie nicht meinen Werten entsprechen oder den Leitplanken, die wir uns als Team gesetzt haben. Verändern kann ich jemanden nicht, nur mit meinem Verhalten vorausgehen.

Dinge, die wir von außen nicht ändern können – das bringt mich auf ein anderes Thema. Wir Frauen sind in der IT-Branche unterrepräsentiert. Wäre deine Karriere wohl anders verlaufen als Mann?

Notheis: An der einen oder anderen Stelle mit Sicherheit. Nur mache ich mir darüber wenige Gedanken, da ich nun mal eine Frau bin und dies auch seine Vorteile hat. Mir haben zwei Workshops einer Coaching-Kollegin vor 15 Jahren sehr gutgetan. Dort haben wir uns gemeinsam angeschaut, wo denn die Unterschiede in männlicher und weiblicher Kommunikation, Führung und Machtverhalten liegen. Dies zu verstehen, hat mir an einigen Stellen weitergeholfen.

Interessant. Was rätst du Frauen, die sich für Arbeit in deinem Bereich interessieren?

Notheis: Nie die Neugierde verlieren, mit offenen Augen durch die Welt gehen, sich nicht die Butter von Brot nehmen lassen und gerne auch mal etwas forsch sein. Die meisten Männer können damit wunderbar umgehen – und wenn nicht, können sie es lernen. Das Bauchgefühl berücksichtigen und auch mal weibliche Gefühle oder weibliche Verhaltensmuster zulassen gehört ebenfalls dazu, sonst wären wir nicht authentisch.

Hast du einen Rat für junge Menschen, besonders Mädchen, heute vor der Berufswahl?

Notheis: Einfach mal anfangen, etwas ausprobieren – zum Beispiel durch ein Praktikum. Das machen, worauf sie am meisten Lust haben oder wo sich eine gute Gelegenheit bietet. Das Arbeitsleben verändert sich so schnell und immer wieder. Den vorgegebenen Weg kann man heute immer mal wieder verlassen und eine neue Richtung einschlagen.

Gibt es eine Frage, die du gerne hören würdest, die hier aber nicht vorkam?

Notheis: Jetzt muss ich lachen – ich merke schon, du führst häufiger Interviews – dies ist auch meine liebste letzte Frage, wenn ich Interviews führe. Ich würde mir die Frage stellen, ob ich meinen Werdegang noch mal so durchlaufen würde.

Tolle Frage zum Schluss. Und, würdest du?

Notheis: Ja, das würde ich, vielleicht an der einen oder anderen Stelle nicht exakt diesen Weg, sonst hätte ich nichts dazu gelernt. Ich bin angekommen bei mir selbst und weiß, dass ich durch meinen Job viel Positives bewirke, mit den Menschen um mich herum – manchmal sehen sie das erst etwas später.

Meine größte Freude ist es, wenn Menschen Anregungen und Ideen von mir annehmen und eigenständig umsetzen und weiterentwickeln. Dann blitzen meine Augen, oder wie ein Kollege es ausdrücken würde: 'Das ist, als wäre für Dich Weihnachten und Ostern gleichzeitig.'

Liebe Silke Notheis, danke für die Einblicke!

Das Interview führte Silke Hahn, Redakteurin von heise Developer.

(sih)