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Stromspar-Chip mit "elektrischer Intelligenz"

Tom Sperlich

Forscher der Zürcher ETH wollen einen weltweiten Energiemanagement-Standard nach vorne bringen. Der könnte auch Vorteile im Bereich des "Smart Home" bieten.

An der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich wurde in der vergangenen Woche die "digitalSTROM.org"-Allianz [1] gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hat, einen weltweiten Standard für "elektrische Intelligenz" zu entwickeln. Damit gemeint sind Geräte, die ein eigenes Energiemanagement mitbringen und dadurch deutlich stromsparender arbeiten.

Der Standard basiert auf einem neuartigen Verfahren, das für eine digitale Informationsübertragung über die existierende Stromleitung entwickelt wurde. Der Ansatz ähnelt der bekannten Internet-über-Strom-Technologie Powerline, besitzt aber nicht deren Nachteile wie die Emission hochfrequenter EM-Strahlung.

Professor Ludger Hovestadt vom Institut für Hochbautechnik der ETH konnte in Zürich erstmals einen einzigen integrierten Hochvoltchip zeigen, der all diese Funktionen vereint. Der so genannte dSID-Chip ist mit nur 6 mal 4 Millimetern so klein, dass er als Massenprodukt in jedes elektrische Gerät eingebaut werden kann und verbraucht im Stand-by-Modus weniger als 0,3 Watt.

Über die Stromleitung, die quasi als Bussystem fungiert, kann der Chip auch die Stand-by-Funktion aller angeschlossenen Elektrogeräte übernehmen. So ließen sich beispielsweise gar Energiesparlampen dimmen, erläutert Hovestadt.

Damit das neue Verfahren weltweit Erfolg hat und die Stromverschwendung zu reduzieren oder gar zu vermeiden hilft, muss aber zunächst der neue Standard vorangetrieben werden, damit alle Einzelteile zusammenspielen. Hier kommt die "elektrische Intelligenz" zum Zuge, wie die Forscher ihr Anliegen sprachlich wohl überlegt verpacken.

Als erster großer Partner der Organisation digitalSTROM.org, die unter der Schirmherrschaft der ETH steht und als Non-Profit-Vereinigung agiert, trat der deutsche Stromversorger Yello Strom bei. "Wir wollen in einer ersten Phase vor allem ausgewählte Gerätehersteller und Energieversorger für unsere Sache gewinnen", erläutert Hovestadt. Später soll die Allianz auch für kleinere Firmen, Fachplaner, Installateure und Privatpersonen offen stehen. Erste Geräte mit dem Chip sollen laut Vorstellung von digitalSTROM.org ab Mitte 2009 in den Handel kommen. Die Technologie integriert Prozessor, Speicher, Netzteil und Kommunikationsmodul.

Darüber, welche Technologie digitalSTROM für die Informationsübertragung nutzt, halten sich die Entwickler noch bedeckt. Das Team, zu dem neben Hovestadt auch der Informationselektroniker Wilfrid Beck und der Physiker Ralf Hofmann von der Firma aizo GmbH gehören, verrät nur so viel: "digitalSTROM arbeitet nicht auf der Basis von Frequenzmodulation, sondern mit einem neuartigen, patentierten und für Experten überraschenden Verfahren." Im Basisband in der Nähe des Nulldurchganges schalte der Chip für wenige Mikrosekunden, um die digitalen Informationen zu übertragen.

So seien bisher unerreicht hohe Übertragungssicherheit und extrem kompakte Bauformen durch MOSFET-Technik möglich, meint Hovestadt. Das genaue Funktionsprinzip wird nur den Teilnehmern von digitalSTROM.org unter einem Non-Disclosure-Agreement dargelegt. Allen Mitgliedern der Allianz wird angeboten, Demonstrationskits zu erwerben, um sie in ihren Labors zu testen.

Jeder dSID-Chip besitzt eine eigene individuelle ID – deshalb auch der Name "digitalStromID". Die Allianz kaufe sich in den gleichen Adressraum ein, wie ihn die RFID-Chips nutzten, so Hovestadt. Auf diese Art wolle man neben der Nutzung von optischen Technologien und von Funksignalen eine weitere Identifikationsmöglichkeit auf der Ebene des Elektrizitätsverbrauchs bieten.

Dies dient vor allem dazu, erstmals eine Palette von Funktionen zu ermöglichen, mit denen Stromverschwendung vermieden werden kann. Dazu gehört eine differenzierte Verbrauchsmessung elektrischer Geräte, eine Überwachung defekter elektrischer Geräte ("Pre-Maintenance") und ein Zugriff auf einzelne elektrische Geräte auch aus der Ferne ("Remote Access").

Der Versorger Yello setzt in Deutschland in zirka 100 Haushalten den dSID-Chip bereits in so genannten Sparzählern ein. Dies bringe nicht nur dem Kunden einen neuartigen detaillierten Überblick über den Verbrauch jedes einzelnen Geräts im Haushalt und damit eine nie da gewesene Kostenkontrolle, sondern auch den Energieversorgern die Möglichkeit eines exakten Managements der Stromversorgung. Zu wissen, wie viel Strom wo und wofür gebraucht wird und zugleich steuernd eingreifen zu können, sei die Grundlage des neuartigen Lastmanagements, das die Vorhaltekosten der Stromversorger reduzieren helfe, erläutert Hovestadt.

Mit Hilfe eines digitalSTROM-Sensors im Sicherungskasten für jeden entsprechenden Stromkreis kann der Strombedarf für jedes einzelne Gerät genau gemessen werden – ein von aizo entwickelter Webserver sorgt dafür, dass sie sich wie beim Yello-Projekt dann auch online abrufen lassen. Noch besser: Einzelne Geräte können auch zusammenarbeiten, etwa für Beleuchtungsszenerien oder eine Urlaubssimulation. Sensor und Server seien eine einfache Installation im Sicherungskasten, die, so Hovestadt, von jedem Elektriker innerhalb Minuten durchgeführt werden könne.

Gerade die mögliche Zusammenarbeit der unterschiedlichen Elektrogeräte unter dem digitalSTROM-Verfahren soll auf bequeme und preiswerte Weise ein komfortables "Smart Home" ohne den bisher üblichen Aufwand ermöglichen. Der Chip bietet insgesamt rund 60 eingebaute Funktionen in den Bereichen Energiemanagement, Sicherheit und Komfort, die jeweils farblich eindeutig kodiert wurden, um die Benutzung und Installation sehr einfach zu halten. Acht Funktionen sind bereits voreingestellt, wie etwa für Licht-, Zugangs-, Klima-, Beschattungs- und AV-Steuerung.

Jedes Gerät, das man in die Steckdose stecke, funktioniere sofort im digitalSTROM-Verbund und spare so Energie und erreiche einen höheren Sicherheitsstandard, wirbt Hovestadt. Dazu gehöre etwa ein effektiver Überspannungsschutz, weil sich die Geräte untereinander absprechen, wann welches Gerät vom Netz geht. Geboten wird auch eine rechtzeitige Meldung defekter elektrischer Geräte beziehungsweise ihre Abschaltung. Auch eine zentrale Ausschaltung ist möglich. Bricht das Netz zusammen, lässt sich eine koordinierte Wiedereinschaltung vornehmen, bei der Lastspitzen vermieden werden.

Die Chips böten eine "Plug & Play-Intelligenz", so Hovestadt, ohne irgendwelche Umbauten vornehmen oder neue Kabel oder Geräte installieren zu müssen. Vorhandene Geräte könnten einfach weiter benutzt werden und dennoch vom großen Stromsparpotenzial profitieren. Das ist allein schon in der Schweiz gewaltig, denkt man allein an die mehr als 300 Millionen elektrischen Geräte, die die Einwohner des Landes betreiben. Schätzungen gehen davon aus, dass Geräte im Stand-by-Modus bis zu 10 Prozent am heutigen Stromverbrauch ausmachen.

In den nächsten 18 Monaten werde die digitalSTROM-Allianz deshalb schrittweise aufgebaut, betont Ludger Hovestadt. Und in ein bis zwei Jahren werde man dann, gibt sich der Forscher optimistisch, Produkte mit dem Label "digitalSTROM-ready" ohne besonderen Mehrpreis am Markt vorfinden. (bsc [2])


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[1] http://www.digitalstrom.org/
[2] mailto:bsc@heise.de