Syrische Samen aus dem Eis

Der Saatgut-Tresor im Svalbard-Archipel dient als Backup für ein weltweites Netz von Genbanken. Die Syrien-Krise sorgt nun für Probleme.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert

Der Saatgut-Tresor im Svalbard-Archipel dient als Backup für ein weltweites Netz von Genbanken. Die Syrien-Krise sorgt nun für Probleme.

Noch nie zuvor wurde der "Doomsday Vault" geöffnet. Im "Tresor des Jüngsten Tages" lagern die Samen der 21 wichtigsten Nutzpflanzen der Erde und all ihrer Varianten – atombombensicher 120 Meter tief in einem Berg auf der Insel Spitzbergen im Svalbard-Archipel, 600 Kilometer nördlich vom norwegischen Festland. Nur im allergrößten Notfall sollen Samen herausgegeben werden, nämlich dann, wenn die Nahrungssicherheit irgendwo auf der Erde auf dem Spiel steht.

Jetzt musste man ihn Ende September doch öffnen, bereits sieben Jahre nach seiner Einweihung. Der Grund: Bewaffnete Kämpfer kontrollieren die Nutzpflanzen-Genbank im syrischen Aleppo. Die Leiter des für die Genbank verantwortlichen Internationalen Zentrums für Landwirtschaftsforschung in Trockengebieten (ICARDA) flohen nach Beirut. Seitdem dürfen keine wertvollen Samen mehr Aleppo verlassen.

Das Zentrum hat eigentlich die Aufgabe, immer genug Samenduplikate für Züchter bereitzustellen. Um diesen Auftrag wieder erfüllen zu können, nahm ICARDA-Generaldirektor Mahmoud Solh am 2. Oktober die erste Charge von 8000 Samenproben aus Svalbard in Beirut persönlich entgegen. Insgesamt stammen 116.000 der 860.000 Samen im "Doomsday Vault" aus Aleppo.

Technology Review: Liegen in Svalbard die einzigen Duplikate aus Aleppo?

Mahmoud Solh: Wir haben auch woanders Duplikate, etwa in Mexiko und Indien, aber auch in Deutschland. Zuletzt haben wir 28000 Samenduplikate aus Aleppo herausgebracht, von denen etwa die Hälfte in der Genbank in Ankara lagert, die andere in Beirut. In Svalbard jedoch haben wir 80 Prozent der einst in Aleppo vorhandenen Proben eingelagert.

TR: Warum benötigen Sie jetzt Samen aus Svalbard?

Solh: Als wir mit dem ICARDA-Büro 2012 Syrien verließen, hatten wir eine ganze Menge Samen von Abkömmlingen der Originalpflanzen mitgenommen, um die Nachfragen unserer Partner bedienen zu können, die damit forschen und sie weiter züchten. Jedes Jahr gaben wir 25000 dieser Samen weiter. Jetzt sind sie aufgebraucht, und wir müssen sie ersetzen. Deshalb benötigen wir ein Drittel der Samenproben zurück, die wir auf Svalbard einlagerten, um sie in Marokko und im Libanon zu vermehren. In der nächsten Saison werden wir die Samen der neuen Pflanzen dann wieder nach Svalbard zurückliefern.

TR: Was ist das Besondere an den Samen aus Aleppo?

Solh: Es sind Nutzpflanzenrassen, die ihre Eigenschaften seit Hunderten, teilweise seit Tausenden von Jahren unverändert weitervererbt haben. Sie sind nicht optimiert, es ist ursprüngliches Material aus 28 Ländern in aller Welt. Zwei Drittel stammen aus Trockengebieten. Das heißt, die sind an raue Umweltbedingungen angepasst. Daneben gibt es noch kultivierte Getreidearten von Weizen, Gerste, Hafer, aber auch eine ganze Reihe von Hülsenfrüchten. Diese Feldfrüchte haben wichtige Gene, die sie Stress überleben lassen wie Hitze, Kälte und sogar Salzböden – wichtige Eigenschaften für die Anpassung an den Klimawandel. Sie haben auch Gene, die sie vor Krankheiten und Insektenplagen schützen.

TR: Wie steht es im Moment um die Genbank in Aleppo?

Solh: Die Genbank ist in Betrieb. Jedenfalls bis jetzt. Zwar gibt es häufig Stromausfälle, aber dann steht ein Stand-by-Dieselgenerator zu Verfügung, für den der Treibstoff auf dem Schwarzmarkt besorgt werden muss. Die bewaffnete Gruppe, die die Station besetzt hat, erlaubt unseren 50 Mitarbeitern, dort weiterzuarbeiten. Soweit ich bis jetzt weiß, sind die Gebäude intakt. Aber Sie wissen ja, wie es im Bürgerkrieg ist: Jeder Tag kann Neues bringen.

TR: Können Sie die Versuchsfelder bei Aleppo noch benutzen, auf denen Sie Samen vermehren?

Solh: Diese Felder werden bedauerlicherweise von den Rebellengruppen genutzt, um ihr eigenes Getreide anzubauen. Wir haben keinen Zugang mehr zu ihnen. (bsc)