Tauschbörse für Erbgut

Eine gemeinnützige Organisation sammelt Erbmaterial aus Forschungslaboren und verschickt es in alle Welt – ein Onlineversand für Biosynthetiker.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Antonio Regalado

Die Gene-Editing-Methode CRISPR breitet sich schneller aus als jede andere in der Geschichte der Biotechnik. Im vergangenen Jahr erschienen mehr als 1300 wissenschaftliche Artikel über die Genschere CRISPR. Forscher wenden sie für alles Mögliche an: zum Heilen von Muskelschwund bis zur Züchtung von Beagles mit enormen Muskelpaketen.

Einer der Gründe: Jeden Wochentag um acht Uhr morgens füllen Mitarbeiter von Addgene UPS-Pakete mit DNA-Material und verschicken sie in alle Welt, etwa nach Simbabwe oder Kroatien. Die gemeinnützige Organisation aus Cambrigde im US-Bundesstaat Massachusetts hilft Wissenschaftlern, ihre DNA-Erfindungen zu verbreiten, sie ist quasi ein Non-Profit-Amazon für biologische Bausteine. Jeder kann sein Material einreichen oder welches für 65 Dollar bestellen.

Dank des leichten Zugangs zu der Gene-Editing-Methode kann sich jedes unabhängige Forschungslabor von jedem Standort aus beteiligen. Auch jene chinesischen Wissenschaftler, die im Frühjahr 2015 einen Sturm der Entrüstung auslösten, weil sie menschliche Embryonen genetisch manipulierten, bekamen ihre Zutaten per Post von Addgene. Während Kritiker der Organisation vorwerfen, mit ihren Bio-Legosteinen lebende Organismen für ein reines Plug and Play zu missbrauchen, sehen Forscher in Addgene schlicht einen Anbieter, der für sie praktische Probleme löst.

Die Hochschulabsolventin Melina Fan gründete die Organisation 2004. Sie hatte keine Lust mehr, sich ständig die für ihre Forschung nötigen Materialien zusammenzubetteln. Warum nicht eine Art Tauschbörse schaffen, an der sich jeder beteiligen kann? "Menschen denken zu selten ans Teilen", sagt Patrick Hsu, ein Biologe am Salk Institute, einer Forschungseinrichtung in San Diego, Kalifornien. "Dabei hat das die Verbreitung von CRISPR enorm beschleunigt. Addgene zeigt, warum es sich lohnt, sich dafür einzusetzen. Jeder kann es nutzen, und es verändert alles."

Um die Erbgutabschnitte aufbewahren und verschicken zu können, verpackt Addgene sie im Darmbakterium E.coli. Dort liegen sie verteilt auf Mini-Chromosomen, auch Plasmide genannt. Bestellt nun jemand eine bestimmte Genfunktion, verschickt Addgene die entsprechenden Bakterien in Glasfläschchen.

Wissenschaftler können unter mehr als 45000 Plasmiden wählen. Sollen Mäusehirnzellen dazu gebracht werden, auf Licht zu reagieren? Man nehme Plasmid Nummer 20298, hinterlegt von Karl Deisseroth, dem bekannten Mitentwickler der Optogenetik in Stanford. Oder sollen die Gene einer Fruchtfliege eines nach dem anderen ausgeschaltet werden? Dann ist Nummer 64750 genau das Richtige. Der am häufigsten georderte DNA-Code aber ist derjenige, der für die Bildung des Proteins Cas9 verantwortlich ist – das Schnittwerkzeug der Genschere CRISPR. Seit 2013 gingen die Zutaten für CRISPR über 60000-mal auf die Reise.

Addgene vereinfacht den Austausch, indem es ein standardisiertes Genehmigungsverfahren verwendet. Für einen Universitätsforscher wie Hsu bedeutet daher die Bestellung von genetischem Material nicht mehr als ein Klick statt eines aufwendigen Laufs durch die Rechtsabteilungen. "Das Geniale ist, den Papierkram vom Tisch zu bekommen", sagt Hsu.

Unternehmen jedoch dürfen sich derzeit nur in einem kleinen Rahmen an dem Austausch über Addgene beteiligen. Denn noch hoffen die beteiligten Universitäten, später mit dem Verkauf von DNA-Material Geld zu verdienen. Gänzlich falsch liegen sie damit nicht. Im vergangenen Jahr verkaufte der Onlineversand DNA-Fragmente im Wert von acht Millionen Dollar und erzielte einen Überschuss von zwei Millionen. Damit soll, so die Geschäftsführung, das Angebot erweitert werden. (bsc)