Technik allein macht keine Zukunft

Jede Zeit, könnte man behaupten, hat die Literatur, die sie verdient, meint Sci-Fi-Experte Hannes Riffel.

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Technik allein macht keine Zukunft

(Bild: S. Fischer Verlage)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hannes Riffel

Riffel ist seit Anfang 2015 Programmbereichsleiter SF/Fantasy bei Fischer Tor.

Epochen, die in Aufbruchstimmung schwelgen, werden oft von unrealistischen Zukunftserwartungen heimgesucht. Fühlt sich eine Bevölkerung gerade schrecklich gedemütigt (wie die selbstmitleidige Nachkriegs-BRD), versinkt die Literatur, anstatt nach Auswegen zu suchen, oft in grauer Verzweiflung.

Richtiggehend visionär war und ist Literatur nur selten. Wolfgang Jeschke, langjähriger SF-Herausgeber im Heyne Verlag, hat den klugen Satz geprägt (ich zitiere aus dem Kopf): Gegenwartsliteratur handelt von der Vergangenheit, Zukunftsliteratur von der Gegenwart. Was handelt dann von der Zukunft?

In den 30er- und 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts gedieh die Science-Fiction in US-amerikanischen Pulp-Magazinen. Dabei feierte der Technikoptimismus fröhliche Urstände – ob fliegende Autos, automatische Häuser oder womöglich gleich die Eroberung des Weltraums nach dem Vorbild des Westerns: Nichts schien unmöglich.

Heute ergehen sich die Bewohner der westlichen Welt dagegen wieder einmal in Angstzuständen. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, dass, zumindest in Europa, nie mehr Sicherheit und Wohlstand herrschten als in den Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges. Politik und Wirtschaft befeuern die Ängste der Bevölkerung, um sie für ihre eigenen Zwecke zu benutzen – und eine in die gleiche Kerbe schlagende Thriller-Literatur ("Blackout", "Drohnenland", "Der Circle") zieht ebenfalls Profit daraus.

Was nicht heißt, dass die AutorInnen hier keine großartige Unterhaltung liefern einschließlich dringend nötiger Denkanstöße. Aber bei mir wecken solche alles umfassenden Bedrohungsszenarien dasselbe Misstrauen wie politische Lösungsansätze, die zu viel auf einmal wollen und gesellschaftliche Zustände dabei gern über einen Kamm scheren.

Ich denke da lieber kleiner. Ein gutes Beispiel ist der Roman "Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten" der US-Amerikanerin Becky Chambers – auf den ersten Blick ein hübsches Weltraumabenteuer über ein ramponiertes Raumschiff, dessen Besatzung sich mit physikalisch nicht ganz glaubwürdigen Tätigkeiten ihre Brötchen verdient: Sie bohrt Tunnel durchs All.

Schaut man allerdings etwas genauer hin, stellt man fest, dass hier, wo mehrere galaktische Zivilisationen neben- und miteinander existieren, ganz alltägliche Dinge verhandelt werden: Wie kommen Angehörige unterschiedlicher Spezies (ins Reale übersetzt: Menschen mit grundlegend verschiedenem Hintergrund und Erfahrungshorizont) miteinander aus – oder eben nicht. Dabei ist die Autorin vehement optimistisch, etwas, das manchen – vor allem männlichen – LeserInnen nicht zu schmecken scheint. Offenbar möchte man lieber angesichts unabwendbarer Katastrophen im Nichtstun erstarren, als Möglichkeiten zu sehen, selbst zu handeln. Denn dann müsste man ja etwas tun.

Becky Chambers steht damit in einer Tradition von Science-Fiction-Literatur, die sich eher auf die "soft sciences" bezieht und nur bedingt darum kümmert, wie genau etwas technisch funktioniert. Bestes Beispiel hierfür ist der Roman "Freie Geister" der kürzlich verstorbenen Ursula K. Le Guin, die dritte bedeutende Dystopie des 20. Jahrhunderts neben "1984" und "Schöne neue Welt". Hier steht zwar der Physiker Shevek im Mittelpunkt der Handlung, und die Autorin weiß eindrucks-voll von seiner Arbeit zu berichten. Aber das große Thema des erstmals 1974 unter dem Titel "The Dispossessed" erschiene-nen Buches sind die Bedingungen und Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderung, und in dieser Hinsicht ist es absolut zeitlos.

Dabei sind die Vertreter dieser Richtung keineswegs technikfeindlich. Sie legen nur einen anderen Schwerpunkt – nicht auf die (natur)wissenschaftlichen Voraussetzungen gesellschaftlicher Veränderungen, sondern auf die sich aus neuen technologischen Voraussetzungen ergebenden Veränderungen. Im ganz großen Maßstab hat das Kim Stanley Robinson durchexerziert, den das Magazin "The Atlantic" treffend als den "Goldstandard realistischer, hochliterarischer Science-Fiction" bezeichnet hat. Seine Mars-Trilogie trägt die geschilderte Entwicklung bereits in den Titeln ("Roter Mars", "Grüner Mars", "Blauer Mars"), und es gelingt ihm wie selten einem Schriftsteller, die (C. P. Snow lässt grüßen) "zwei Kulturen" miteinander zu verschmelzen.

Warum ich ausgerechnet in einem Magazin wie Technology Review die weniger technikaffine Seite der Science-Fiction betone? Einerseits weil mich das selbst am meisten interessiert – die gesellschaftlichen Konsequenzen von Entwicklungen durchzudeklinieren, nicht die Entwicklungen selbst. Außerdem bin ich ein großer Fan von Arbeitsteilung: Die TR berichtet darüber, was sich real an Innovationen abzeichnet. Und die Science-Fiction extrapoliert das in die (nahe oder weitere) Zukunft, um Szenarien durchzuspielen, bevor sie Wirklichkeit werden, oder um uns schlicht darauf vorzubereiten, was uns – möglicherweise – erwartet.

Dass ich mir dabei etwas mehr Zukunftsoptimismus und konstruktive Ideen wünsche, ist vielleicht eine Frage des Temperaments. Nur: Damit die Dinge besser – sinnvoller, angenehmer, weniger bedrohlich – werden, müssen wir selbst zur Tat schreiten. Den Bach runter geht alles schon von ganz allein...

(bsc)