"Telepathie"-Experimente: Wissenschaft oder Humbug?

Forschern ist es nun schon zum zweiten Mal gelungen, eine direkte Kommunikation zwischen zwei menschlichen Gehirnen aufzubauen. Echte "Telepathie" ist das aber noch nicht, denn die Datenrate ist viel zu gering. Eine Analyse.

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Von
  • Mark Harris

Forschern ist es nun schon zum zweiten Mal gelungen, eine direkte Kommunikation zwischen zwei menschlichen Gehirnen aufzubauen. Echte "Telepathie" ist das aber noch nicht, denn die Datenrate ist viel zu gering. Eine Analyse.

Zwei Wissenschaftlergruppen haben in diesem Jahr in Experimenten demonstriert, wie mit seit längerem bekannten Techniken Informationen direkt zwischen zwei menschlichen Gehirnen ausgetauscht werden können.

Die Versuche, der eine in den USA, der andere in Europa, dĂĽrften die ersten in der Menschheitsgeschichte gewesen sein, bei denen es gelang, Informationen zwischen Personen zu ĂĽbertragen, die weder miteinander sprachen noch irgendeinen Muskel bewegten. Bislang kann aber noch nicht davon die Rede sein, dass es sich dabei um "Telepathie" im Wortsinn handelt, wie eine Technology-Review-Analyse zeigt.

In einem Paper, das im November in der wissenschaftlichen Zeitschrift "PLOS One" veröffentlicht wurde, zeigten Neurowissenschaftler und Computerexperten an der University of Washingotn in Seattle, wie sich über ein "Brain-to-Brain"-Interface simple Computerspiele von zwei Personen kooperativ bedienen lassen. Anfang des Jahres war es zuvor der Firma Starlab in Barcelona gelungen, kurze Worte (beispielsweise "Ciao") zwischen den Gehirnen von Menschen auf unterschiedlichen Kontinenten zu übertragen, die dazu in Binärzahlen codiert wurden.

Beide Studien nutzen einen ähnlichen Ansatz. Der Sender der Botschaft trug jeweils eine Elektroenzephalographiekappe (EEG), die die elektrischen Signale, die seine Hirnrinde produzierte, messen sollte, wenn er daran dachte, seine Hände oder Füße zu bewegen. Diese Information wurde dann über das Internet an einen Computer geschickt, der sie in Impulse verwandelte, die über eine Magnetspule an das Gehirn des Empfängers ausgegeben wurden. Im Fall von Starlab sah der Empfänger einen Lichtblitz, beim Versuch der University of Washington sorgte der magnetische Impuls dafür, dass das Handgelenk der Versuchsperson leicht zuckte, was wiederum mittels Touchpad zum Abfeuern einer Rakete in einem Computerspiel führte.

Sowohl die EEG-Aufzeichnung als auch die Hirnaktivierung, transkranielle Magnetstimulation (TMS) genannt, sind bekannte Verfahren. Neu ist, diese Techniken zum Zweck der einfachen Kommunikation miteinander zu kombinieren. Die Starlab-Forscher glauben gar, dass solche "Hyperinteraction"-Techniken eines Tages "bedeutende Auswirkungen auf die soziale Struktur unserer Zivilisation" haben könnten.

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, denn das Verfahren funktioniert nur sehr eingeschränkt. Keines der Experimente konnte Gefühle, Gedanken oder Ideen übertragen. Stattdessen nutzten sie das menschliche Gehirn als eine Art von Schaltrelais, um ein einfaches Signal von Computer zu Computer zu übertragen. Zudem war die Datenbandbreite extrem gering.

Sicherheitsbedenken sorgen beispielsweise dafür, dass ein TMS-Gerät nur alle 20 Sekunden einen Impuls geben darf. Doch selbst ohne diese Einschränkung könnte eine Person nur wenige Informationsbits pro Minute per EEG-Kappe übermitteln, weil die willentliche Veränderung von Gehirnwellen Konzentration bedarf.

Im Vergleich dazu kann menschliche Sprache Schätzungen zufolge rund 3000 Bits pro Minute weitergeben. Das heißt, dass der Informationsgehalt einer 90 Sekunden langen Konversation länger als einen Tag mit dieser Form der Pseudo-"Telepathie" brauchen würde.

Forscher wollen deshalb genauere und schnellere Wege zur Informationsübertragung von Gehirn zu Gehirn finden. Andrea Stocco, der an der University of Washington an dem Computerspielprojekt beteiligt war, hat eine Förderung über eine Million Dollar von einer Stiftung erhalten, um neue Geräte anzuschaffen und mit neuen Methoden zu experimentieren, Daten zwischen menschlichen Hirnen auszutauschen. Dazu gehört auch eine Technik, bei der mit gerichteten Ultraschallwellen Nerven durch den Schädel hindurch direkt stimuliert werden.

Stocco meint, dass dieser Ansatz Forschern auch helfen könnte, Theorien zu verifizieren, wie die Nervenzellen im Gehirn Informationen darstellen, insbesondere bei abstrakten Begriffen. So ließe sich überprüfen, ob man beispielsweise wirklich das neuronale Muster identifiziert hat, das für "gelbes Flugzeug" steht. Dazu müsste man dieses Muster an eine andere Person senden und sie dann fragen, was sie denkt.

"Man kann diese Art der Schnittstelle als zweierlei betrachten", sagt Stocco, "Einerseits ist sie ein cooles, eher unwissenschaftliches Spielzeug und eine ingenieurtechnische Meisterleistung. Andererseits könnte man sie in Zukunft als ultimative Methode nutzen, Hypothesen zu testen, wie das Gehirn Informationen codiert." (bsc)