The Art of Electronics

Die "Art of Electronics" genießt unter Elektronikern Kultstatus. Nachdem die dritte Ausgabe nach mehr als fünfjähriger Wartezeit auf den Markt kam, ist man in Cambridge mit dem Drucken wohl kaum nachgekommen. Ist der Hype gerechtfertigt?

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Tam Hanna

Paul Horowitz, Winfield Hill
The Art of Electronics

3. Aufl., Cambridge University Press, 2015
1223 S., € 79,95
978-0521809269

Die "Art of Electronics" genießt unter Elektronikern Kultstatus. Nachdem die dritte Ausgabe nach mehr als fünfjähriger Wartezeit auf den Markt kam, ist man in Cambridge mit dem Drucken wohl kaum nachgekommen. Ist der Hype gerechtfertigt?

Beim Vergleich der Inhaltsangaben der beiden Werke fällt eine konsequente Neuausrichtung auf die Bedürfnisse von Autodidakten und mit Prozessrechnern Arbeitenden auf. Paul Horowitz und Winfield Hill haben die kontroverse Reihung – erst analog, dann digital ist nicht Jedermanns Sache – beibehalten, entschärfen die Kapitel aber durch zusätzliche Erklärungen und Beispiele. Das zeigt sich schon im ersten Kapitel, das – wie gewohnt – einen Mischmasch diverser physikalischer und elektronischer Grundlagen präsentiert. Hier findet sich nun eine Applikation in Form eines AM-Radios, die zudem mit einem an jedes Kapitel angeschlossenen "Review" erweitert wird.

Das Kapitel zu Operationsverstärkern – ein erstklassiger Quell von Angst – wurde durch Aufteilen in mehrere Kapitel stark entschärft. Leider blieb dabei das Kapitel über Hochfrequenzdesigns auf der Strecke. Die neuen Kapitel sind äußerst wertvoll: Der Abschnitt zum Erstellen hochpräziser Schaltkreise behandelt eine Vielzahl von Problemen, die man normalerweise nur per "hard knocks high" lernt.

Im Digitalbereich war die zweite Ausgabe der "Art of Electronics" insofern wertvoll, als die Fokussierung auf aus diskreten IS zusammengebaute Computersysteme Grundlagen vermittelte, die bei der Arbeit mit Arduino, Teensy und Co. unter den Tisch fallen. Diese Ausrichtung lebt in der dritten Ausgabe fort: Dass das Kapitel zu ISA geradezu antik wirkt, ist ein Nebeneffekt dieser – richtigen – Designentscheidung. Dafür gibt es auch Abschnitte zu I2C, SPI und Co.

Natürlich kommt die Behandlung "diskreter" digitaler Bausteine – Stichwort Gatter etc. – nicht zu kurz. Da digitale Logik in Zukunft immer mehr als Ersatz für analoge Frontends zum Einsatz kommen dürfte, haben die Autoren die Betrachtungen zu AD- und DA-Konversionsverfahren stark ausgebaut: Mehr Informationen zum Thema dürfte man nur in dezidierten Lehrbüchern finden.

Microcontroller finden in einem separaten Kapitel Erwähnung, das sie anhand einiger fertiger Beispiele vorstellt. Diese Vorgehensweise ist insofern interessant, als die Programmierung so ebenfalls Erwähnung findet. Leider ist die Vorstellung der einzelnen Controllerfamilien sehr kompakt – pro Gruppe verwenden die Autoren weniger als 100 Wörter.

Die Appendizes der AoE würden in anderen Büchern glatt als vollwertige Kapitel durchgehen. Der Abschnitt zu Signalformen im Fernsehbereich ist großartig, das Kapitel zur Komponentenbeschaffung fällt stark US-zentrisch aus. Im Bereich Laborausstattung ist eine gewisse Vorliebe für Tektronix klar bemerkbar, die Behandlung des leidigen Themas Analog- vs. Digitaloszillograph ist großartig.

Beim direkten Vergleich der beiden Werke fällt die stark erhöhte Inhaltsdichte auf. Das dritte Buch ist wesentlich "kompakter" gedruckt, die Schrift ist etwas kleiner. Im Zusammenspiel mit dem um etliche Seiten angewachsenen Umfang konnten die Autoren so wesentlich mehr Platz unterbringen. Kenner der zweiten Ausgabe vermissen die Bad Circuits: Die Autoren weisen im Vorwort darauf hin, dass sich diese nun im Internet befinden.

"Man kann sich mit der Art of Electronics Elektronik beibringen", dürfte das häufigste Elektronikerlatein sein – der enorme Umfang des Werks disqualifizierte es bisher für die meisten Quereinsteiger. Die in der dritten Version angebrachten Verbesserungen sind – aus diesem Blickwinkel betrachtet – eine willkommene Erweiterung.
Das Werk gehört nach wie vor auf den Schreibtisch jedes Elektronikers. Der wichtigste Konkurrent des mit mit knapp 80 Euro vergleichsweise teuren Werks ist sein nun sehr preiswert erhältlicher Vorgänger, der in manchen Bereichen über das hier Gebotene herausgeht (Inhaltsverzeichnisse vergleichen!). Dass Horowitz und Hill einen Teil der hier ausgelassenen Themen in einem neuen Band abhandeln wollen, ist insofern ärgerlich, als der Preis dieses noch nicht erhältlichen Werks sicherlich gesalzen ausfällt.

Tam Hanna
befasst sich seit der Zeit des Palm IIIc mit Programmierung und Anwendung von Handheldcomputern. Er entwickelt Programme für diverse Plattformen, betreibt Onlinenews-Dienste zum Thema und steht für Fragen, Trainings und Vorträge gern zur Verfügung.
(ane)