Therapie in der Hörschnecke

Ein neu entwickeltes Ohr-Implantat soll helfen, einen Hörverlust, der im Innenohr entsteht, gezielt mit Medikamenten zu behandeln und die feinen Haarzellen zu regenerieren.

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Von
  • Nidhi Subbaraman

Ein neu entwickeltes Ohr-Implantat soll helfen, einen Hörverlust, der im Innenohr entsteht, gezielt mit Medikamenten zu behandeln und die feinen Haarzellen zu regenerieren.

Knapp ein Fünftel aller Deutschen über 14 Jahren leidet an irgendeiner Form von Schwerhörigkeit. Die kann verschiedene Ursachen haben. Für diejenigen, deren Hörschaden im Innenohr entsteht, gibt es nun neue Hoffnung: Die Firma Draper Laboratory aus dem amerikanischen Cambridge hat ein Implantat entwickelt, dass Medikamente in einer kontrollierten Dosierung ans Innenohr abgeben kann. Kombiniert mit anderen Verfahren soll daraus erstmals eine wirkungsvolle Therapie gegen Hörverlust möglich werden.

Dass wir hören können, verdanken wir haarförmigen Zellen im Innenohr. Schallwellen regen sie zum Schwingen an, und diese Schwingungen werden in elektrische Signale verwandelt, die über Nervenbahnen das Hörzentrum des Gehirns erreichen. Mit dem Alter sterben jedoch immer mehr dieser Haarzellen ab. Auch sehr lauter Krach und bestimmte Drogen können sie schädigen. Ist erst einmal eine große Anzahl der Zellen abgestorben, folgt daraus ein permanenter Hörverlust. Bislang lässt er sich nicht mit Medikamenten rückgängig machen.

Neben Versuchen, das Haarzellgewebe zu regenerieren, wird zwar an Wirkstoffen geforscht, die den Verfall der Haarzellen stoppen sollen. Das Problem ist jedoch, die Stoffe ins Innenohr an die richtige Stelle zu bekommen. Spritzt man sie einfach hinter das Trommelfell, breiten sie sich unkontrolliert aus. Ärzte können daher nicht die Dosierung beeinflussen, die die Haarzellen tatsächlich erreicht. Und mehrere Medikamente auf einmal zu verabreichen ist noch komplizierter.

„Es erfordert geradezu heldenhafte Anstrengungen, Wirkstoffe ins Innenohr zu bringen“, sagt Sharon Kujawa, Leiter der Audiologie in der Massachusetts Augen- und Ohrenklinik (MEEI) und Wissenschaftler an der Harvard Medical School. Kujawa hat an der Entwicklung des Draper-Implantats mitgearbeitet. „Bei aller Konzentration auf die Entwicklung neuer Medikamente gerät leicht aus dem Blick, wie man sie verabreichen kann.“

„Außer mit Hörgeräten und, in schweren Fällen, Cochlea-Implantaten kann man bisher nichts gegen Hörverlust machen“, sagt Albert Edge von der Harvard Medical School, der an der Entwicklung nicht beteiligt war. Hörgeräte sind oft nicht angenehme zu tragen, während Hörprothesen – so genannte Cochlea-Implantate – noch den letzten Rest des natürlichen Hörvermögens beseitigen. Keines von beiden Verfahren kommt jedoch an die Fähigkeit der Haarzellen heran, Schall in Hörreize umzuwandeln.

„Ein Gerät, dass Medikamente in die mit Flüssigkeit gefüllten Kammern des Innenohrs bringt, ist genau das, was wir brauchen“, sagt Edge, der mit seiner Gruppe an der Regeneration von Haarzellen forscht. Das Draper-Implantat kann von außen gesteuert werden und verschiedene Stoffe abgeben, ohne selbst das empfindliche Innenohr zu schädigen.

Im Inneren des kleinen Geräts befinden sich eine mikrofluidische Pumpe, Medikamenten-Reservoire und ein kleiner Schlauch. Die Pumpe und die Reservoire werden operativ ins Schläfenbein am Ohr eingesetzt. Von dort führt der Schlauch in die Hörschnecke. In diesem Teil des Innenohrs, werden die Schwingungen des Trommelfells durch Flüssigkeiten und weitere Membranen an die Haarzellen weitergegeben.

Einen Prototyp haben die Forscher von Draper und dem MEEI an Meerschweinchen getestet. Derzeit arbeiten sie daran, das Gerät so zu verbessern, dass es auch ins menschliche Ohr eingepflanzt werden kann. „Wir hoffen, dass das System in weniger als fünf Jahren in die erste klinische Studie gehen kann – das ist das Ziel“, sagt Jeffrey Borenstein, Forscher bei Draper Laboratory.

Eine Anwendung des Implantats könnte sein, die Entstehung von neuen Haarzellen aus Stammzellen mittels Medikamenten zu unterstützen. „In diesem Szenario würden wir nacheinander zwei Stoffe freisetzen“, erläutert Albert Edge. „Der Erste würde die Stammzellen dazu animieren, sich zu teilen, der Zweite, sich zu Haarzellen auszudifferenzieren.“

Edge kann sich vorstellen, dass auch die Medikamente gegen einen Verfall der Haarzellen, an denen er selbst arbeitet, mit dem Gerät verabreicht werden können. „Wenn alles perfekt läuft, ist beides zur selben Zeit fertig entwickelt.“ (nbo)