USA und China: Die große App-Mauer

WeChat und TikTok sind nur die jüngsten Beispiele eines zunehmend heiß ausgetragenen kalten Infokrieges.

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USA und China: Die große App-Mauer

(Bild: Morning Brew/Unsplash)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Rui Zhong
Inhaltsverzeichnis

Zhong ist Programm Associate beim Kissinger Institute on China and the United States. Sie erforscht die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik.

Unternehmen waren eigentlich noch nie in der Lage, ihre Aktivitäten sauber von Geopolitik zu trennen. Nun wird es für viele Technikfirmen immer schwieriger, in einer Welt zu arbeiten, in der sich die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und der Volksrepublik China so offensichtlich überworfen haben.

Sosehr sie sich auch bemühen, die Wogen zu glätten und einen Gleichklang zwischen Forschung und Investitionen zu ermöglichen – das Klima zwischen China und den USA verschlechtert sich weiterhin in Richtung einer Überbietungskultur – und die horrenden Kosten dafür tragen die Nutzer.

Die Entscheidung der Trump-Regierung, die enorm erfolgreichen chinesischen Apps TikTok und WeChat aufgrund von angeblichen Beeinträchtigungen der nationalen Sicherheit aus Apples App Store und Googles Play Store zu nehmen, war ein direkter Angriff auf Chinas Bemühungen, die nächste Generation der globalen Tech-Unternehmen aufzubauen. Der Kern des Konfliktes liegt aber in einer erstaunlich persönlichen Art, Politik zu betreiben. Beide Apps sind in China nur aufgrund des guten Willens von Präsident Xi Jinping möglich, und beide laufen Gefahr, in den USA auf Befehl des Präsidenten Donald Trump verboten zu werden.

Die aktuell laufenden Rechtsstreitigkeiten um WeChat und TikTok in den USA zeigen, welch übergroßen Einfluss die höchste Politkaste Chinas und der Vereinigten Staaten darauf haben, wie moderne Technik sich entwickeln wird. Letztlich geht es bei diesen eigennützigen Aktionen weniger um Cyber-Sicherheit als um die Wahrung der politischen Interessen ihrer jeweiligen Regierungen.

Bevor die Anweisung des amerikanischen Wirtschaftsministeriums, beide Apps aus den Stores zu entfernen, in Kraft getreten war, hat die TikTok-Mutter ByteDance eine Verlagerung der amerikanischen Variante der App zu dem US-Unternehmen Oracle angekündigt – in Absprache mit der Trump-Regierung. Doch diese Einigung scheint nur finanzielle Assets von ByteDance zu Oracle und Walmart zu verlagern, außerdem wechselt die amerikanische Hosting-Plattform der App von Googles Cloud zu Oracles Cloud. Eine wesentliche Veränderung beim Datenschutz wurde hingegen nicht angekündigt. Zudem ging es nur um einen Anteil von 20 Prozent von TikTok (der geschätzte 43 Milliarden Euro wert ist), das Bestimmungsrecht über die App bleibt also bei ByteDance.

Währenddessen schadet auch das amerikanische Verbot von WeChat dem Eigentümer, dem chinesischen Internet-Großkonzern Tencent, eher wenig, denn die hochprofitablen Investitionen der Firma in die Gaming- und Filmbranche der Vereinigten Staaten werden davon kaum berührt. Hinzu kommt, dass die große Mehrheit der WeChat-Nutzer weltweit, die bei einer Milliarde liegen soll, sich weiterhin auf dem chinesischen Festland befindet. In Googles internationalen Play Stores wurde die App gerade einmal 100 Millionen Mal heruntergeladen – das sind Peanuts.

Tatsächlich wird der gröbste finanzielle Schlag des WeChat-Verbots – das zeitweise von einem US-Richter blockiert wurde – der sein, dass chinesische Staatsbürger weniger Geld in den USA lassen werden, sofern sie dort wieder einreisen dürfen. Schließlich nutzen sie WeChat nicht nur als Kommunikationstool. Sondern auch zur Abwicklung bargeldloser Zahlungsvorgänge, die auch immer mehr Shops in den Vereinigten Staaten anbieten, um die lukrative Zielgruppe zu erreichen. WeChat-Nutzer in den USA könnten sich nun Alternativen voller Viren zuwenden, womit das App-Verbot das Gegenteil des vorgeblichen Ziels bewirken könnte: Nutzerdaten werden einem erhöhten Risiko ausgesetzt.

Im August 2018 sagte Xi in einer Rede, dass es "ohne Cyber-Sicherheit keine nationale Sicherheit gibt". Zwei Jahre später sind sowohl er als auch sein Kontrahent Trump dabei, auf ihre jeweils eigene Weise herauszufinden, was diese Aussage eigentlich bedeutet. Xi hat seine persönliche "Xi Jinping Thought"-Ideologie fest mit der chinesischen Verfassung und den im Land geltenden Cyber-Sicherheitsgesetzen verbunden. Das Verbreiten von "Gerüchten" ist jetzt eine kriminelle Handlung unter der Aufsicht von Chinas Cyber-Behörde, und Erwähnungen von Xi werden akribisch überwacht. Selbst inmitten der COVID-19-Krise wurden Schlagwörter, die mit Xis Handhabung der Pandemie zusammenhingen, blockiert, sodass der Schutz des Regierungsoberhaupts noch vor den Bemühungen stand, sich mit den politischen Dimensionen der Pandemie zu befassen.

Von Trump wurde seinerseits berichtet, dass er umgerechnet 4,2 Milliarden Euro aus dem TikTok-Oracle-Walmart-Deal dafür verwenden wollte, seine neue gegründete Kommission für "patriotische Bildung" zu unterstützen, und er sicherte Amerika zudem einen Anteil von 20 Prozent am globalen TikTok-Geschäft. Derartige Schritte nützen aber weder der Infrastruktur für Cyber-Sicherheit noch der Privatsphäre amerikanischer Nutzer. Stattdessen bestärken sie allein Trumps politische Ideologie im Vorfeld der US-Wahl.

TikTok erkannte den Zungenschlag dieser Politik und reagierte auf das Verbot mit einem Appell, wie wichtig die geschäftlichen und politischen Beziehungen beider Länder seien, was früher schon chinesischen Unternehmen geholfen hatte, sich solchen Affären zu entziehen. 2018 verstieß der chinesische Telekommunikationsgigant ZTE gegen Auflagen und war von Verkaufseinschränkungen durch das amerikanische Gesetz bedroht – weil die Infrastruktur des Unternehmens möglicherweise Sicherheitsrisiken barg. Nachdem ZTE ein ähnliches Verbot bevorstand, wie TikTok und WeChat es nun erleben, machte ZTE einen Deal. Letzten Endes galten für das Unternehmen keine strengeren Sicherheitsauflagen, es genügten ein Bußgeld und eine Art Bewährungszeit.

TikToks anteilige Veräußerung an Oracle und Walmart spielt Trump persönlich in die politischen Karten. Im Zentrum des Gegenangebots von TikTok steht die Auffassung, dass politischer Schutz allein es möglich machen wird, im Trump-regierten Amerika zu überleben. Angeblich waren es ursprünglich Bedenken in Hinsicht der Datensicherheit, welche die Trump-Regierung dazu veranlasste, TikTok und WeChat zu verbieten. Forscher, die beide Apps untersucht haben, kamen tatsächlich zu dem Schluss, dass es Sicherheitslücken gibt.

Im Jahr 2019 zahlte ByteDance seinerseits 4,9 Millionen Euro, um einen Rechtsstreit mit der amerikanischen Handelsaufsicht FTC beizulegen. Das Unternehmen hatte die Daten von minderjährigen Nutzern unsachgemäß verarbeitet. Ob TikToks Deal jetzt die Datensicherheit der App ausreichend für amerikanische Nutzer verbessern wird, sodass mit dem Unternehmen geteilte Daten geschützt werden, bleibt abzuwarten.

Und: Vergeltungsmaßnahmen aus China stehen ziemlich sicher auf dem Plan. Xis Regierung hat am 15. September ein Statement veröffentlicht, in dem für private Unternehmen aus dem Ausland eine strengere Aufsicht ihrer Aktivitäten angekündigt wird.

In den vergangenen Jahren hat China sich eine aufkeimende Wirtschaft für inländische Software aufgebaut, insbesondere, um das Verhalten der über 900 Millionen chinesischen Internet-Nutzer zu beobachten und zu überwachen. Umfassende Gesetze zur Cyber-Sicherheit wurden festgelegt, insbesondere das chinesische "Internet-Sicherheitsgesetz" von 2017, und Parteibeamte sind bevollmächtigt, diese Gesetze auch durchzusetzen. Von Internet-Firmen wird erwartet, dass sie mit Polizeianfragen kooperieren.

Firmen wie Apple sind seit langem in China aktiv und haben ständig mit Widersachern zu tun, die sie vom Markt verschwinden lassen wollen. So wie die Trump-Regierung mit WeChat und TikTok umgeht, müssen sich US-Firmen, die in China Geschäfte machen wollen, auf strengere Einschränkungen und Hindernisse einstellen.

Letztlich sind es gar nicht die in den USA lebenden Nutzer beider Apps, die von diesen Konflikten am meisten betroffen ist. Eine Abschaffung von WeChat in den Vereinigten Staaten gefährdet vor allem die Kommunikationsmöglichkeiten von vielen Menschen in der chinesischen Diaspora, die dann keinen einfachen Kontakt mehr zu ihren Familien in der Heimat aufbauen können. Während die geopolitische Landschaft sich langsam verändert, werden sie vielleicht bald ohne die technischen Mittel sein, auf die sie sich mittlerweile verlassen.

(bsc)