Untypischer Nobelpreis für Stammzellforscher

Der diesjährige Nobelpreis für Medizin wird für eine revolutionäre Entdeckung auf dem Gebiet der Stammzellforschung vergeben. Dies teile das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit. Ausgezeichnet wurden der Japaner Shinya Yamanaka (50) zusammen mit dem Briten John Gurdon (79) für die Entdeckung, dass sich normale Körperzellen fast bis in den embryonalen Zustand zurückversetzen lassen. Es ist eine untypische Entscheidung.

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Von
  • Robert Thielicke

Der diesjährige Nobelpreis für Medizin wird für eine revolutionäre Entdeckung auf dem Gebiet der Stammzellforschung vergeben. Dies teile das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit. Ausgezeichnet wurden der Japaner Shinya Yamanaka (50) zusammen mit dem Briten John Gurdon (79) für die Entdeckung, dass sich normale Körperzellen fast bis in den embryonalen Zustand zurückversetzen lassen. Es ist eine untypische Entscheidung.

Bisher wartete das Gremium meist mit der Auszeichnung, bis die Entdeckungen ihre Tauglichkeit bewiesen hatten. Nun wird der Nobelpreis verliehen für eine Technologie, die ihre Zukunft noch vor sich hat, von der also noch gar nicht klar ist, wie tiefgreifend die Folgen sein werden. Denn mit den beiden Entdeckungen ist die Medizin ihrem Ziel, Reparatursets für menschliche Organe zu entwickeln, zwar einen ganz entscheidenden Schritt näher gekommen. Zudem lassen sich so große ethische Probleme umgehen, weil für eine mögliche Therapie keine Embryonen mehr zerstört werden müssen. Ob sich die Hoffnung allerdings erfüllen lässt, ist nicht ausgemacht.

Den Grundstein für die Reprogrammierung von Körperzellen legte der Brite Gurdon, derzeit an dem nach ihm benannten Gurdon Institute in Cambridge beschäftigt. 1962 entnahm er einer Eizelle eines Frosches den Kern, in dem das Erbgut eingekapselt liegt. Anschließend injizierte er das Genom einer normalen Körperzelle eines ausgewachsenen Tieres in das Ei. Aus dem derart behandelten Ei entwickelte sich ein kompletter Frosch. Der erste im Labor erzeugte Klon eines höher entwickelten Lebewesens war geschaffen. Das Experiment hatte gezeigt: Das Erbgut verliert seine Fähigkeit, einen ganzen Organismus zu bilden, augenscheinlich nie.

Shinya Yamanaka.

(Bild: Nobelstiftung)

John Gurdon.

(Bild: Nobelstiftung)

Der Traum vom menschlichen Ersatzteillager war geboren. Mediziner begannen, daran zu forschen, wie sich Zellen derart verjüngen lassen – und wie sich kranke Organe durch neues Zellmaterial reparieren lassen. Lange glaubten sie, den Umweg über die Embryonen nehmen zu müssen. Dafür hätte man jedoch für jeden Patienten einen individuellen Embryonen erschaffen und dann zur Zellgewinnung heranziehen müssen, um die Abstoßungsreaktionen des Körpers zu unterbinden. Nicht zuletzt wegen großer ethischer Bedenken war diese Lösung in vielen Gesellschaften nicht akzeptiert.

Dann entdeckte der zweite diesjährige Nobelpreisträger, Shinya Yamanaka, wie dieser Umweg zu vermeiden sein könnte. Er schaffte es, mit Hilfe von vier eingeschleusten Genen, die Hautzellen von Mäusen nahezu in den Embryonalzustand zu versetzen. Diese sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) bereicherten das große Feld der molekularen Biologie, unzählige Forschergruppen stürzten sich darauf.

Die Fähigkeit, einen kompletten Menschen zu bilden, haben iPS-Zellen zwar nicht. Sie können jedoch eine Vielzahl verschiedener Gewebe bilden. Künftig könnten daher, so die Hoffnung, Patienten ein Stück Haut entnommen werden, um daraus neue Gehirnzellen oder Zellen für die Bauchspeicheldrüse zu erzeugen – und so Krankheiten wie Parkinson oder Diabetes zu heilen.

Noch allerdings sind derartige Therapien weit entfernt. Denn Gene in Zellen einzusetzen, birgt große Gefahren. Kommen sie an falscher Stelle im Genom zu liegen, kann beispielsweise Krebs entstehen. Das Ziel der Forscher ist daher, die Zellen lediglich durch Zugabe von Botenstoffen zu reprogrammieren. Dass der Ansatz in nicht allzu ferner Zukunft tatsächlich möglich sein wird, zeigten Experimente eines Teams um Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin. 2009 gelang es den Wissenschaftlern, die Verjüngungskur mit nur einem einzigen Gen geschafft zu haben – und zwar bei menschlichen Zellen. Dieses letzte Gen zu ersetzen, wäre der nächste entscheidende Schritt. Aber gleichzeitig scheint er der Schwerste, denn seit 2009 hat es hier keine nennenswerten Fortschritte gegeben. Ob dafür wieder ein Nobelpreis vergeben wird, wenn es gelingt, muss sich zeigen. Der diesjährige jedenfalls wird am 10. Dezember verliehen, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel. (rot)