Verriss des Monats: Kinderverarbeitung

Zunehmend geraten Kinder und Jugendliche in den Fokus von Hightech- Überwachungsmethoden. Aber die Erziehung von Kindern ist etwas, das Menschen mit Menschen tun sollten, nicht Maschinen mit Kindern.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Abgerechnet wird zum Schluss: Die Kunst des gepflegten Verreissens zweifelhafter Produkte ist ein wenig – sagen wir mal – aus der Mode gekommen. Künftig wird deshalb an dieser Stelle – immer am letzten Tag des Monats – unser Kolumnist Peter Glaser eine Rezension der etwas anderen Art präsentieren: Den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegen genommen.

Die Donald Duck-Geschichte “Verirrt!” (“Camping Confusion”) vom August 1956 erzählt von einem Wettstreit der Erziehungsmethoden. Es gab damals neben den konservativen Verfahren der Beaufsichtigung erste Versuche, das Problem mit moderner Technik in den Griff zu bekommen.

Während eines Campingurlaubs mit seinen drei Neffen begegnet Donald einer Frau, die ihren Nachwuchs, damit er sich nicht unerwünscht selbständig macht, schlicht angeleint spazierenführt. Mit mildem Spott betrachtet Herr Duck das mühsame Menschengespann, er selbst nämlich kontrolliert seine lieben Kleinen mit Hilfe der Nuklearwissenschaft, der damals zentralen Inspirationsquelle von Zukunftsvorstellungen ("Unser Freund, das Atom"). Die drei Neffen tragen hierzu kleine Kügelchen aus Uran auf ihren Mützen, mit einem handlichen Geigerzähler kann Donald sie bequem aus der Hängematte heraus einpeilen. Wie zu erwarten, wird der Versuch nach mehreren Fehlschlägen abgebrochen – zuletzt spürt Donald anstelle eines Neffen dessen verlorene Mütze in einer Höhle auf, die von einem übellaunigen Grizzly bewohnt wird. Heute ist die Vorgehensweise strahlungsärmer.

Zwei britische Hersteller haben ein Art Orwell-Armbanduhr für Kids entwickelt, mit deren Hilfe Eltern unter anderem den Aufenthaltsort ihrer Sprösslinge ermitteln können. Die "Sentinel Wristwatch" bietet "eine Lokalisierungsgenauigkeit auf 100 Meter in und außerhalb von Gebäuden". Das reibungslose Funktionieren des Kinder-Radars stellt eine Software mit dem sprechenden Namen "Matrix" sicher. Über die Uhr können Eltern und Kind auch per SMS kommunizieren. Falls der Sprößling sich außerhalb eines vorbestimmten Gebiets bewegt, sollen die Eltern eine Warnnachricht bekommen, ebenso wenn ein Panikknopf gedrückt oder die Uhr unerlaubt entfernt wird. In die "Sentinel Wristwatch" sind auch Videospiele für die Unterhaltung der nachverfolgbaren Nachkommen integriert.

Die visuelle Rundumüberwachung von über das Babyfon hinausgewachsenen Kindern erlauben inzwischen auch IP-Kameras, durch die man das Kinderzimmer oder die ganze Wohnung vom Büro aus einfach via Webbrowser im Blick behalten kann. Für Erwachsene wandelt sich so – nicht zuletzt durch Fernsehformate wie Reality-TV, Stichwort Big Brother – der vor wenigen Jahren noch ausschließlich negativ besetzte Überwachungs-Begriff in eine neue Art von Unterhaltung.

Kinder haben keine Lobby, welche lautstark fordert, die zunehmende Technisierung der Kinder-Kontrolle zurückzunehmen und in die Hände der Eltern oder ihrer Stellvertreter zurückzuverlegen. Die Erziehung von Kindern ist etwas, das Menschen mit Menschen tun sollten, nicht Maschinen mit Kindern. Oder soll nun eine Generation heranwachsen, für die es selbstverständlich ist, von klein auf überwacht, geortet und gestreamt zu werden? Wie lange wird es dauern, bis neben den Kameras Robot-Arme an der Kinderzimmerwand montiert werden, um erzieherisch eingreifen zu können – vielleicht kombiniert mit einer Bilderkennungssoftware, die verbotenes Verhalten automatisch erkennt und Sanktionen einleitet?

Bisher letzter Clou innovativer Kinderverarbeitungsgerätschaftsanbieter ist der “Snoopstick” der kalifornischen Filter-Firma Solid Oak. Der fröhliche, blaue USB-Stick startet ein Installationsprogramm, das laut Herstellerangaben "vollständig versteckte" Überwachungskomponenten auf dem Rechner installiert. Damit läßt sich die Internetnutzung des infizierten PCs einschließlich aller Tastatureingaben aus der Ferne überwachen. Beworben wird das etwa 60 Dollar teure Gerät als Überwachungsinstrument für die Internet-Nutzung von Kindern. Eifersüchtige Ehepartner oder neugierige Chefs dürften an dem handlichen Schnüffler gleichfalls Gefallen finden.

Um die Dimension des Eingriffs zu illustrieren: Die “Keylogging” genannte Methode wurde das erste Mal 2002 prominent genutzt, um den New Yorker Mobster Nicodemo Scarfo, Jr. zu überführen, der mit illegalem Glücksspiel Geld schaufelte. Das FBI hatte speziell für diesen Fall einen von einem Trojaner einschleusbaren Keylogger namens Magic Lantern entwickelt.

Nun sind die Kinder dran. (wst)