Videorekorder: Ein Bild von einem Band

Vor 65 Jahren präsentierte Ampex den ersten praxistauglichen Videorekorder. Damals war er revolutionär – doch die Technik ist längst obsolet.​

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(Bild: LIAL/Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas
Inhaltsverzeichnis

Als in den 1970ern die ersten kassettenbasierten Videorekorder in den Handel kamen, begann das zeitversetzte, individuelle Fernsehen und die Unabhängigkeit vom Programmschema der Sender. Endlich konnte man am Samstagabend auf die Piste gehen, den zu der Zeit ausgestrahlten Spielfilm aufzeichnen und dann gemütlich während des Sonntagsfrühstücks schauen. Es dauerte einige Jahre – aber irgendwann begriffen auch Filmverleiher und TV-Sender, dass sie mit ihren Konserven auf Kassette noch einmal tüchtig Geld verdienen konnten.

Aber bis die Technik zuverlässig, simpel und erschwinglich genug für Normalverbraucher wurde, war es ein langer Weg. Video und damit Fernsehen wurden bereits in den 1930ern elektronisch. Was fehlte, war eine Möglichkeit, diese Signale aufzuzeichnen.

Technik im Rückspiegel

(Bild: 

LIAL/Shutterstock.com

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Früher selbstverständlich, mittlerweile längst vergessen: heise online blickt zurück auf ehemalige Alltagstechnik und erklärt, warum wir sie heute nicht mehr nutzen.

In den Kindertagen des Fernsehens, in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, sendete man einen Großteil des Programms direkt aus dem Studio, Reportagen, Serien und Nachrichten drehte man mit Filmkameras. In Deutschland erfand Telefunken schon 1935 das Tonbandgerät. Das Prinzip, akustische Signale in Wechselströme zu verwandeln und diese als magnetische Signale auf Band zu speichern, war also bekannt. Videokameras geben ebenfalls ein Bildsignal in Form von Wechselstrom aus – warum also nicht auch das auf Band speichern?

Für eine hochwertige Tonaufzeichnung reicht es, wenn das Aufnahmegerät Schwingungen von 20 bis 20.000 Hertz reproduziert. Bei der Tonband-Aufnahme erzeugt der Signal-Wechselstrom ein Magnetfeld im Aufnahmekopf, das an ihm vorbeilaufende Magnetband wird proportional dazu magnetisiert. Bei der Wiedergabe dreht sich der Prozess um: Das Magnetfeld des Tonbands bewirkt im Wiedergabekopf einen Wechselstrom, der dem akustischen Original weitgehend entspricht.

Zwei Faktoren begrenzen die mit einem solchen System speicherbare Frequenz: die Aufnahme-/Wiedergabegeschwindigkeit und der Kopfspalt, also die winzige Öffnung in Aufnahme- oder Wiedergabekopf, die das elektromagnetische Signal zum Band durchlässt oder von dort wieder abnimmt.

Die in der Anfangszeit eingesetzten TV-Standards benötigten Videobandbreiten bis 5 Megahertz (Millionen Schwingungen pro Sekunde). Um dieses Signal mit der bis dahin verwendeten Magnetbandtechnik aufzuzeichnen, hätte das Band mit mindestens vier Metern pro Sekunde durchs Aufnahmegerät sausen müssen. Die Konsequenzen sind klar: Selbst für nur eine Viertelstunde Video bedurfte es großer Spulen und extrem viel – teuren – Bandmaterials. Die Aufnahmegeräte würden sperrig, die Mechanik ein Problem.

Die öffentlich-rechtliche britische BBC entwickelte 1952 den "Vision Electronic Recording Apparatus" (VERA). Der zog das Band tatsächlich mit einer Geschwindigkeit von fünf Metern pro Sekunde entlang der Köpfe. Auf die Spulen mit 52 Zentimetern Durchmesser passte eine Viertelstunde Video.

Mehr als eine Technikdemonstration wurde VERA nie. Ein wesentliches Detail hatte der Entwickler Peter Axon aber bereits richtig gemacht: Er zeichnete die Videosignale nicht direkt auf, sondern nutzte sie, um damit die Frequenz eines Trägersignals zu modulieren – erst dieser modulierte Träger landete auf dem Band. Dieselbe FM-Technik ist heute noch Basis des UKW-Radios. Ohne den Umweg über Frequenzmodulation hätte man das breitbandige Videosignal gar nicht aufs Magnetband gebracht – weder die elektrischen Eigenschaften der Aufzeichnungsköpfe noch der Störabstand wären ausreichend gewesen.

Gruppenbild: Die Ampex-Ingenieure (v.l.) Fred Pfost, Shelby Henderson, Ray Dolby, Alex Maxey, Charles Ginsburg und Charles Anderson hinter dem Laufwerk des VR-1000 Mk-IV. Zum betriebsbereiten Gerät gehören zwei mannshohe Schränke voller Röhren-Elektronik

(Bild: Ampex)

1956 nutzte man VERA im Rahmen einer TV-Sendung. Aber als auf der anderen Seite des Atlantiks die in Kalifornien beheimatete Firma Ampex am 14. April 1956 ihren Quadruplex-Recorder demonstrierte, war klar, wohin die Reise geht. Der Ampex VR-1000 nutzte ebenfalls FM (für die praktische Umsetzung war ein gewisser Ray Dolby verantwortlich) – das Band schlich aber mit "nur" 38,05 Zentimetern pro Sekunde durch den Transportmechanismus. Um dennoch die hochfrequenten Bildsignale speichern zu können, ersannen die Ingenieure einen genialen Trick: Sie packten gleich vier Videoköpfe auf eine quer zum Band rotierende Scheibe. Zwischen Band und Kopf ergab sich so eine ausreichend hohe Relativgeschwindigkeit.

Das funktionierte, aber die Technik hatte Schwächen und war teuer. Schon 1953 hatte sich der Telefunken-Ingenieur Eduard Schüller, der auch am Tonbandgerät großen Anteil hatte, die Schrägspuraufzeichnung patentieren lassen. Auch hier rotieren die Köpfe auf einer Scheibe, nur zieht sie die Köpfe nicht quer, sondern schräg übers Band. Die Scheibe ist Teil einer Kopftrommel genannten Bandführung. Im selben Jahr hatte der Toshiba-Entwickler Dr. Norikazu Sawazaki in Japan dieselbe Idee – und sein Arbeitgeber entwickelte bis 1959 einen funktionierenden Videorekorder. Gleichzeitig zeigte auch der spätere, selbsternannte "VHS-Erfinder" JVC mit dem KV-1 einen funktionierenden Schrägspur-Videorekorder.

Dem Bild auf der Spur: Die vier Köpfe auf der rotierenden Scheiben schreiben die Bildspuren nahezu senkrecht aufs Band. Fest montierte Köpfe zeichnen am Rand des Bandes Synchronsignale auf, damit das Bild bei der Wiedergabe stabil bleibt.

(Bild: Tecchese, CC BY 3.0)

Das Geschäft mit den TV-Sendern machte aber zunächst fast überall auf der Welt Ampex. Der frühere Südwestfunk (heute SWR) kaufte 1957 seinen ersten VR-1000 für die Kleinigkeit von rund 250.000 D-Mark. Aber die Schrägspurtechnik ließ Entwickler auf der ganzen Welt nicht ruhen: In den 1960ern boten Loewe und Philips Heimrekorder mit Offenspulenband an, in Japan einigten sich die Elektronikhersteller 1969 auf das bandbasierte EIAJ-1-Format.

Die Preise dieser Geräte waren für Heimanwender bezahlbar, das Gefummel mit dem Band auf Spulen blieb aber umständlich. Wie für Audio musste auch für Video eine Kassette her. Die kam 1971 in Form des von Panasonic, JVC und Sony entwickelten U-matic-Formats. In Europa stellten Philips und Grundig 1972 VCR (Video Cassette Recording) vor.

Beide Systeme hatten eine maximale Aufnahmedauer von einer Stunde. Während VCR auf den Heimmarkt zielte und die Geräte mit einem Preis von rund 3000 D-Mark für Betuchte erschwinglich waren, lagen die U-matic-Maschinen je nach Modell bei 8000 bis 10.000 D-Mark. Sie wollte man an institutionelle Anwender verkaufen; spätere U-matic-Generationen wurden von vornherein für die Anforderungen von TV-Sendern konzipiert. 1975 schließlich brachte Sony den Ur-Betamax in den japanischen und US-Markt – eine verkleinerte und günstigere Version von U-matic. Fürs zeitversetzte Fernsehen war dies zu wenig, schon ohne Werbeunterbrechung dauert ein Spielfilm 90 Minuten und mehr. Der Durchbruch kam 1976 mit VHS (Video Home System). Die von JVC für Japan und den nordamerikanischen NTSC-Markt bestimmte Version brachte es von Anfang an auf zwei Stunden Aufnahmezeit – das war der Beginn des Heimvideobooms. Allein im Jahr der Markteinführung schnappte VHS Betamax auf dem US-Markt 40 Prozent Marktanteil weg.

Kopfstand: Bis in die 2000er Jahre war Bosch im TV-Studiogeschäft aktiv. Die Quadruplex-Maschinen fertigte man in Lizenz. Die Scheibe mit den vier rotierenden Köpfen sitzt oberhalb der linken Bandspule.

(Bild: gunnar_maas, CC BY-SA 3.0)

Als 1977 die an die europäischen TV-Systeme angepassten Versionen von Betamax und VHS kamen, hatte Betamax mit 3:15 Stunden zwar eine Viertelstunde Vorsprung vor VHS, das anfangs nur drei Stunden speichern konnte. Außerdem bot Betamax das bessere Bild. Sony wollte aber nur Partner, die eigene Geräte bauten, während JVC an Hinz und Kunz VHS-Lizenzen vergab. In der Folge erschienen nicht nur die JVC-VHS-Geräte unter zahllosen Markennamen. Auch Firmen wie Akai, Hitachi, Mitsubishi oder Panasonic belieferten europäische und US-amerikanische Anbieter mit VHS-Maschinen, auf denen deren Name prangte.

Grundig und Philips konterten 1979 mit Video 2000. Das Ende der Geschichte ist bekannt: VHS setzte sich durch; schlussendlich bauten auch Sony und Philips/Grundig VHS-Recorder. Ironie des Schicksals: Zur Hochzeit des Heimvideobooms in den 1990ern belegten die VHS-Rekorder von Sony die Spitzenplätze der Bestenlisten der einschlägigen Testmagazine.

Aber zu dieser Zeit zeichnete sich schon ab, dass die Zukunft digital und bandlos ist. 1996 startete in Deutschland DF-1 – digitales, auf der MPEG-2-Datenreduktion basierendes Zahlfernsehen. Gleichzeitig wurden CD-Brenner zum Massenartikel und die DVD kündigte sich an. Auf der Videovariante der DVD kam einmal mehr MPEG-2 zum Zug. 2001 erschien mit dem DVDR 1000 von Philips der erste Videorekorder, der Fernsehprogramme auf Disc statt Band speicherte. Gleichzeitig digitalisierten die öffentlich-rechtlichen wie frei empfangbaren Privat-TV-Stationen ihre Sendewege – einmal mehr mit MPEG-2. Und: PC-Festplatten wurden groß und günstig genug, um auf ihnen Video zu speichern. Die ersten Festplatten-TV-Recorder tauchten auf. Auch sie hatten Kinderkrankheiten und waren zur Markteinführung keine Schnäppchen – aber es war klar, in welche Richtung sich die Technik entwickeln würde.

Bis in die Mitte der Nuller-Jahre waren VHS-Recorder und die verbesserte "Super"-VHS-Variante dennoch gängig. Analog-TV war via Kabel und Satellit immer noch vorherrschend, die VHS-Kassetten die billigste und beste Möglichkeit, Video zu archivieren. Aber das Blatt wendete sich immer mehr zugunsten digitaler Übertragung und Speicherung – 2015 strich der letzte Hersteller von VHS-Kassetten die Segel, 2016 der letzte Hersteller von VHS-Videorekordern.

Selbst Festplattenrekorder sind nur noch ein Nischenprodukt: Seit die Internetverbindungen schnell genug sind, boomen Netflix und Co. ebenso wie die Mediatheken der TV-Sender. Nur noch eine Minderheit der Zuschauer legt Wert darauf, Programme auf physischen Datenträgern zu archivieren. Aber wer will, kann das im Jahr 2021 so günstig und effizient wie nie – eine externe Festplatte mit vier Terabyte Speicher kostet um 100 Euro und hat Platz für mehrere Wochen HD-Video. Auf Kassetten füllte dieselbe Zahl an Aufzeichnungen mehrere Regalmeter.

Das Ende der Videorekorder ist also folgerichtig. Aber auch wenn sich das Gerücht hartnäckig hält – die Bänder und die Aufnahmen darauf zerfallen bei korrekter Lagerung nicht. Wer wirklich noch unwiederbringliche Filme auf Cassette hat, sollte sich dennoch beim Digitalisieren sputen. Es wird immer schwieriger, noch funktionierende Rekorder zu finden.

(dahe)