Vision Pro: Wie Apple die Developer auf seine neue Plattform locken will

Lohnt sich der Aufwand, iPhone- und iPad-Apps auf ein 3D-Display zu übertragen, das 3500 Dollar kostet? Nicht alle Entwickler sind davon überzeugt.

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Apples Vision Pro

Apples Vision Pro.

(Bild: Apple)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Chris Stokel-Walker
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Das "one more thing", die eine weitere Sache, die Apple auf seiner diesjährigen Worldwide Developers Conference (WWDC) ankündigte, war das am schlechtesten gehütete Geheimnis der Branche: Die Apple Vision Pro ist der Versuch des Tech-Giganten, ein Mixed-Reality-Headset auf den Markt zu bringen. Es wurde fasziniert wie mit gemischten Gefühlen aufgenommen: Das neue Gerät ist eine technische Meisterleistung, hat aber auch einen stolzen Preis von 3.499 Dollar.

Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, der sich als Problem erweisen könnte: Entwickler davon zu überzeugen, native Apps für die neue Plattform, das Betriebssystem visionOS, zu gewinnen. Denn Apple hofft, dass die Vision Pro die Art und Weise, wie wir mit unseren Geräten interagieren, grundlegend verändern wird – dass wir, sobald wir von den Zwängen eines Smartphone- oder Tablet-Bildschirms befreit sind, das "Spatial Computing" annehmen, das der Konzern in seinen Werbevideos vorgeführt hat. So gibt es eine Augenerkennung, die wahrnimmt, worauf der Nutzer seinen Blick richtet, mit kleinen Fingergesten werden Aktionen ausgelöst. Man scheint wie magisch mit Anwendungen zu interagieren, sagen erste Tester, ohne Tasten oder einen Bildschirm.

Das könnte für die Verbraucher grundsätzlich großartig sein. Aber es bereitet Apples App-Entwicklern Kopfzerbrechen. Apple hat bereits erklärt, dass bestehende Apps, die für das iPad entwickelt wurden, ohne Änderungen auf visionOS laufen werden. Auch iPhone-Apps lassen sich aufrufen. Allerdings werden diese bestehenden Programme in einem virtuellen Fenster angezeigt, das mit Mixed Reality nur wenig zu tun hat. Um die Vorteile der Technologie voll auszuschöpfen und den Sprung vom Bildschirm in die virtuelle Welt zu schaffen, müssen Apps überarbeitet werden.

Für René Schulte vom italienischen Unternehmen Reply, das 3D-Umgebungen als Teil seines Geschäfts entwirft, war die Ankündigung ein bedeutendes Ereignis. Er gibt jedoch zu bedenken, dass vieles von dem, was in Apples Demovideos gezeigt wurde, die Möglichkeiten, die die Mixed Reality eigentlich bieten sollte, nur begrenzt nutzt. "Was mir nicht gefiel, war der Fokus auf 2D-Inhalte", sagt er. Schulte arbeitet seit 2015 mit der Mixed-Reality-Brille HoloLens von Microsoft und mit der Oculus Rift der Facebook-Mutterfirma Meta. Er ist der Meinung, dass einige Chancen zur Überarbeitung des Benutzererlebnisses für die Vision Pro verpasst wurden.

Das liegt zum Teil an den Herausforderungen, die mit der Neugestaltung von Apps für ein völlig neues Interface verbunden sind. Reply hat im vergangenen Jahr ein Whitepaper veröffentlicht, in dem es darum ging, wie man Apps von zwei auf drei Dimensionen umstellt. Darin geben die Experten zu, dass dieser Mentalitätswandel nicht einfach ist.

"Designer müssen neue Methoden und Fähigkeiten erlernen und sich auch an neue Werkzeuge gewöhnen", sagt Schulte. "Für 3D zu entwerfen bedeutet nicht einfach, 2D-Konzepte in den dreidimensionalen Raum zu werfen." Doch genau das hat er zum Beispiel bei der Präsentation von Adobe Lightroom und Microsoft Office für die Vision Pro gesehen.

Denys Zhadanov ist Vorstandsmitglied und ehemaliger Vizepräsident von Readdle, einem ukrainischen Entwicklungsunternehmen, das eine Reihe beliebter Produktivitätsanwendungen für iOS entwickelt. Er sei begeistert von den Möglichkeiten der Vision Pro, räumt aber ein, dass die Readdle-Apps dafür umgearbeitet werden müssten.

"Wir haben in unseren Apps viele selbst gestaltete Elemente, also müssen wir sie anpassen und Zeit dafür aufzuwenden, alles so zu gestalten, dass es auf Vision Pro reibungslos funktioniert", sagt er. Dennoch sieht Zhadanov die Augmented-Reality-Optionen der Vision Pro als nützlich für die Apps seines Unternehmens an. "Ich brauche aber noch, um diese Ideen zu erforschen", sagt er. Das Gerät selbst sei phänomenal. Die bevorstehende Veröffentlichung eines Software Development Kits (SDK) für die Vision Pro sei hilfreich, fügt er hinzu – es erscheint noch diesen Monat. (Apple hat auf die Bitte um eine Stellungnahme für diesen Artikel nicht reagiert).

Aber selbst mit Apples Unterstützung sind einige Entwickler unsicher, wie sie vorgehen sollen. "Ich denke, dass die Kosten zu diesem Zeitpunkt ein großes Problem für Endkunden-Apps darstellen werden", sagt Dylan McKee, Mitbegründer von Nebula Labs, einem Unternehmen für die Entwicklung mobiler Apps mit Sitz in Newcastle, Großbritannien.

McKee und andere werden entscheiden müssen, ob sich der Zeitaufwand für die Umrüstung ihrer Apps auf eine neue Art von Display angesichts der potenziellen eher kleinen Zielgruppe für ein Produkt, dessen Preis für viele unerschwinglich ist, lohnt. Die Analysten von Wedbush Securities prognostizieren, dass Apple im Jahr 2024 rund 150.000 Stück der Vision Pro ausliefern wird. Zum Vergleich: In den ersten drei Monaten des Jahres 2023 lieferte das Unternehmen 55 Millionen iPhones aus.

Zhadanov glaubt, dass Apple die erste Version der Vision Pro wohl als "Spielzeug für Menschen der Mittelklasse und aufwärts" positioniert. Das wird die potenziellen Anwendungsfälle für Readdles Apps auf der Vision Pro und die Designentscheidungen diktieren, die das Team trifft. Angesichts der prognostizierten geringen Verkaufszahlen wird McKee nicht allzu viel Aufwand in die Vision Pro stecken. "Aus meiner persönlichen Sicht machen nur ein oder zwei der von uns entwickelten Apps wirklich Sinn, um sie darauf zu portieren", sagt er. Eine davon ist eine App für das Training von Spitzensportlern, bei der die Sportler von einer 3D-Analyse in Echtzeit profitieren könnten. Die andere App ist ein Programm für die medizinische Ausbildung.

"Ich denke, dass die Simulation bestimmter Trainingsszenarien im virtuellen Raum von unschätzbarem Wert sein könnte", sagt McKee. "Aber beides sind Nischenprodukte im Vergleich zu den Endanwender-Apps, die wir sonst produzieren."

(bsc)