Von wegen Science-Fiction

Wenige Kinogänger wissen, dass das berühmte User Interface aus dem Film „Minority Report“ schon seit Jahren als Produkt existiert. Bislang können sich aber nur Militär und Großunternehmen das System leisten.

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Von
  • Paul Boutin

Wenige Kinogänger wissen, dass das berühmte User Interface aus dem Film „Minority Report“ schon seit Jahren als Produkt existiert. Bislang können sich aber nur Militär und Großunternehmen das System leisten.

Als 2002 der Film „Minority Report“ herauskam, traf er bei vielen Zuschauern einen ganz besonderen Nerv. Nicht nur die Geschichte um Präkognition hatte es ihnen angetan, sondern vor allem das futuristische User Interface: Mit Spezialhandschuhen schob der von Tom Cruise gespielte Ermittler der "Precrime Unit" auf eine in der Luft schwebenden Oberfläche in ungeheurem Tempo Objekte hin und her. Wenige Kinogänger wussten damals, dass es sich dabei nicht um eine Erfindung der Special-Effects-Abteilung handelte – sondern um ein reales System namens „gspeak“, entwickelt am MIT Media Lab von John Underkoffler.

Gspeak schlug die Zuschauer in seinen Bann, weil es mit der alten Schreibtisch-Metapher samt Maus und Tastatur brach. Die Begeisterung nahm gewissermaßen den Erfolg der berührungsempfindlichen Oberflächen in heutigen Smartphones vorweg. Für Underkoffler war die Begeisterung ein Segen: Er konnte bald danach eine Firmengründung finanzieren und aus dem Prototypen ein reales Produkt machen.

Fast zehn Jahre später ist aus Oblong Industries ein einträgliches Unternehmen geworden, das in einem ehemaligen Lagerhaus in Downtown Los Angeles anspruchsvolle Systeme für zahlungskräftige Kunden produziert. Bei der Auswahl seiner Angestellten ist Underkoffler wählerisch: Am liebsten seien ihm Leute, die sowohl Künstler als auch Technikexperte seien und nicht nur eins von beiden, sagt er.

Zu den Kunden gehören neben dem Militär Unternehmen – etwa aus der Finanz- oder der Ölindustrie –, die interaktive Visualisierungen sehr großer Datenmengen benötigen. Und gspeak funktioniert – die nächste Version wird sogar ohne Datenhandschuh auskommen.

Angesichts der positiven Publikumsreaktionen von damals verwundert es, dass das System nicht längst in viel größerem Umfang genutzt wird. „Die Menschen wissen oft nicht genau, was für ein User Interface sie wirklich wollen“, sagt Underkoffler. Frage man sie, wollten sie zwar alle vier Wände eines Raums mit hochauflösenden Bildschirmen ausgestattet haben. Aber sie begriffen nicht, dass sie in dem neuen System ein Objekt einfach mit zwei Fingern greifen und es auf der gegenüberliegenden Wand ablegen könnten – wie ein Stück Papier. Stattdessen zögen sie das Objekt an den Wänden entlang, um die Ecken, um es ans Ziel zu bringen. Fokus-Gruppen und Nutzer-Feedback seien nützlich, sagt Underkoffler, würden aber nicht zu kühnen neuen Ideen führen.

Zudem sind die Produkte von Oblong Industries schlicht noch zu teuer für den Massenmarkt. Die neueste Entwicklung, „Mezzanine“ genannt, kleidet einen herkömmlichen Konferenzraum mit hochauflösenden Displays und einer digitalen Tafel aus. In diesem System können Teilnehmer einer Besprechung Datenobjekte mit Hilfe eines Pointers bewegen. Das geht, weil die Position des Zeigestabs in allen drei Raumrichtungen getrackt wird.

Zeigt man mit ihm etwa auf ein Bild und drückt eine Taste, ist es mit dem Stab gekoppelt. Anschließend kann man es auf einem der anderen Displays ablegen – mit einem Laserpointer wäre das unmöglich. Mezzanine lässt sich auch vom Laptop oder vom Smartphone aus bedienen, um Präsentationen, Bilder und Videos hochzuladen. Wie teuer Mezzanine ist, will Underkoffler nicht verraten – nur, dass es teuer ist. Denn dafür müssen Riesenbildschirme und ein ganzer Haufen Server angeschafft werden, um die Datenbewegungen in Echtzeit bewältigen zu können.

Underkoffler ist allerdings zuversichtlich, dass sich Kostenproblem im Laufe der Zeit erledigen wird. Schließlich, hebt er hervor, habe heute jeder Durchschnittsrechner genug Prozessor- und Grafikkartenleistung, um die visuellen Elemente der Oberfläche zu bewältigen. Die Gestensteuerung Kinect funktioniere ja bereits mit einem Gerät, das ganze 150 Dollar kostet.

Dennoch will Underkoffler gspeak nicht mit heutigen Computeroberflächen verglichen sehen. „Den Leuten ist nicht klar, dass das Interface-Demo von Xerox Parc, das Steve Jobs später für den Mac anpasste, eigentlich so einfach sein sollte, dass auch Sechsjährige es bedienen können“, sagt Underkoffler. „Warum sollten wir als Erwachsene in unseren Möglichkeiten beschränkt sein?“ Gspeak ist allerdings nicht nur leistungsfähiger, sondern auch deutlich anspruchsvoller. Das bedeutet: Die Lernkurve ist wesentlich steiler. Für eine massentaugliche Technologie vielleicht immer noch zu steil. (nbo)