Vorsichtiges Herantasten an den Menschen

Gene ausschalten per RNA-Interferenz funktioniert auch in Affen. Das verspricht Gutes für eine Therapie beim Menschen – und für den Aktienkurs des forschenden Unternehmens.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Hanno Charisius

Von Herzkrankheiten über Krebs bis hin zu Aids – viele schwere Leiden werden durch körpereigene Gene ausgelöst oder durch das Erbgut von Eindringlingen. Gäbe es eine sichere Technik, um solch schädliche Gene gezielt auszuschalten, so könnte man all diese Krankheiten heilen.

Die so genannte RNA-Interferenz-Technik (RNAi) kann genau das: Gene gezielt und wirkungsvoll ausschalten. Der RNAi genannte Mechnismus ist ein jahrmillionenalter natürlicher Prozess, bei dem kleine, doppelsträngige RNA-Moleküle gezielt zum Ausschalten von Genen eingesetzt werden. Seit 2001 wissen Forscher, dass sich dieses Phänomen auch nutzen lässt, um menschliche Zellen zu manipulieren. Problematisch blieb allerdings, entsprechende RNA-Moleküle an den Ort zu verfrachten, wo sie wirken können, denn die Moleküle bauen sich im Körper schnell ab, lassen sich nur schwer in Zellen einbringen und auf ein Zielgewebe ausrichten.

Die Hürde scheinen Forscher des deutsch-amerikanischen Unternehmens Alnylam nun genommen zu haben. Auf der Webseite des Magazins Nature berichteten sie, dass es ihnen in Kooperation mit dem kanadischen Unternehmen Protiva Biotherapeutics gelungen sei, ein krankheitsassoziiertes Gen auszuschalten, indem sie Primaten in kleine Lipidbläschen verpackte RNA-Moleküle in die Blutbahn injizierten.

Die Wissenschaftler injizierten Javaneraffen (Verwandte der Meerkatzen) kleine RNA-Moleküle, die das Gen für das so genannte Apolipoprotein B (ApoB) ausschalten. Dieses Gen ist an der Herstellung des schädlichen LDL-Cholesterins beteiligt und mit konventionellen Therapien nicht zu regulieren. Die Wissenschschaftler stabilisierten die Anti-ApoB-Moleküle chemisch, um sie vor frühzeitigem Zerfall zu schützen, und verpackten sie in eine Hülle aus Lipiden, die bevorzug im Lebergewebe aufgenommen werden – dort ist das ApoB-Gen besonders aktiv.

48 Stunden nach der Injektion war die ApoB-Aktivität bei optimaler Dosierung um mehr als 90 Prozent zurückgegangen, die Konzentration des Herz/Kreislauf-Erkrankungen verursachenden LDL im Blut sank um mehr als 80 Prozent. Die Wirkung hielt länger als elf Tage an, ohne schädliche Nebenwirkungen zu zeigen. Bei einem ähnlichen Experiment mit Mäusen hielt die Wirkung nicht einmal halb so lange, für John Maraganore, Vorstandschef bei Alnymlam ein Hinweis darauf, dass sich die Stoffwechselwege von Nagern und Primaten doch an einigen entscheidenen Stellen unterscheiden. Nun wolle sein Unternehmen Langzeitstudien an Primaten durchführen und die Zusammensetzung der Lipidverpackung weiter verbessern, sagt Maraganore. Innerhalb der nächsten 18 bis 24 Monate wolle Alnylam mit klinischen Versuchen beim Menschen beginnen.

Allgemeine Hoffnug auf RNAi als Universaltherapie für jedwedes aus dem Ruder gelaufene Gen ist indes unangebracht: Die Lipidverpackung ist vielleicht sehr gut geeignet, ihre RNA-Fracht zielgenau zur Leber zu verfrachten, andere Organe sind jedoch nicht so zuverlässig zu adressieren. Um auch dieses Problem zu lösen, hat Alnylam einen Tag nach der Veröffentlichung Lizenzabkommen mit der kanadischen Inex Pharmaceuticals und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) abgeschlossen. Auf diesem Weg versucht Alnylam, Zugang zu Schlüsseltechnologien für die Lieferung von RNAi-Therapeutika zu bekommen.

„Wir glauben, dass die rasche und nachhaltige Drosselung des ApoB-Gens per RNAi eine neue Strategie darstellen könnte, um gesundheitsschädliches LDL-Cholesterin im Blut von Risikopatienten zu reduzieren“, sagt der Vorstandschef und spricht dabei ganz nebenbei von einer Attacke auf den größten Pharmamarkt der Welt: Allein Pfizer macht mit seinem Cholesterinsenker Lipitor 12,9 Millarden Dollar Jahresumsatz. Der Kurs der Alnylam-Aktie stieg am Tag der Veröffentlichung um sieben Prozent. (wst)